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Fahnenflucht

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Fahnenflucht oder Desertion bezeichnet das Fernbleiben eines Soldaten von militärischen Verpflichtungen in Kriegs- oder Friedenszeiten. Der fahnenflüchtige Soldat wird im allgemeinen als Deserteur (frz. déserteur, abgeleitet von lat. deserere = verlassen) bezeichnet.

Situation in Deutschland

Fahnenflucht ist in Deutschland nach § 16 Wehrstrafgesetz (WStG) strafbar. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft, wer eigenmächtig seine Truppe oder Dienststelle verlässt oder ihr fernbleibt, um sich der Verpflichtung zum Wehrdienst dauernd oder für die Zeit eines bewaffneten Einsatzes zu entziehen oder die Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zu erreichen. Bereits der Versuch der Fahnenflucht ist strafbar. Stellt sich der Fahnenflüchtige binnen eines Monats und ist er bereit Wehrdienst zu leisten, so wird die Höchststrafe auf drei Jahre Freiheitsentziehung herabgesetzt.

Offizielle Zahlen zur Häufigkeit der Fahnenflucht in Deutschland liegen nicht vor, vgl.: Bundestagsdrucksache 14/5857 vom 3. April 2001. Schätzungen gehen von ca. 50 Fahnenfluchten im Jahr aus.

Nach wie vor umstritten sind Fahnenfluchten aus sogenannten Unrechtsarmeen oder aus Truppenteilen, denen verbrecherische Tatbestände unterstellt werden. So wurden einige Urteile von NS-Richtern gegenüber Deserteuren im Nachhinein aufgehoben. Ursache des seinerzeit vehement geführten parlamentarischen Streits war ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 11. September 1991, welches der Witwe eines 1945 erschossenen Wehrpflichtigen Entschädigung nach dem Bundesversorgungsgesetz zugesprochen hatte. Die zuständigen Richter verlangten außerdem vom Gesetzgeber eine klare rechtliche Regelung der Entschädigungsfrage.

Im Mai 1999 beschloss darauf hin der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Rehabilitierung der Deserteure und eine symbolische Entschädigung der Überlebenden und ihrer Angehörigen. Die Rehabilitierung nach dem "Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen" ist jedoch - im Unterschied zu anderen Opfergruppen - abhängig von einer Einzelfallprüfung. Ein verurteilter Deserteur muss daher einen Antrag bei der zuständigen Staatsanwaltschaft stellen, um rehabilitiert zu werden.

Denkmale für Deserteure

Gedenkplatte für das entwendete Deserteursdenkmal in Braunschweig

Ebenso umstritten ist das bereits 1989 für die damalige Bundeshauptstadt Bonn geplante, nun aber auf dem Platz der Einheit in Potsdam aufgestellte Denkmal für den unbekannten Deserteur von dem türkischen Bildhauer Mehmet Aksoy. Nur anfänglich sorgte auch eine Gedenktafel für Deserteure, im September 1990 angebracht am Amtshaus der Stadt Göttingen (siehe Göttinger Online-Chronik), für Konflikte. Sie trägt den Satz des Schriftstellers Alfred Anderschnicht aus Furcht vor dem Tod sondern aus dem Willen zu leben.“

Am 1. September 1994 wurde in Braunschweig ein Deserteursdenkmal aufgestellt. Nachdem es binnen kurzem zwei Mal beschädigt worden war, wurde es in der Neujahrsnacht 1995 gestohlen. An seiner Stelle befindet sich seither eine Gedenkplatte. Seit 1998 gibt es auch in der Stadt Bernau bei Berlin ein Deserteurdenkmal, das an die mutige pazifistische Haltung von Deserteuren erinnert. In Marburg ist ein entsprechendes Denkmal seit vielen Jahren in das Stadtbild integriert. Nachdem die Schließung der nach dem Ende des kalten Krieges überflüssigen Kasernen lange genug zurückliegt, ist die zuvor lebhafte Kontroverse darüber eingeschlafen. In Erfurt wurde 1995 nach heftigen öffentlichen Debatten ein DenkMal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur auf dem Petersberg errichtet. Es stammt vom Erfurter Künstler Thomas Nicolai und besteht aus 8 Eisenstelen. In der Mitte befindet sich eine Tafel mit einem Zitat aus dem Werk „Träume“ von Günter EichSeid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt“. Auf dem Erfurter Petersberg befand sich seit 1939 das Kriegsgericht der deutschen Wehrmacht, es wurden rund 50 Deserteure zum Tode verurteilt und teilweise vor Ort erschossen

Ein bekannter Zeitzeuge, der selber seine Desertion literarisch aufgearbeitet und immer offen diskutiert hat, ist der Schriftsteller Gerhard Zwerenz.

Im Zweiten Weltkrieg und besonders zum Ende des Krieges hin fielen den deutschen Feldgendarmen Zehntausende „Fahnenflüchtiger“ in die Hände und wurden entsprechend Hitlers Parole „Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben“ exekutiert.

Situation in Österreich

Das österreichische Militärstrafgesetz (MilStG) stellt Fahnenflucht in § 9 MilStG (Desertion) mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren unter Strafe, privilegiert aber Täter, die außerhalb eines militärischen Einsatzes (Landesverteidigung, Verfassungsschutz, Katastrophenhilfe, Auslandseinsatz) erstmalig desertieren und sich binnen sechs Wochen aus freien Stücken stellen, womit für diese Täter das wesentlich mildere Strafmaß des § 8 MilStG (Unerlaubte Abwesenheit), Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten (oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen) bei Abwesenheitsdauer unter acht Tagen bzw. Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bei Abwesenheitsdauer über acht Tagen, gilt.

Das Gesetz bedient sich im Übrigen ausschließlich des Begriffes "Desertion", nicht jedoch des Ausdruckes "Fahnenflucht".

Situation in der Schweiz

In der Schweiz wird Militärdienstverweigerung und Desertion nach Art. 81 des Militärstrafgesetzes mit Freiheitsstrafe bis zu 18 Monaten bestraft.

Situation in Großbritannien

Britische Militärs (Großbritannien hat zur Zeit eine reine Berufsarmee) müssen im Falle einer Verhaftung wegen Desertion weiterhin mit lebenslanger Haft rechnen. Das für die Gesetzgebung maßgebliche nationale Unterhaus lehnte mehrheitlich den Antrag einer großen Gruppe von Labour-Abgeordneten ab, die gesetzlich vorgesehene Bestrafung auf zwei Jahre zu begrenzen. Diese Parlamentarier werfen der Regierung vor, mit dieser drakonischen Haftandrohung Soldaten gegen ihren Willen zum Irak-Einsatz zu zwingen.

In Großbritannien lag die Gesamtzahl der „illegal abwesenden“ Soldaten im Jahr 2001 bei 100, 2002 bei 150, 2003 bei 205 und im Jahr 2005 bei 530. Dabei dürfte die deutliche Zunahme mit der Teilnahme Großbritanniens am Irak-Krieg zusammenhängen.

Situation in den Vereinigten Staaten

Das Militärstrafrecht der Vereinigten Staaten, der sich im United States Code befindliche Uniform Code of Military Justice, stellt in seinem Artikel 85 ("Desertion") Fahnenflucht unter Strafe. Das Strafmaß liegt zwischen einer Strafe nach Ermessen des Kriegsgerichtes ("...as a court-martial may direct.") bis zur Todesstrafe, die jedoch ausschließlich in Fällen von Fahnenflucht bei Kriegseinsätzen verhängt werden darf.

Über 8.000 junge US-Soldaten desertierten im Jahr 2005 aus Angst vor einem Einsatz im Irak. Das waren statistisch 0,24 Prozent der freiwillig dienenden US-Militärs, die sich häufig verpflichtet hatten, da sie sonst die hohen Universitätsgebühren nicht aufbringen konnten. Allein 1971 waren es während des Höhepunkts des Vietnam-Krieges und bei allgemeiner Wehrpflicht jedoch 33.000 Soldaten - immerhin 3,4 Prozent der US-amerikanischen Armee.

Während des Zweiten Weltkrieges wurden über 21.000 Angehörige der US-Armee wegen Fahnenflucht verurteilt, von denen jedoch nur über 49 das Todesurteil verhängt wurde. Tatsächlich wurde nur Eddie Slovik auch hingerichtet.

Weitere Länder-Beispiele

Auch viele andere Staaten gehen gegen Deserteure mit Haftstrafen vor. Einige Staaten sehen – besonders in Kriegszeiten – die Todesstrafe vor. Die Truppen der ehemaligen Sowjetunion in der DDR gingen gegen flüchtige Armeeangehörige häufig mit drakonischen Strafen vor. Gründe für die Fahnenflucht können auch die Behandlung von Armeeangehörigen sein: zur Tradition der sowjetisch/russischen Truppen gehört bis heute teilweise die menschunwürdige Behandlung der neu eingezogenen Rekruten (Dedowschtschina).

Das Deserteur-Thema in Film, Literatur, Musik und Theater

Die weltweit bekannteste Bearbeitung ist wahrscheinlich das Chanson Le déserteur von Boris Vian. Darin schreibt ein junger Mann an Monsieur le président, den Staatschef, dass er aus Gewissensgründen nicht (weiter) am Krieg teilnehmen werde. Übersetzt ins Englische, ins Deutsche und zahlreiche weitere Sprachen ging es ebenso um die Welt wie Donovans Das Kelbl, nämlich in unzähligen Singrunden und -büchern. Serge Reggiani hatte damit einen großen französischen Charts-Erfolg.

Um die in ihrem Existenzrecht bedrohte Lage von Deserteuren drehen sich zahllose literarische Bearbeitungen.

Siehe auch

Literatur

  • Ulrich Bröckling (Hrsg.): "Armeen und ihre Deserteure: vernachlässigte Kapitel einer Militärgeschichte der Neuzeit". Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. 322 S. ISBN 3-525-01365-5
  • Maria Fritsche: "Entziehungen : österreichische Deserteure und Selbstverstümmler in der Deutschen Wehrmacht". Böhlau, Wien 2004. 284 S. ISBN 3-205-77181-8
  • Geschichtswerkstatt Marburg e.V. (Hrsg.): "Ich musste selber etwas tun : Deserteure - Täter und Verfolgte im Zweiten Weltkrieg". Aufsatzsammlung Schüren, Marburg 2000. 237 S. ISBN 3-89472-257-6
  • Günter Saathoff ; Michael Eberlein ; Roland Müller (Hrsg.): "Dem Tode entronnen : Zeitzeugeninterviews mit Überlebenden der NS-Militärjustiz ; das Schicksal der Kriegsdienstverweigerer und Deserteure unter dem Nationalsozialismus und ihre unwürdige Behandlung im Nachkriegsdeutschland". - 1. Aufl. Heinrich-Böll-Stiftung, Köln 1993. 160 S. ISBN 3-927760-19-6
  • Christoph Jahr: "Gewöhnliche Soldaten : Desertion und Deserteure im deutschen und britischen Heer 1914 - 1918". Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. 419 S. Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Dissertation 1996 ISBN 3-525-35786-9
  • Ludwig Rosenthal: "Deserteure : ein ernstes Spiel um Worte in fünf Aufzügen". (Theatertext) ASKI, Hannover 2002. 132 S. on demand ISBN 3-933118-05-0