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Jean-Jacques Rousseau

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Jean-Jacques Rousseau

Jean-Jacques Rousseau (* 28. Juni 1712 in Genf, † 2. Juli 1778 in Ermenonville bei Paris) war ein französisch-schweizerischer Schriftsteller, Moralphilosoph, Pädagoge, Komponist sowie Gesellschafts-, Musik- und Staatstheoretiker. Zusammen mit seinem Antipoden Voltaire gehört er zu den einflussreichsten Autoren der europäischen Neuzeit und prägte wie dieser insbesondere das Zeitalter der Aufklärung.

Leben

Rousseau wurde in Genf als Sohn des calvinistischen Uhrmachers Isaak Rousseau geboren. Dessen hugenottischer Großvater war aus Frankreich geflüchtet und war ebenfalls Uhrmacher. Rousseaus Mutter starb bald nach seiner Geburt, und auch der Vater verschwand aus Rousseaus Leben, weshalb er eine unstete Kindheit und Jugend hatte.

Mit zwölf Jahren wurde er Lehrling bei einem Gerichtsschreiber, später bei einem Graveur, der ihn wegen seiner Eigenwilligkeiten züchtigte. Als er 1727 bei der abendlichen Rückkehr von einem Sonntagspaziergang die Genfer Stadttore verschlossen vorfand, ging er kurz entschlossen auf Wanderschaft und geriet über einen Priester an Mme. Françoise-Louise de Warens in Annecy (Savoyen), die gerade zum Katholizismus konvertiert war. Diese nahm ihn auf und schickte ihn bald weiter in das Hospice des catéchumènes nach Turin, ein Internat zur religiösen Umerziehung, wo er sich bekehren und katholisch taufen ließ.

Zurück in Annecy, besuchte er auf Wunsch von Mme. de Warens das dortige Priesterseminar, brach dieses jedoch bald ab und beschloss Musiker zu werden. Nach zwei, drei Jahren unsteter Wanderschaft kehrte er 1731 wieder zu Mme. de Warens zurück. Bei „maman“ las er, musizierte und begann zu schreiben. Auch wurde er – etwas widerstrebend – von ihr in die Anfangsgründe der Liebe eingeführt. Nach acht glücklichen und für seine Bildung sehr fruchtbaren Jahren erhielt er jedoch einen Rivalen in Gestalt des neuen Sekretärs.

Rousseau verließ Mme. de Warens daraufhin, war einige Zeit Hauslehrer in Lyon und ging anschließend 1742 nach Paris, um ein von ihm entwickeltes Notensystem von der Académie des Sciences patentieren zu lassen. Als dieses Vorhaben misslang, begleitete er 1743 als Privatsekretär den französischen Botschafter nach Venedig, kehrte aber kurze Zeit später, 1744, nach Paris zurück.

Hier lernte er andere junge Intellektuelle kennen, etwa Denis Diderot, der ihn 1746 mit der Abfassung von Artikeln über Musik für die Encyclopédie betraute und Melchior Grimm, den Herausgeber der für europäische Fürstenhöfe bestimmten Correspondance littéraire. Beide verschafften ihm Zutritt zu literarischen Salons. Die gesellige Konversation lag ihm aber nicht besonders, und so blieb er eher Außenseiter.

1745 liierte er sich mit einer Wäscherin namens Thérèse Levasseur. Sie hatten fünf gemeinsame Kinder, die sie jeweils kurz nach der Geburt in eine Anstalt für Findelkinder brachten – eine damals nicht unübliche Praxis. Rousseau machte geltend, dass ihm seine Arbeit keine Zeit zur Kindererziehung ließ, eine Arbeit, die schlecht oder gar nicht honoriert wurde, so dass Thérèse großteils für beider Lebensunterhalt aufzukommen hatte und somit für die Erziehung ebenfalls ausfiel.

Im Oktober 1749 las Rousseau im Mercure de France die Preisfrage der Académie de Dijon: „Le Rétablissement des sciences et des arts a-t-il contribué à épurer les mœurs?“ (Hat der Aufschwung der Wissenschaften und Künste dazu beigetragen, die Sitten zu reinigen?) Er hatte die provokante Idee, die Frage zu verneinen und schrieb seinen Discours sur les Sciences et les Arts (Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste, 1750), worin er die nach Luxus strebende zeitgenössische europäische Gesellschaft in die sittliche Dekadenz abgleiten sieht.

Der Discours stand zwar im Gegensatz zu den fortschrittlichen Vorstellungen der meisten Intellektuellen der Zeit, fand aber dennoch erstaunlich großen Anklang. Er erhielt den ersten Preis und löste eine lebhafte Debatte aus. Rousseau wurde über Nacht berühmt. 1752 feierte er mit seiner Oper Le Devin de village (der Dorfwahrsager) und seiner Komödie Narcisse weitere Erfolge. Er hätte sich nun etablieren können und sollte sogar am Hof eingeführt werden, lehnte dies jedoch ab.

1754 reiste er in seinen Geburtsort, die calvinistische Stadtrepublik Genf, nahm dort die Staatsbürgerschaft wieder an und schwor dem Katholizismus ab. 1755 publizierte er einen Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes (Abhandlung über Ursprünge und Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen), der wiederum die Antwort auf eine Preisfrage der Académie de Dijon war: „Quelle est l'origine de l'inégalité parmi les hommes, et est-elle autorisée par la loi naturelle?“ (Was ist der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, und wird sie vom Naturrecht erlaubt?) Rousseau erklärt hierin die soziale Ungleichheit aus der Herausbildung der Arbeitsteilung und der dadurch ermöglichten Aneignung der Erträge der Arbeit Vieler durch einige Wenige, die ihren Besitzstand durch eine privilegierte Position in einem oligarchischen Staat absichern. Rousseau wurde mit dieser Schrift einer der Väter der sozialistischen Idee.

Rousseaus Grab in Paris

1756-61 lebte Rousseau in Montmorency bei Paris, zuerst als Gast der vielseitig interessierten Schriftstellerin Mme. d'Épinay, dann des hochadligen Duc de Luxembourg. Mit der Lettre à d'Alembert sur les spectacles (Brief an d'Alembert über das Theater) prangerte er 1758 das bürgerliche Aufklärungstheater in calvinistischer Manier als unsittlich und unnütz an und verärgerte damit u. A. seine Freunde Diderot und Grimm.

Außerdem schrieb er in dieser Zeit seine erfolgreichsten und langfristig wirksamsten Werke: Zunächst den empfindsamen Briefroman La Nouvelle Héloïse (Die neue Heloise), 1761, der die letztlich unmögliche Liebe des bürgerlichen Intellektuellen Saint-Preux zu der adligen Julie d'Étanges darstellt, anschließend den Bildungsroman Émile 1762, der das Ideal einer den Zögling nicht zivilisatorisch verderbenden Erziehung thematisiert und drittens die staatstheoretische Schrift Le Contrat social (der Gesellschaftsvertrag, 1762), in der er die Ansprüche des religiös neutralen Staates an die Einzelbürger sowie deren Rechte und Pflichten gegenüber dem Staat zu begründen versucht. Darin prägt er den Begriff der Volkssouveränität, auf dem die Legitimität von Volksabstimmungen und allgemeinen Wahlen gründet.

Während La Nouvelle Héloïse ein großer Erfolg wurde und eine ganze Welle von Briefromanen in ganz Europa auslöste - darunter z. B. Goethes Werther -, wurde der Contrat social sofort nach seinem Erscheinen verboten und in Genf sogar öffentlich verbrannt. Die Katholische Kirche wurde auf das Werk aufmerksam und am 16. Juni 1766 verbot die Indexkongregation die Schrift per Dekret. Rousseaus Émile erging es ähnlich, vor allem entfesselte die im Letzteren als Einschub enthaltene religionskritische Profession de foi d'un vicaire savoyard (Glaubensbekenntnis eines savoyischen Vikars) einen Sturm der Entrüstung. Sowohl der Erzbischof von Paris als auch die calvinistischen Oberen in Genf protestierten. Durch Flucht entging Rousseau der Verhaftung.

Von 1762-1770 führte Rousseau wieder ein unstetes Wanderleben. Zuerst hielt er sich in der damals preußischen Exklave Neuchâtel/Schweiz auf, dann verbrachte er einige Zeit in Môtiers in der Schweiz. Anschließend weilte er als Gast des schottischen Philosophen David Hume in London, bis er sich nach einigen Monaten mit ihm zerstritt. In Folge der zahlreichen Verunglimpfungen und realen Verfolgungen entwickelte Rousseau mit der Zeit einen Verfolgungswahn. Dieser erzeugte einen Rechtfertigungszwang, aus dem heraus Rousseau eine Reihe autobiografische Werke verfasste, so die sehr in intime Details gehenden Confessions (Geständnisse), 1765-1770, die erst posthum publiziert wurden, und die in lyrischer Prosa gehaltenen Rêveries d'un promeneur solitaire (Träumereien eines einsamen Spaziergängers), 1776-1778, die auf literarisch originelle Weise Gegenwartsmomente zum Ausgangspunkt von autobiografischen Rückblenden machen.

Ab 1770 lebte Rousseau, von den Behörden stillschweigend geduldet, wieder in Paris, ab 1778 auf Einladung des Marquis de Girardin auf Schloss Ermenonville, wo er kurz danach starb. Er wurde auf der „Île des peupliers“ (Insel der Pappeln) im Park begraben. Nach der Französischen Revolution, als deren wichtigster geistiger Wegbereiter Rousseau gilt, überführte der jakobinische Wohlfahrtausschuss seine Gebeine 1794 triumphal ins Pariser Panthéon. Rousseaus Einfluss auf die politischen Ideologien des 19. und des 20. Jahrhunderts ist kaum zu überschätzen.

Rousseaus Theorien

Menschenbild

Ausgangspunkt des Rousseau’schen Denkens ist die Abscheu vor der etablierten Kultur und Gesellschaft seiner Zeit. Er stellt fest, dass die in Gesellschaft lebenden Menschen böse und eitel sind. Durch sich aufeinandertreffende unterschiedliche Interessen werden sie dazu verleitet, ihre wahren Absichten voreinander zu verbergen.

Die Menschen sind böse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; […] Man bewundere die menschliche Gesellschaft soviel man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendiger Weise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen und in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren Übel zuzufügen“ (Zweiter Diskurs, Anmerkung IX).

Rousseau kritisiert nicht nur die Gesellschaft seiner Zeit, sondern die Vergesellschaftung des Menschen schlechthin. Damit steht er im starken Gegensatz zum Denken seiner Zeit: Seine Theorien wurden von den Vertretern der christlichen Kirchen sowie auch von vielen Denkern der Aufklärung abgelehnt. Die christlichen Kirchen hielten die Idee des edlen Wilden für abwegig; der Mensch war für sie durch die Erbsünde belastet. Die Aufklärer schließlich betrachteten die Menschen als vernunftbegabt, lern- und gesellschaftsfähig. Dennoch gilt Rousseau neben Voltaire als größter Denker im Zeitalter der Aufklärung.

Wenn jedoch der Mensch ein gemeinschaftsfähiges Wesen (griechisch: zoon politikon) wäre, wie auch Aristoteles von Stagira behauptete, dann sollte gemäß Rousseau eigentlich überall freudvolle Harmonie herrschen. Da das nicht der Fall ist – die Menschen hassen, betrügen, verleugnen, belügen und morden – schließt er, dass der Mensch von Natur aus ein ungeselliges Wesen und nur außerhalb der Gesellschaft „gut“ ist. Diese These projiziert er nun mittels der genetischen Methode an ihren logischen und zeitlichen Anfang und gelangt so zum Begriff Naturzustand.

Im hypothetischen Naturzustand ist der einzige Trieb des Menschen die Selbstliebe (amour de soi). Sie gebietet ihm: "Sorge für dein Wohl mit dem geringstmöglichen Schaden für die anderen." (Zweiter Diskurs) Neben der Selbstliebe kennt der Naturmensch das Mitleid (pitié), ein Gattungsgefühl, das nach Rousseaus auch die Tiere kennen. Alle anderen Fähigkeiten des Menschen ruhen noch, also die Vernunft, die Einbildungskraft und das Gewissen. Der Mensch ähnelt im Naturzustand einem wilden Tier, welches nur um sich selbst kreist. Sein Gutsein ist keine Bravheit im moralischen Sinne, sondern eher im Sinne von „naturgehorchend“.

Auf Grund äußerer Umstände, etwa Naturkatastrophen, wird er jedoch dazu gezwungen, sich mit anderen Gattungsexemplaren zusammenzutun. So entstehen Kultur und Gesellschaft und das Böse tritt in die Welt. Von großer Bedeutung ist die Einbildungskraft, mittels derer das Individuum aus seinem urwüchsig-narzisstischen Schlummer erwacht und sich in andere Wesen hineinversetzen kann. Sie ermöglicht auch den Vergleich der Individuen untereinander. Dadurch kann die Selbstliebe (amour de soi) in die böse Eigenliebe (amour propre) umschlagen: Der Mensch sieht sich nun nur noch mit den Augen der anderen. Er möchte jetzt als leidenschaftlicher Rangkämpfer immer den ersten Platz einnehmen. Darüber hinaus verspürt er den drängenden Wunsch, dass die Mitmenschen ihn sich selbst vorziehen. Dies ist jedoch schwer möglich, da auch alle anderen Menschen von der Eigenliebe angetrieben werden. So kommt es dazu, dass die Menschen ihre wahren Absichten verbergen. Sie geben ihr Eigeninteresse als Allgemeininteresse aus. Quelle des Übels sind also das naturferne Konkurrenzdenken und die „amour propre“. Im Gesellschaftzustand erwachen zudem die Vernunft, das bewusste Mitleid sowie auch die „widernatürliche“ moralische Reflexion.

Grundlage der Rousseau'schen Ethik ist nicht die Vernunft. Diese kann bestenfalls helfen, Vorteilhaftes und Unvorteilhaftes zu unterscheiden. Damit der Mensch aber auch gut handelt, bedarf es des Instinktes. Rousseau verwendet hier zwar den Begriff des christlichen „Gewissens“ und spricht gar von einer „angeborenen Liebe zum Guten“. Aber wie aus seinen Ausführungen im Émile hervorgeht, ist hier eine vorbewusste, gewissermaßen urweltliche Grundfähigkeit, eben der Instinkt, gemeint. Jemand, der gegen seinen Instinkt handelt, ist ein depravierter und unglücklicher Mensch. Die urwüchsige Selbstliebe zwingt uns geradezu, instinktgesteuert zu handeln, da sie die Befriedigung unserer Bedürfnisse verlangt. Rousseaus Denken zeichnet sich also dadurch aus, dass er nicht allgemeine ethische Regeln aufstellt, sondern zeigt, welches Interesse der Einzelne daran hat, „gut“ zu handeln.

Eine Rückkehr in den Naturzustand schließt Rousseau ausdrücklich aus, auch wenn viele Kritiker, allen voran Voltaire, ihm dies vorhielten. Rousseau fragt vielmehr, wie in konkurrierenden Gesellschaften kollektives, Instinkt gesteuertes Handeln möglich werden kann. Dabei beschäftigt er sich nicht nur mit der Kunst der Aufzucht des Einzelmenschen, der Pädagogik, sondern auch mit der Theorie des an der Natur orientierten Staates.

Staatstheorie

Rousseau stellt sich die grundlegende Frage, wie ein von Natur aus wildes und freies Individuum seine Freiheit behalten kann, wenn es aus dem Naturzustand heraus in die Gesellschaft eintritt bzw. diese mit anderen begründet. Er geht davon aus, dass die Menschen im Naturzustand vollkommen unabhängig voneinander existieren. Sie verfügten über ausreichend Güter und sind friedlich. Insbesondere ist der Mensch im Naturzustand noch nicht der Vernunft und der Wissenschaft sowie auch der Gier nach Luxusgütern verfallen.

Im Unterschied zu Hobbes oder Locke zeichnet Rousseau demnach ein positives Bild vom Menschen im instinktdurchherrschten, vernunftarmen Naturzustand. Zugleich bringt er seine tiefe Verachtung für die These einer zur Vernunft strebenden menschlichen Natur zum Ausdruck. Den anderen Vertragstheoretikern wirft er vor, bei ihren Schilderungen des Menschen im Naturzustand nicht weit genug zurückgegangen zu sein und dem „natürlichen Menschen“ daher negative Attribute zugeschrieben zu haben, die er erst in Gesellschaft erworben habe. Erste gesellschaftliche Strukturen entstünden durch das Auftauchen der Institution des Eigentums. Der Mensch sei nun nicht mehr autark, sondern von anderen, sei es als Herr oder Knecht, abhängig. Um seinen Leidenschaften und Gelüsten weiter folgen zu können, müsse der Eigentümer seine Knechte unterdrücken. Dies sind nach Rousseau die „schlechten“ Gesellschaftzustände, die er in seiner Abhandlung zum Sozialvertrag („contrat social“) kritisiert. Dabei handelt es sich um einen Vertrag, der dazu führen soll, dass das Individuum sich wieder so frei fühlt wie im Naturzustand. Rousseau unterscheidet zwischen „natürlicher Unabhängigkeit“ und „bürgerlicher Freiheit“. Im Gegensatz zu Montesquieu wollte er das Volk in alle Bereiche der Politik einbeziehen und nicht nur in der Legislative mitwirken lassen.


Rousseaus Gesellschaftsvertrag besteht darin, dass sich jeder Einzelne verpflichtet, sich dem allgemeinen Willen, der „volonté générale“ zu unterwerfen. Dieser sei der auf das Wohl des Volksganzen gerichtete Wille aller Bürger und die Summe der sich überschneidenden Teile der Einzelwillen. Vergleichbar mit Hobbes, bei dem sich die Bürger zu einem Souverän, dem Leviathan, zusammenschließen, also Teil von ihm sind, ist auch bei Rousseau jeder Einzelbürger Teil eines religiös überhöhten Staates, welcher den allgemeinen Willen vollstreckt und zugleich totale Verfügungsgewalt über ihn hat. Dieser allein ist befugt, Gesetze zu verabschieden, die jederzeit den unantastbaren Willens des Volksganzen zum Ausdruck bringen.

Rousseaus Theorie des allgemeinen Willens stellt einen originellen und wirkungsmächtigen Versuch dar, der feudalistischen Königs- und Adelsherrschaft seiner Zeit die Legitimationsgrundlage zu entziehen. Neben Voltaire gilt er damit zu Recht als einer der wichtigsten ideellen Wegbereiter der französischen und wohl auch der amerikanischen Revolution. Seine Staatsauffassung, die ohne den Gedanken der Rechtssicherheit auskam, hatte u.a. großen Einfluss auf Robespierre, den Hauptexponenten der revolutionären Schreckensherrschaft.

Pädagogik

In Rousseaus pädagogischem Hauptwerk Émile – oder über die Erziehung wird die fiktive Erziehung eines Jungen beschrieben. Die Erziehung beginnt im Kindesalter und endet mit der Heirat Émiles mit 25 Jahren. Der Zögling wird in seiner Kindheit von allen kulturellen Einflüssen abgeschottet. So wie die Natur einfach da ist, soll auch die urwüchsige Natur des Kindes zur Entfaltung gebracht werden. Jegliche direkte Einflussnahme von außen ist demnach zu vermeiden.

Das Hauptziel in der Jugendzeit Émiles ist die Herausbildung der sozialen Instinkte. Rousseau betont zwar immer wieder die Selbständigkeit des Zöglings, der sich vieles selbst aneigne, doch die eigentliche Kunst der Erziehung besteht darin, Émile soweit zu beeinflussen, dass sein Wille mit dem des Erziehers übereinstimmt. Die pädagogische Arbeit findet gewissermaßen „hinter seinem Rücken“ statt.

Rousseaus Theorien beeinflussten viele namhafte Pädagogen und Pädagoginnen, so z.B. Johann Gottfried Herder, Johann Heinrich Pestalozzi, Adolph Diesterweg, Maria Montessori und Ellen Key.

Werke

Wikisource: Jean-Jacques Rousseau – Quellen und Volltexte
  • Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes (Abhandlung über den Ursprung und die Grundlage der Ungleichheit unter den Menschen), 1755
  • Julie ou la Nouvelle Héloïse (Julie oder Die neue Héloïse), 1761
  • Du contrat social ou principes du droit politique (Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts), 1762
  • Émile, 1762
  • Les Confessions (Die Bekenntnisse), 1782
  • Rêveries d'un promeneur solitaire (Träumereien eines einsamen Spaziergängers), 1782
  • Lettres élémentaires sur la botanique. Zehn botanische Lehrbriefe für eine Freundin, Insel-Taschenbuch 366, 1978
    • deutsch:
  • Schriften in 4 Bänden Hg. Ritter, München: Hanser 1978 (trotz des Titels: nur 2 Bde ersch.)
  • Schriften in 2 Bänden Hg. Ritter, Berlin: Ullstein 1981 und Frankfurt: Fischer, 1988

Literatur (sek.)

  • Winfried Böhm und Frithjof Grell (Hgg) Jean-Jacques Rousseau und die Widersprüche der Gegenwart Würzburg: Ergon, 1991 ISBN 3-928034-06-5
  • Bockow, Jörg Erziehung zur Sittlichkeit – Das Verhältnis von praktischer Philosophie und Pädagogik bei Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant
  • Monique Cottret , Bernard Cottret: Jean-Jacques Rousseau en son temps, Paris: Perrin, 2005, ISBN 2262021287
  • Dérathé, Robert Jean-Jacques Rousseau et la science politique de son temps, Paris: Vrin, 2000, ISBN 2711601781
  • Jacques Derrida De la grammatologie Paris: Minuit, 1997 ISBN 2707300128
  • Edmonds, David & Eidinow, John Rousseau's Dog. Two Great Thinkers at War in the Age of Enlightenment New York: Harper Collins (Ecco), 2006 ISBN 0060744901 und London: Faber & Faber, 2006 ISBN 0571224059, Inhalt: [1] (deutsch: Frühjahr 2007) (über R. und David Hume, sowie sein Verhältnis zu seiner Frau)
  • Ehlers, Nils Der Widerspruch zwischen Mensch und Bürger bei Rousseau. Göttingen: Cuvillier, 2004 ISBN 3-86537-306-2
  • Fetscher, Iring Rousseaus politische Philosophie. Frankfurt: Suhrkamp, 1989 ISBN 3-518-27743-X
  • Feuchtwanger, Lion: Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau Frankfurt am Main: Frankfurter Verl.-Anst., 1952 (Roman)
  • Groethuysen, Bernard Jean-Jacques Rousseau Paris: Gallimard, 2003 ISBN 2070354830
  • Hebding, Rémy Jean-Jacques Rousseau: les Lumières grâce à Dieu, Paris: Punctum, coll. «Vies choisies» 2005 ISBN 2-35116-001-0
  • Forschner, Maximilian Rousseau Freiburg: Alber, 1977 ISBN 3-495-47349-1
  • Kintzler, Catherine Poétique de l'opéra français de Corneille à Rousseau Paris: Minerve, 2006, ISBN 2869311117
  • Landgrebe, Christiane "Ich bin nicht käuflich" – Das Leben des Jean-Jaques Rousseau Weinheim: Beltz, 2004 ISBN 3-407-85784-5 (gute populärwiss. Darstellung, sowohl verständnisvoll als auch kritisch gegenüber R.) Lit., Kurzbiographien von Zeitgenossen
  • Lieber, Hans-Joachim (Hrsg.) Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. Wiesbaden: Fourier, 2000 ISBN 3-932412-06-0
  • Masters, Roger D. La philosophie politique de Rousseau trad. de l’américain par G. Colonna d’Istria & J.-P.Guillot, Lyon: ENS Editions, 2002 ISBN 2847880003
  • Meier, Heinrich: Diskurs über die Ungleichheit Paderborn: Schöningh, 1984, Krit. Ausg. d. integralen Textes ISBN 3-8252-0725-0
  • Mensching, Günther Rousseau als Einführung Hamburg: Junius, 2003 ISBN 3-88506-384-0
  • Rang, Martin Rousseaus Lehre vom Menschen Göttingen, 1959
  • Édouard Rod: L'Affaire J.-J. Rousseau, Paris, Perrin, 1906
  • Schmidt, Manfred G. Demokratietheorien Opladen: Leske & Budrich, 2000 ISBN 3-8252-1887-2 (S. 91-103)
  • Spaemann, Robert Rousseau – Bürger ohne Vaterland München: Piper, 1980 u.ö.
  • Jean Starobinski Jean-Jacques Rousseau. La Transparence et l'Obstacle (suivi de Sept essais sur R.) Paris: Gallimard, 1971. ISBN 2070294730, deutsch: Rousseau. Eine Welt von Widerständen München, 1988, u.ö. ISBN 3-596-10255-3
  • Steinvorth, Ulrich Stationen der politischen Theorie Stuttgart: Reclam, 1994 ISBN 3-15-07735-4 (S. 97-132)
  • Dieter Sturma Jean-Jacques Rousseau München: C.H.Beck, 2001 ISBN 3406419496
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