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Detlev Rohwedder

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Detlev Rohwedder (1990)
Geburtshaus von Rohwedder in Gotha, Bahnhofstraße

Detlev Karsten Rohwedder (* 16. Oktober 1932 in Gotha; † 1. April 1991 in Düsseldorf) war ein deutscher Manager und Politiker, der als Präsident der Treuhandanstalt in seinem Haus von einem Scharfschützen ermordet wurde. Die Täter sind bis heute unbekannt.

Leben

Nach seinem Abitur 1953 an der Gelehrtenschule in Meldorf[1] studierte Detlev Rohwedder, Sohn eines Buchhändlers und Enkel eines Verlegers, Rechts- und Staatswissenschaften in Hamburg und Mainz, wo er Mitglied der Leipziger Universitäts-Sängerschaft zu St. Pauli in Mainz wurde. 1961 wurde er zum Dr. jur. promoviert, 1962 absolvierte er sein Assessorexamen. Anschließend wurde er Mitinhaber in einer Treuhand- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Düsseldorf. Von 1969 bis 1978 war Detlev Karsten Rohwedder Staatssekretär der SPD im Bundeswirtschaftsministerium in Bonn.

Im Jahr 1979 wurde er an die Spitze des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch berufen. Dort betrieb er erfolgreich die Sanierung und Neuausrichtung des Unternehmens. Zu der Sanierung gehörte eine Auflösung des Estel-Konzerns, eines seit 1973 bestehenden Zusammenschlusses des niederländischen Stahlproduzenten Hoogovens mit Hoesch. Er brachte ein zukunftsweisendes Konzept für den Fortbestand des Hoesch-Konzerns auf den Weg und wurde dafür 1983 zum Manager des Jahres gewählt. Im Jahr 1985 verlieh der Presseverein Ruhr Rohwedder die Auszeichnung „Eiserner Reinoldus“ (benannt nach dem Schutzpatron der Stadt Dortmund). 1991 erwarb der Krupp-Konzern die Anteilsmehrheit an Hoesch.

Rohwedder wurde am 3. Juli 1990 vom Ministerrat der DDR zum Vorsitzenden der Treuhandanstalt bestimmt; zum 1. Januar 1991 übernahm er das Amt des Präsidenten der Treuhandanstalt, das er bereits seit August 1990 kommissarisch wahrgenommen hatte. Seine Aufgabe war die Sicherung, Neuordnung und Privatisierung des Vermögens der Volkseigenen Betriebe der DDR. Im November 1990 wurde er erneut als Manager des Jahres ausgezeichnet.[2]

Rohwedder war Träger des Bundesverdienstkreuzes und des Verdienstordens des Landes Nordrhein-Westfalen (1990)[3] und gehörte seit 1971 der SPD an.

Ermordung

Staatsakt im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Berlin
Grab Rohwedders auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof

Rohwedders Düsseldorfer Wohnhaus im Stadtteil Niederkassel (Lage) war nur im Erdgeschoss mit Fenstern aus Panzerglas ausgestattet. Er erhielt Morddrohungen. Vier Tage vor dem Anschlag wandte sich Rohwedders Frau Hergard an die Polizei mit der Bitte um verstärkten Polizeischutz, der die Behörden nicht nachkamen.[2]

Am Ostermontag, dem 1. April 1991, gegen 23:30 Uhr, wurde Rohwedder durch das Fenster im ersten Stock seines Wohnhauses mit dem ersten von drei Gewehrschüssen getötet. Der zweite Schuss verletzte seine Frau am Arm, der dritte traf ein Bücherregal. Die Schüsse wurden aus 63 Metern Entfernung aus einer schräg gegenüberliegenden Schrebergartensiedlung abgegeben, aus einem Sturmgewehr vom Typ FN FAL im NATO-Standard-Kaliber 7,62 × 51 mm. Der gleiche Waffentyp war auch schon bei einem Anschlag der RAF auf die US-Botschaft im Schloss Deichmannsaue in Bonn am 13. Februar 1991 verwendet worden. Wenige Tage vor dem Attentat waren bei inhaftierten RAF-Terroristen Strategiepapiere gefunden worden, die neue Aktivitäten ankündigten.[4]

Drei Minuten nach den Schüssen löste die Düsseldorfer Polizei eine Großfahndung aus, aber Täter und die Tatwaffe wurden nicht gefunden.[5]

Am Tatort fanden sich drei Patronenhülsen, ein Plastikstuhl, ein Handtuch und ein Bekennerschreiben mit der Unterschrift Rote Armee Fraktion Kommando Ulrich Wessel.[6] Außerdem gab es einen Feldstecher und drei Zigarettenstummel.[7]

Der oder die Täter konnten nicht ermittelt werden. 1992 bekannte sich die RAF noch einmal zu dem Mord.[8][9][10]

Haarspuren auf dem Handtuch am Tatort konnten durch eine im Jahr 2001 dank neuer Technik möglich gewordene DNA-Analyse laut Bundeskriminalamt zweifelsfrei dem zwischenzeitlich verstorbenen RAF-Mitglied Wolfgang Grams zugeordnet werden. Die Bundesanwaltschaft benannte Grams jedoch nicht als Tatverdächtigen, da sie dieses Indiz als nicht ausreichend bewertete.[11][12] Die Blutgruppenbestimmung der Zigarettenstummel ergab jedoch Blutgruppe A, was nicht zu Grams passt.[13]

Der Rohwedder-Mord ist wie die anderen acht Morde der dritten RAF-Generation bis zum heutigen Tag nicht aufgeklärt worden.[14]

Rohwedders Witwe Hergard verstarb am 2. Mai 2019.

Erklärungsversuche

Nach Darstellung von Hergard Rohwedder ist von einer Planung und Beteiligung der Stasi auszugehen, da die Treuhand und ihr Mann kurz davor standen, das verschwundene Parteivermögen der SED zu finden. "Eigentlich alle Politiker, die mit der früheren DDR etwas zu tun hatten," würden davon ausgehen, dass die Stasi den Anschlag geplant habe. Die perfekte Planung spreche auch nach Meinung von Sicherheitsexperten für die Stasi.[15][16]

Ehrungen

Detlev-Rohwedder-Haus (2005)

Am 10. April 1991 wurde Rohwedder mit einem Trauerstaatsakt in Berlin geehrt, bei dem der Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau und der Vorsitzende des Verwaltungsrates der Treuhandanstalt, Jens Odewald, sprachen.

1992 wurde das ehemalige Gebäude des Reichsluftfahrtministeriums in Berlin, in dem sich in den 1990er Jahren der Sitz der Zentrale der Treuhandanstalt (Ecke Wilhelmstraße 97/Leipziger Straße 5–7) befand, ihm zu Ehren in Detlev-Rohwedder-Haus umbenannt. Seit 1999 ist es Sitz des Bundesministeriums der Finanzen.

1999 wurde der Detlev-Rohwedder-Preis ihm zu Ehren gestiftet. Im Businesspark Niederrhein in Duisburg-Rheinhausen wurde eine Dr.-Detlev-Karsten-Rohwedder-Straße nach ihm benannt.

Zitate

„Rohwedder war ein harter Typ, aber wenn er ja sagte, dann meinte er auch ja.“

ein langjähriger Hoesch-Betriebsratsvorsitzender über den Vorsitzenden des Hoesch-Vorstandes[17]

„Kaum einer sah von Beginn an die Schwierigkeiten so deutlich wie Rohwedder. Ihm war das gewaltige Ausmaß der notwendigen Umstellungen mit ihrem Zeitbedarf und ihren tief einschneidenden sozialen Wirkungen vollkommen bewußt. Um so kraftvoller bemühte er sich darum, die Menschen materiell und seelisch nicht unter die Räder kommen zu lassen.“

Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 10. April 1991 über die Tätigkeit Detlev Rohwedders bei der Treuhandanstalt[18]

Literatur

Film

Commons: Detlev Rohwedder – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. publisher: Kämpfer für eine tragfähige Zukunft der neuen Bundesländer - Bundesfinanzministerium - Ministerium. Abgerufen am 3. Dezember 2018 (deutsch).
  2. a b Jens Bauszus: Das perfekte Verbrechen, in: focus, 1. April 2008.
  3. Verdienstordenträgerinnen und -träger seit 1986. Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, abgerufen am 11. März 2017.
  4. Da ist irgendwo ein Nest. In: Der Spiegel. Nr. 15, 1991, S. 18 ff. (online8. April 1991).
  5. FOCUS Online: „Wer nicht kämpft, stirbt auf Raten“. Abgerufen am 27. April 2019.
  6. Rote Armee Fraktion: Anschlagserklärung vom 4. April 1991. Dokumentiert auf rafinfo.de, abgerufen am 26. Juni 2017
  7. Rohwedder-Mord nach 25 Jahren ungeklärt. 31. März 2016, abgerufen am 27. April 2019.
  8. Rote Armee Fraktion: Zu neuen Wegen. August 1992, abgedruckt in der Interim, dokumentiert von Social History portal, abgerufen am 26. Juni 2017
  9. Das jüngste Gerücht. In: Der Spiegel. Nr. 10, 1998, S. 32 ff. (online2. März 1998).
  10. Dirk Banse und Sven Felix Kellerhoff: Das Geheimnis um das letzte tödliche RAF-Attentat. In: welt.de. 1. April 2011, abgerufen am 1. Dezember 2014.
  11. Mordfall Rohwedder: Hogefeld soll vernommen werden, WDR online, 17. Mai 2001 (Memento vom 26. September 2007 im Internet Archive)
  12. DW: Spur bei Rohwedder-Mord. In: welt.de. 17. Mai 2001, abgerufen am 1. Dezember 2014.
  13. Rohwedder-Mord nach 25 Jahren ungeklärt. 31. März 2016, abgerufen am 27. April 2019.
  14. FOCUS Online: „Wer nicht kämpft, stirbt auf Raten“. Abgerufen am 27. April 2019.
  15. Interview mit Hergard Rohwedder: Witwe des Treuhand-Chefs gibt neue Hinweise auf die Mörder ihres Mannes. Abgerufen am 27. April 2019.
  16. Michael Jürgs: BKA: Die Jäger des Bösen. C. Bertelsmann Verlag, 2011, ISBN 978-3-641-06459-4 (com.ph [abgerufen am 27. April 2019]).
  17. zitiert nach Peter Fiedler (Redaktion): Detlev Karsten Rohwedder. Ein Jahrzehnt Strukturwandel bei Hoesch und in Dortmund. Ruhr-Nachrichten Verlagsgesellschaft, Dortmund o. J., ISBN 3-9800721-7-7, S. 29.
  18. zitiert nach Peter Fiedler (Redaktion): Detlev Karsten Rohwedder. Ein Jahrzehnt Strukturwandel bei Hoesch und in Dortmund. Ruhr-Nachrichten Verlagsgesellschaft, Dortmund o. J., ISBN 3-9800721-7-7, S. 75.