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Scharia

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Die Schari'a bzw. deutsch Scharia (arabisch شريعة scharīʿa ›Weg zur Tränke‹, ›deutlicher, gebahnter Weg‹, ›religiöses Gesetz‹, ›Ritus‹; auch: شرع scharʿ), das islamische Recht, ist eine religiöse Pflichtenlehre, die die Regelung aller Bereiche des menschlichen Daseins anstrebt. In kasuistischem Aufbau bestimmt sie die Rechte und Pflichten des Menschen gegenüber anderen und gegenüber Gott. Trotz gelegentlicher Versuche ist die Schari'a nie kodifiziert worden, weshalb Detailfragen immer wieder durchaus strittig diskutiert werden. Die Pflege und Entwicklung der Schari'a obliegt der islamischen Jurisprudenz (فقه fiqh). Koranisch ist der Begriff Schari'a in Sure 45, Vers 18, woraus sich für Muslime der göttliche Ursprung der Schari'a herleitet:

«Hierauf (d.h. nach dem Zeitalter der Kinder Israels) haben wir dich in der Angelegenheit(?) auf einen (eigenen) Ritus festgelegt.» (Das Wort «Ritus» steht in Parets Übersetzung für Schari'a)

Die Wurzeln der Rechtswissenschaft

Die vier orthodoxen Rechtsschulen kennen vier «Wurzeln der Rechtswissenschaft» (اصول الفقه usūl al-fiqh), von denen allerdings nur die ersten beiden den Charakter von Quellen haben:

  1. Der Koran (القرآن) ist für Muslime das unmittelbare Wort Gottes und die erste Rechtsquelle, der sowohl Normen als auch bestimmte Prinzipien (maqasid) beinhaltet. Allerdings haben nur etwa 500 Verse (ca. 8%) juristischen Bezug, weshalb schon früh die zweite Rechtsquelle, die Sunna, hinzugezogen wurde.
  2. Die Sunna (سنة) des Religionsstifters Muhammad, sein gelebtes Vorbild und seine Aussprüche, stellt den Großteil des Materials der islamischen Jurisprudenz. Die Sunna wird in Hadithen überliefert, die schon früh schriftlich festgehalten wurden. Eine mit zeitlichem Abstand zum Tode Muhammads eskalierende «Hadith-Inflation» führte im 9. Jahrhundert zur Kodifizierung der «authentischen» Hadithe in den «Sechs Büchern» (الكتب الستة al-kutub as-sitta), von denen zwei (Buchari und Muslim) besonderes Ansehen genießen.
  3. Qiyas (قِيَاس), das durch «Analogieschlüsse» entwickelte Juristenrecht (fiqh), erlaubt die Übertragung der Ergebnisse eines Falles auf einen ähnlich gelagerten. Ein Beispiel ist das Weinverbot des Koran (Sure 5, Vers 90f.), das strenge Juristen im Analogieschluss auf alle berauschenden Mittel ausdehnen, während man im Volk, z.B. in der Türkei, zuweilen keinen Zusammenhang zwischen Wein und anderen Alkoholika erkennen mag; eine Position, die allerdings von keinem Rechtsgelehrten in der Türkei oder sonstwo unterstützt wird.
  4. Idschma (الإجماع), der Konsens, meint nicht den Konsens der gesamten muslimischen Gemeinde (umma), sondern den der Rechtsgelehrten (consensus doctorum). Ist der Konsens erst einmal erreicht, was daran erkannt wird, dass kein Einspruch eines anerkannten Rechtsgelehrten vorliegt, gilt ein Rechtsproblem in der Orthodoxie als endgültig abgeschlossen. Das hat historisch zu einer Stabilisierung der Schari'a geführt, die allerdings von Manchen auch als «Erstarrung» bezeichnet wird. Der Idschma wird durch den Hadith des Propheten Muhammad begründet: Mein Volk wird nie in einem Irrtum übereinstimmen.

Daneben gibt es eine Reihe weiterer Rechtsquellen, die heute nicht mehr oder nur noch eingeschränkt verwendet werden:

  • Das Gewohnheitsrecht (عرف urf oder عادة āda). Vorislamische Rechtspraktiken wurden, vor allem in der islamischen Expansionsphase, in großem Umfang in die Schari'a übernommen und durch den idschma legitimiert. Das medinensische Gewohnheitsrecht spielte hier eine große Rolle, aber auch Verwaltungspraktiken und Gesetze der eroberten Gebiete.
  • Die «Entscheidung nach eigenem Gutdünken» (رأى ra'y) des Juristen, dort wo weder Koran noch Sunna einen Anhaltspunkt boten, stand schon früh in der Kritik und ist heute nicht mehr statthaft. Allerdings lebt der ra'y insofern in abgeschwächter Form im qiyas fort, als es im Ermessen des Juristen liegt, welche Präzedenzfälle er als analog betrachtet.
  • Der Idschtihad (اجتهاد idschtihād), die selbstständige Interpretation der Rechtsquellen, wurde im orthodoxen Islam durch den Einfluss des Konsenses immer weiter zurückgedrängt, bis im Zuge der Konsolidierung der Rechtsschulen um das Jahr 300 der Hidschra, das «Tor des Idschtihad» als geschlossen galt. In der Schia wird er weiterhin eingesetzt, die formalen Anforderungen an die Ausbildung des entsprechend befähigten Theologen sind jedoch sehr hoch. In jüngerer Zeit wurde von Seiten von Reformbewegungen (z.B. der Salafiya, aber auch liberalen Muslimen – allerdings mit entgegengesetzten Zielen) die Wiedereinführung des Idschtihad gefordert, bzw. seine Ausübung regelrecht in Anspruch genommen.

Handlungen des Menschen

Die fünf Kategorien

Die Schari'a als die Summe der islamischen Pflichtenlehre teilt die menschlichen Handlungen in fünf Kategorien ein, die wie angegeben bewertet werden:

  1. Pflicht (فرض fard oder واجب wādschib) – das Tun wird belohnt, das Unterlassen bestraft. Unterschieden wird zwischen persönlichen Pflichten (فرض العين fard al-ayn), denen jeder Muslim nachkommen muss, und gemeinschaftlichen Pflichten (فرض الكفاية fard al-kifāya «Pflicht des Genügeleistens»), bei denen es ausreicht, wenn eine ausreichende Anzahl der Muslime daran teilnimmt. In die erste Kategorie fällt z.B. das fünfmalige tägliche Gebet (صلاة, koranisch صلوة salat), in die zweite der Dschihad.
  2. Empfehlenswert (مندوب mandūb oder مستحب mustahabb oder سنة sunna) – das Tun wird belohnt, das Unterlassen nicht bestraft.
  3. Erlaubt; indifferent (مباح mubāh) – das Individuum selbst kann über die Unterlassung bzw. Ausführung einer Tat bestimmen. Das Gesetz sieht in diesem Fall weder Belohnung noch Bestrafung vor.
  4. Verwerflich; missbilligt (مكروه makrūh) – es sind Handlungen, die das Gesetz zwar nicht bestraft, deren Unterlassung jedoch belohnt wird.
  5. Verboten (حرام harām) – das Tun wird bestraft, das Unterlassen belohnt.

Verbotene Handlungen werden durch die im Koran vorgesehenen Strafen (hudud) im Diesseits geahndet: Alkoholgenuss, Unzucht, die falsche Bezichtigung der Unzucht, Diebstahl, Analer Geschlechtsverkehr zwischen Männern und die Apostasie; letztere wird vor allem durch die Sunna des Propheten Mohammed und nicht durch koranische Strafbestimmungen geahndet.

Elemente einer Handlung

Zur Ausführung einer Handlung nach islamischem Recht gehören verschiedene Elemente, zu denen unter anderem die «Grundpfeiler» (اركان arkān) gehören, ohne die die ganze Handlung hinfällig wird. Einer dieser Grundpfeiler ist die «Absicht» (نية nīya): Eine Handlung, der die Absicht fehlt ist nichtig. Ebenso werden allgemein Handlungen stets nach der damit verbundenen Absicht beurteilt, dabei sollten Menschen es unterlassen über andere Menschen zu urteilen, da aus islamischer Sicht nur Gott dazu in der Lage ist.

Am Vorhandensein der Elemente der Handlung erkennt der Jurist, ob sie rechtskräftig (صحيح sahīh) oder nichtig (باطل bātil) ist.

Besonderheiten

Schriftform und Zeugen

Rechtsgutachten

Siehe Fatwa

Teilbereiche der Schari'a

Bekleidungsvorschriften

Jeweils für Männer und für Frauen gelten verschiedene Richtlinien bezüglich ihres Äußeren. So soll eine Frau ihre körperlichen Reize vor Fremden bedecken. Für ältere, nicht mehr heiratsfähige Frauen gelten erleichterte Richtlinien (Koran Sure 24, Vers 60). Männer sollen immer mindestens den Bereich zwischen Bauchnabel und Knie bedeckt halten und Bart und Haare pflegen.

Die verschiedenen Formen der Schleier bei der Frau beruhen auf verschiedenen Lebensumständen und Traditionen. Die Vollverschleierung der Frau war bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts in islamischen Ländern vor allem ein städtisches Phänomen, auf dem Land hingegen wurde die Art der Kopfbedeckung von praktischen und traditionellen Gesichtspunkten bestimmt, so gibt es auch Schleierformen, die zwar das Gesicht bedecken, die Haare aber frei lassen.

Spätestens mit dem Kopftuchverbot durch Atatürk in der Türkei wurde aus der Marginalie ein Politikum und der Kopftuchstreit wird unter Muslimen recht emotional geführt.

Als koranische Begründung für den Schleier gelten Sure 24, Vers 31 und Sure 33, Vers 59.

Siehe auch: Schleier im Islam

Ehe

Islamische Ehen werden durch einen Ehevertrag (عقد النكاح aqd an-nikāh) zwischen einem gesetzlichen Vertreter (ولى walī) der Braut, der mit den Zeugen die Einwilligung der Braut einholen muss - was jedoch nicht für die Schafiiten-Rechtsschule gilt, die die Verheiratung einer Jungfrau gegen ihren Willen erlaubt - und dem Bräutigam geschlossen. Scheidung ist für den Mann durch Verstoßung leicht möglich, für die Frau jedoch schwieriger. Sie kann die Scheidung wegen verschiedenen Gründen verlangen. Ein Grund, der aus der Zeit des Propheten überliefert ist und auch Anwendung fand, ist, dass die Frau ihren Ehemann verabscheut oder ihn für ihrer nicht würdig hält. Wird allerdings die Ehe auf Wunsch der Frau geschieden, verliert sie den Anspruch auf den Teil der Morgengabe, der dafür vorgesehen war, entweder bei dem Tod ihres Ehemannes (vor Verteilung des Erbes) oder bei einer Scheidung auf Wunsch des Ehemannes an sie ausgezahlt zu werden. Männer können bis zu vier Frauen gleichzeitig heiraten (Koran Sure 4, Vers 3f.), müssen diese dann aber alle gleichberechtigt behandeln und jeder Ehefrau einen eigenen Haushalt als auch eigene finanzielle Mittel zusichern, über die diese frei verfügen kann. Die strengen Auflagen für die Polygamie sind ein Grund, wieso insbesondere heutzutage diese nur selten stattfindet. Einige Sufis (islamische Mystiker), nicht jedoch die in der turksprachigen Raum weit verbreitete Naqschbandiyya, legen den obengenannten Vers so aus, dass es einem gläubigen Muslim ausschließlich erlaubt ist, nur eine einzige Frau zu heiraten. Vom Gesetz her ist die Monogamie nur in der Türkei und in Tunesien vorgeschrieben, in der Türkei wird dies jedoch durch Imamehen unterlaufen.

Bei der Hochzeit wird die Brautgabe («Morgengabe» مهر mahr oder صداق sadāq) vom Bräutigam an die Braut fällig. Nach einer Scheidung gelten auch Vorschriften zur Sicherung des Unterhalts der Frau (Alimente نفقة nafaqa). Eine Besonderheit der Schia sind befristete Eheverträge („Zeitehen“ متعة mut'a), die eine legale Form des Konkubinats oder der Prostitution darstellen. Die Morgengabe ist in diesem Fall der Lohn für die Frau. Diese Form der Zeitehen wird von den Sunniten verachtet.

Die Frau ist dem Mann in allen Bereichen untergeordnet, kann allerdings mit ihrem eigenen Geld wirtschaftlich selbstständig handeln. Nur Männer sind zum Unterhalt verpflichtet, der allerdings nicht eingeklagt werden kann. Eine maßvolle körperliche Züchtigung der Frauen durch ihre Ehemänner ist durch die Schari'a gedeckt, wobei hier allerdings auch ein Hadith des Propheten Anwendung findet, der diese Züchtigung auf einen Schlag mit dem Miswak (einer natürlichen Zahnbürste aus speziellem und relativ dünnem Holz) beschränkt, die weder Schaden anrichtet noch schmerzt, jedoch den hohen Grad des Unmuts gegenüber der Frau verdeutlichen soll.

Siehe auch: Sexuelle Selbstbestimmung

Erbrecht

Das Erbrecht ist im Islam recht kompliziert. Seine koranische Grundlage hat es in Sure 4, Vers 11-12 (Die Frauen), in der insbesondere der Erbteil der Frauen geregelt wird, was auf eine Präzisierung vorislamischen Erbrechts schließen lässt.

Im Vergleich mit dem deutschen Erbrecht ist auffallend, dass der Erblasser lediglich über ein Drittel seines Vermögens frei verfügen kann und dass Schulden nicht vererbt werden. Töchter erben die Hälfte des Erbteils von Söhnen.Die Ehefrau erbt ein Achtel des Vermögens des Ehemannes.

Zur Umgehung der erbrechtlichen Einschränkungen wurde oft auf Stiftungen zurückgegriffen.

Kriegsrecht

Das islamische Kriegsrecht wird im Artikel Dschihad behandelt. Der Dschihad ist eine Gemeinschaftspflicht und wird nur für Einwohner bedrohter Gegenden zur persönlichen Pflicht. Siehe auch Geschichte des Begriffs Dschihad.

Religionsfreiheit

Siehe auch: Glaubensfreiheit, Ridda, Aleviten, Ibaditen, Ismailiten, Kufr, Schirk

Stiftungen

Siehe: Waqf

Strafrecht

Strafrecht im engeren Sinne ist in der Schari'a kaum vorhanden, da selbst bei Mord die Angehörigen des Opfers entscheiden, ob eine Entschädigungszahlung oder die Hinrichtung des Täters erfolgt, die Regelung also quasi privatrechtlich ist. Die Justiz beaufsichtigt hier im Prinzip nur die vorislamische Blutrache (ثأر tha'r) und verhindert deren Eskalation.

Einen besonderen Status haben die direkt vom Koran verbotenen Handlungen, die hadd-Vergehen (حد, pl. حدود hudūd). Das sind Unzucht (زناء zinā), Verleumdung betreffs Unzucht, Weinkonsum, Diebstahl und Straßenraub. Diebstahl wird mit Amputation der rechten Hand, im Wiederholungsfalle mit Amputation des linken Fußes bestraft. Für außerehelichen Geschlechtsverkehr sieht der Koran (Sure 4, Vers 15) bei volljährigen Muslimen, die verheiratet sind, lebenslangen Hausarrest oder einen von Gott geschaffenen, nicht näher beschriebenen «Ausweg» vor. Dieser Ausweg ist in der Rechtspraxis die Steinigung. Allerdings setzt der Koran hier hohe Hürden, denn es werden speziell für die Unzucht vier männliche Zeugen gefordert, was praktisch ein Geständnis notwendig macht. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass der Richter hier den Prozess zugunsten des Beschuldigten zu führen und auch auf die Möglichkeit des Geständnis-Widerrufs hinzuweisen hat. Auch Homosexualität gilt als Unzucht.

Verleumdung betreffs Unzucht wird mit 40–80 Peitschenhieben bestraft (allerdings kann der Geschädigte auf die Bestrafung verzichten), ebenso das Trinken von Wein. Straßenraub oder Weglagerei kann mit Gefängnis geahndet werden.

Wirtschaft

Für den Kapitalverkehr ist das Zinsverbot (Sure 2, Vers 278 u.a.; ربا riba, in engerer Auslegung «Wucher») eine besondere Belastung, was schon früh zu Umgehungsgeschäften geführt hat: So kann man z. B. eine Ware mit Zahlungsziel kaufen und sofort zu einem niedrigeren Preis an den Verkäufer, der sofort zahlt, zurückveräußern. Da die Ware letztlich den Besitz nicht gewechselt hat, jedoch Geld ausgezahlt wurde, ist das Resultat wie bei einem Kredit mit Zinsen, der Wortlaut des Gesetzes jedoch eingehalten. Rechtskniffe (حيلة hīla; pl. حيل hiyal) dieser Art finden sich in der islamischen Rechtspraxis häufig; sie sind eines der Mittel, die Schari'a an gewandelte Voraussetzungen anzupassen.

Die einzige genuin islamische Steuer und gleichzeitig eine der «Säulen des Islams» ist die «Almosensteuer» (زكاة zakāt), eine Mischung aus Einkommens- und Vermögenssteuer, die nur zwischen 2,5 % und 10 % liegt. Ihre Verwendung ist im Koran (Sure 9, Vers 60) festgelegt. Schon in der ersten Expansionsphase reichte sie nicht mehr zur Deckung der Staatsausgaben (wozu sie auch nicht gedacht ist) und wurde durch weitere Abgabenarten (z. B. die Grundsteuer خراج charādsch) ergänzt.

Geltungsbereich

Nicht alle Vorschriften der Schari'a sind für jeden gültig: manche richten sich nur an ein bestimmtes Geschlecht (z.B. das Kopftuch bei Frauen) oder bestimmte Altersstufen. Die kultischen Vorschriften gelten nur für Muslime, Angehörige anderer Religionen (siehe Dhimmi) sind davon nicht betroffen, allerdings gelten, in Ländern in denen die Schari'a gilt, für sie spezielle Regelungen.

Wer zu bestimmten Handlungen verpflichtet (مكلف mukallaf) ist, wird jeweils genau vermerkt. Meist muss man im Vollbesitz der geistigen Kräfte (عاقل `āqil) und volljährig (بالغ bāligh) sein.

In islamischen Staaten der Gegenwart

Seit der Kairoer Deklaration der "Menschenrechte" im Islam 1990 ist die Schari'a wieder Basis der Gesetzgebung in allen islamischen Ländern. Die praktische Umsetzung ist jedoch sehr unterschiedlich und reicht von «praktisch nicht erkennbar», wie in der Türkei, über die Umsetzung nur im zivilrechtlichen Bereich (Tunesien) bis zur fast vollständigen Geltung (Sudan). Zuweilen gilt die Schari'a nur in islamisch dominierten Landesteilen (Nigeria). Zurzeit ist die Schari'a geltendes Recht in Nigeria (einige Bundesstaaten), den Malediven, Iran, Saudi-Arabien, Bangladesch, Mauretanien, Afghanistan, Marokko, Sudan (nicht im Südsudan), Katar, der indonesischen autonomen Provinz Aceh und Pakistan.

Siehe: Staatsreligion

In westlichen Staaten der Gegenwart

Der kanadische Arbitration Act (1991) erlaubte es Christen, Juden und Muslimen in der Provinz Ontario häusliche Dispute (wie Scheidungs-, Vormundschafts- und Erbschaftsklagen) vor einem religiösen Schiedsgericht zu verhandeln, wenn alle Parteien damit einverstanden waren. Die Urteile dieser Schiedsgerichte waren, sofern sie nicht geltendem kanadischen Recht widersprachen, rechtskräftig. Damit hatte die Schari'a in Ontario in Spezialfällen Gültigkeit und wurde auch angewendet.

Im September 2005 wurde der Arbitration Act (auch auf Grund internationaler Proteste durch Frauenrechtsorganisationen) derart geändert, dass Entscheidungen auf Grund von religiösen Gesetzen nicht mehr möglich waren.

Mystische Bedeutung

Im Sufismus (islamische Mystik) hat die Schari'a den Stellenwert der Basis für den Weg des Gottessuchenden. Weitere Stationen sind in der Reihenfolge: Tariqa (der mystische Weg), Haqiqa (Wahrheit) und Ma'rifa (Erkenntnis). Der bekannte Mystiker Ibn Arabi (1165 - 1240) beschreibt diese vier Stationen folgendermaßen: Auf dem Niveau von Schari'a gibt es “dein und mein“. Das heißt, dass das religiöse Gesetz individuelle Rechte und ethische Beziehungen zwischen den Menschen regelt. Auf dem Niveau von Tariqa “ist meins deins und deins ist meins“. Von den Sufis wird erwartet, dass sie sich gegenseitig als Brüder und Schwestern behandeln, den jeweils anderen an seinen Freuden, seiner Liebe und seinem Eigentum teilhaben lassen. Auf dem Niveau der Wahrheit (Haqiqa) gibt es “weder meins noch deins“. Fortgeschrittene Sufis erkennen, dass alle Dinge von Gott kommen, dass sie selbst nur die Verwalter sind und in Wirklichkeit nichts besitzen. Diejenigen, die die Wahrheit erkennen, interessieren sich nicht für Besitz und Äußerlichkeiten im Allgemeinen, Bekanntheit und gesellschaftlichen Stand inbegriffen. Auf dem Niveau der Erkenntnis (Ma'rifa) gibt es “kein ich und kein du“. Der einzelne erkennt, dass nichts und niemand von Gott getrennt ist.

Siehe auch

Literatur

  • G. Bergsträsser: Grundzüge des islamischen Rechts. Berlin 1935.
  • Tilman Nagel: Das islamische Recht. Eine Einführung. Westhofen 2001
  • Richard Hartmann: Die Religion des Islam. Darmstadt 1987, ISBN 3-534-01664-5
  • Idem et al. (eds.): Criminal Justice in Islam. Judicial Procedure in the Sharî’a, London / New York 2003
  • Miklos Muranyi: Fiqh. In: Grundriss der Arabischen Philologie. Bd. II: Literaturwissenschaft. (Hrg. Helmut Gätje), Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 1987. S.299-325.ISBN 3-88226-145-5
  • Said Ramadan: Das islamische Recht. Theorie und Praxis. Wiesbaden 1980, ISBN 3-447-02078-4
  • Eduard Sachau: Das Recht der Scharia. Neuauflage. Frankfurt a.M. 2004
  • Joseph Schacht: An Introduction to Islamic Law. Oxford University Press 1964.
  • Die islamische Welt und Europa. Kurshefte Geschichte, Cornelsen 2002, S. 54 : Auszug aus Bernard Lewis,, Stern, Kreuz und Halbmond. 2000 Jahre Geschichte des nahen Ostens, übers. von Bernd Rüttkötter, München (Piper) 1997, S 278ff.
Wiktionary: Scharia – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen