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Wirtschaft Georgiens

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Datei:Teeanbau Georgien 1907.jpg
Teeanbau in Georgien, Aufnahme 1907 – 1915

Die Wirtschaft Georgiens dreht sich traditionell um den Tourismus am Schwarzen Meer, den Anbau von Zitrusfrüchten, Weintrauben, Tee, den Abbau von Mangan und Kupfer sowie den Ertrag eines kleinen industriellen Sektors, der Wein, Metalle, Maschinen, Chemikalien und Textilien produzierte. Den Großteil seines Energiebedarfs muß das Land importieren, einschließlich Naturgas- und Ölprodukte. Seine einzige erhebliche interne Energieressource ist die Wasserkraft.

Geschichte

Bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. war Georgien die Waffenschmiede der Antike. Im Kaukasusgebirge wurden Gold, Silber, Kupfer und Eisen abgebaut. Georgische Handwerker stellten die Schwerter her, mit denen Griechen und Trojaner kämpften.

Zu sowjetischen Zeiten galt die Georgische Sozialistische Sowjetrepublik als die mit den besten Lebensverhältnissen. Westliche Beobachter nannten das Land die Schweiz des Kaukasus. Das subtropische Klima ermöglichte eine reiche Ernte landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Georgien war in Russland alleiniger Anbieter von Zitrusfrüchten und Tee. Georgischer Wein fand starken Absatz. Die Weinbaufläche stieg zwischen 1950 und 1985 von 58.000 auf 128.000 Hektar. Die jährliche Weinproduktion betrug Mitte der 1980er Jahre 800.000 Tonnen. Der Tourismus florierte. Vor allem an der Küste entstanden Ferienheime und Sanatorien. Nach dem Zweiten Weltkrieg expandierten die Schwer- und Rüstungsindustrie.

Ein besonderes Merkmal der georgischen Wirtschaft war die persönliche Nebenwirtschaft. Die Hälfte der landwirtschaftlichen Produktion war privat. 70% der Gesamternte und 30% der Ernte von Zitrusfrüchten wurden vom nicht-staatlichen Sektor erbracht. Die Produktivität der Privatwirtschaft lag stets deutlich über der der staatlichen Betriebe. Äußere Zeichen waren eine erhöhte Dichte privater Kraftfahrzeuge in Georgien und die intensive Reisetätigkeit georgischer Bauern, die ihre Waren per Flugzeug auf díe Märkte russischer Großstädte brachten.

Gegenwart

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlitt Georgien von allen Sowjetrepubliken den schwersten Wirtschaftskollaps. Bürgerkriege stürzten das Land in eine tiefe Krise. Das Produktionsvolumen lag 1994 auf einem Viertel des Niveaus von 1989. Zwischen 1995 und 1997 stieg es mit Hilfe des Weltwährungsfonds (IMF) und der Weltbank auf etwa 30% des Niveaus zu Sowjetzeiten, bis 2001 erreichte es etwa 35%. 51% der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, 13 bis 15% der Haushalte in extremer Armut (Statistik 2001).

Die georgische Wirtschaft leidet unter einem großen Defizit des Staatsbudgets. Es gelang der Regierung nicht, die Steuern einzutreiben. Korruption und Vetternwirtschaft ließen Gelder versickern. Ständige Stromausfälle schaden der Industrie. Georgien setzt seine Hoffnungen für eine wirtschaftliche Erholung auf die Entwicklung eines internationalen Transport-Korridors durch die Schwarzmeerhäfen Poti und Batumi sowie eine große Ölpipeline von Baku über Tiflis nach Ceyhan. Ein wachsendes Handelsdefizit, die Probleme des Steuereinzugs, der Korruption und separatistische Konflikte, verdunkeln das wirtschaftliche Bild. Dennoch könnten ausländische Investitionen ein höheres Wirtschaftswachstum anspornen.

Einzelheiten

Georgiens wirtschaftliche Erholung wurde durch verheerende Bürgerkriege um die Staatsmacht, die Regionen Abchasien und Südossetien, eine beharrlich schwache Infrastruktur, Reformwiderstand von Seiten korrupter und reaktionärer Gruppen sowie die russische und asiatische Wirtschaftskrise behindert. Mit Krediten des Weltwährungsfonds und der Weltbank brachte die georgische Regierung die Wirtschaft seit 1995 zu neuem Wachstum: Die Inflation konnte abgebaut, die vom Weltwährungsfond gesetzten Ziele erreicht und eine stabile Nationalwährung, der Lari eingeführt werden. Die Freigabe des Brotpreises, die Vorbereitung der zweiten Stufe zum Anschluss and die Welthandelsorganisation (WTO), der Abschluss des Vertrages über die Ölpipeline von Baku über Tiflis nach Ceyhan am Mittelmeer ließen auf weiteres Wachstum hoffen. Doch die Wirkungen der wirtschaftlichen Krise Russlands und Asiens machten einen Strich durch die Rechnung.

Georgiens Wirtschaft hat bei der Strukturreformen Fortschritte gemacht. Alle Preise und der größte Teil des Handels wurden liberalisiert, der Einfluß des Staates wurde beschnitten, weitere Gesetzesreformen stehen auf der Tagesordnung. Mehr als 10.500 kleine Unternehmen wurden privatisiert und mehr als 1.200 mittlere und größere Unternehmen in Aktiengesellschaften umgewandelt. Die Privatisierung von Firmen in Staatsbesitz wird weiter vorangetrieben, inzwischen allerdings genauer kontrolliert.

Wegen ausbleibender Investitionen ist Georgiens Transport- und Kommunikationsinfrastruktur in einem sehr schlechten Zustand. Die Telekommunikation ist zum Teil privatisiert, zum Teil weiterhin in staatlicher Hand.

Georgiens Energiesektor ist in einem kritischen Zustand. Kürzungen der Energielieferungen haben in der Bevölkerung großen Unmut verursacht. 1998 begann die Regierung die Energieverteilung und Energiegewinnung zu privatisieren. Inzwischen befindet sich der Energiemarkt weitgehend in russischer Hand. Das russische Energieunternehmen Itera besitzt Mehrheitsbeteiligungen an elf georgischen Gaswerken, darunter dem der Hauptstadt, TbilGazi. Im Mai 2003 vereinbarten Georgien und der russische Konzern Gazprom eine strategische Partnerschaft. Danach soll Gazprom das georgische Pipelinesystem renovieren und ausbauen und dafür die Kontrolle über die Gasverteilung Georgiens bekommen. Im August 2003 erwarb das russische Unternehmen RAO Unified Energy Systems 75% der Anteile an des Tifliser Elektrizitätsbetriebs Telasi.

Um den Reformprozess zu ermutigen und zu unterstützen, haben sich die europäischen Geberländer und die USA darauf verständigt, den Hilfsschwerpunkt von humanitären Projekten auf technische und Programme zur Entwicklung von Institutionen zu verschieben. Die Entsendung von juristischen und technischen Beratern wird durch Fortbildungsmöglichkeiten für Parlamentarier, Justizbeamte und Wirtschaftsberater ergänzt. Georgien hängt jedoch auch weiterhin von humanitärer Hilfe ab, die für bedürftige Menschen bestimmt ist.

Die landwirtschaftliche Produktion erholt sich langsam von den Verwüstungen des Bürgerkriegs und den Strukturveränderungen im Gefolge des Zerbrechens der Sowjetunion. Die Viehproduktion erlebt einen Wiederaufschwung, auch wenn sie periodisch krankheitsgeschwächt ist. Die inländische Getreideproduktion steigt, bedarf aber nachhaltiger politischer und infrastruktureller Verbesserungen, um eine angemessene Verteilung und Gewinne für die Bauern zu sichern. Tee, Haselnüsse und Zitrusfrüchteproduktion haben durch den Konflikt in Abchasien, einem enorm fruchtbaren Gebiet, enorm gelitten.

Obwohl etwa 30% der georgischen Wirtschaft landwirtschaftlich geprägt ist, verdirbt auf den Feldern die Ernte, weil die Bauern ihre Produkte entweder nicht auf den Markt bringen können oder Kosten zu zahlen haben, die die Marktpreise über die von importierten Gütern treiben. Mit Hilfe der Europäischen Union hat Georgien Schritte unternommen, um die Qualität und das Marketing seiner traditionellen Mineralwasserquellen zu verbessern. Mineralwasser aus dem Kurort Bordschomi ist binnen weniger Jahre zum Exportschlager nach Russland, Europa und den USA geworden.

Die georgische Weinproduktion, die in den 1990er auf 100.000 Tonnen zurückging, hat seit 1994 Investoren angezogen und wurde mit moderner Technik ausgerüstet. Die Weinkellereien fanden Anschluß an das internationale Niveau und konnten ihren Absatz in den letzten Jahren wieder steigern. Größter Abnehmer georgischen Weins ist Russland (Import: 27,3 Millionen US-Dollar im Jahr 2003), gefolgt von der Ukraine (3,7 Millionen US-Dollar) und den USA (1,58 Millionen US-Dollar). Die Europäische Union hatte georgischen Wein bis 2003 offiziell nicht anerkannt (Import: 327.000 US-Dollar im Jahr 2003). Seit Februar 2004 können georgische Weine ohne Beschränkungen in die Europäische Union importiert werden.

Der Tourismus Georgiens liegt noch immer am Boden. Der Bürgerkrieg und der Konflikt im benachbarten Tschetschenien hat viele Touristen abgeschreckt, die traditionellen Skigebiete, Kurorte und Naturparks im Kaukasus und am Schwarzen Meer zu besuchen. Vor allem besserverdienende russische Touristen reisen inzwischen zu westeuropäischen Ferienzielen.

Neue Wirtschaftspolitik

Präsident Michail Saakaschwili versucht, Georgien mit einer wirtschaftlichen Liberalisierung wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Am 1. Juni 2004 ernannte er den russischen Unternehmer Kacha Bendukidse zum Wirtschaftsminister. Bendukidse bezeichnet seine Position als ultra-liberal. Der sowjetische Mentalität in der Wirtschaft hat er den Kampf angesagt. Er will sich in Georgien für eine Deregulierung der Wirtschaft, umfassende Privatisierungen, eine Reduzierung der Unternehmenssteuern und ein schnelles Wirtschaftswachstum einsetzen.

Im Juni 2004 hat die Regierung neue Steuergesetze vorgelegt, die eine Abschaffung von zwölf Steuern und eine Reduzierung der Einkommenssteuer vorsehen. Sie sollen am 1. Januar 2005 in Kraft treten.

Zahlen

  • Bruttosozialprodukt - Kaufkraftparität: 11,7 Milliarde US-Dollar (1999)
  • Bruttosozialprodukt – reale Steigerungsrate: 3,5% (1999)
  • Bruttosozialprodukt – pro Kopf: Kaufkraftparität – 2.300 US-Dollar (1999)
  • Bruttosozialprodukt – Zusammenstellung nach Sektor: Landwirtschaft: 32%, Industrie: 23%, Dienstleistung: 45% (1999)
  • Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze: 51,1% (2001)
  • Inflationsrate (Verbraucherpreise): 19% (1999)
  • Arbeitskräftepotenzial: 3,08 million (1997)
  • Arbeitskräfte – nach Beruf: Indusrie und Bau 20%, Land- und Forstwirtschaft 40%, Dienstleistung 40% (1999)
  • Arbeitslosenquote: 14,5% (1998)
  • Budget: Einnahmen: 364 Millionen US-Dollar, Ausgaben: 568 Millionen US-Dollar, einschließlich Investitionsaufwendungen (1998)
  • Industrie: Stahl, Flugzeuge, Werkzeugmaschinen, Elektrolokomotiven, Lastkraftwagen, Traktoren, Textilien, Schuhe, Chemikalien, Holzprodukte, Wein
  • Industrieproduktion Wachtstumsrate: -0,3% (1998)
  • Elektrizitätsproduktion: 6,96 Milliarden kWh (1998)
  • Elektrizitätsproduktion nach Quellen: Fossile Materialien: 14,66%, Wasser: 85,34%, Nuklear: 0%, andere: 0% (1998)
  • Elektrizitätsverbrauch: 6,123 Milliarden kWh (1998)
  • Elektrizitätsexport: 700 Millionen kWh (1998)
  • Elektrizitätsimport: 350 Millionen kWh (1998)
  • Landwirtschaftsprodukte: Zitrusfrüchte, Weintrauben, Tee, Gemüse, Kartoffeln, Vieh
  • Exporte: 330 Millionen US-Dollar (1999)
  • Exporte - Wirtschaftsgüter: Zitrusfrüchte, Tee, Wein, andere Agrarprodukte, verschiedene Arten von Maschinen und Metallen, Chemikalien, Treibstoff Wiederausfuhr, Textilien
  • Exportpartner: Russland 27%, Türkei 20%, Aserbaidschan 10%, Armenien 8% (1997)
  • Importe: 840 Millionen US-Dollar (1999)
  • Importe - Wirtschaftsgüter: Treibstoff, Getreide und andere Nahrungsmittel, Maschinenanlagen und Ersatzteile, Transporteinrichtungen
  • Importpartner: Europäische Union 22%, Russland 15%, Türkei 12%, Aserbaidschan 12%, USA 7% (1997)
  • Auslandsschulden: 1,8 Milliarden US-Dollar (1998)
  • Wirtschaftshilfe - Empfänger: 212,7 Million US-Dollar (1995)
  • Währung: 1 Lari (GEL) = 100 Tetri
  • Wechselkurs: Lari für 1 US-Dollar - 2,1350 (April 2004), 2,0245 (1999), 1,3898 (1998), 1,2975 (1997), 1,2628 (1996), 1,24 (Dezember 1995)
  • Finanzjahr: Kalenderjahr

Literatur

  • Anja Bronny: Wirtschaftshandbuch Georgien. Investitionsführer. Selbstverlag, Essen 2003, ISBN 3-00-011388-6
  • Gotthardt von Wallenberg: Investitionsstandort Georgien. Kooperationsführer. DEG, Köln 1998
  • Patrick J. Conway und Pant Chandrashekar: Georgia. in: Michalel L. Wyzan (ed.): First Steps Toward Economic Independence - New States of the Postcommunist World. London 1995, S. 112-135
  • Charles H. Fairbanks Jr.: Clientilism and Higher Politics in Georgia 1949-1953. in: R. G. Suny (ed.): Transcaucasia. Nationalism and Social Change. Ann Arbor 1983, S. 339-368
  • Revaz Gachechiladze: The New Georgia. London 1995
  • Horst Henning Jank: Georgien. Institutioneller Wandel und wirtschaftliche Entwicklung. BTU, Cottbus 2000
  • Horst Siebert (Hrsg.): Transformation Crisis. Lessons for the Successor States of the Soviet Union. Tübingen 1993
  • Mancur Olson: Power and Prosperity. Outgrowing Communist and Capitalist Dictatorships. New York 2000
  • Jürgen G. Backhaus, Günter Krause (ed.): Issues in Transformation Theory. Marburg 1997
  • Mario Pellegrino: Postkommunismus und Zivilrecht. Das Obligationenrecht Georgiens. Frankfurt a. M. 1997
  • United Nations Development Programme (UNDP): Human Development Report Georgia. o.O. 1999
  • Hermann Clement: Umschuldungsmaßnahmen ausgewählter GUS-Staaten vor dem Hintergrund ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit: Russland, Ukraine, Armenien, Georgien und Moldova. Osteuropa-Institut, München 2001, ISBN 3921396603