Gehen


Gehen ist eine Fortbewegungsart, bei der es im Gegensatz zum Laufen keine Flugphase gibt. Der Körper hat also in jeder Phase des Bewegungszyklus Kontakt zum Boden über Beine und Füße. Beim zweibeinigen Gehen gibt es statt der Flugphase eine Doppelstützphase, die beim Menschen etwa 20 Prozent der Gesamtzykluszeit in Anspruch nimmt. Die durchschnittliche Geschwindigkeit eines Fußgängers betrug laut einer Studie in Oregon, USA, beim Überqueren einer ampelgesicherten Straße etwa 5 km/h. Dieser Wert schwankte je nach Alter, Geschlecht und Faktoren wie dem Gehen alleine oder als Gruppe zwischen etwa 4,5 und 5,5 km/h.[1] Gemächliches Spazierengehen hat eine mittlere Geschwindigkeit von etwa 3 km/h.[2]
Etymologie
Die gemeingerm. Verb mhd., ahd. gēn, gān beruht auf der idg. Wurzel g̑hē[i] „klaffen, leer sein, verlassen, (fort)gehen“.[3]
Gangarten
Man unterscheidet nach dem Bewegungsablauf folgende Gangarten:
- Zweibeiniger Gang (bipeder Gang): „Gehen“ im eigentlichen Sinne, die menschliche Fortbewegung; auch bei Vögeln und Nicht-Vogel-Dinosauriern
- Vierbeiniger Gang (quadrupeder Gang): die ursprüngliche Fortbewegungsweise der Landwirbeltiere, typisch für sehr viele Amphibien, Reptilien und Säugetiere; hierbei kann weiter unterschieden werden in
Zweibeiniger Gang
Gangzyklus des Menschen
Ein Schrittzyklus oder Gangzyklus ist die Grundeinheit des Gehaktes. [4] Er entspricht dem Zeitraum zwischen zwei Fersenauftritten desselben Fußes.[4] Er ist in zwei Phasen unterteilt:
Die Standphase beginnt mit dem Aufsetzen der Ferse und endet mit dem Ablösen der Zehen vom Boden.[4] Die nachfolgende Schwungphase endet mit dem erneuten Aufsetzen der Ferse desselben Fußes.[4] Bei normaler Gehgeschwindigkeit nimmt die Standphase etwa 60 Prozent und die Schwungphase etwa 40 Prozent der Schrittzykluszeit ein.[4]
Da sich beim Gehen die Standphasen von rechtem und linkem Bein überschneiden, steht am Anfang und Ende jedes Schrittes eine bipodale Abstützphase, in der beide Füße gleichzeitig den Boden berühren.[4] Die Zeitspanne der bipodalen Abstützphase ist von der Fortbewegungsgeschwindigkeit abhängig und verschwindet bei schnellerem Laufen, wenn stets nur ein Fuß den Boden berührt.[4] Beim noch schnelleren Sprinten haben die Füße während einer kurzen Phase, der sogenannten Schwebephase, gar keinen Bodenkontakt mehr.[4]
Technik

Aus einem beidfüßigen Ausgangsstand wird ein Fuß angehoben und um einen Schritt vor den anderen gesetzt. Die eigentliche Positionsveränderung geschieht im Grunde durch ein „verhindertes Fallen“ auf der zeitweise bodenkontaktfreien Seite. Man unterscheidet hinsichtlich des Fuß-Boden-Kontakts drei Geh-Arten: Im Fersengang wird die Ferse des nach vorne schwingenden Fußes zuerst aufgesetzt und der Fuß dann idealerweise sorgfältig über den Großzeh abgerollt. Im Ballengang setzt der Mensch den Fußballen (Vorfuß) zuerst auf, senkt sich möglicherweise, aber nicht zwangsläufig, bis zur Ferse und drückt sich idealerweise ebenfalls über die Großzehe ab. Ein Mischform ist der Mittelfußaufsatz bei dem im Idealfall der ganze Fuß flach über die Außenkante aufsetzt. Dem Gehen wie die Menschenaffen, d. h. astumgreifend oder auf den Fußkanten, entspricht keine normale menschliche Gangart.[5] Die Messung und Beobachtung der auftretenden Kräfte und Abläufe beim Gehen ist Gegenstand der Ganganalyse.
Gehen zählt zu den Automatismen. Es ist eine Verhaltensweise, die selbsttätig vom Zentralnervensystem (ohne äußere Reizeinwirkung) ausgelöst wird. Weitere Beispiele für derartige Automatismen sind die Flossenbewegung bei Fischen oder der Flügelschlag bei Vögeln.
Der aufrechte Gang beim Menschen
Wie es zur Entstehung des obligatorisch aufrechten Ganges beim Menschen kam, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Fest steht einzig, dass die Vorfahren des Menschen schon vor 5 Millionen Jahren zum aufrechten Gang übergingen. Ferner stammen die frühesten Belege für aufrecht gehende Hominini aus Bodenschichten, die in ihrer Entstehenszeit den heutigen Galeriewäldern ähnelten, also einem Lebensraum entstammen, in dem sich Waldstücke, feuchte Graslandschaften und Seeufer abwechselten. Daraus wird abgeleitet, dass sich der aufrechte Gang bereits als Anpassung an bestimmte Fortbewegungsweisen auf den Bäumen entwickelt hat.
Die Umstellung von quadrupeder Fortbewegung auf den aufrechten Gang ging mit zahlreichen Veränderungen des menschlichen Skelettes einher. Der Fuß ist bei Menschen – anders als noch beim 4,4 Millionen Jahre alten Fossil „Ardi“, einem Ardipithecus ramidus – kein Greifwerkzeug; „Ardi“ hingegen konnte die große Zehe noch abspreizen und so zum Greifen verwenden. Kleinkinder besitzen jedoch noch einen Greifreflex sowohl in den Handflächen als auch an den Fußsohlen, der mit der Zeit allerdings verschwindet. Das Becken des Menschen ist verbreitert und dient im aufrechten Gang als „Schüssel“ für die Eingeweide. Die Wirbelsäule ist doppelt S-förmig (sigmoid) geschwungen und trägt Rücken und Kopf, das Hinterhauptsloch befindet sich unter dem Schädel und nicht (wie bei Vierfüßern) relativ weit hinter dem Schädel.
Der aufrechte Gang führt aber auch zur Belastung des unteren Teils des Körpers. So neigt der Mensch im Alter zu:
- Unterleibsbrüchen,
- Bandscheibenvorfällen
- Senk- und Plattfüßen,
- Krampfadern infolge der Blutanstauung in den Beinen,
- Hüftgelenksarthrosen.
In auf die Emanzipation des Menschen bezogenen Texten der Kulturphilosophie ist der „aufrechte Gang“ zu einer Metapher für die Einzigartigkeit des Menschen geworden, sich selber souverän umzuschauen und sein Urteil zu bilden.
Ballengang im Alltag
Gehen im Alltag kann im Ballengang erfolgen, wobei das Aufsetzen des Fußes mit den Fußballen dem abgefederten Absetzen der Ferse dient, so wie man es täglich beim Treppabsteigen übt, oder gelegentlich beim Schleichen. Dafür sollte der Schuh samt eventueller Einlage nur eine geringe Sprengung haben, 2–3 mm, oder ganz ohne Sprengung sein. Wer nicht täglich viel Treppen steigen muss, kann gegen die Verkümmerung der nur am Ballengang verstärkt mitwirkenden Muskeln also versuchen, auf flachen flexiblen Sohlen im Ballengang einen Teil der Alltagswege zu gehen. Dazu gibt es auch Vorübungen für im Ballengang Ungeübte.[6] Wo tastendes Fortbewegen von Vorteil ist, besonders in warmen Ländern, deren Wüsten keineswegs vorwiegend weichen Sanduntergrund bieten, sondern eher steinigen Boden, und viele Menschen traditionell barfuß gehen, ist Gehen im Ballengang naturgemäß eine im Alltag viel geübte Gangart.
Aufrechter Gang bei Schimpansen und Gorillas
Auch Schimpansen und Gorillas können sich am Boden zeitweise auf zwei Beinen vorwärts bewegen. Ihr sogenannter Knöchelgang galt bis zur Entdeckung des Fossils „Ardi“ als ein Merkmal, das auch den frühen Hominini zugeschrieben wurde. Die Analyse seiner Handknochen ergab jedoch keinen Hinweis auf Knöchelgang, woraus geschlossen wurde, dass der Knöchelgang eine relativ späte Sonderanpassung der beiden Großen Menschenaffen ist.[7]
Siehe auch
Weblinks
- Nikolaus F. Troje: Interaktives Wahrnehmungsexperiment online: Bewegungen erkennen/bewerten
- Dirk Asendorpf: Warum verbrauchen afrikanische Frauen beim Tragen so wenig Energie? In: Die Zeit Nr. 13 vom 21. März 2002
Einzelnachweise
- ↑ Nick Carey: Draft Results - Establishing Pedestrian Walking Speeds, 31. Mai 2005, Portland State University
- ↑ Spazieren nicht unterschätzen. Auf: wanderforschung.de, Stand: 2011, eingesehen am 19. August 2016
- ↑ Das Herkunftswörterbuch (= Der Duden in zwölf Bänden. Band 7). Nachdruck der 2. Auflage. Dudenverlag, Mannheim 1997, S. 225 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). Siehe auch DWDS („gehen“) und Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 7. Auflage. Trübner, Straßburg 1910 (S. 164).
- ↑ a b c d e f g h i j Karl Zilles, Bernhard Tillmann: Anatomie. Springer Medizin, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-540-69481-6, S. 269.
- ↑ der folgende Link wurde wg Urheberrecht gesperrt: abgerufen 26. März 2016: behandelt den menschlichen Fuß, seine Anatomie und seine Beanspruchung bei Gehen, Tanzen, Laufen, und seine Einbindung im Bewegungsapparat des menschlichen Körpers. Auch ein Vergleich mit dem Gehen der Primaten ist enthalten. Der zentrale Knochen beim ast-umgreifenden Auftreten des Primatenfußes, der ja gleichzeitig 3. oder 4. Primatenhand ist, beim Gehen im Baumgeäst ist auch im menschlichen Fußskelett enthalten, hat aber durch die deutlich andere Fußformung, als auf Gehen und evtl. noch Klettern spezialisierte Extremität, nur zufällig Bodenkontakt, weil der Fuß halt so gewachsen ist. Ein Orang-Utan geht auf dem Boden nur auf den Fuß-Außenkanten, was im Vergleich zum Menschen wie ein Gangart-Provisorium wirkt.
- ↑ Video-Liste mit 7 Übungen zum Ballengang von Peter Scholten. Als Vorfußlauf-Propagandist bezeichnet er den Ballengang als DAS natürliche Laufen, es ist aber nur eine Art des natürlichen Laufens, da der menschliche Körper eben für mindestens drei Arten des aufrechten Vorwärtslaufes optimiert ist: Gangart 1 den ganzen Fuß abrollend langsam oder schnell, Gangart 2 schnell nur den Vorfuss abrollend im Vorfußlauf, und Gangart 3 quasi tastend im Ballengang gehend, die Ferse sanfter absetzend plus dem zweiten Teil des Fuß-Abrollens aus Gangart 1.
- ↑ C. Owen Lovejoy et al.: Careful Climbing in the Miocene: The Forelimbs of Ardipithecus ramidus and Humans Are Primitive. In: Science. Band 326, 2009, S. 70, 70e1–70e8, doi:10.1126/science.1175827