Marquis de Sade

Donatien Alphonse François, Marquis de Sade [2. Juni 1740 in Paris; † 2. Dezember 1814 in Charenton bei Paris) war ein französischer Adeliger und Autor einer Reihe teils pornografischer, teils philosophischer Bücher. Er wurde bekannt aufgrund der von ihm beschriebenen Sexualphantasien und der von ihm verursachten gesellschaftlichen Skandale. Von seinem Namen leitet sich der Begriff Sadismus ab.
] (*Leben
De Sade war Sohn aus einem alten, wenn auch nicht mehr reichen, südfranzösischen Adelsgeschlecht und über seine Mutter weitläufig mit den Bourbonen, d.h. der königlichen Familie, verwandt. Er wurde im Pariser Stadtpalast der Condés, einer Seitenlinie des Königshauses, geboren. Eigentlich hätte er auf den Namen Donatien Aldonse François (Aldonse als provencalische Namensform) getauft werden sollen, durch einen Registrierungsfehler in der Pariser Kirche Saint-Sulpice erhielt er jedoch seinen Namen Donatien Alphonse François. Seine frühe Kindheit verbrachte er in Paris, später wuchs er teils bei Verwandten in der Provence, teils wieder in Paris auf, wo er von seinem zehnten bis vierzehnten Lebensjahr das Collège Louis-le-Grand besuchte und anschließend eine Offiziersschule für junge Hochadelige durchlief. Mit 15 wurde er Offiziersanwärter. Mit 16 Jahren nahm er als Soldat am Siebenjährigen Krieg (1756–1763) teil und wurde mehrfach befördert.
Zur Aufbesserung seiner finanziellen Verhältnisse ging de Sade 1763 eine Konventionalehe mit Renée Pélagie de Montreuil ein, die aus einer weniger prestigereichen, aber sehr vermögenden Familie des hohen französischen Amtsadels stammte. Aus der Ehe gingen vermutlich drei Kinder hervor. 1764 erbte de Sade von seinem Vater das vor allem eine ehrenhafte Sinekure darstellende Amt des königlichen Generalleutnants der an die Schweiz grenzenden Provinzen Bresse, Bugey, Valromey und Gex.
Kurz nach seiner Heirat begann er, dank seines neuen Reichtums, ein skandalöses Leben zu führen, das den Rahmen auch dessen sprengte, was man damals bei adeligen Libertins hinzunehmen bereit war. Unter anderem missbrauchte er wiederholt junge Prostituierte und Hausangestellte beiderlei Geschlechts, später auch zusammen mit seiner Frau. Am 27. August 1767 wurde sein erster Sohn Louis-Marie geboren.
Im Zusammenhang mit den Vorwürfen einer gewissen Rose Keller, sie sei von ihm ausgepeitscht worden, wurde de Sade verhaftet. Die junge Frau nahm jedoch nach Zahlung einer Entschädigung von einer Klage Abstand.
1772 beschwerten sich Prostituierte aus Marseille, von de Sade mit Bonbons (Kantharidenbonbons) unter Drogen gesetzt und so zu Gruppensex und Sodomie gefügig gemacht worden zu sein. De Sade wurde deshalb angeklagt und in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Der Vollstreckung der Strafe entzog er sich durch Flucht nach Italien. Hier verfasste er, nachdem er schon 1769 den Bericht einer Reise nach Holland veröffentlicht hatte, einen Bericht auch von seiner Italienreise (gedruckt 1775) und ein Buch über Rom, Florenz und Neapel (gedruckt 1776).
Da er bei seiner Flucht heimlich seine junge Schwägerin, Anne-Prospère, ein Stiftsfräulein (chanoinesse), mitgenommen und dadurch entehrt hatte, ließ die Familie ihn fallen. Seine Schwiegermutter erwirkte einen königlichen Haftbefehl (lettre de cachet) gegen ihn, so dass er bei seiner Rückkehr nach Paris 1777 verhaftet und in der als Gefängnis dienenden Festung Vincennes eingesperrt wurde. Das seit 1772 anhängige Todesurteil wurde dagegen 1778 aufgehoben.
Nach einem Fluchtversuch 1784 verlegte man ihn in die Pariser Stadtfestung Bastille, wo er weitere fünfeinhalb Jahre verbrachte. Intellektuell waren die Jahre in Vincennes und in der Bastille durchaus fruchtbar für de Sade, da er sich beliebig Bücher bringen lassen und lesen konnte. In der Haft begann er zu schreiben. Wegen der philosophischen und moralischen Anstößigkeit dessen, was er verfasste, schrieb er überwiegend heimlich und, um nicht durch übermäßigen Papierverbrauch aufzufallen, in winziger Schrift.
Einige Tage vor dem so genannten Sturm auf die Bastille im Revolutionsjahr 1789 schrie er der vor der Bastille demonstrierenden Menge zu: „Sie töten die Gefangenen hier drinnen!“ Möglicherweise war sein Schreien einer der Gründe, welche die Pariser Bevölkerung dazu bewegten, die Bastille einzunehmen, die eigentlich ein Gefängnis für vornehme Leute war (de Sade selbst etwa ließ sich außerhalb bekochen und möblierte seine Zelle nach Belieben).
De Sade wurde allerdings sofort nach dem Vorfall in die Irrenanstalt in Charenton verlegt, was seiner Frau die Möglichkeit gab, die Scheidung einzureichen.
1790 wurde er infolge der französischen Revolution entlassen. Trotz seiner aristokratischen Herkunft schloss er sich den radikalen Jakobinern an und vertrat eine utopische Variante des Sozialismus, verweigerte dabei allerdings die Aufgabe seines Familienschlosses Lacoste in der Provence und Herausgabe seines Familienvermögens. Zeitweilig übernahm er ein Richteramt, wurde Präsident der 'Section des Piques' in Paris und rettete sogar seine Schwiegereltern vor der Guillotine, indem er sie auf eine sogenannte "Läuterungsliste" setzte, um sie einer Verfolgung zu entziehen. Während der Terrorherrschaft 1793/94 geriet er ins politische Abseits, galt in seinem Richteramt als unzuverlässig und wurde unter dem Vorwand angeklagt, sich einstmals um den Dienst in der königlichen Garde (Grade connstitutionell) beworben zu haben. Er verbrachte mehr als ein Jahr im Gefängnis und wurde zum Tode verurteilt. Jedoch entkam er der Guillotine dank des Sturzes des Diktators Robespierre (28. Juli 1794); das neue Regime des Directoire ließ ihn nach drei Monaten frei. Wieder in Freiheit, musste de Sade die Reste seines durch die Revolution dezimierten Besitzes verkaufen und lebte mehr schlecht als recht von Gelegenheitsarbeiten, denn die diversen Werke, die er jetzt publizierte, brachten kaum etwas ein.
Nachdem 1801 Napoléon Bonaparte an die Macht gekommen war, wurde de Sade wieder ohne Gerichtsverhandlung eingesperrt, dieses Mal für die Veröffentlichung seiner Bücher Justine und Juliette. 1803 wurde er für verrückt erklärt und landete zum zweiten Mal in Charenton. In seinen letzten Jahren hier, wo man ihn schreiben ließ und auch sonst zivil behandelte, verfasste er die biografischen Romane La Marquise de Gange (1813 gedruckt) sowie – beide erst posthum publiziert – Adélaïde de Brunswick, princesse de Saxe (1812) und Histoire secrète d'Isabelle de Bavière (1813). Zudem führte er mehrere Theaterstücke auf, bei denen die geistesgestörten Insassen spielten. 1814 starb er in Charenton im Alter von 74 Jahren.
Obwohl es einige Kupferstiche gibt, die vorgeben de Sade zu zeigen, kann kein Bildnis nachgewiesen werden, das ihm zweifelsfrei zugeordnet werden kann. Die Familien Montreuil und de Sade versuchten nach seinem Tod (recht erfolgreich), den unliebsamen Verwandten vergessen zu lassen.
Literarisches Schaffen


De Sade, der die Schriftstellerei 1769 als Dilettant mit Reiseschilderungen begonnen hatte, intensivierte mit der Inhaftierung seine Tätigkeit als Autor. 1782 stellte er das Gespräch zwischen einem Priester und einem Sterbenden fertig, in dem ein sterbender Freigeist einen Priester von dem Unwert eines gottesfürchtigen Lebens überzeugen kann.
In seinem, von Iwan Bloch erst 1904 wiederentdeckten und 1909 veröffentlichten, unvollendeten Episodenroman Die 120 Tage von Sodom, den er ab 1785 zum Teil im Gefängnis schrieb, skizziert er eine hundertzwanzigtägige Gewaltorgie und eine breite Palette sexueller Spielarten, ausgeübt an einer Gruppe entführter und versklavter Jugendlicher beiderlei Geschlechts. Der Stoff wurde, in die Zeit des italienischen Faschismus versetzt, 1975 von Pier Paolo Pasolini verfilmt und 1997 in einem Internetspiel satirisch bearbeitet (Richterspiel).
1791 veröffentlichte er Les Infortunes de la vertu ("Das Missgeschick der Tugend"), eine frühe Version des ebenfalls 1791 erschienen Buches Justine. Darin schildert de Sade das Leben eines Mädchens, das trotz kontinuierlichen Unglücks unbeirrt an die Tugend glaubt, 1796 ergänzte er diesen Roman durch die Juliette, die Beschreibung des Lebens von Justines Schwester, die als Kurtisane, Kriminelle und "Nichttugendhafte" eben zum Glück findet. 1797 erscheinen beide Romane anonym, komplett neu verfasst, als zehnbändige Ausgabe mit 4000 Seiten und über einhundert Kupferstichen unter dem Titel Die neue Justine / Geschichte von Juliette.
Weitere Werke der Revolutionszeit waren Aline und Valcour (1795, darin der Entwurf eines utopischen Staats: Die Südseeinsel Tamoe), Die Philosophie im Boudoir (1795) mit dem politischen Pamphlet Franzosen, noch eine Anstrengung, wenn ihr Republikaner sein wollt , die Erzählungssammlung Verbrechen der Liebe (1800) und eine Reihe von Theaterstücken. In der Irrenanstalt von Charenton verfasste de Sade die biografischen Romane La Marquise de Gange (1813 gedruckt) sowie – beide erst postum publiziert – Adélaïde de Brunswick, princesse de Saxe (1812) und Histoire secrète d'Isabeau de Bavière (die geheime Geschichte Isabellas von Bayern, 1813).
Das wohl am weitesten verbreitete seiner Werke ist Les instituteurs immoraux ou La Philosophie dans le boudoir (=die unmoralischen Lehrer oder die Philosophie im Boudoir, 1795), das 1878 auch als erster Sade-Text ins Deutsche übersetzt wurde. Es schildert die etwa einen Nachmittag und Abend füllende sexuelle und intellektuelle Initiation eines adeligen jungen Mädchens durch eine adelige Frau und zwei adelige Männer plus einem gut bestückten Bauernburschen, wobei die vier Hauptfiguren in den nötigen Erholungspausen philosophische Gespräche führen, in denen sich als "unmoralischer Lehrer" der homosexuelle Hedonist und Atheist Dolmancé hervortut. Leitmotiv seiner Philosophie ist die wohl von d'Holbach übernommene Vorstellung des "Rechtes des Stärkeren", das Sade interpretiert als Recht einer sozialen und geistigen Elite – letztlich der Hocharistokratie – auf eine ungehemmte Verfolgung ihres Strebens nach Lustgewinn.
Die pornografischen Passagen der Texte von Sade schildern in aller Ausführlichkeit und höchst phantasievoll alle vorstellbaren sowie auch viele nur mühsam vorstellbare sexuellen Handlungen. Sein Markenzeichen ist die Freude am Darstellen der mit Gewalt und Schmerzzufügung verbundenen Akte, eben dessen, was man später als "Sadismus" bezeichnen wird.
Seine philosophische Position ist entsprechend die eines Atheisten, Materialisten und moralischen Relativisten.
Naturgemäß hatten Sades Schriften immer mit der Zensur zu kämpfen. So standen einige im Londoner „Verzeichnis verbotener Bücher“ von Pisanus Fraxi („Index librorum prohibitorum“, London 1877). Die Philosophie im Boudoir wurde 1963 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert (später aufgehoben).
Einfluss auf die Gegenwart
De Sade wurde bis Mitte des 19. Jahrhundert fast totgeschwiegen und anfänglich erstmals wieder von Baudelaire öffentlich wahrgenommen. Zugleich begannen Sexualwissenschaftler wie Richard von Krafft-Ebing oder Iwan Bloch eine nichtliterarische Rezeption, einhergehend mit neuen Editionen seiner Werke sowie Erstveröffentlichungen. Im 20. Jahrhundert wurde er salonfähig durch die Surrealisten, insbesondere Guillaume Apollinaire, die ihn erstmals intensiver rezipierten.
Horkheimer und Adorno befassten sich kritisch mit seinem Werk in der Dialektik der Aufklärung. Auch Simone de Beauvoir („Soll man de Sade verbrennen?“) und andere Autoren haben später seinen Schriften unter dem Blickwinkel einer radikalen Freiheitsphilosophie im historischen Kontext zum Existenzialismus hin untersucht.
Das Schauspiel von Peter Weiss Die Verfolgung und Ermordung des Jean-Paul Marat, aufgeführt von den Insassen des Asyls von Charenton unter der Regie des Marquis de Sade, oder kurz Marat/Sade, nimmt die Figur de Sades auf und benutzt sie als individualistischen und resignierten Gegenpart zu Jean-Paul Marat.
Werke
- Verbrechen der Liebe, (Les crimes de l'amour, 1800)
- Die 120 Tage von Sodom oder Die Schule der Ausschweifung, (Les 120 Journées de Sodome ou l'Ecole du Libertinage, posthum dt. 1909, frz. 1931 - 35).
- Justine oder das Unglück der Tugend, ISBN 3458329579, Frankfurt 1990, (frz. Originaltitel: "Justine ou les malheurs de la vertu").
- Juliette oder die Vorteile des Lasters, ISBN 3548302211, Ullstein 1989
- Die Philosophie im Boudoir, München 1975
Literatur
- Pierre Klossowski: Sade - mein Nächster. Aus dem Französischen von Gabriele Ricke und Ronald Voullié. Wien: Passagen Verlag 1996.
- Melanie Harmuth: Zur Kommunikation von Obszönität : der Fall de Sade. Taunusstein : Driesen 2004. 167 S. Driesen Edition Wissenschaft Zugl.: Siegen, Univ., Diplomarbeit, 2002 ISBN 3-936328-28-5
Biographien
- Gilbert Lély: Leben und Werk des Marquis de Sade. Albatros, Düsseldorf 2001 (1965), ISBN 3-491-96025-8
- Maurice Lever: Marquis de Sade. Die Biographie. Europaverlag, Wien/München 1995 (1991), ISBN 3-203-51238-6
- Walter Lenning: Marquis de Sade Rowohlt, Reinbek 1988 (1965), ISBN 3-499-50108-2
- Sibylle Knauss: Die Marquise de Sade. Roman einer Ehe Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, ISBN 3-455-03867-0
Filme
Werk und Leben de Sades haben mehrere Filmemacher inspiriert. Neben einer großen Anzahl pornografischer Filme gibt es auch mehrere Mainstream Produktionen die sich mit ihm und der durch ihn geschaffenen Literatur auseinandersetzen:
- 1966 Marat/Sade, IMDB (nach "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade")
- 1968 Marquis de Sade: Justine, IMDB
- 1969 De Sade
- 1970 Eugenie, IMDB
- 1975 Salo, or the 120 Days of Sodom, IMDB, (Pier Paolo Pasolini)
- 1977 Cruel Passion, IMDB
- 1989 Marquis, IMDB
- 1996 Dark Prince, IMDB
- 2000 Sade, IMDB
- 2000 Quills, IMDB
Siehe auch
Weblinks
- Vorlage:PND
- Monsieur Le Six, Mehrere Texte über und von de Sade (auf Englisch)
- Marquis de Sade (Fr)
- Blähungen von Dinosauriern Zur Geschichte der deutschen Saderezeption
- Richterspiel zu Marquis de Sades "Die 120 Tage von Sodom"
- http://www.freitag.de/2004/50/04501701.php Würdigung de Sades
- Die Gesellschaft der Freunde des Verbrechens Marquis de Sade und die neuere Gewaltforschung"
- Artikel in "Namen, Titel und Daten der franz. Literatur" (eine Quelle für die biografischen Abschnitte)
- CHiLLi.cc - "Das Missgeschick der Tugend"
- http://www.rotten.com/library/bio/pornographers/marquis-de-sade/ (englisch)
- [1] Artikel M.d. Sade, Das entfesselte Schreiben, von Ingo Langenbach
- Sade vs BDSM
Personendaten | |
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NAME | Sade, Marquis de |
ALTERNATIVNAMEN | Donatien Alphonse François |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Adliger und Autor einer ReiheBücher |
GEBURTSDATUM | 2. Juni 1740 |
GEBURTSORT | Paris |
STERBEDATUM | 2. Dezember 1814 |
STERBEORT | Charenton bei Paris |