Vierte Welt
Der Begriff Vierte Welt kennzeichnet die Menschen, die unter Armut und sozialer Ausgrenzung leiden, als Träger eines Gesellschaftsprojekts, das Menschen unterschiedlicher Herkunft und Zugehörigkeit verbinden kann. Er wurde 1969 in Frankreich von Joseph Wresinski geprägt und verknüpft die Begriffe Dritte Welt und Vierter Stand.
Im Laufe der Jahre hat sich sein Bedeutungsschwerpunkt verlagert.In den siebziger Jahren diente er dazu, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die anhaltende Armut in den industrialisierten Ländern zu lenken und eine benachteiligte Bevölkerung in ihrer historischen und soziologischen Realität zu benennen. In dem Manifest „un peuple parle“ (1968) meldete sich diese Bevölkerung erstmals öffentlich zu Wort.
Mit dem Namen Vierte Welt verbanden die Armutsbetroffenen schon bald ein neues Selbstbewusstsein und die Bewegung, in der sie sich ausdrückten, nahm ihn in ihren Namen auf: Aus „Aide à tout détresse“ (Hilfe in aller Not) wurde ATD Vierte Welt.
Seit den achtziger Jahren wurde der Name auf die Menschen bezogen, die in den reichen wie den armen Ländern aufgrund ihrer allzu grossen Armut von der Gesellschaft ausgeschlossen sind und sich dagegen wehren. Allmählich weitete sich seine Reichweite aus auf alle, die sich im Rahmen der internationalen Bewegung ATD Vierte Welt für eine Welt ohne Elend und Ausgrenzung einsetzen. Als soziologische Kategorie wurde er so allerdings unbrauchbar.
In einer anderen Tradition, die sich im englischen Sprachraum entwickelt hat, ist Vierte Welt eine klassifizierende Zusammenfassung bestimmter Entwicklungsländer nach wirtschaftlichen Aspekten in Abgrenzung zur Dritten Welt. Dabei gab es verschiedene Arten der Klassifikation:
- Länder, die wesentlich stärker vom Erdölverkauf abhängen als andere Entwicklungsländer, wurden so bezeichnet.
- Eine andere Bedeutung sind Länder, die gerade keine exportierbaren Rohstoffe besitzen, und daher noch ärmer sind als die Dritte Welt.
Dieser Begriff einer "Vierten Welt" ist insofern fragwürdig, Die Vierte Welt ist eine klassifizierende Zusammenfassung bestimmter Entwicklungsländer nach wirtschaftlichen Aspekten in Abgrenzung zur Dritten Welt.
Der Begriff wurde allerdings in mehreren voneinander abweichenden Bedeutungen gebraucht:
- Anfänglich wurden marginalisierte Bereiche der sogenannten Ersten Welt, z.B. indigene Völker in Nordamerika, als Vierte Welt bezeichnet.
- Auch Länder, die wesentlich stärker vom Erdölverkauf abhängen als andere Entwicklungsländer, wurden so bezeichnet.
- Wieder eine andere Bedeutung sind Länder, die gerade keine exportierbaren Rohstoffe besitzen, und daher noch ärmer sind als die Dritte Welt.
Dieser Begriff einer "Vierten Welt" ist schon insofern fragwürdig, als er nicht nur eine "Dritte Welt", sondern auch eine "Erste Welt" und eine "Zweite Welt" voraussetzt. Unter der Zweiten Welt verstand man traditioneller Weise den sog. Ostblock, der spätestens seit 1990 nicht mehr existiert. Der Begriff "Dritte Welt" erscheint schon daher heute überaus undifferenziert, der Begriff "Vierte Welt" sogar in noch größerem Maße. Daher werden beide Begriffe inzwischen weniger häufig benutzt.
Bei Johan Galtung wird der Begriff "Vierte Welt" neu definiert. Er rechnet sie gemeinsam mit der "Ersten Welt" zu den MDC (more developed countries) und zählt dazu den ostasiatischen Markt der buddhistisch-konfuzianistischen Länder Japan, China (zusammen mit Hongkong und Taiwan), Korea und Vietnam.
Literatur
- Blunschi Ackermann, Marie-Rose: Joseph Wresinski. Wortführer der Ärmsten im theologischen Diskurs. Academic Press Fribourg, Freiburg 2005, ISBN 3-7278-1535-3, S. 42-45.
- Cassiers, Léon et al.: Histoire: De la honte à la fierté. Histoire du passage de la honte de la misère à la fierté d'appartenir à un peuple. In: Groupe de recherche Quart Monde - Université (Hrsg.): Le croisement des savoirs. Quand le Quart Monde et l'université pensent ensemble. Les Editions de l'Atelier/Editions Ouvrières, Les Editions Quart Monde, Paris 1999, ISBN 2-7082-3420-X, S. 43-140.
- Join-Lambert, Louis: Quart Monde. In: Encyclopédia Universalis, Universalia 1988 (1989), S. 341-344.