PCC-Wagen


Der PCC-Wagen (PCC streetcar) ist ein in den 1930er Jahren in den Vereinigten Staaten entwickelter Großraumstraßenbahnwagen. Das Akronym PCC steht für Presidents’ Conference Committee – es handelt sich um ein Fahrzeug, dessen Baumerkmale im Oktober 1929 in der Direktorenkonferenz der US-Verkehrsbetriebe festgelegt wurden.[1]
Entstehung

In den USA fanden sich gegen Ende des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts die Leiter der amerikanischen Straßenbahnunternehmen mit dem Ziel zusammen, einen Einheitswagen zu entwickeln. Der hierbei entstandene PCC-Wagen sollte die Qualität und Effektivität des Verkehrsmittels Straßenbahn deutlich verbessern, da die Konkurrenz durch Omnibusse, Oberleitungsbusse und den Individualverkehr immer größer wurde.
Ergebnis der Überlegungen war ein gut gefederter vierachsiger Triebwagen in selbsttragender Leichtbauweise. Er ließ höhere Geschwindigkeiten zu, beschleunigte dank der hohen Antriebsleistung gut und zeigte dennoch ein befriedigendes Bremsverhalten. Die Wagenenden des modern wirkenden Fahrzeugs waren abgerundet; die zweiteilige Frontscheibe war schräggestellt, damit sie innen blendfrei war. Dank automatischer Türen, neuer Trittbretter und neuartiger Sitzplatzanordnung war es für Einmannbetrieb ohne Schaffner geeignet, der rationalisierte Fahrgastfluss ermöglichte kürzere Haltestellenaufenthalte[2] und damit eine höhere Reisegeschwindigkeit.
Insgesamt wurde dieser 1929 bis 1935 entwickelte Wagentyp für den nordamerikanischen Markt bis in die 1950er Jahre hinein beschafft. Bis 1952 wurden dort mehr als 5000 PCC-Wagen[1] für 28 Verkehrsbetriebe gebaut.[2]
Vom Wagenkasten her war der PCC weniger standardisiert als bezüglich der technischen Einrichtung. Es gab ihn in verschiedenen Längen und Breiten, in Ein- und Zweirichtungsausführung, mit unterschiedlichen Türanordnungen und Bauformen der Stirn- und Seitenfenster. Zur Vermarktung der Patente auf die neu entwickelten Bauteile wurde die Transit Research Company (TRC) gegründet.[1]
Technik
Der ursprüngliche PCC-Wagen war ein Vierachser mit zwei symmetrisch gebauten Drehgestellen und Stangenstromabnehmern. Alle Achsen waren angetrieben,[1] die vier Motoren[2] lagen längs der Fahrtrichtung. Anstelle eines Fahrschalters und von Widerständen erhielt er einen feinstufigen „Beschleuniger“[1] mit Pedalsteuerung,[2] der diese beiden Elemente in sich vereinigte. Erstmals wurden die Radsätze selbst gummigefedert.[1]
Die frühen Fahrzeuge besaßen noch Druckluft-Einrichtungen zum Öffnen und Schließen der Türen, auch die Bremsen waren druckluftbetätigt. In späteren Serien wurden elektrische Türantriebe und generatorische Bremsen verbaut (sogenannte all-electric cars).
Hersteller und Betriebe
Nordamerika


Die St. Louis Car Company und Pullman Standard gehörten zu den ersten Herstellern, Clark Equipment baute einen Prototyp in Aluminium-Leichtbauweise. Für den kanadischen Markt wurden die Fahrzeuge von der St. Louis Car Company und der Canadian Car and Foundry in Montreal gefertigt.
Toronto in Kanada war mit 745 Wagen der größte PCC-Betrieb Nordamerikas. Als zahlreiche Städte nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Straßenbahnen aufgaben, kaufte Toronto überzählige Wagen auf und hatte diese bis Mitte der 1990er Jahre im Einsatz. In Boston sind auf der Ashmont–Mattapan High Speed Line heute noch modernisierte PCC-Wagen unterwegs. In San Francisco fahren PCC auf der mit historischen Straßenbahnwagen betriebenen Linie F.
Europa

Auch in Europa wurden nach dem Zweiten Weltkrieg Straßenbahnwagen in PCC-Bauweise gefertigt. 1947 war aus den USA ein – in Anschluss an eine Serie für Detroit gebauter – Wagen zu Testfahrten nach Brüssel und Lüttich sowie zur SNCV nach Ostende gekommen. Aufgrund seiner Breite gab es für ihn aber kaum Einsatzmöglichkeiten. Bereits 1942 hatte Fiat in Zusammenarbeit mit der italienischen Compagnia Generale di Elettricità (CGE) für Turin und Madrid je einen Prototyp gebaut, wobei es sich strenggenommen um unlizensierte Plagiate handelte. Zwischen 1944 und 1946 erhielt Madrid von Fiat 49 weitere Wagen, von 1951 bis 1958 dann nochmals 100 Fahrzeuge.[1]

1945 erwarben zwei britische Hersteller von der TRC Lizenzen für den Nachbau. Die belgischen Firmen La Brugeoise, Nicaise et Delcuve und Ateliers de constructions électriques de Charleroi (ACEC) erhielten 1946 Lizenzen, 1947 dann Svenska Järnvägsverkstäderna (ASJ) in Schweden und 1948 ČKD Tatra in der Tschechoslowakei. Nennenswerte Stückzahlen von PCC-Lizenzwagen entstanden jedoch nur in der Tschechoslowakei und in Belgien.[1]
Die Bauteile für die beiden ersten bei La Brugeoise in Brügge entstandenen Triebwagen wurden aus den USA importiert. Die Fahrzeuge wurden 1949 in die Niederlande nach Den Haag geliefert, sie wiesen noch das typisch amerikanische Aussehen mit zweigeteilter Frontscheibe und einer Vielzahl von – in einer Doppelreihe übereinander angeordneten – Fenstern auf. Mit einer Wagenbreite von 2,20 m waren sie aber schmaler als die mindestens 2,54 m breiten US-Fahrzeuge, und die zweite Doppeltür lag statt in der Wagenmitte am Heck, um einen Fahrgastfluss zu ermöglichen.[1]


Bereits vor den Tests mit dem aus den USA gekommenen PCC-Wagen orderte die SNCV bei La Brugeoise 24 derartige Fahrzeuge. Die 1950/51 gebauten Triebwagen glichen weitgehend dem amerikanischen Original, sie waren jedoch nur 2,32 m breit und besaßen statt des Stangenstromabnehmers einen Scherenstromabnehmer über dem vorderen Drehgestell. 1960 wurden sie in die jugoslawische Hauptstadt Belgrad weiterverkauft, die bereits 1952 fünf PCC-Wagen erworben hatte.[1]
Da das Aussehen des Wagenkastens dem Geschmack des europäischen Publikums nicht entsprach, gestaltete ihn La Brugeoise völlig neu. Dabei wurde das Design von italienischen Straßenbahnfahrzeugen der 1930er und 1940er Jahre aufgegriffen. Die nun spitzer zulaufende Front erhielt eine ungeteilte Scheibe in der Form eines auf dem Kopf stehenden gleichschenkligen Trapezes. Drei Doppeltüren ermöglichten einen rascheren Fahrgastwechsel, wobei die Mitteltür nach hinten versetzt war. Vor jener gab es vier, hinter ihr zwei Seitenfester in „normaler“ Größe. Der erste dieser Wagen wurde als Wagen 3060 nach Hamburg geliefert, wo er jedoch nicht universell einsetzbar war. 1958 wurde er nach Kopenhagen abgegeben und gelangte schließlich als Tw 7000 nach Brüssel. Die erste Serie von 50 Fahrzeugen mit dem neuen Design, deren Drehgestelle wie beim Hamburger 3060 ganz (bei 24 Triebwagen) oder teilweise aus den USA bezogen wurden, ging 1951 bis 1953 nach Brüssel.[1]

Den Haag blieb dem amerikanischen Design jedoch weitgehend treu. Die ersten 22 Wagen aus den Jahren 1952/53 unterschieden sich hauptsächlich durch die geringere Länge und die Anordnung der Türen. Zwei Triebwagen baute ASJ für die Straßenbahn Stockholm, als einzige europäische PCCs waren sie für Linksverkehr ausgestattet und als erste für Doppeltraktion ausgelegt. In Italien entstanden auch lizenzierte Fahrzeuge: Officina Meccanica della Stanga lieferte 1957/58 zwanzig Wagen nach Rom, Breda drei nach Mailand.[1]

In den Jahren 1955 bis 1958 erhielt Brüssel weitere 105 PCCs, die denen der ersten Serie entsprachen. Die Drehgestelle, die elektrische Ausrüstung und weitere Teile der letzten 75 dieser Fahrzeuge stammten von 1947 für die Straßenbahn Kansas City gebauten Wagen. Den Haag erwarb 1957–1959 100 Wagen, die nun große Seitenfenster und eine dritte Tür aufwiesen sowie doppeltraktionsfähig waren.[1]
In den späten 1950er Jahren begann die Straßenbahn Saint-Étienne, ihren Fahrzeugpark zu erneuern. 30 PCC-Fahrzeuge mit nur 2,02 m Wagenkastenbreite entstanden für die französische Stadt 1958/59 in Unterlizenz bei den Ateliers de Strasbourg. Sie wiesen eine geänderte Frontgestaltung mit einem um die Ecke gezogenen Stirnfenster auf. Auch die 61 von 1960 bis 1962 von La Brugeoise für Antwerpen gebauten Wagen erhielten diese Front. Ihr Fahrersitz wurde von der Mitte auf die linke Seite verlegt, um einsteigenden Fahrgästen mehr Platz zu bieten.[1]

1962 stellte La Brugeoise für die Straßenbahn Brüssel erstmals einen sechsachsigen Gelenkwagen in PCC-Bauweise vor, der aber ein Einzelstück blieb. Fünf Gelenkwagen erhielt 1967/68 hingegen Saint-Etienne, während Antwerpen und Den Haag – die beiden Städte bekamen jeweils weitere 40 PCCs – bei vierachsigen Fahrzeugen blieben. Die neuen Haager Fahrzeuge waren 15 cm breiter als ihre Vorgänger.[1]




Für die einzige verbliebene Strecke in Marseille entwickelte La Brugeoise erstmals Zweirichtungs-PCCs mit beidseitigen Fahrständen. Die 1968/69 ausgelieferten Wagen glichen den in Saint-Étienne laufenden Fahrzeugen und waren ebenfalls nur 2,02 m breit, wiesen aber auf jeder Seite drei symmetrisch angeordnete Doppeltüren auf. Die belgische Stadt Gent erhielt zwischen 1971 und 1973 ebenfalls 54 Zweirichtungswagen, ohne Mitteltür, aber mit einer Breite von 2,20 m. Brüssel und Antwerpen orderten weitere Einrichtungsfahrzeuge, wobei die Brüsseler Exemplare mit gebrauchten Drehgestellen und Ausrüstungsteilen aus den USA bestückt wurden.[1]
In den frühen 1970er Jahren hatte die Entwicklung der Gelenkwagen die Serienreife erreicht. Alle drei Drehgestelle erhielten einen Antrieb, das mittlere einen eigenen Beschleuniger. Das Umschalten zwischen Serien- und Parallelschaltung der Motoren diente der Energieeinsparung. Von 1971 bis 1973 wurden für Brüssel 98 Einrichtungs- und 30 Zweirichtungsfahrzeuge gebaut, erstere wurden zwischen 1979 und 1986 für den – optional bereits vorgesehenen – Zweirichtungsbetrieb umgebaut. Antwerpen kaufte nochmals 40 Vierachser, die nun für Doppeltraktion tauglich waren; 65 ältere PCCs baute der Betrieb entsprechend um. Auch Den Haag blieb bei vierachsigen Wagen: Von den 70 bestellten erhielten fünf anstelle von Beschleunigern eine Thyristorsteuerung, 30 wurden als Beitriebwagen ohne Fahrerplatz ausgeliefert.[1]
Letzte PCC-Entwicklung in Westeuropa waren achtachsige Doppelgelenkwagen in Zweirichtungsausführung für Brüssel, von denen 1977/78 bei La Brugeoise et Nivelles (seit 1977: BN Constructions Ferroviaires et Métalliques) 60 Fahrzeuge entstanden. Vom Design her nochmals verändert, mit heruntergezogenen Stirnfenstern und Seitenfenstern in Form von langen Bändern, handelt es sich elektrisch gesehen um zwei in Doppeltraktion fahrende Vierachser. Da durch das Mittelteil nur Steuerleitungen laufen, sind stets beide Stromabnehmer angelegt. Die letzten drei in Westeuropa gebauten PCCs waren 1984 nach Marseille gelieferte Vierachser.[1]
ČKD Tatra baute mehrere tausend Fahrzeuge, die Typen T1 und T2 konnten dabei ihren Ursprung aus dem US-Fahrzeug nicht verleugnen. Der T3 als Weiterentwicklung wurde in fast alle Ostblockstaaten geliefert. Er ist mit weit über 10.000 gebauten Exemplaren der meistgebaute Straßenbahnwagentyp der Welt. Auch der T6A2, der vierachsige Kurzgelenktriebwagen KT4 sowie der sechsachsige Jakobsgelenktriebwagen K2 gehören zur PCC-Familie.[3]
Tatra-Fahrzeuge fahren noch heute in zahlreichen Betrieben in Mittel- und Osteuropa, ab den 1990er Jahren wurden zahlreiche Wagen aus ostdeutschen Betrieben nach Polen, Rumänien, Russland und weitere osteuropäische Staaten sowie Nordkorea abgegeben.
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T3D (Baujahr 1968) in Chemnitz
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Tatra KT4D in Gera, 1993
Verbleib

Während im ehemaligen Osteuropa noch zahlreiche Tatra-Wagen im Einsatz sind, schieden die westeuropäischen PCCs weitgehend aus dem Alltagsbetrieb. Im Jahr 2019 waren lediglich in Brüssel (Sechs- und Achtachser) und Antwerpen (Vierachser) noch solche Fahrzeuge im Einsatz. Der Genter Straßenbahnbetrieb musterte seine PCCs 2018 aus, behielt jedoch sieben Wagen als Reserve und gab weitere nach Antwerpen ab. In Den Haag wurde die älteste Serie bereits 1981 abgestellt, 1993 verschwand dort der letzte PCC aus dem Liniendienst. Saint-Étienne stellte seine PCC-Flotte 1998 ab, die vier Gelenkwagen – darunter der 1982 modernisierte und in 001 umnummerierte Wagen 553 – sind aber noch vorhanden. Die Marseiller Wagen wurden im Zuge der vorübergehenden Einstellung der dortigen Straßenbahn im Jahr 2004 ausgemustert.[1]
In zahlreichen Städten sind PCC-Wagen als Arbeitsfahrzeuge oder Touristenattraktion im Einsatz. Bemerkenswert ist der Brüsseler Tw 7037 der ersten Serie, der in San Francisco in der Farbgebung blau und weiß der Strassenbahn der Partnerstadt Zürich unterwegs ist, obwohl auf deren Netz nie ein PCC eingesetzt war.[4]
Sonstiges

Der polnische Hersteller Konstal verwendete ebenfalls die PCC-Technik, wenngleich dieser keine Lizenz dafür besaß. Konstal-Fahrzeuge sind noch bei polnischen Betrieben anzutreffen.
Um Lizenzgebühren zu umgehen, entwickelte man in Großbritannien eine eigene Kopie des PCC-Beschleunigers. Mit der „Variable Automatic Multinotch Breaking and Acceleration Contol“ (VAMBAC) genannten Steuerung wurden 39 Straßenbahnfahrzeuge ausgestattet: 37 Wagen für Blackpool und je einer für Glasgow und Leeds.[1]
In Deutschland wurden zahlreiche Varianten der Duewag-Gelenkwagen sowie einzelne Duewag-Großraumwagen im Formenbau (Vorderfront) vom amerikanischen PCC-Typ inspiriert, ohne aber dessen Technik zu übernehmen. Sie kamen in vielen deutschen und österreichischen Städten sowie der Schweiz und den Niederlanden zum Einsatz.
Literatur
- Stephen P. Carlson, Fred W. Schneider: PCC – the car that fought back. Interurban Press, Glendale, CA 1980, ISBN 0-916374-41-6 (amerikanisches Englisch).
Weblinks
- Commons: PCC-Wagen – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t PCC-Wagen für die Alte Welt in: Straßenbahn Magazin 9/2019, S. 48 ff.
- ↑ a b c d Barbara Schmucki: Der Traum vom Verkehrsfluss bei Google Books, abgerufen am 29. August 2019
- ↑ KT4. Der Kurzgelenkwagen aus Prag bei kt4-buch.de, abgerufen am 30. August 2019
- ↑ „Kleiner Brexit“ auf der F-Linie in: Straßenbahn Magazin 9/2019, S. 14 f.