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Eroberung von Konstantinopel (1204)

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Eroberung von Konstantinopel (1204)
Teil von: Vierter Kreuzzug

Entrée des Croisés à Constantinople von Eugène Delacroix
Datum 8. April bis 13. April 1204
Ort Konstantinopel 41° 1′ 0″ N, 28° 58′ 37″ OKoordinaten: 41° 1′ 0″ N, 28° 58′ 37″ O
Ausgang Sieg der Kreuzfahrer
Folgen Lateinisches Kaiserreich
Konfliktparteien

Byzantinisches Reich

Kreuzfahrer
Republik Venedig

Befehlshaber

Alexios V.

Bonifatius I. von Montferrat
Enrico Dandolo

Truppenstärke

15.000 Soldaten[1], 20 Schiffe[2]

Kreuzfahrer: 10.000 Soldaten
Venetianer: 10.000 Soldaten[3], 210 Schiffe[4]

Verluste

>2.000

unbekannt

Die Eroberung von Konstantinopel im April 1204 war Teil des Vierten Kreuzzuges. Die Armeen der Kreuzfahrer eroberten, plünderten und zerstörten Teile der Hauptstadt des Byzantinischen Reiches. Nach der Eroberung der Stadt wurde das Lateinisches Kaiserreich installiert[5] und Balduin I. in der Hagia Sophia zum Kaiser gekrönt.

Nach der Plünderung der Stadt wurden die meisten Gebiete des Byzantinischen Reiches unter den Kreuzfahrern aufgeteilt. Byzantinische Aristokraten gründeten eine Reihe kleiner unabhängiger Staaten. Das spätere byzantinische Reich nach der Rückeroberung von Konstantinopel 1261 erlangte jedoch nie wieder seine frühere territoriale oder wirtschaftliche Stärke und fiel schließlich 1453 an das Osmanische Reich. Das Byzantinische Reich war viel ärmer, kleiner und letztendlich so auch weniger in der Lage, sich gegen die folgenden türkischen Eroberungen zu verteidigen. Die Aktionen der Kreuzfahrer beschleunigten somit unmittelbar den Zusammenbruch der Christenheit im Osten und erleichterten auf lange Sicht die Ausweitung des Islam nach Europa.

Die Plünderung Konstantinopels war ein bedeutender Wendepunkt in der mittelalterlichen Geschichte. Die Entscheidung der Kreuzfahrer, die größte christliche Stadt der Welt anzugreifen, war beispiellos und umstritten. Berichte über die Brutalität der Kreuzfahrer entsetzten die orthodoxe Welt. Die Beziehungen zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche waren viele Jahrhunderte lang angeschlagen.

Vorgeschichte

Im November 1202 nahmen die Venezianer mit Hilfe der Kreuzfahrer die Stadt Zara ein. Die Kreuzfahrer hatten sich an der Eroberung der katholischen Stadt beteiligt, weil sie die finanziellen Forderungen der Venezianer für deren Hilfe am vierten Kreuzzug nicht begleichen konnten. Noch im gleichen Jahr schlossen die Venezianer einen Vertag mit Alexios Angelos ab. Als Belohnung für die Inthronisation von Alexios auf den byzantinischen Thron versprach Alexios den Kreuzfahrern 200.000 Silbermark, die Beteiligung am Kreuzzug mit 10.000 Soldaten, den Aufbau einer dauerhaften Garnison im Heiligen Land und die Wiedervereinigung der römisch-katholischen mit der orthodoxen Kirche.[6]

Nach der Belagerung Konstantinopels am 1. August 1203 wurde Alexios Angelos als Alexios IV. zum Kaiser des Byzantinischen Reiches gekrönt, der dann versuchte, die Stadt zu befrieden. Doch schon wenige Wochen später kam es zu heftigen Ausschreitungen zwischen den orthodoxen Griechen und römisch-katholischen Lateinern, die bis Dezember andauerten und in denen sich die Mehrheit der Bevölkerung gegen Kaiser Alexios IV. wendete.[7] Als sich Alexios IV. weigerte, die finanziellen Verpflichtungen aus dem Vertrag von Zara zu erfüllen, spitze sich die Situation zu.[8]

Am 25. Januar 1204 löste der Tod des Mitkaisers Isaak II. in Konstantinopel einen Aufstand aus, der zur Absetzung von Alexios IV. führte. Der Kaiser wandte sich an die Kreuzfahrer und bat um Hilfe.ref>Thomas F. Madden: Vows and Contracts in the Fourth Crusade: The Treaty of Zara and the Attack on Constantinople in 1204. The International History Review, Vol. 15, No. 3 (August 1993), S. 453.</ref> Doch der kaiserliche Kammerherr Alexios Dukas sperrte den enthronten Kaiser ein und rief sich am 5. Februar selbst zum Kaiser aus und wurde noch am selben Tag inthronisiert.[9] Kaiser Alexios V. versuchte daraufhin, mit den Kreuzfahrern einen Rückzug aus dem byzantinischen Gebiet zu verhandeln, diese weigerten sich jedoch, den alten Vertrag von Zara mit Alexios IV. aufzukündigen und verlangten die Wiedereinsetzung des Thronvorgängers. Als Alexios V. am 8. Februar die Hinrichtung des enthronten Alexios IV. befahl,[10] erklärten die Kreuzfahrer Alexios V. den Krieg. Im März 1204 beschlossen die Kreuzfahrer und die Republik Venedig die endgültige Eroberung von Konstantinopel und vereinbarten, das Byzantinische Reich unter sich aufzuteilen.[11]

Eroberung und Plünderung Konstantinopels

Ende März belagerten die vereinigten Kreuzritterarmeen Konstantinopel, als Kaiser Alexios V. begann, die Verteidigung der Stadt zu verstärken und aktive Militäroperationen außerhalb der Stadt durchzuführen. In der ersten Aprilwoche begannen die Kreuzfahrer ihre Belagerung der Stadt Galata.[12]

Am 9. April 1204 rückten die Streitkräfte der Kreuzfahrer und der Venezianer auf die Befestigungen am Goldenen Horn vor, indem sie die Wasserstraße überquerten und bei der Nordwestmauer der Stadt anlandeten. Aufgrund des schlechten Wetters wurden die Kreuzfahrer jedoch zurückgedrängt, als die gelandeten Truppen im offenen Gelände zwischen Konstantinopels Befestigungsanlagen und dem Ufer in einen Pfeilehagel gerieten.[12][13]

Die eroberung Konstantinopels im Jahr 1204, Gemälde von Palma il Giovane

Am 12. April 1204 begünstigten die Wetterbedingungen schließlich die Kreuzfahrer, als sich das Wetter aufklarte und ein zweiter Angriff auf die Stadt angeordnet wurde. Ein starker Nordwind half den venezianischen Schiffen im Goldenen Horn, sich der Stadtmauer zu nähern, was es den Angreifern ermöglichte, einige Türme entlang der Mauer einzunehmen. Nach einer kurzen Schlacht gelang es ungefähr 70 Kreuzfahrern, in die Stadt einzudringen. Einige Kreuzfahrer waren wohl auch in der Lage, Löcher in die Wände zu schlagen, die groß genug waren, damit ein paar Ritter gleichzeitig hindurchkriechen konnten. Die Venezianer waren auch erfolgreich darin, die Mauern vom Meer zu erklimmen, obwohl es äußerst blutige Kämpfe mit der Warägergarde gab. Die Kreuzfahrer eroberten den Stadtteil Blachernae im Nordwesten und nutzten ihn als Stützpunkt, um den Rest der Stadt anzugreifen. Als sie versuchten sich mit einer Feuerwand zu verteidigen, brannten sie versehentlich weitere teile der Stadt nieder. Kaiser Alexios V. floh in dieser Nacht durch das Polyandriou-Tor (Rhegium-Tor) aus der Stadt landeinwärts nach Westen.

Die Pferde von San Marco im Museum des Markusdoms in Venedig

Die Kreuzfahrer plünderten, terrorisierten und zerstörten Konstantinopel drei Tage lang, wobei viele antike und mittelalterliche römische und griechische Werke entweder gestohlen oder zerstört wurden. Die berühmten Bronzepferde von San Marco vom Hippodrom wurden nach Venedig geschickt, um die Fassade des Markusdoms in Venedig zu schmücken. Viele andere Werke von unermesslichem künstlerischen Wert wurden wegen ihres materiellen Wertes gestohlen und aufgrund des Materialwertes eingeschmolzen. Eines der wertvollsten Werke war eine große Bronzestatue des Herkules, die von Lysipp geschaffen worden war.[14]

Trotz ihrer Eide und einer Drohung der Exkommunikation durch den Papst raubten die Kreuzfahrer systematisch Kirchen, Klöster und Konvente und zerstörten oder stahlen alles, was sie in die Hände bekamen.[15] Die Altäre wurden von den Kriegern wegen des Goldes und des Marmors zerschlagen.[16] Auch die Gräber der Kaiser in der Apostelkirche wurden geplündert.[16] Auch die Zivilbevölkerung von Konstantinopel litt unter der Gier der Kreuzfahrer nach Beute; Tausende von ihnen wurden getötet.[15] Frauen, darunter auch Nonnen, wurden vergewaltigt.[17] Obwohl auch die Venezianer plünderten, waren ihre Aktionen weitaus zurückhaltender Anstatt wie ihre Kameraden mutwillig alles zu zerstören, stahlen die Venezianer religiöse Relikte und Kunstwerke, die sie später nach Venedig brachten, um dort ihre eigenen Kirchen zu schmücken.

Folgen

Das byzantinische Reich wurde zwischen der Republik Venedig und den Anführern des Kreuzzugs aufgeteilt und das Lateinische Reich gegründet.[18] Der bei der lateinischen Bevölkerung beliebte Bonifatius I. von Montferrat wurde nicht Kaiser, weil die Venezianer befürchteten, dass er zu enge Beziehungen zum byzantinischen Kaiserhaus hatte, weil sein Bruder Renier von Montferrat mit der Tochter von Manuel I. verheiratet war. Stattdessen wurde Balduin von Flandern zum Kaiser gekrönt.[19][20] Bonifatius gründete das Königreich Thessaloniki,[21] ein Vasallenstaat des Lateinischen Kaiserreichs. Die Venezianer gründeten auch das Herzogtum Archipelagos in der Ägäis.

Die meisten byzantinischen Aristokraten flohen aus der Stadt. Unter den einfachen Leuten des ehemaligen Reiches gab es kaum Sympathien für die byzantinische Elite, da diese das Reich mit zunehmender Inkompetenz regiert hatte.[22] Die byzantinischen Adligen gründeten ihren eigenen Nachfolgestaaten, darunter das Kaiserreich Nikaia unter Theodor I., das Kaiserreich Trapezunt und das Despotat Epirus.

Die Eroberung und Plünderung schwächte das Byzantinische Reich nachhaltig, wodurch benachbarte Reiche wie das Sultanat der Rum-Seldschuken und die osmanischen Türken Einfluss in der Region erlangen konnten und 1453 das byzantinische Reich eroberten.

800 Jahre nach dem Vierten Kreuzzug entschuldigte sich Papst Johannes Paul II. für die Ereignisse im Jahr 1204. Im Jahr 2001 schrieb er an de Erzbischof von Athen Christodoulos I.: „Es ist tragisch, dass die Angreifer, die den Christen den freien Zugang zum Heiligen Land sichern sollten, sich gegen ihre Glaubensbrüder wandten. Die Tatsache, dass sie lateinische Christen waren, erfüllt die Katholiken mit tiefem Bedauern.“[23][24]

Im April 2004 nahm der ökumenische Patriarch Bartholomäus I. in einer Rede zum 800. Jahrestag der Eroberung der Stadt die Entschuldigung offiziell an: "Der Geist der Versöhnung ist stärker als der Hass", sagte er während eines Gottesdienstes, an dem auch der römisch-katholische Erzbischof von Lyon Philippe Barbarin teilnahm.[25]

Einzelnachweise

  1. Sigfús Blöndal: The Varangians of Byzantium. Cambridge University Press, 2007, S. 164
  2. Jonathan Phillips: The Fourth Crusade and the Sack of Constantinople. Jonathan Cape, London 2004, IBSN 978-1448114528, S.159
  3. Jonathan Phillips: The Fourth Crusade and the Sack of Constantinople. Jonathan Cape, London 2004, IBSN 978-1448114528, S. 269
  4. Jonathan Phillips: The Fourth Crusade and the Sack of Constantinople. Jonathan Cape, London 2004, IBSN 978-1448114528, S. 106
  5. The Latin empire of Constantinople and the Frankish states in Greece. In: David Abulafia: The New Cambridge Medieval History, Band V, Cambridge University Press, 1999, ISBN 0-521-36289-X, S. 525–542
  6. Thomas F. Madden: Vows and Contracts in the Fourth Crusade: The Treaty of Zara and the Attack on Constantinople in 1204. The International History Review, Vol. 15, No. 3 (August 1993), S. 441
  7. Thomas F. Madden: Vows and Contracts in the Fourth Crusade: The Treaty of Zara and the Attack on Constantinople in 1204. The International History Review, Vol. 15, No. 3 (August 1993), S. 446 ff.
  8. Thomas F. Madden: Vows and Contracts in the Fourth Crusade: The Treaty of Zara and the Attack on Constantinople in 1204. The International History Review, Vol. 15, No. 3 (August 1993), S. 448 f.
  9. Thomas F. Madden: Vows and Contracts in the Fourth Crusade: The Treaty of Zara and the Attack on Constantinople in 1204. The International History Review, Vol. 15, No. 3 (August 1993), S. 455
  10. Thomas F. Madden: Vows and Contracts in the Fourth Crusade: The Treaty of Zara and the Attack on Constantinople in 1204. The International History Review, Vol. 15, No. 3 (August 1993), S. 459
  11. Thomas F. Madden: Vows and Contracts in the Fourth Crusade: The Treaty of Zara and the Attack on Constantinople in 1204. The International History Review, Vol. 15, No. 3 (August 1993), S. 465 f.
  12. a b David Nicolle: The Fourth Crusade 1202–04. The betrayal of Byzantium. (= Osprey Campaign Series, Band 237), Osprey Publishing
  13. Thomas F. Madden: Vows and Contracts in the Fourth Crusade: The Treaty of Zara and the Attack on Constantinople in 1204. The International History Review, Vol. 15, No. 3 (August 1993), S. 466 f.
  14. Preserving The Intellectual Heritage Commission on Preservation and Access (Memento vom 25. Juli 2011 im Internet Archive)
  15. a b Donald M. Nicol: Byzantium and Venice: A Study in Diplomatic and Cultural Relations. Cambridge University Press, 1999, S. 143
  16. a b Victor Roudometof: Globalization and Orthodox Christianity: The Transformations of a Religious Tradition. Routledge, 2014, S. 47
  17. Aphrodite Papayianni: Memory and ideology: the image of the crusades in Byzantine historiography, 11th – 13th century. In: Adrian Boas (Hrsg.): The Crusader World. Routledge, 2016, S. 284
  18. Robert Lee Wolff: Politics in the Latin Patriarchate of Constantinople, 1204–1261. Dumbarton Oaks Papers, Vol. 8 (1954), S. 227
  19. Г. Ф. Герцберг: История на Бизантия. Moskau 1895, S. 359–360
  20. E. Gerland: Geschichte des Kaisers Balduin I und Heinrich. (= Band 1, Geschichte des lateinischen Kaiserreiches von Konstantinopel. Homburg v. d. Höhe 1905, S. 1–10
  21. The Latin kingdom of Thessalonika (1204–1224), Foundation of the Hellenistic World, abgerufen am 15. Mai 2019
  22. Michael Angold: The Byzantine Empire 1025–1204. Longman, 1997, ISBN 0-582-29468-1, S. 327 f.
  23. In the Footsteps of St Paul: Papal Visit to Greece, Syria & Malta, Ewtn.com, abgerufen am 15. Mai 2019
  24. Jonathan Phillips: The Fourth Crusade and the Sack of Constantinople. Jonathan Cape, London 2004, IBSN 978-1448114528, S. XIII
  25. In Pascha messages, Patriarchs address question of violence, Incommunion.org, abgerufen am 15. Mai 2019