Thales
Thales von Milet (griech. Θαλῆς ὁ Μιλήσιος; * um 624 v. Chr. in Milet, Kleinasien; † um 546 v. Chr.) war ein griechischer Naturphilosoph, Staatsmann, Mathematiker, Astronom und Ingenieur. Von ihm soll der Spruch: "Bürgschaft, schon ist Unheil da", stammen.
Zur Person des Thales
Er gilt bereits seit der Zeit Platons und Aristoteles' als Begründer von Philosophie und Wissenschaft, insbesondere der Astronomie. Er galt als der älteste der so genannten sieben Weisen, in der Antike hochangesehene Politiker, Dichter und Philosophen.
Deutlich geprägt wurde Thales durch seine Heimatstadt Milet, eine sehr bedeutende Handels- und Hafenstadt in Ionien (= Kleinasien). Hier trafen die verschiedensten ethnischen Gruppen, Sprachen und Religionen aufeinander und pflegten meist eine friedliche Koexistenz. Allerdings herrschten gleichzeitig im 6. Jahrhundert v. Chr. in Milet sehr stark ausgeprägte Klassenkämpfe zwischen dem Volk und der Aristokratie, wobei ein häufiger Wechsel der Sieger zu vermelden ist. Thales ist wohl zur Aristokratie zu rechnen.
Aristoteles schrieb in seiner "Politik" über Thales von Milet Folgendes: "Man hielt ihm seine Armut vor, vermutlich um zu beweisen, dass man mit der Philosophie nicht sehr weit komme. Wie der Erzähler fortfährt, wusste Thales aus seiner Kenntnis der Sternenwelt, obwohl es noch Winter war, dass im kommenden Jahr eine reiche Olivenernte zu erwarten sei; da er ein wenig Geld besaß, mietete er alle Olivenpressen in Chios und Milet; er bekam sie preiswert, da niemand ihn überbot. Als plötzlich zur Erntezeit alle Pressen gleichzeitig benötigt wurden, lieh er sie zu jedem in seinem Belieben stehenden Betrag aus und verdiente eine Menge Geld daran. So bewies er der Welt, dass auch Philosophen leicht reich werden können, wenn sie nur wollen, dass das aber nicht ihr Ehrgeiz ist." (siehe hierzu auch: Realoption) Die Anekdote zeigt, dass er in der Antike nicht nur als Philosoph, sondern auch als Kaufmann einen gewissen Ruf hatte. Sogar als Staatsmann wird er gelegentlich bezeichnet, wobei jedoch bei allen Einigkeit darüber herrscht, dass er vor allem ein Philosoph war, der zu seinen Erkenntnissen durch eine sehr genaue Beobachtung der Natur gelangt. Bekannt wurde er, da er für den 28. Mai des Jahres 585 v. Chr. erfolgreich eine Sonnenfinsternis voraussagte. Dadurch soll ein Krieg zwischen den Lydern und den Medern beendet worden sein - beide Seiten wurden von dem Naturereignis derart erschreckt, dass sie Frieden schlossen. (Einer anderen Überlieferung nach soll Thales das eine Heer über die bestehende Sonnenfinsternis informiert haben: sie sei kein Grund zur Beunruhigung und werde nicht lange andauern. Das andere Heer aber habe an einen Fluch der Götter geglaubt, die Waffen fallen lassen und somit die Schlacht verloren. Quelle: Prof. Rudolf Taschner in einem Interview mit dem Tagesspiegel von 17. Juli 2005.)
Von Thales selbst ist nichts Aufgeschriebenes überliefert, ja, man ist sich nicht einmal sicher, ob er selbst jemals etwas schriftlich fixiert hat. Daher verwundert es auch nicht, wenn nur wenig aus seinem Leben bekannt ist und noch weniger als wirklich gesichert angesehen werden kann. Daraus folgt auch verständlicherweise, dass es sehr unsicher ist, welche ihm zugeschriebenen Erkenntnisse auch wirklich von ihm stammen. Die wenigen Quellenfragmente, die angeblich von ihm aufgestellte Erkenntnisse aufführen, stammen meist aus den Darstellungen von Platon oder Aristoteles. Außerdem berichtet noch der griechische Philosoph Proklos (412 - 485 n. Chr.) von den angeblichen mathematischen Erkenntnissen des Thales - allerdings mit einem beachtlichen Abstand von rund 1000 Jahren!
Er war mit Anaximander und Anaximenes Vertreter der Ionischen Philosophie, der ältesten Richtung der griechischen Philosophie, und zählt somit zu den so genannten Vorsokratikern.
Mathematische Erkenntnisse und Lehrsätze des Thales
Anhand von Thales wird deutlich, dass der Weg des Wissens über Ägypten und Babylon ins griechische Kleinasien und von dort nach Griechenland gelangte. So soll Thales beispielsweise von einer seiner Reisen aus Ägypten geometrische Fertigkeiten nach Griechenland mitgebracht haben. Folgendes wird von ihm berichtet im Zusammenhang mit mathematischen Lehrsätzen oder Erkenntnissen (Es sei jedoch nochmals darauf hingewiesen, dass keineswegs sicher ist, ob diese Überlieferungen stimmen oder nicht!):
- Berühmt ist die Legende, wie er in Ägypten die Höhe der Pyramiden gemessen haben soll: Er nahm einen Stab von bekannter Länge und verglich diesen mit der Länge des von jenem geworfenen Schattens. Bei gleichem Sonnenstand müsse nun, so die angebliche Überlegung des Thales, die Länge des Schattens der Pyramide, den er nachmessen konnte, zur Höhe der Pyramide im gleichen Verhältnis wie Stab zu Stabschatten stehen. Wenn Thales - falls die Geschichte zutreffen sollte - den Augenblick wählte, da Stab- und Schattenlänge übereinstimmte, dann hätte er eine einfache Rechnung gehabt. Tat er das nicht, so hätte er Proportionen kennen müssen.
- Ähnliches soll er bei Entfernungen von Schiffen auf See berechnet haben. Hierzu ist jedoch keine entsprechend genauere Anweisung überliefert wie bei der Höhenmessung der Pyramide.
- Er soll gewusst haben, dass ein Kreis durch jeden Durchmesser in zwei gleiche Teile geteilt wird.
- Ihm war angeblich bekannt, dass ein gleichschenkliges Dreieck (also ein Dreieck mit zwei gleich langen Seiten) an der dritten Seite, der so genannten Basis, zwei gleiche Winkel besitzt.
- Wenn sich zwei Geraden schneiden, so sind die einander gegenüberliegenden Winkel paarweise gleich - auch das soll Thales gewusst haben.
- Ein Dreieck, so soll er bereits erkannt haben, ist dadurch vollständig bestimmt, dass die Basis und die beiden Winkel an ihren Enden gegeben sind.
- Bekannt ist vor allem der nach ihm benannte Satz des Thales, also dass ein in einen Halbkreis eingeschriebener Winkel immer ein rechter ist.
- Er soll erkannt haben, dass die von den Ägyptern gefundenen Regeln zur Vermessung ihrer Felder (auf empirischem Wege) eine allgemeingültige Grundlage hatten. Stimmt dies, so legte er damit den Grundstein für die reine Geometrie als Wissenschaft.
- Ganz in diesem Sinne beschäftigte sich Thales der Überlieferung nach im Gegensatz zu den Ägyptern wohl weniger mit Flächen und Rauminhalten, sondern eher mit Linien und Kurven. Hierdurch erreichte er logischerweise einen höheren Abstraktionsgrad.
Einen deduktiven Beweis kannte er allerdings damals noch nicht.
Die philosophische Lehre des Thales
1. Die Philosophie von Thales basiert zum einen auf der Behauptung, dass alles aus Wasser entstanden sei. Bei seinen Überlegungen ging Thales wohl von der Frage nach dem Urgrund allen Seins und allen Geschehens aus. Da er einen Kreislauf des Werdens zu erkennen glaubte, musste der gesuchte Urstoff ein nicht nur allgemein verbreiteter Stoff, sondern auch ein wandlungsfähiger zugleich sein. Das Wasser erfüllte den Anspruch, allem zugrundezuliegen und jegliche Gestalt annehmen zu können, anscheinend perfekt: Wasser benötigt jedes Lebewesen zur Existenz und Wasser tritt in verschiedenen Formen des Seins auf, etwa als Dampf oder als Eis oder eben flüssig.
Diese Hypothese war auch am Anfang des 20. Jahrhunderts beliebt, als man annahm, dass sich alles aus Wasserstoff entwickelt hat. Ihm wird der Ausspruch "Das Wasser ist das Beste" (griechisch "Ariston men hydor") zugeschrieben.
2. Der zweite, ihm zugeordnete Satz lautet: "In allem sind die Götter!" Damit behauptet Thales, dass es nicht auf das Sichtbare der Welt ankommt, sondern auf das, was im Innern der Dinge wohnt, also im Grunde auf das Unsichtbare, welches jedoch das Sichtbare erst zu dem macht, was es an sich ist.
Diese beiden philosophischen Ideen stehen offenkundig im Widerspruch zueinander, da Thales einerseits davon ausgeht, dass der Urgrund allen Seins etwas Stoffliches, nämlich das Wasser, darstellt, andererseits jedoch behauptet, dass die Wirklichkeit, also alles Stoffliche, im Grunde göttlich, also nicht stofflich ist.
Wilhelm Weischedel merkt in seinem bekannten Buch 'Die philosophische Hintertreppe' dazu an: "Noch in der Gegenwart geht es in den philosophischen Diskussionen entschieden darum, ob die Welt von einem rein materiellen Prinzip her zu verstehen ist oder ob wir annehmen sollen, die Dinge seien sichtbare Zeichen eines Tieferen, die Welt sei Ausdruck eines in ihr waltenden göttlichen Prinzips, vielleicht gar das Geschöpf eines schaffenden Gottes." (S. 15)
Weiterhin zitiert Weischedel Aristoteles, der angenommen hat, Thales habe mit dem "Wasser" den Okeanos gemeint, jenen Urstrom also, wie er der griechischen Mythologie zufolge die Erdkuppel umfließe, die ihrerseits erst aus demselben entsprungen sei. "Wasser" habe laut Aristoteles bei Thales also vielmehr die Bedeutung einer metaphysischen Ursubstanz, wie sie etwa bei Aristoteles selbst ("Form" u. "Stoff", gr. "eidos" u. "hyle") und später Spinoza ("Gott") oder Leibniz ("Monade") eine ähnliche Rolle spielt. (S. 17)
Diese Überlegung Weischedels berücksichtigend wird deutlich, warum ausgerechnet Thales einen Ruhm als Vater der Philosophie erwerben konnte: Er gilt der Legende nach als derjenige, der sich zuerst die entscheidenden Fragen zu stellen getraute, und er war angeblich der erste, der zwei denkbare Antworten gab, die - leider oder auch glücklicherweise - in anscheinend unvereinbarem Widerstreit zu einander stehen, damit jedoch die beiden Urerklärungsmodelle des Vorhandenseins jeglichen Seins implizieren.
Literatur
- Moritz Cantor: Vorlesungen über Geschichte der Mathematik, Band 1, Verlag Teubner, Leipzig 1908.
- Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes Europa Verlag Hamburg/Wien 1950.
- Bertrand Russell: Denker des Abendlandes Belser Verlag Stuttgart 1962 oder dtv München 1991.
- J. Burnet: Die Anfänge der griechischen Philosophie Verlag Teubner, Leipzig und Berlin. 1913
- Wilhelm Weischedel: Die philosophische Hintertreppe. 34 große Philosophen in Alltag und Denken, dtv, 21. Auflage, München 1995, S. 11 - 18.
- Hans Joachim Störig: Kleine Weltgeschichte der Philosophie Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1996.
- Hans Joachim Störig: Weltgeschichte der Wissenschaft, Augsburg 1992, 1. Band, S. 81 f.
- Dieter Göbel, Glanzlichter der Philosophie. Große Denker von Aristoteles bis Popper, Augsburg 1998, S. 13 - 21.
- Röd, Wolfgang: Die Philosophie der Antike 1. Von Thales bis Demokrit. München 1988
Weblinks
- Vorlage:PND
- http://www.tu-berlin.de/fb1/AGiW/Auditorium/BeGriRoe/SO9/DiogThal.htm
- Thales von Milet Leben und Gedanken
- Gottwein, Vorsokratische Philosophie
Personendaten | |
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NAME | Thales von Milet |
KURZBESCHREIBUNG | Naturphilosoph, Staatsmann, Mathematiker, Astronom und Ingenieur |
GEBURTSDATUM | 624 v. Chr. |
GEBURTSORT | Milet, Kleinasien |
STERBEDATUM | 546 v. Chr. |