Spiegelparadoxon

Das Spiegelparadoxon ist ein Paradoxon, das durch diese Frage beschrieben wird: „Warum vertauscht das Spiegelbild rechts und links, aber nicht oben und unten?“
Tatsächlich vertauscht der Spiegel prinzipiell nicht rechts und links, sondern vorn und hinten.[1] Die Vertauschung von vorn und hinten entspricht jedoch der Vertauschung von rechts und links bezüglich einer Drehung um die vertikale Achse um 180°. Würde man sich um die horizontale Achse zum Spiegel um 90° drehen oder dreht man einen Gegenstand um die horizontale Achse zum Spiegel, so ist das Ergebnis eine Vertauschung von oben und unten. Allgemeiner formuliert: Der Spiegel vertauscht den Drehsinn, weil er die Richtung senkrecht zu seiner Fläche umkehrt.[2][1] Da eine Drehung um die horizontale Achse adoc unsinnig erscheint, geht der betrachtende Mensch davon aus, dass das Abbild um die vertikale Achse gedreht ist.
Dass die Frage nicht physikalischer, sondern psychologischer Natur ist, zeigt folgendes Gedankenexperiment: Man stelle sich eine Wasserwelt zwischen zwei sehr eng beisammenstehenden senkrechten Platten vor. Darin leben hochrückig-flachkörperige Fische, die von Geburt an alle in dieselbe Richtung blicken, und sich nie mehr umdrehen können. Sonst können sie sich aber frei bewegen. Um sich von Angesicht zu Angesicht zu sehen, müsste sich einer der beiden Fische kopfüber drehen. „Am Kopf stehen“ wäre die gewohnte soziale Interaktion. Blicken diese Fische in den Spiegel, sehen sie aber ganz ungewohnt einen Fisch mit der Bauchseite unten. Diese Fische würden sagen, der Spiegel „vertausche oben und unten“.
Das Paradoxon liegt also „in unserer Identifikation mit dem Abbild, dem Mensch im Spiegel.“[3] Links und rechts vertauscht der Spiegel nur darum, weil die senkrechte Drehachse durch die Schwerkraft der primäre Parameter der soziopsychologischen Modelle unserer physischen Lebensrealität ist.
Tatsächlich „vertauschen“ Spiegel überhaupt nicht, sie reflektieren nur. Der Philosoph und Erkenntnistheoretiker Umberto Eco nannte das die „Pragmatik des Spiegels“, und stellt fest, dass nicht „der Spiegel die Objekte interpretiert“, sondern „wir falsch über den Spiegel sprechen“.[4] das Pardoxon also eigentlich sprachlicher Natur ist.
Letztere Aussage lässt sich daran erkennen, dass ein waagrecht liegender Spiegel, etwa ein spiegelnder Fußboden, natürlich „oben und unten vertauscht“, nur wird das nicht als mögliche „normale“ Wahrnehmung interpretiert, sondern immer als Spiegelung erkannt. Die Frage, „warum der Spiegel rechts und links vertausche“, setzt also unausgesprochen den senkrechten Spiegel voraus.
Weblinks
- Wolfgang Stöcher: Warum vertauscht ein Spiegel links und rechts? Aber nicht oben und unten?? Auf SteyrerBrains.at (o.D.).
Videos:
- Richard Feynman: How Mirrors Turn You Inside Out. Reihe Fun to Imagine 4, BBC, 29. Juli 1983 (auf bbc.co.uk).
- Das Spiegelparadoxon. Reihe Lesch & Co, 30. Mai 2018 (auf zdf.de).
Einzelnachweise
- ↑ a b Weblink Stöcher, SteyrerBrains.at: Zusammenfassung: Eine Frage, 3 Antworten.
- ↑ Lutz Schön: Ein Blick in den Spiegel – Von der Wahrnehmung zur Physik. Aus: Physik in der Schule 32 (1994), 1., S. 2–5. Veröffentlichung 2 in: Humboldt-Universität zu Berlin: Optik in Mittel- und Oberstufe. Didaktik der Physik. Berlin, April 2003, dort 2.1.3 Vertauscht der Spiegel links und rechts?, S. 30 (ganzes Sammelwerk, pdf, didaktik.physik.hu-berlin.de; dort S 40) – von Schön als 3. Spiegelgesetz formululiert.
- ↑ Konstantin Hondros: Spiegel und Mensch. Eine Analyse von Werbebildern. Masterarbeit, Universität Wien, 2013, 2. Kapitel Der Spiegel, S. 14 (ganze Arbeit, pdf; othes.univie.ac.at).
- ↑ Umberto Eco: Sugli specchi e altri saggi: Il segno, La rappresentazione, L'illusione, L'immagine. Ersterschienen Verlag Bompiani, Mailand 1985 – dt. Übers. Über Spiegel. Und andere Phänomene. Verlag Hanser, München 1988, dort S. 34 und S. 29–31, zitiert nach ops cit. Hondros 2013, S. 14, siehe Fußnoten 40–42.