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Soldaten sind Mörder

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Die Aussage Soldaten sind Mörder stammt aus der Glosse "Der bewachte Kriegsschauplatz", die der Autor Kurt Tucholsky 1931 in der Weltbühne publizierte.

Bekannt ist die Aussage Kurt Tucholskys, der unter vier Pseudonymen, Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignatz Wrobel, in der Zeitschrift Die Weltbühne schrieb, in Nr. 191, vom 4. August 1931:

„Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“

Der verantwortliche Redakteur Carl von Ossietzky wurde 1932 der Beleidigung der Reichswehr angeklagt, jedoch freigesprochen, da keine konkreten Personen gemeint seien und eine unbestimmte Gesamtheit nicht beleidigt werden könne.

Die heutige Diskussion wird in Deutschland vor allem von der Tatsache bestimmt, dass es im Zweiten Weltkrieg vielfach zu Kriegsverbrechen, auch durch die Wehrmacht, kam (siehe Verbrechen der Wehrmacht, Schutzstaffel, NSdAP).

Chronologie der Affäre

Seit 1984 mussten sich bundesdeutsche Gerichte immer wieder mit dieser Aussage beschäftigen; die Vorgehensweise war dabei immer eindeutig: Die Aussage als solche fällt unter die Meinungsfreiheit, wird sie aber auf bestimmte Personen angewandt, die nicht im Verdacht des Mordes stehen, so wird sie als Verleumdung oder Beleidigung geahndet.

Im Jahre 1995 beging die Bundeswehr ihren 40. Geburtstag. Hierzu ordnete die damalige Regierung unter Helmut Kohl unter anderem einen Großen Zapfenstreich mit Rekrutenvereidigung in Berlin an, auf einem Gelände, auf dem 1991 während des Zweiten Golfkrieges umfassende Friedensdemonstrationen stattfanden.

Hierdurch kam es zum Eklat. Die Anordnung des Platzes durch den damaligen Kanzler Kohl wurde als Provokation angesehen, wodurch sich an den Demonstrationen gegen diese Veranstaltung sowie die ebenfalls stattfindenden Zapfenstreiche in Bonn und Erfurt übermäßig viele Demonstranten beteiligten und die Demonstrationen unübliche Härte erreichte.

In der Nachbereitung dieser Demonstrationen forderten nun die regierenden Parteien, einen Schutz der Bundeswehr gegen die Bezeichnung als Mörder zu verankern. Konkret sollte ein Paragraph 109b Strafgesetzbuch nach erster Lesung im März 1996 lauten:

Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften (§11 Abs. 3) Soldaten in Beziehung auf ihren Dienst in einer Weise verunglimpft, die geeignet ist, das Ansehen der Bundeswehr oder ihrer Soldaten in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(Bundestags-Drucksache 13/3971)

Hierauf erhob sich fast allgemeiner Protest in Deutschland; besonders verschärfend wurde wahrgenommen, dass hier ein Grundrecht, das Recht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG, angetastet werden sollte, um Anfeindungen einer Institution des demokratischen Staates Bundesrepublik gegen eine kleine Minderheit einzuschränken. Besondere Brisanz erhielt der Vorstoß auch durch die Tatsache, dass 1930 die NSDAP eine Gesetzesvorlage ähnlichen Namens einbrachte.

Aus diesen Gründen empfahlen Juristen fast Unisono eine Ablehnung des Paragraphen. Als im Oktober 1999 die Regierung dem federführenden Rechtsausschuss folgte und die Gesetzesänderung ablehnte, gab der Bundestag als Begründung an:

Nach Ansicht der Mehrheit des Hauses ist ein besonderer strafrechtlicher Ehrenschutz für die Bundeswehr weder gerechtfertigt oder erforderlich, noch werde dieser von den Streitkräften selbst gewünscht.
Blickpunkt Bundestag Oktober 1999

Die öffentliche Debatte hatte sich allerdings schon Ende 1996 bis Anfang 1997 weitgehend gelegt, als niemand mehr mit einer Verabschiedung des umstrittenen Paragraphen rechnete. Im wahrsten Sinne des Wortes ging die Gleichsetzung der Bundeswehr mit Mördern während des Oderhochwassers 1997 unter, als die Bundeswehr stark im Katastrophenschutz bei diesem "Jahrhunderthochwasser" eingesetzt wurde und in Akzeptanz und Beliebtheit in der Bevölkerung sprunghaft anstieg.

Rechtsprechung in der Bundesrepublik

Seit dem Prozess im Jahr 1932 gegen Carl von Ossietzky gab es aber viele weitere, manche kamen sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht. Sogar mit falschen Übersetzungen (z. B. A soldier is a murder statt A soldier is a murderer) musste sich das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Eine Tendenz zu Freisprüchen mit Verweis auf die Meinungsfreiheit ist klar zu erkennen. Freisprüche, die die Behauptung Soldaten sind Mörder als wahr anerkennen (sich also nur noch auf die Meinungsfreiheit stützen), sind dagegen seit den Kriegsbeteiligungen Deutschlands in den 1990ern seltener geworden.

Die Rechtssprechung mit Freisprüchen wurde durch das Bundesverfassungsgericht 1995 im wesentlichen gefestigt. Laut des Urteils könne eine derartige Aussage durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sein und stelle nicht automatisch eine Beleidigung aller Soldaten dar. Es sei vielmehr auf den konkreten Einzelfall abzustellen. Die Aussage Alle Soldaten sind Mörder oder Die Soldaten in der Kaserne XYZ sind Mörder kann daher durchaus zu einer gerichtlichen Verurteilung führen.

Die Aussage Soldaten sind Mörder wird per Soldaten- und Grundgesetz als falsch gewertet, da Soldaten in Kriegseinsatz zur Verteidigung des Landes töten und die Definition von Mord darauf nicht zutrifft. In einem (meist völkerrechtskonformen) Verteidigungskrieg ist der Soldat in einer Notlage und die Tötung gegnerischer Kombattanten (nicht aber von Zivilisten!) durchaus als Notwehr zu rechtfertigen. Im Falle eines Angriffskrieges könnten die Kampfhandlungen selbst völkerrechtlich als Morde gewertet werden, dies ist bislang aber ohne Präzedenzfall. Einigkeit besteht nur in Bezug auf Kriegsverbrechen.

Die Gleichsetzung einer gesamten Armee mit ihren rechtswidrig handelnden Teilen (also z.B. die politische oder militärische Führung) ist insofern problematisch, als im Einzelfall zu entscheiden ist, ob die Verantwortung dafür beim einzelnen Soldaten oder der militärisch-politischen Führung liegt. Ein Soldat der Bundeswehr ist jedenfalls verpflichtet, die Ausführung eines offensichtlich rechtswidrigen Befehls zu verweigern, könnte sich somit nicht auf Befehlsnotstand berufen und wäre persönlich verantwortlich.

Notwehr

Die oben angeführte Notwehr bezieht in diesem Fall nicht notwendigerweise auf die Verteidigung des eigenen Lebens, oder auch nur auf die unmittelbare Gefahrenabwehr bei Dritten, sondern auf die allgemeine Gefahrenabwehr für eine (staatliche) Gemeinschaft. Dieses Konzept der "kollektiven Notwehr" wird jedoch von Gegnern des Militärs nicht als solches anerkannt.

Mörder sind keine Soldaten

Ganz anders herum und mit viel Humor ging das Kabarettistenduo Volkmar Staub und Reiner Kröhnert die Sache 1995 in ihrem Programm an:

Ich bin ein anständiger Mörder. Ich weiß, der Mord hat keinen guten Ruf. Aber deshalb muß man sich als Mörder noch lange nicht mit Soldaten vergleichen lassen. Der Mörder hat doch immer einen Grund und ein konkretes Opfer. Mag der Grund auch subjektiv, bösartig und voller Habgier sein, mag das Opfer auch nicht immer so schuldig sein, daß es die Hinrichtung verdiente. Immerhin geht der Mörder zielgerichtet vor. Dagegen ein Soldatenschwein drückt auf den Knopf und aus dem Himmel fallen Bomben - wahllos.
Wer mit seinen Granatwerfern, Maschinenpistolen und Raketen einfach in die Menge hält, trifft Unschuldige ohne Zahl, Zivilisten, die er vorher nie gesehen, die ihm nie etwas zuleide getan. Hingegen ein Mörder, der sein Weib umbringt, ertrug Demütigung und Wunde lang zuvor. Man darf doch nicht gleichsetzen solch sensiblen Menschen mit megabrutalen Massenkillern ohne Scham und Reue. Unehrlich und verlogen sind sie auch noch, die Soldatenschweine. Ein geständiger Mörder sagt in der Regel: Ja, ich habe getötet. Der Soldat sagt: Ich habe ein Weichziel fixiert. Oder er versucht, sich mit schamlosen Ausreden herauszumogeln: Ich habe mein Vaterland verteidigt, selbst wenn es ölig irgendwo auf einem Scheichtum liegt.
Jahrelang zum Töten abgerichtet, speziell ausgebildet und trainiert ist die Soldatenbrut. Der Mörder ist in der Regel Laie. Ein Laie, dem aus Wut und Zorn ein Mord mal unterläuft. Hinterher tut es ihm vielleicht noch leid.

Bewertung innerhalb der Bundeswehr

In der Bundeswehr ist man, verständlicherweise, nicht begeistert. Soldaten verpflichten sich auf die Bundesrepublik Deutschland (siehe [[Milit%E4rritual#Zeremoniell_des_feierlichen_Gel%F6bnisses_/_Eids|Feierliches Gelöbnis und Eid]]) und bestehen Einsätze in Katastrophengebieten im Inland (Elbe) wie Ausland (Madagaskar) sowie Krisengebieten (Balkan, Afghanistan) unter hohem persönlichem Engagement. Ein ehemaliger UN-Generalsekretär drückte sich vor einer Friedensmission einmal so aus: "Dafür sind Soldaten nicht da - aber das können nur Soldaten".

Auf der anderen Seite wird die Bestrebung zu einem Ehrenschutzparagraphen von Seiten der damaligen Regierung - ähnlich wie der Große Zapfenstreich in Berlin - als die Austragung eines Konfliktes zwischen damaliger Bundesregierung und oppositionellen Kräften auf dem Rücken der Soldaten gesehen. Heute sieht man die Sache eher gelassen. Die überwältigende Mehrheit der Bundesbürger weiß, dass Soldaten der Bundeswehr keine Mörder sind; diejenigen, die dies trotzdem behaupten - in letzter Zeit machen vor allem Leute von sich Reden, die diese Aussage in einem Atemzug mit der Aussage, serbische Cetniks oder albanische UCK-Freischärler seien Freiheitskämpfer nennen - konnte und wird man nicht umstimmen können.

Eine Illegalisierung dieser Aussage per Bundeswehr-Sondergesetz, kam glücklicherweise nicht durch; der Eindruck, den es gemacht hätte, wenn die Streitkräfte einer Demokratie nicht durch das eigene Volk, das sie schützen sollen, sondern durch ein Sondergesetz in Schutz gegen Verunglimpfung genommen werden, hätte im In- wie Ausland zu großer Konfusion geführt. Diese Meinung wird auch außerhalb der Bundeswehr häufig vertreten.

Eine weitere Herangehensweise stellt ein Zitat des französischen Dichters Voltaire dar: Ich werde Ihre Meinung bis an mein Lebensende bekämpfen, aber ich werde mich mit allen Kräften dafür einsetzen, dass Sie sie haben und aussprechen dürfen.

Art. 5 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gewährt Meinungsfreiheit. Diese Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen gelobt jeder Soldat. Auch, wenn ein verschwindend geringer Teil des Volkes dieses Recht zur Beleidigung gebraucht, muss man darauf vertrauen können, dass die überwältigende Mehrheit dies anders sieht und es nicht dem Vertrauen dieser Mehrheit entspräche, ein derart wichtiges Grundrecht einzuschränken. So ist nach Meinung vieler Menschen auch das Urteil des BVerfG zu interpretieren.

Reaktionen von außerhalb

Die Aussage Soldaten sind Mörder blieb nicht unwidersprochen. Die bürgerlichen Parteien stellten sich demonstrativ hinter die Bundeswehr mit Parolen wie Unsere Soldaten sind keine Mörder. Besonders allerdings Angehörige von Soldaten und der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr (VdRBw), dem viele ehemalige Zeitsoldaten und Wehrpflichtige aller Berufsgruppen angehören, veranstalteten Podiumsdiskussionen und Tagungen zur Arbeit der Bundeswehr und riefen selbst Aufkleberaktionen ins Leben.

Viele Betroffene waren auch der Meinung, eine Reaktion auf diese Kampagne, selbst in Form von Ablehnung, messe ihr mehr Bedeutung bei, als sie Wert sei.

Trotzdem sprachen sich viele Menschen, die nicht gegen die Bundeswehr eingestellt waren, gegen den "Ehrenschutzparagraphen" aus; das Interesse erstarb schnell, als sich diese Vorlage nicht durchsetzen konnte.

Ähnliche Aussagen

Außer Tucholsky gab es noch andere bekannte Persönlichkeiten die sich zum Thema äußerten.

Der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann in einer Bundestagsrede 1958:

"Im Krieg waren die Kennzeichen des idealen Soldaten Stärke und Mut, Großmütigkeit gegenüber dem unterlegenen Feind und Mitleid gegenüber dem Wehrlosen. Nichts davon ist übriggeblieben. Moderne Waffen der Massenvernichtung lassen keinen Raum für irgendwelche sittlich begründeten Einschränkungen und degradieren den Soldaten zu einem technischen Mörder."

Pastor Martin Niemöller in seiner Kasseler Rede vom 25. Januar 1959 (wogegen Verteidigungsminister Strauss klagte, und verlor):

"Denn sie wissen, was sie tun!
Krieg ist gegen den Willen Gottes. Nun ja, das ist viel gesagt und gar nichts getan. Mord ist auch gegen den Willen Gottes. Aber damit, daß ich das feststelle und Morde nicht verhindere, habe ich eben noch gar nichts getan.
Und damit ist heute die Ausbildung zum Soldaten die Hohe Schule für Berufsverbrecher. Mütter und Väter sollen wissen, was sie tun, wenn sie ihren Sohn Soldat werden lassen. Sie lassen ihn zum Verbrecher ausbilden."

Einige Urteile zu anderen Aussagen

"Geh' zur Bundeswehr, lerne schlachten." -- unter der Abbildung eines auf ein Bajonett gespießten Babys (LG Karlsruhe, 6.10.1970: Freispruch)
"Offiziersgesindel und Offizierspack" -- AG München, 14.4.1978: Verurteilung
"Jeder Soldat ist ein berufsmäßig trainierter Mörder, jeder Ausbilder ein Anstifter zu Mordtaten, jeder Luftwaffenpilot ein professioneller Bombenwerfer, jede Armee ist eine Terrorbande" -- LG Limburg, 1981: Freispruch

Zitate

"Wie die GIs der US-Armee, die man als 'Babykiller' bezeichnen darf, sollten sie die innere Größe haben, eine Verunglimpfung mit einem Lächeln wegzustecken. Nonsens bleibt nonsens, und die Bundesrepublik ist ein freies Land." - Egge Weers in der Frankfurter neuen Presse vom 8.11.1995, zitiert nach "Soldaten sind Mörder", S. 218 (s. Literatur)

"Warum werden immer nur die Millionen Ausführenden Mörder genannt, die auch millionenfach sterben durften und dürfen, während die Kriegsplaner, Propagandisten und Befehlsgeber zu 'historischen Gestalten' aufsteigen?" - Heinrich Giegold in der Frankenpost vom 30.09.1994, zitiert nach "Soldaten sind Mörder", S. 181 (s. Literatur)

Literatur

  • Michael Hepp und Viktor Otto (Hrsg.): "Soldaten sind Mörder. Dokumentation einer Debatte". 1996, Berlin, Ch. Links Verlag ISBN 3-86153-115-1
  • Rainer Oestermann, Pausengespräche. Politische Bildung in Stichworten. Mittler Verlag 1999 ISBN 3813206793