Nahtoderfahrung
Unter einer Nahtoderfahrung (Nahtodeserfahrung oder Todesnäheerfahrung, engl. near-death experience, near death experience, NDE) versteht man ein Phänomen, bei dem Menschen, die während einer Operation, eines Verkehrsunfalls oder während der Phase des Ertrinkens für kurze Zeit in die Situation des klinischen Todes gerieten, auf einmal davon sprachen, dass sie ihren Körper verlassen konnten, durch eine Art Tunnel einem hellen Licht entgegenschwebten, nahen Verstorbenen begegneten, wie in einem schnellen Film auf ihr ganzes vergangenes Leben zurückblickten und grenzenlose Liebe in Form einer Lichtgestalt erlebten, die mit Christus, Gott oder mit einem Energieball identifiziert wurde. Weiter sprechen diejenigen, die nach einer Phase des klinischen Todes reanimiert wurden, von dem Fortbestehen des Gefühls der eigenen Identität, einem Gefühl des umfassenden Begreifens und der universalen Erkenntnis oder der Gewissheit, Teil des Universums zu sein, von Wahrnehmungen wunderbarer Landschaften, einem veränderten Zeit- und Schweregefühl, dem Eindruck rasender Geschwindigkeit, der Vision einer Grenze und einer Phase der Rückkehr ins reale Leben.
Die Wahrnehmungen erfolgen optisch, akustisch und auch über den Tast-, Geruchs- und Geschmackssinn.
Interessant ist, dass das Alter, das Geschlecht, die berufliche Laufbahn des Einzelnen, sein kulturelles Umfeld oder seine Religion für die Nahtod-Erfahrungen keine Rolle zu spielen scheinen. Bei Überlebenden mit Nahtod-Erfahrungen löst das transzendente Erlebnis meist einschneidende Veränderungen ihres persönlichen Lebens aus, und niemand vermag ihnen die Überzeugung zu nehmen, dass das, was sie erlebt haben, real war.
Besonders in den 80er Jahren entwickelte sich eine Art neue religiöse Bewegung, die glaubte, in den Nahtod-Erfahrungen einen Beweis für das Leben nach dem Tode gefunden zu haben.
Viel zu wenig bekannt ist, dass ein größerer Teil der klinisch Toten, die reanimiert werden konnten, gar keine Nahtodeserlebnisse hatte, oder aber dass diese Wahrnehmungen gar nicht positiv, sondern extrem negativ erlebt wurden und bei den Betroffenen Ängste hervorriefen.
Medizinische Deutung
Die Medizin deutet die Nahtod-Erfahrungen als bedingt durch absterbende Hirnzellen oder durch eine Veränderung in der Blutzufuhr des Gehirns während der Sterbephase. Die Erlebnisse werden als Halluzinationen gedeutet, die der Sauerstoffmangel im Gehirn des klinisch Toten hervorruft. Piloten und Astronauten, die hohen Beschleunigungen ausgesetzt gewesen sind und dabei für kurze Zeit ihr Bewusstsein verloren haben, berichten von ähnlichen "Wahrnehmungen". Auch unter LSD-Einfluss kommt es zu vergleichbaren Halluzinationen.
Basierend auf einer repräsentativen Befragung von 4.000 Deutschen müssten knapp 5 Prozent aller Menschen in Deutschland Near Death Experiences erlebt haben. Bereits im 5000 Jahre alten Gilgamesch-Epos sind derlei Berichte nachzulesen, obwohl es damals noch keine Reanimationstechniken gab. Die weltweite "International Association for Near Death Studies" (IANDS) untersucht mit renommierten Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen Nahtoderfahrungen, von denen rund um den Globus berichtet wird. Der Repräsentant der deutschen Sektion, der Arzt, Neurologe und Psychiater Dr. Michael Schröter-Kunhardt hält es für sehr wahrscheinlich, dass NDEs auf ein mögliches Leben nach dem Tod hindeuten.
Telepolis-Interview
In einem Telepolis-Interview auf die Frage der unabhängigen Forschungsmittel und seine Reputation angesprochen sagt Dr. Schröter-Kunhardt: (Zitat): "Besonders von Schulmedizinern wird man schnell als Esoteriker abgestempelt - und noch mehr in der Psychiatrie, wo häufig alles, was religiös gefärbt ist, als krankhaft abqualifiziert wird. Einerseits fehlt es am Geld, andererseits hat die Wissenschaft geradezu Angst vor solchen Erfahrungen. Das Thema ist einfach zu heikel. Um ein Beispiel zu nennen: Der Heidelberger Ärzteschaft habe ich einmal diese Thematik als Fortbildung angeboten. Dabei wurde mir versichert, dass meine Offerte dem Vorstand unterbreitet werden würde. Doch gerade die psychotherapeutischen Mediziner lehnten dies mit dem Hinweis ab, dass das NDE-Phänomen letzten Endes reine Weltanschauung sei - was Bände gegen sie spricht. Aber auch in den Kliniken, in denen ich gearbeitet habe, wird das Thema grundsätzlich ignoriert. Es mangelt also sowohl an Geld als auch an wissenschaftlicher Förderung. Es gibt keine Kliniken, die dieses Phänomen ernsthaft untersuchen: Sterbeerfahrungen sind immer noch ein Tabu-Thema, obwohl diese einen geradezu sensationellen Erkenntnisgewinn versprechen."
Schröter-Kunhardt spricht in seiner Forschung durchaus von neuronalen Reizen, die real verarbeitet werden und widerspricht damit nicht der herrschenden Gegenargumentation. Seine Forschungsansätze integrieren die Argumente beider Seiten. Unabhängig von einer wirklichen Auseinandersetzung mit dem Thema wird in westlichen wissenschaftlichen Kreisen das Phänomen jedoch noch immer belächelt, und Forscher, die sich damit befassen, müssen mit der Streichung ihrer Forschungsetats rechnen. Dies erklärt vielleicht die Zurückhaltung mancher Menschen, darüber zu berichten, sowie die geringe Bereitschaft auf universitärer Ebene, an der wissenschaftlichen Forschung mitzuarbeiten.
Reaktion von Wissenschaftler
Die Abneigung ernsthafter Wissenschaftler gegenüber dem Thema Nahtoderfahrungen hat verschiedene Gründe:
- Die subjektiven geschilderten Eindrücke sind praktisch nicht objektivierbar, somit eher unergiebig für ernsthafte Forschung.
- Der Psychologie, Neurologie und Psychatrie (und anderen Fachgebieten) ist im Laufe ihrer Entwicklung immer bewusster geworden, wie leicht täuschbar das menschliche Gehirn ist und wie subjektiv eingefärbt alles Erleben ist.
- Der Tod wird in der Biologie als endgültiger Zusammenbruch aller biologischen und neurologischen Funktionen angesehen und ein Weiterleben einer wie immer gearteten psychischen Funktion ohne funktionierendes Gehirn wird abgelehnt, da es allen bisherigen objektivierbaren Erfahrungen widerspricht.
- Das Thema wird von einigen Autoren dazu ausgenutzt, um mit zweifelhaften Buchveröffentlichungen und anderen medienwirksamen Auftritten viel Geld zu verdienen.
PET
Da man mittels PET mittlerweile dem Gehirn - wenn auch nur sehr grob - beim Denken zuschauen kann , kann es vielleicht sein, dass über diesen Weg neue objektivierbare Erkenntnisse über das sterbende Gehirn gewonnen werden. Ganz egal wie die Ergebnisse dieser Forschungen sein werden, der gesellschaftliche Nutzen hält sich in Grenzen und die dazu notwendigen Methoden wären ein Anlass langer Diskussionen über den Sinn und Nutzen und die ethische Berechtigung dieser Untersuchungen.
Herzschrittmacher
Interessant sind auch Erfahrungen von Patienten mit Herzschrittmachern. Sind diese Patienten völlig schrittmacherabhängig und haben keine eigene Herzaktion, kann man im Rahmen der Herzschrittmacherkontrolle einen circa 10 - 15 sekündigen Herzstillstand auslösen, ohne dass der Patient Schaden leidet. In dieser Phase kann man dann die auftretenden Körper- und Gehirnreaktionen messen. Allerdings sind dabei sehr schnelle Messmethoden notwendig und eine längere Ausdehnung des Herzstillstandes ist ethisch nicht zu rechtfertigen. Es kommt in dieser Phase zu einem maximalen Adrenalinausstoß im Körper. Es wird dem Betroffenen sehr heiß, dann wird ihm schwarz im Kopf. Ein Helligkeitserlebnis und die typischen Nahtoderfahrungen werden nicht berichtet. Nach so einer Schrittmacherpause kann es durch das freigesetzte Adrenalin zu einem erhöhten Blutdruck kommen.
In diesem Zusammenhang sei auf den nachgelagerten Diskurs zum Thema Reinkarnationstheorie und der damit im engen Zusammenhang stehenden Außerkörperlichen Erfahrung (engl. Out-of-the-body experience, abgekürzt OBE) verwiesen.
Siehe auch: