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Tagebücher des Hendrik Witbooi

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Hendrik Witbooi um 1892/94

Die Journale des Hendrik Witbooi[1] sind eine Sammlung von Journalen, die Hendrik Witbooi, ein traditioneller Führer der Witbooi in Namibia geschrieben hat und die im Nationalarchiv von Namibia in Windhoek aufbewahrt werden. Die Journale wurden 2005 von der UNESCO in das Weltdokumentenerbe aufgenommen.[2]

Hintergrund

Datei:Billet namibien.jpg
Hendrik Witbooi auf der 10-N$-Note der ersten Serie

Hendrik Witbooi (ca.1835-1905) wurde 1888 zum Kaptein der in Namibia lebenden und zu den Orlam zählenden Gruppe der Witbooi ernannt und entwickelte sich zu einer der Schlüsselfiguren in der namibischen Geschichte.

Neben Auseinandersetzungen mit anderen afrikanischen Stämmen widersetzte er sich den Bemühungen der deutschen Kolonialbehörden, die Einheimischen durch Abschluss von „Schutzverträgen“ in die Abhängigkeit zu treiben und versuchte, eine gemeinsame Front dagegen zu bilden. Nach einer Niederlage gegen die Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika wurde er jedoch 1894 gezwungen, selber einen solchen Schutzvertrag abzuschließen. Seinen vertraglichen Verpflichtungen entsprechend beteiligte er sich 1904 zunächst an der Niederschlagung des Aufstands der Herero. Wegen des unmenschlichen Vorgehens des Generalleutnants von Trotha kündigte Witbooi jedoch den Schutzvertrag und rief zum allgemeinen Aufstand auf. Bei seinem Kampf gegen die deutschen Truppen erhielt er 1905 eine Schutzverletzung, an der er schließlich starb.

Nachdem Namibia 1990 seine Unabhängigkeit erlangte, wurde Hendrik Witbooi zum Nationalhelden ausgerufen. Bei den Banknoten des Namibia-Dollars der ersten Serie (1993–2012) war er auf allen Scheinen abgebildet, bei der zweiten Serie (seit 2012) ist er auf den 50-, 100- und 200-Dollar-Noten abgebildet.

Die Journale

Scan aus Journal 1, 1891
Scan aus Journal 2, 1894

Hendrik Witbooi hat Tagebuch geführt. Neben normalen Tagebucheinträgen enthalten seine Journale aber auch Abschriften von Briefen, Verträgen und Sitzungsprotokollen. Die Einträge in kapholländischer Sprache wurden von Sekretären Witboois niedergeschrieben, weil Witbooi selber durch den Verlust eines Daumens in einem Gefecht schlecht schreiben konnte.[3]

Ein erstes Journal reicht von 1884 bis zum Gefecht von Hornkranz, bei dem Witbooi fliehen musste. Dabei geriet das Journal in die Hände der Deutschen und wurde nach Windhoek gebracht, wo es bis 1925 in einer Kiste lagerte. Seit 1948 befindet es sich im Nationalarchiv. Zwei weitere Journale umfassen die Zeit von 1893 bis 1901. Diese wurden von einem deutschen Kaufmann gefunden und 1934 an das Übersee-Museum in Bremen verkauft, wo sie restauriert wurden. 1996 wurden sie dem Nationalarchiv von Namibia übergeben. Ein viertes (und möglicherweise letztes) Journal soll 1904 in die Hände der deutschen Schutztruppe gelangt sein. Von seinem Verbleib ist nichts bekannt, lediglich einige in Privatbesitz befindliche Seiten scheinen daraus zu stammen.[4]

Die Journale sind Buchhaltungsbücher aus hellgraublauem Papier mit blauen Zeilen und roten Spalten. Journal 1 ist ein in Leder gebundener Band mit 366 durchnummerierten Seiten der Blattgröße 32,5 x 21 cm. Davon sind nur etwa die Hälfte beschriftet, und zwar die Seiten 12-23, 101-103, 110-120 und 128-291. Journal 2 mit 84 Blättern und Journal 3 mit 103 Blättern haben beide eine Blattgröße von 33 x 21 cm. Sie hatten ursprünglich ein Softcover, erhielten bei ihrer Restaurierung aber eine Halbleinenbindung. Diese Journale waren ursprünglich als Buchhaltungsbücher genutzt worden. Die Journaleinträge erfolgten dann an den freien Stellen, wo keine Konten angegeben waren.[4]

Der von den Journalen umfasste Zeitraum von 1884 bis 1904 ist von besonderer Bedeutung für die Geschichte Namibias: Er reicht von den Anfängen der Kolonialisierung bis zur vollständige Kontrolle durch die Kolonialmacht. Daher wurde die historische Bedeutung des ersten Journals Witboois bald nach dessen Bekanntwerden erkannt. 1929 wurde es erstmals in der Originalsprache veröffentlicht. Eine in den 1930er Jahren angefertigte deutsche Übersetzung bildete die Grundlage für eine Veröffentlichung auf Deutsch (Berlin 1982) und Englisch (Boston 1984).[5]

1989 veröffentlichte das Nationalarchiv von Namibia die erste authentische Übersetzung des ersten Journals Witboois ins Englische. 1995 erschien eine erweiterte und revidierte Auflage, in der auch Teile des zweiten und dritten Journals enthalten waren. Die in Namibia lebende Historikerin Brigitte Lau, 1991-1996 Leiterin des Nationalarchivs von Namibia, stellte dabei die Bedeutung der Journale heraus:[3]

„Kaum ein afrikanischer Stammesführer hat im 19. Jahrhundert seine Erlebnisse, Ansichten, Treffen und Abmachungen schriftlich festgehalten oder gar von seiner Korrespondenz Abschriften anfertigen lassen. Der wirtschaftliche und politische Werdegang Hendrik Witboois und sein Kampf gegen die kaiserliche Kolonialmacht im damaligen Deutsch-Südwestafrika können anhand seiner Schriften nachvollzogen werden.“

Weltdokumentenerbe

2004 nominierte das Nationalarchiv von Namibia die drei in seinem Besitz befindlichen Journale Witboois bei der UNESCO für die Aufnahme in das Weltdokumentenerbe im Rahmen des UNESCO-Programms Memory of the World .[6] Die Aufnahme erfolgte 2005. Zur Würdigung der herausragenden Bedeutung der Journale wurde angeführt:[2]

„Witbooi's Einsichten in die Natur des Kolonialismus und den grundlegenden Unterschied zwischen dem Konflikt mit afrikanischen Konkurrenten und mit europäischen Invasoren, seine Versuche, afrikanische Rechtskonzepte zu formulieren, und die visionäre und poetische Kraft einiger seiner Texte sind die Merkmale, die seine Briefe auszeichnen und sie über den Großteil der zeitgenössischen und früheren afrikanischen Texte des gleichen Genres hinausheben. Die Texte enthalten die wahrscheinlich erste schriftliche Formulierung des Konzepts des Panafrikanismus.“

Die Tagebücher sind bislang (Stand 2019) das einzige Weltdokumentenerbe Namibias.

Literatur

  • Hendrik Witbooi: The Hendrik Witbooi Papers. Second, revised edition Auflage. National Archives of Namibia, Windhoek 1995, ISBN 99916-44-06-7 (englisch, annotiert von Brigitte Lau, übersetzt von Annemarie Heywood und Eben Maasdorp).
  • The Hendrik Witbooi Papers. Nomination Form for the Memory of the World Register. National Archives of Namibia, Windhoek 11. Juni 2004 (englisch, unesco.org [PDF; 1,6 MB]).
Commons: Hendrik Witbooi Journals – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Offizielle Bezeichnungen: englisch Letter Journals of Hendrik Witbooi, französisch Les journaux épistolaires d'Hendrik Witbooi
  2. a b Letter Journals of Hendrik Witbooi. In: unesco.org. UNESCO, abgerufen am 16. Februar 2019.
  3. a b Welterbe: die Schriften von Nama-Kaptein Hendrik Witbooi. In: gondwana-collection.com. Gondwana Collection Namibia, 23. Juni 2017, abgerufen am 16. Februar 2019.
  4. a b The Hendrik Witbooi Papers Windhoek 2004, S. 3
  5. The Hendrik Witbooi Papers Windhoek 2004, S. 4
  6. The Hendrik Witbooi Papers Windhoek 2004, S. 1-8
  7. mit etwas verwirrender Nummerierung: Diary Vol. 1 ist Journal 1, Volume 1 und Volume 2 unter A 650 sind die Journale 2 und 3, Volume C-H Einzelschriften, Volume 4 Fragmete des Journals 4