Neuroleptikum
Als Neuroleptikum (etwa „Nervendämpfungsmittel“) allgemein und zum Teil heute noch Antipsychotikum wird ein Medikament bezeichnet, das als psychotrope Substanz eine antipsychotische, sedierende und psychomotorische Wirkung besitzt und vor allem zur Behandlung von Psychosen eingesetzt wird. Darüber hinaus werden Neuroleptika auch zur Neuroleptanalgesie, einer Sonderform der Narkose verwendet.
Der Einsatz von neuroleptischen Medikamenten ist heute üblicher Standard bei der Behandlung von akuten Psychosen. Wobei nicht jede akute Psychose mit Neuroleptika behandelt wird (siehe Antidepressiva). Eine dauerhafte Medikation, nach Möglichkeit in geringerer Dosierung als in der Akutphase, kann erneuten Phasen akuter psychotischer Störungen vorbeugen. Neuroleptika ersetzen nicht die zusätzlich als notwendig anzusehende, ergänzende soziotherapeutische oder psychotherapeutische Behandlung. Darüber hinaus werden Neuroleptika auch bei anderen psychischen Störungen angewendet.
Mit Einführung der Neuroleptika Anfang der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts sank der Anteil an im Krankenhaus behandelten Menschen mit Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis dramatisch. Dies sollte bei aller durchaus auch berechtigten Kritik an diesen Substanzen nicht vergessen werden.
Chemie
Trizyklische Neuroleptika (Phenothiazine und Thioxanthene)
Seit den 1940er Jahren finden die trizyklischen Neuroleptika therapeutische Anwendung. Sie besitzen ein trizyklisches Phenothiazin- (Phenothiazine: zum Beispiel Chlorpromazin, Fluphenazin, Levomepromazin, Perazin, Promazin, Thioridazin und Triflupromazin) oder Thioxanthenringsystem (Thioxanthene: zum Beispiel Chlorprothixen und Flupentixol). Das trizyklische Promethazin war zudem das erste therapeutisch genutzte Antihistaminikum. Strukturell ähneln trizyklische Neuroleptika weitgehend den trizyklischen Antidepressiva. Unterschiede in der pharmakologischen Wirkung zwischen beiden Substanzklassen werden mit einer voneinander abweichenden dreidimensionalen Konformation des trizyklischen Ringsystems in Verbindung gebracht.
Dibenzepine
Von den älteren trizyklischen Neuroleptika sind die neueren trizyklischen Dibenzepine (zum Beispiel Clozapin, Olanzapin, Quetiapin und Zotepin) abzugrenzen. Sie verfügen über ein Dibenzothiepin- (Zotepin), Dibenzodiazepin- (Clozapin), Thienobenzodiazepin- (Olanzapin) oder ein Dibenzothiazepin-Ringsystem (Quetiapin), welche eine von den klassischen trizyklischen Neuroleptika abweichende dreidimensionale Anordnung besitzen und somit für deren abweichende (atypische) pharmakologische Wirkung verantwortlich sind.
Butyrophenone und Diphenylbutylpiperidine

Die Butyrophenone (z.B. Haloperidol, Melperon, Bromperidol und Pipamperon) zeichnen sich chemisch durch einen 1-Phenyl-1-butanon-Baustein aus. Ausgehend vom Haloperidol wurden zahlreiche weitere Neuroleptika entwickelt, etwa das Spiperon mit klar erkennbarer Strukturverwandtschaft zu den Butyrophenonen. Therapeutische Anwendung finden auch die abgeleiteten Diphenylbutylpiperidine Fluspirilen und Pimozid).
Benzamide
Eine Sonderstellung nehmen die Benzamide (Wirkstoffe Sulpirid und Amisulprid) ein, die außer einem neuroleptischen noch einen gewissen stimmungsaufhellenden, aktivierenden Effekt haben.
Benzisoxazol-Derivate, andere Stoffe
Zwischen den "Atypika" Risperidon und Ziprasidon bestehen ebenfalls Strukturparallelen, sie können als entfernt mit Haloperidol verwandt betrachtet werden. Das neuere Aripiprazol weist einige Gemeinsamkeiten mit den älteren Substanzen auf. Während Risperidon besonders stark antipsychotisch wirkt, zeigt Ziprasidon noch einen Noradrenalin-spezifischen Effekt. Aripiprazol ist ein Partialagonist an Dopamin-Rezeptoren und in diesem Punkt von sämtlichen übrigen Neuroleptika verschieden.
Alkaloide
Das pentazyklische Rauwolfia-Alkaloid Reserpin hat in der Therapie der Schizophrenie nur noch historische Bedeutung.
Pharmakologie
Neuroleptische Potenz
Mit der Einführung der Neuroleptika hatte man festgestellt, dass je stärker ein Medikament antipsychotisch war, desto größer seine extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen waren. Man führte daher den Begriff der neuroleptischen Potenz ein, der ein Maß für diese Nebenwirkungen ist. Erst mit der Einführung des Clozapin im Jahre 1971 kamen Medikamente auf den Markt, bei dem dieser Zusammenhang nicht besteht und als atypische Neuroleptika bezeichnet werden. Die neuroleptische Potenz wird im sog. Chlorpromazin-Index (CPZi) angegeben.
- Zum Beispiel: Chlorpromazin als Standardwirkstoff hat einen CPZi = 1, Haloperidol CPZi = 50, Perphenazin CPZi = 10; dies heißt, das 1 mg Haloperidol eine neuroleptische Potenz vergleichbar mit 50 mg Chlorpromazin und Perphenazin 1 mg mit 10 mg Chlopromazin besitzen.
Je nach der Potenz werden klassische Neuroleptika in drei Klassen unterteilt:
- niederpotente Neuroleptika (CPZi ≤ 1,0)
- Beispiele: Promethazin, Levomepromazin, Thioridazin, Promazin
- mittelpotente Neuroleptika (CPZi = 1,0-10,0)
- Beispiele: Chlorpromazin, Perazin, Zuclopenthixol
- hochpotente Neuroleptika (CPZi > 10,0)
- Beispiele: Perphenazin, Fluphenazin, Haloperidol, Benperidol
Die Zahlenangabe der Potenz eines Neuroleptikums sagt wenig über den Effekt der Substanz im Einzelfall (beim konkreten Patienten) aus, da individuell das Ansprechen auf eine Dosis sehr verschieden sein kann.
Neuroleptikum (Arzneistoff) |
Stoffklasse | CPZ- Äquivalent |
mittlere (-max.) Dosis je Tag in mg |
---|---|---|---|
Hochpotente N.: | |||
Benperidol | Butyrophenon | 75 | 1,5–20 (–40) |
Haloperidol | Butyrophenon | 50 | 1,5–20 (–100) |
Bromperidol | Butyrophenon | 50 | 5–20 (–50) |
Flupentixol | Thioxanthen | 50 | 3–20 (–60) |
Fluspirilen | DPBP | 50 | 1,5–10 mg/Wo. (max.) |
Olanzapin | Thienobenzodiazepin | 50 | 5–20 (max.) |
Pimozid | DPBP | 50 | 1–4 (–16) |
Risperidon | Benzisoxazolderivat | 50 | 2–8 (–16) |
Fluphenazin | Phenothiazin | 40 | 2,5–20 (–40) |
Trifluoperazin | Phenothiazin | 25 | 1–6 (–20) |
Perphenazin | Phenothiazin | 15 | 4–24 (–48) |
Zuclopentixol | Thioxanthen | 5 | 20–40 (–80) |
Clopentixol | Thioxanthen | 2,5 | 25–150 (–300) |
Mittelpotente N.: | |||
Chlorpromazin | Phenothiazin | 1 | 25–400 (–800) |
Clozapin | Dibenzodiazepin | 1 | 12,5–450 (–900) |
Melperon | Butyrophenon | 1 | 25–300 (–600) |
Perazin | Phenothiazin | 1 | 75–600 (–800) |
Quetiapin | Dibenzothiazepin | 1 | 150–750 (max.) |
Thioridazin | Phenothiazin | 1 | 25–300 (–600) |
Niedrigpotente N.: | |||
Pipamperon | Butyrophenon | 0,8 | 40–360 (max.) |
Triflupromazin | Phenothiazin | 0,8 | 10–150 (–600) |
Chlorprothixen | Thioxanthen | 0,8 | 100–420 (–800) |
Prothipendyl | Azaphenothiazin | 0,7 | 40–320 (max.) |
Levomepromazin | Phenothiazin | 0,5 | 25–300 (–600) |
Promazin | Phenothiazin | 0,5 | 25–150 (–1.000) |
Promethazin | Phenothiazin | 0,5 | 50–300 (–1.200) |
Amisulprid | Benzamid | 0,2 | 50–1.200 (max.) |
Sulpirid | Benzamid | 0,2 | 200–1.600 (–3.200) |
(Modifiziert nach Möller 2001, S. 243)
Wirkmechanismus
Als gesichert gilt heute, dass der Wirkungsmechanismus von Neuroleptika auf einem Eingreifen in die synaptische Erregungsübertragung innerhalb des Gehirns beruht, wobei alle derzeitigen Neuroleptika die Übertragung des Neurotransmitters Dopamin hemmen. Zusätzlich können Neuroleptika mit Rezeptoren für Serotonin, Acetylcholin, Histamin und Noradrenalin interagieren.
Neuroleptika wirken symptomatisch, das heißt, sie können psychische Krankheiten nicht im eigentlichen Sinne heilen, aber Symptome wie Halluzinationen oder Wahn können damit zumeist beseitigt werden. Dies ermöglicht dem Patienten (meist Schizophrenen) eine Distanzierung von der Erkrankung - er kann also seinen Zustand selbst als krankhaft erkennen.
Neuroleptika beeinflussen per se nicht das Bewusstsein und die intellektuellen Fähigkeiten, können jedoch mitunter stark sedieren. Insbesondere Atyptische Neuroleptika führen häufig sogar zu einer besseren Konzentrationsfähigkeit und Sprachfähigkeiten.
Teilweise haben Neuroleptika neben der antipsychotischen auch eine sedierende (beruhigende) Wirkung. Zumindest für die herkömmlichen Neuroleptika gilt dabei: je geringer die neuroleptische Potenz, desto stärker ist die Sedierung.
Typische Neuroleptika
Herkömmliche (typische) Neuroleptika sind antipsychotisch wirksame Arzneistoffe mit einer weitgehend einseitigen Wirkung auf die sogenannte Positiv-Symptomatik der Schizophrenie (zum Beispiel Halluzinationen, Wahnvorstellungen). Pharmakologisch sind sie Antagonisten des Dopamins am D2-Rezeptor. Zu den typischen Neuroleptika gehören (geordnet nach abnehmender neuroleptischer Potenz, Handelsnamen in Klammern) u.a.:
- Haloperidol (Handelsname z.B. Haldol®)
- Flupentixol (z.B. Fluanxol®)
- Fluspirilen (z.B. Imap®, Fluspi®)
- Sulpirid (z.B. Dogmatil®)
- Levomepromazin (z.B. Neurocil®)
- Chlorprothixen (z.B. Truxal®)
Atypische Neuroleptika
- Zu den Unklarheiten beim Begriff atypisches Neuroleptikum: siehe Unterartikel Atypisches Neuroleptikum.
Als "atypisch" werden Neuroleptika bezeichnet, die im Vergleich zu typischen Neuroleptika eine erhöhte antagonistische Wirksamkeit an Serotonin-5-HT2A-Rezeptoren besitzen. Damit verbunden ist eine verbesserte Wirksamkeit auf die sogenannte Negativ-Symptomatik der Schizophrenie (z.B. auf Gefühlsverflachung, sozialen Rückzug, Antriebsmangel).
Als atypische Neuroleptika gelten (Handelsnamen der Stoffe in Klammern):
- Clozapin (Handelsname z.B. Leponex®)
- Olanzapin (z.B. Zyprexa®)
- Quetiapin (z.B. Seroquel®)
- Risperidon (z.B. Risperdal®)
- Amisulprid (z.B. Solian®)
- Ziprasidon (z.B. Zeldox®)
- Aripiprazol (z.B. Abilify®)
Nebenwirkungen
Die hier genannten Nebenwirkungen treten nicht alle zwangsläufig und auch nicht in gleicher Weise bei allen Neuroleptika auf.
Bei den Nebenwirkungen sind solche vegetativer Art (hormonelle und sexuelle Störungen, Muskel- und Bewegungsstörungen, Schwangerschaftsschäden, Körpertemperaturstörungen etc.) und solche psychischer Art (sedierende Wirkungen, Depressionen, Antriebslosigkeit, emotionale Verarmung, Verwirrtheit, andere Wirkungen auf das Zentralnervensystem etc.) zu unterscheiden. Betroffene selbst beschreiben oft ein Gefühl, „eingemauert“ zu sein.
Eine Folge der hemmenden Wirkung der Neuroleptika auf den Überträgerstoff Dopamin ist die Störung der Steuerung von körperlichen Bewegungsabläufen, da Dopamin daran wesentlich beteiligt ist. Dabei wird unterschieden zwischen:
- Frühdyskinesien: Unwillkürliche Bewegungen bis hin zu krampfartigen Anspannungen von Muskeln und Muskelgruppen. Als quälend wird zum Beispiel das Zungenschlundphänomen mit Zungenkrämpfen und Schlundkrämpfen erlebt. Frühdyskinesien sind üblicherweise nach Absetzen eines Neuroleptikums bzw. Umstellung auf ein nebenwirkungsärmeres Präparat reversibel. Auch Biperiden - ein Anticholinergikum (Handelsname zum Beispiel Akineton) - kann die Frühdyskinesien aufheben.
- Spätdyskinesien, auch Tardive Dyskinesien genannt, sind Bewegungsstörungen im Gesichtsbereich (Zuckungen, Schmatz- und Kaubewegungen) oder Hyperkinesen (unwillkürliche Bewegungsabläufe) der Extremitäten. Diese treten nach längerer neuroleptischer Behandlung auf und scheinen eine Abhängigkeit von der insgesamt aufgenommenen Menge an Neuroleptika aufzuweisen. Spätdyskinesien werden zwar von den Betroffenen teilweise als weniger störend erlebt, fallen aber der Umwelt auf und sind dadurch oft bei der sozialen Reintegration störend. Spätdyskinesien sind häufig nicht reversibel und sprechen auch schlecht auf Biperiden an. Das Absetzen des Neuroleptikums verstärkt zumeist die Dyskinesie, ist aber die einzige Möglichkeit zur langdauernden Besserung. Dosisreduktion und Anticholinergika verschlechtern die Situation zumeist.
- Akathisie: Eine quälende Sitzunruhe, die die Patienten dazu bringt ständig umherzulaufen. Diese Nebenwirkung spricht auf Biperiden nur mäßig an. Sie tritt unter atypischen Neuroleptika seltener auf.
Die Dyskinesien treten bei unterschiedlichen Neuroleptika unterschiedlich häufig auf. Grundsätzlich ist bei herkömmlichen, hochpotenten (stark antipsychotisch wirkenden) Neuroleptika das Auftreten von Dyskinesien wahrscheinlicher. Neuere, so genannte atypische Neuroleptika, versuchen durch eine spezifische Rezeptorbindung die Gefahr einer Dyskinesie zu mindern. Dies gelingt teilweise und vor allem bei sparsamer Dosierung. Keine Dyskinesien verursacht Clozapin (Handelsnamen zum Beispiel Leponex, Elcrit). Clozapin kann allerdings gefährliche Blutbildstörungen verursachen, weshalb regelmäßige Kontrollen (Leukozyten und Thrombozyten) erforderlich sind.
Nebenwirkungen:
- Sedierung (Müdigkeit, Verlangsamung der Reaktionen)
- Psychische Erstarrung
- "Abschottung" gegenüber der Umwelt
- Bewegungsstörungen, Dystonien, Dyskinesien (s. o.), Parkinsonoid, Bewegungsstereotypen, Akathisie (Sitz-/ Bewegungsunruhe)
- Leber- oder Nierenfunktionsstörungen
- Herzrhythmusstörungen
- Einschränkungen von Sexualität und Libido
- Funktionsstörung der Bauchspeicheldrüse
- Fettleibigkeit
- Hormonstörungen, u.a. bei Frauen: Störungen der Regelblutung
- Schädigungen bei bestehender Schwangerschaft
- Neuroleptika werden mit der Muttermilch weitergegeben
- Störungen der Regulation der Körpertemperatur
- einige der modernen, atypischen Neuroleptika, wie zum Beispiel Risperidon (Handelsname Risperdal) und Olanzapin (Handelsname Zyprexa) scheinen neueren Untersuchungen zufolge bei alten Patienten die Schlaganfallgefahr zu erhöhen.
- Hyperprolaktinämie
- Rhabdomyolyse
Seltene, aber unter Umständen lebensgefährliche Nebenwirkungen sind:
- das Maligne Neuroleptische Syndrom mit Fieber, Muskelsteifigkeit und Bewegungsstarre, Bewusstseinsstörungen, starkem Schwitzen und beschleunigter Atmung.
- Störungen der Bildung weißer Blutkörperchen (Agranulozytose).
Bestimmte Neuroleptika dürfen unter anderem nicht eingenommen werden bei einigen Blutbildveränderungen (z.B. Clozapin), Hirnerkrankungen, akuten Vergiftungen, bestimmten Herzerkrankungen sowie bei schweren Leber- und Nierenschäden.
Die Einnahme von Neuroleptika zusammen mit Alkohol oder Beruhigungsmitteln kann zu einer gefährlichen Wirkungsverstärkung führen. Tee, Kaffee und andere koffeinhaltige Getränke können die Wirkung von Neuroleptika verringern.
Durch Neuroleptika kann es zu einer Beeinträchtigung des Reaktionsvermögens kommen. Die Fahrtüchtigkeit kann eingeschränkt sein, und es kann zu einer Gefährdung am Arbeitsplatz (zum Beispiel beim Bedienen von Maschinen) kommen.
Auf keinen Fall sollten Neuroleptika leichtfertig oder bei Menschen mit AD(H)S-Symptomen gegeben werden.
Kritische Aspekte der Neuroleptika-Anwendung
Wie in vielen anderen medizinischen Bereichen auch, gibt es gegenüber einer Neuroleptikaverschreibung sehr kritische Stimmen wie die des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener e.V. und auch der Anti-Psychiatrie-Bewegung. Auch unter den Anhängern evidenzbasierter Medizin gibt es eine Reihe von Kritikpunkten. Einige Aspekte sollen hier nur kurz dargestellt werden.
- Die Indikation für eine langdauernde Neuroleptika-Therapie sollte auf Grund der möglichen schwerwiegenden, teilweise irreversiblen Nebenwirkungen nach Ansicht der Kritiker sehr viel strenger gestellt werden: Chronische Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, Dyspepsie, Schlafstörungen und chronischer Schwindel gehören ihrer Meinung nach nicht dazu.
- Einseitige Information: Informationen über Neuroleptika, vor allem zu deren Nebenwirkungen, werden von Betroffenen häufig als lückenhaft und unverständlich empfunden. Diese Verunsicherung vermindert die Akzeptanz der Einnahme.
- Heimliches Absetzen: Einige Betroffene neigen dazu, heimlich die Medikamente abzusetzen. Gründe dafür sind die Leugnung der psychotischen Störung, die Ablehnung der Behandlung, die momentane Symptomfreiheit (und daraus resultierende fehlende Einsicht) oder Nebenwirkungen.
- Depot-Neuroleptika werden wöchentlich, 14-täglich oder 4-wöchentlich intramuskulär gespritzt. Damit wird die ständige Überwachung der regelmäßigen Einnahme erspart. Diese Verabreichungsform verringert für die Patienten die Nebenwirkungsraten.
- Vernachlässigte Grundlagenforschung: Das Wissen zu Neuroleptika ist noch unzureichend und die Forschung wird nahezu ausschließlich durch Hersteller finanziert. Mangels besserer Behandlungsformen und aufgrund des hohen Handlungsdrucks bei Behandelnden und Angehörigen fehlt in der Praxis gelegentlich der Wille, kritische Fragen zu stellen. Eine unabhängige Grundlagenforschung wäre wünschenswert.
- Frage der möglichen Abhängigkeit: Nach Meinung der meisten Mediziner führen Neuroleptika zu keiner Gewöhnung und Abhängigkeit. Diese Tatsache wird u.a. dadurch bekräftigt, dass es für diese Substanzen keinen Schwarzmarkt gibt. Noch bis 1999 galten in der Schweiz Probleme beim Absetzen als klares Zeichen einer vorhandenen schizophrenen Grunderkrankung. Dem widersprechen Berichte von unzufriedenen Patienten, die vor allem Probleme beim Reduzieren und Absetzen der neuen atypischen Neuroleptika beklagen. Bekannt ist, dass bei einer Umstellung auf ein anderes Neuroleptikum sich der Gesundheitszustand derart verschlechtern kann, dass selbst bei einer Rückkehr auf das ursprüngliche Präparat die Störung nicht mehr oder nur mit einer anhaltend erhöhten Dosis kontrollierbar ist. Weshalb das so ist, ist ungeklärt.
- Probleme beim Absetzen und Reduzieren von Neuroleptika sind bislang wenig erforscht, allerdings gibt es viele Berichte von Betroffenen. Auf keinen Fall sollten Neuroleptika ohne ärztlichen Rat abgesetzt werden. Die Risiken und Probleme beim Absetzen können durch ganz langsame Reduktion unter engmaschigem Kontakt zum behandelnden Arzt vermindert werden.
Missbrauch von Neuroleptika
Neuroleptika hinterlassen bei Gesunden meist unangenehme Wirkungen: Menschen werden passiv, oft müde, teilnahmslos oder dysphorisch. Beispielsweise wurden in der UdSSR Regimekritiker mit Schizophreniediagnose und Neuroleptika ruhiggestellt, wenn die Sachlage nicht für einen Prozess reichte.
Siehe auch
Chlorpromazin, Henri Marie Laborit, Neuroethik
Literatur
- Hans Bangen, Geschichte der medikamentösen Therapie der Schizophrenie, Berlin 1992. ISBN 3-927408-82-4
- Axel Elsaesser, Wirkungen von Psychopharmaka auf das Sexualverhalten des Menschen, Diss. München 1974
- Cornelia Krause-Girth, Schein-Lösungen, Bonn 1989
- Peter Lehmann, Psychopharmaka absetzen, ISBN 3-925931-12-0 (Stellungnahme gegen den Einsatz von Neuroleptika - z.T. heftig umstritten)
- Möller u.a., Psychopharmakotherapie, ISBN 3-17-014297-6
- Möller; Müller; Bandelow: Neuroleptika, Pharmakologische Grundlagen, klinisches Wissen und therapeutisches Vorgehen. Wiss. Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 2001. ISBN 3-8047-1773-X
- O. Benkert; H. Hippius: Psychiatrische Pharmakotherapie, Springer, ISBN 3-540-58149-9
Weblinks
- psychosoziale-gesundheit.net: Neuroleptika
- infomed.org - Detaillierte, unabhängige Übersicht der Wertigkeit von sogenannten atypischen Neuroleptika
- psychiatrie-aktuell.de: Neuroleptika
- medizinfo.de: Neuroleptika
- ePsy.de/schizophrenie - enthält eine aktuelle Buchliste
- Peter Lehmann: Zu Schäden und Nebenwirkungen durch Neuroleptika
- Peter Lehmann: "Atypische" Neuroleptika: Unwahrheiten für schlichte Gemüter
- Klaus Windgassen, Olaf Bick: Fortschritte in der neuroleptischen Schizophreniebehandlung: Neuroleptika der zweiten Generation
- Psychose, Medikamente - Fragen und Antworten zu Neuroleptika