Pius XII.
Pius XII. (bürgerlicher Name Eugenio Maria Giuseppe Giovanni Pacelli, * 2. März 1876 in Rom, † 9. Oktober 1958 in Castel Gandolfo) war Papst von 1939 bis 1958.
Leben
Er wurde am 2. März 1876 in Rom als Sohn des Dekans des vatikanischen Anwaltskollegiums Filippo Pacelli (1837-1916), Nobile di Acquapendente e Nobile di Sant’Angelo in Vado geboren. Pacelli studierte ab 1894 Theologie und promovierte 1901 zum Dr.theol. sowie 1902 zum Dr. jur. Pacelli schlug aber nicht nach Familientradition die Juristenlaufbahn ein, sondern ließ sich 1899 zum Priester weihen.
Pacelli durchlief eine Reihe Ämter innerhalb des römischen Klerus, im Diplomatischen Dienst, unter anderem war er Professor für Kanonisches Recht am päpstlichen Institut Apollinaire und von 1909 bis 1914 Professor für kirchliche Diplomatie an der Päpstlichen Diplomatenakademie (Akademie für höhere Kirchenlehre in Rom). 1916 versuchte Pacelli als Sondergesandter Papst Benedikt XV. erfolglos zwischen den Parteien des Ersten Weltkrieges zu vermitteln.
Pacelli wurde 1917 Nuntius in Bayern. 1920 wurde er zum ersten päpstlichen Nuntius für Deutschland ernannt und handelte Konkordate zwischen dem Vatikan und den deutschen Ländern Bayern (1924) und Preußen aus. Ab 1925 war er auch Nuntius in Preußen (1929 Konkordat). Mit seiner Ernennung zum Kardinal 1929 wurde er aus Deutschland abberufen. Pacelli nahm wieder Ämter in Rom wahr als Kardinalstaatssekretär, Kardinalkämmerer. In dieser Funktion folgte er der politischen Linie des Papstes Pius XI., wobei er sich als fähiger Diplomat erwies. Er wurde in den folgenden Jahren von Pius XI. als Papstnachfolger vorbereitet. Am Zustandekommen des Reichskonkordats von 1933 wie auch an der 1937 veröffentlichten Enzyklika Mit brennender Sorge war er maßgeblich beteiligt.
Pontifikat
Man geht davon aus, dass er im Konklave am 2. März 1939 mit 61 von 62 Stimmen (ohne seine eigene) im dritten Wahlgang zum Papst gewählt wurde. Andere Quellen sprechen von einer geringeren Stimmzahl, da angeblich die italienischen Kurienkardinäle Pacelli nicht unterstützten wollten. Am 12. März erfolgte die feierliche Krönung auf der Loggia des Petersdoms. Die Wahl Pacellis wurde in der ganzen Welt, besonders in Frankreich, England und USA, gerade auch von jüdischen Medien, sehr positiv aufgenommen, und lediglich in Deutschland kritisiert, da der Papst allgemein als Gegner des Nationalsozialismus bekannt war. Der Beginn seines Pontifikats stand im Zeichen der Vermeidung des drohenden Krieges. Im Zweiten Weltkrieg bewahrte er eine neutrale Stellung und widmete sich in erster Linie Friedensappellen und Unterstützung humanitärer Hilfe, ganz nach dem Vorbild von Benedikt XV. im Ersten Weltkrieg, unter dessen Pontifikat Pacelli bereits Leiter des päpstlichen Hilfswerks für Kriegsopfer aller Nationen war. Sein Wunsch, an den Friedensverhandlungen teilzunehmen, wurde von den Alliierten abgelehnt ("Wieviel Divisionen hat der Papst?" soll Stalin verächtlich gesagt haben. Als Stalin 1953 starb, verwies Pius auf die ewige Bestimmung des Menschen: "Jetzt wird er sehen, wieviele Divisionen wir haben").
Seine erste, kurz nach Kriegsausbruch herausgegebene Enzyklika Summi Pontificatus verurteilte den Herrschaftsanspruch von Diktaturen und die Besetzung Polens.
Mit der Ernennung 32 neuer Kardinäle erweiterte Pius 1946 das Heilige Kollegium. Seitdem setzt sich dieses aus Vertretern aller Kontinente zusammen. Als Papst schloss er Konkordate mit Portugal, Spanien und anderen Staaten ab. Er förderte die Hierarchiebildung der Katholischen Kirche in Staaten der Dritten Welt, um deren Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu betonen (u.a. 1946 Republik China, 1951 Südafrika, 1955 Birma). Pius XII. nahm 33 Heiligsprechungen vor, auch die von Pius X. Wichtige Enzykliken sind zur modernen Ekklesiologie "Mystici Corporis" (1943), zur Anerekennung der Bibelwissenschaft "Divino afflante Spiritu" (1943) und zur Anerkennung der Liturgischen Bewegung Mediator Dei. In seinem Apostolischen Rundschreiben Humani Generis vom 12. August 1950 warnt der Papst vor einigen Tendenzen der [[Nouvelle théologie], ohne diese mit dem Modernismus in einen Zusammenhang zu bringen. In der Apostolischen Konstitution "Munificentissimus Deus" vom 1. November 1950 verkündete er die Definition des Dogmas von der leiblichen Himmelfahrt Mariens; dies war das erste Mal seit dem 1. Vatikanischen Konzil, dass ein Papst von seiner Unfehlbarkeit in Verkündigung der Lehre überhaupt Gebrauch machte. Der einzige weitere Fall war die Definition der Immaculata Conceptio durch Papst Pius IX. im Jahr 1854. Bereits im Jahr 1944 bekannte sich Pius XII. dazu, dass die Demokratie, christlich geläutert, eine der Monarchie gegenüber vorzugswürdige Regierungsform sei. Bis dahin hatte der römische Katholizismus jede legitime weltliche Autorität anerkannt und war von monarchischen oder autoritären Staatsmodellen, die bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 üblich waren, noch nicht eindeutig abgerückt. Vor den Kardinälen äußerte sich der Papst am 2. Juni 1945 rückblickend zum Nationalsozialismus. In seiner Weihnachtsbotschaft 1950 verkündete Pius öffentlich, dass das Grab des Apostels Petrus bei Ausgrabungsarbeiten unter dem Hochaltar des Petersdom in Rom gefunden worden sei.
Papst Pius XII. starb am 9. Oktober 1958 in Castel Gandolfo an den Folgen eines erneuten Schlaganfalls. Sein Tod war, wie bereits das Ableben seines Vorgängers, begleitet von weltweiter Trauer. Seine letzte Ruhe fand der Pontifex sechs Meter vom Grabmal des Heiligen Petrus entfernt in der Krypta des Petersdoms.
Eine unrühmliche Rolle beim Tod des Papstes spielte sein Leibarzt Ricardo Galeazzi-Lisi. Er fiel beim Vatikan in Ungnade, als er versuchte, heimlich aufgenommene Bilder des kranken und sterbenden Papstes an die Presse zu verkaufen und den Leichnam von Pius XII. auf unsachgemäße Weise einbalsamierte. Johannes XXIII. verbot ihm daraufhin jeglichen Zugang zum Vatikan.
Pius XII. hat die Amtsführung im Vatikan in den Nachkriegsjahren so sehr auf seine Person zugeschnitten, dass er für die Zeitgenossen zum Inbegriff des Papsttums überhaupt wurde. Seit 1944 hat er keinen Kardinalstaatssekretär mehr ernannt, 1952 anlässlich seines zweiten und letzten Konsistoriums dann stattdessen zwei Pro-Staatssekretäre (Tardini und 1952-1954 Montini), von denen keiner zum Kardinal erhoben wurde.
Im Laufe der 1950er Jahre ließ die Schaffenskraft des alternden Papstes nach, so dass sich in der Kurie Symptome des Stillstands zeigten. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der Pacelli systematisch als Nachfolger aufgebaut hatte, hat Pius XII. bewusst vermieden, seine Nachfolge zu beeinflussen. Der frz. Philosoph Jean Guitton bezeugt, dass Pius XII. eine sehr klare Vorahnung davon hatte, dass er der letzte Papst typisch römischer Tradition sein würde ("il disait lui-même qu'il était le "dernier pape", ultime chaînon d'une longue dynastie"), seine Nachfolger also vor neuen Fragen stehen.
"Sei mir gnädig, o Herr, gemäß deiner großen Gnade. Die Vergegenwärtigung der Mängel und Fehler, die während eines so langen Pontifikates und in solch schwerer Zeit begangen wurden, hat mir meine Unzulänglichkeit klar vor Augen geführt." aus dem Testament Pius XII.
Das Reichskonkordat von 1933
Die Gründe, weshalb die katholische Kirche auch schon vor der Zeit Pius XII. an einem Konkordat mit dem Deutschen Reich interessiert war, reichen bis zu der Zeit des Kulturkampfes in der Zeit Fürst Bismarcks in Preußen zurück.
Bismarck hatte die Doktrin vertreten, dass Katholiken in Preußen keinen Zugang zu Ämtern in Wirtschaft und Verwaltung haben sollten. Dieses war gleichsam die Beerdigung des bis dahin seit der Aufklärung geltenden friederizianischen Toleranzedikts.
So suchte seither also der Vatikan der Katholischen Kirche in Deutschland einen weitgehenden Freiraum zu erschaffen, da auch die inzwischen in Kraft getretene Reichsverfassung des zweiten Deutschen Reichs einen solchen Schutz nicht unmittelbar vorsah.
Mit dem Abschluss des Reichskonkordats sollte der deutschen katholischen Kirche vor allem die Freiheit der Religionsausübung gesichert werden. Die Forderungen des Vatikans erwiesen sich aber weder zur Kaiserzeit noch in der Weimarer Republik als durchsetzbar.
Erst die Hitler-Regierung sah sich bereit, ein Konkordat mit dem Vatikan abzuschließen, sah Hitler darin doch die konkrete Möglichkeit, eine Rechtsgrundlage für einen Maulkorb speziell für die Katholische Kirche zu schaffen. In dem Konkordat sollte festgelegt werden, dass die Kirche sich politischer Stellungnahmen zu enthalten habe und auch ansonsten nicht politisch tätig werden sollte. Pius XI. und Pacelli indes hofften einen Freibrief für die Religionsausübung zu haben, die bis dahin immer noch nicht garantiert war. Für das Dritte Reich bedeutete der Abschluss des Konkordats einen internationalen Prestigegewinn und die Ausschaltung der Opposition von Seiten der kirchennahen Zentrumspartei. Ob Pius XI. und Pacelli dies billigend in Kauf genommen haben um des Konkordats willen, wird allenthalben diskutiert. Sicherlich ging es ihnen aber auch um den internationalen Prestigegewinn des noch jungen Vatikanstaats, der nach den Lateranverträgen gerade erst wenige Jahre bestanden hatte.
Indes ist aber sehr deutlich geworden, dass Hitler und der Vatikan mit dem Konkordat zwei ganz verschiedene Zwecke verfolgten. Als Pius XII. gegen die Verfolgung der katholischen Kirche in Polen nach Kriegsbeginn protestierte, verstand die deutsche Reichsregierung dies als politisches Handeln und verbat sich den Protest. Für Pius indes stellte sein Protest die Verteidigung der Glaubensfreiheit dar. Beide, Reichsregierung und Pius, sahen die Grundlage ihrer Auffassung jeweils in ebendiesem Konkordat. Für den Heiligen Stuhl war K.Preysing als Diplomat in der Hauptstadt in dieser und auch der im nächsten Absatz angeschnittenen Frage wichtig. Die von Pius XI. im März 1937 publizierte Enzyklika Mit brennender Sorge, waren für ihn Wegmarken hin zu einer klaren Abgrenzung vom NS-Staat. Er fordert innerkirchlich eine öffentliche Gegenwehr und das Eintreten für die Menschenrechte.
Pius XII. zur Zeit des Nationalsozialismus
Papst Pius XII. galt zeit seines Lebens unter katholischen Gläubigen und darüber hinaus als geachtetes und vorbildliches Kirchenoberhaupt. Seine Haltung im Zweiten Weltkrieg und sein Einsatz für verfolgte Juden fanden bei vielen Menschen Anerkennung.
1963 veröffentlichte Rolf Hochhuth das teilweise dokumentarische Drama „Der Stellvertreter“, in dem Pius XII. als machtgieriger Kirchenfürst dargestellt wurde, der sich vornehmlich um die vatikanischen Finanzen gekümmert habe, nicht aber um das Schicksal der Verfolgten. Das Stück wurde vom Autor selbst teilweise als Fiktion bezeichnet. Darin wird die These vertreten, Pius hätte durch ein schnelleres und entschiedeneres öffentliches Auftreten gegen den Nationalsozialismus diesem ein rascheres Ende bereiten können. Die Aufführung war von kontroversen, jahrelang andauernden Debatten begleitet und hatte Einfluss auf das Bild, welches sich Kritiker von Pius XII. während des Nationalsozialismus machten.
Dem Papst wird im Zuge der allgemeinen Diskussion eine stillschweigende Duldung, teilweise sogar Komplizenschaft mit den Nationalsozialisten unterstellt. Ferner wird ihm vorgeworfen, dass er zum Holocaust geschwiegen habe, obwohl er als ehemaliger Nuntius für Deutschland über Kontakte dorthin verfügte und über den Völkermord informiert gewesen sein muss, und viele Katholiken und Nicht-Katholiken auf der ganzen Welt sich entschiedenere Äußerungen gewünscht hätten.
Bis heute wird diese Auseinandersetzung um die Person Pius XII. und sein Amt geführt. Eine Beurteilung seiner Handlungen im historischen Kontext ist schwierig.
Den Vorwürfen wird zunächst entgegnet, er habe nicht geschwiegen, teilweise mit Verweis auf seine Weihnachtsansprachen 1941 und 1942 sowie auf seine Eingaben bei der deutschen Reichsregierung, mit denen man, so sagte Ribbentrop während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, „ganze Registraturen füllen konnte“.
Zudem wird entgegnet, dass Pius XII. befürchten musste, eine offene Verurteilung des Nationalsozialismus würde eine noch stärkere Kirchenverfolgung und Judenverfolgung nach sich ziehen und insbesondere die ohnehin schon bedrängten katholischen Priester und Gläubigen einer noch größeren Gefahr aussetzen.
Er konnte dabei auf die Ereignisse in den Niederlanden verweisen: dort hatten die katholischen Bischöfe gegen die bevorstehenden Deportationen protestiert, woraufhin die deutsche Besatzungsmacht Ende 1942 gezielt Juden katholischen Glaubens inhaftierten und deportierten, z.B. Edith Stein. Gerade ihr Leben hatte Pius mit Interesse verfolgt, es liegt auf der Hand, dass die Nachricht von ihrer Deportation ihn sehr getroffen hatte.
Mitte 1943 begannen die Nazis dann auch die Juden evangelischen Glaubens zu deportieren. Das "Tauschgeschäft", das Arthur Seyß-Inquart den Bischöfen angeboten hatte und welches ein Schweigen gegenüber dem Holocaust forderte und dafür das Überleben der getauften Juden versprach, war somit gegenstandslos, wenn es das nicht schon vorher war, denn aus Dokumenten der nationalsozialistischen Machthaber geht hervor, dass man die Konvertiten auch ohne kirchlichen Protest ermordet hätte - wenn auch unter Umständen mit einem Jahr „Verspätung“.
Ebenfalls wird eingewandt, dass Pius nicht die Möglichkeit aufs Spiel setzen wollte, Kirchen und Klöster als Zuflucht für von den Nationalsozialisten Verfolgte zu nutzen. Im Hintergrund wirkte die Kirche durch Umtaufungen, Fälschung von Ausweisen und Gewährung des Asyls in katholischen Einrichtungen und konnte so Menschenleben retten. Der jüdische Theologe und Historiker Pinchas Lapide schätzt, dass die katholische Kirche mindestens 700.000, wahrscheinlich aber sogar 860.000 Juden vor dem sicheren Tod rettete. In Anbetracht von ca. 1.000.000 jüdischen Holocaustüberlebenden erscheinen diese Zahlen aber sehr hoch, da mehrere Juden bereits vor dem 2. Weltkrieg aus Deutschland fliehen konnten und viele auch in protestantischen und orthodoxen Gebieten überlebten.
Die Kritik an Pius XII. beinhaltet des weiteren, dass er nicht vor 1942 Kritik an der Behandlung der Juden in den besetzten Gebieten Osteuropas geübt habe, und dann auch lediglich durch verklausulierte Verurteilungen. Als die deutsche Wehrmacht 1943 Rom besetzte, habe der Papst selbst zur Deportation von Juden "vor der Haustür" des Vatikans geschwiegen. Dem wird entgegnet, dass auf Befehl Papst Pius XII. in 150 Kirchen Roms Juden versteckt worden seien. Wo überall sonst in Europa 80% der Juden umgekommen seien, so seien in Rom 80% der Juden gerettet worden. Deswegen haben, so die Entgegnung weiter, die Juden Roms selbst an der ehem. SS Kommandantur in Rom eine Gedenktafel angebracht, die auch heute noch auf diesen Umstand des helfenden Einschreitens Pius XII. hinweise.
Unter anderem agierte Pius XII. - das ist anhand des römischen Salvatorianerarchivs nachweisbar - durch die Hilfe des deutschen Salvatorianerpaters Pankratius Pfeiffer, indem er ihm direkte Order erteilte, für wen er sich im Einzelnen bei der Besatzung bzw. bei der SS einzusetzen habe. Pater Pfeiffer verfügte über gute persönliche Kontakte zu katholischen Angehörigen der Wehrmacht und der SS, die er auf oft auch erfolgreich in seinem Sinne nutzte. Auf diese Weise konnten viele Menschen befreit werden, die sich bereits im Gewahrsam der Besatzer befanden, darunter Kommunisten, Royalisten und auch Juden. Bei dem alsbald als "Engel von Rom" stadtbekannten Pankratius Pfeiffer machten viele italienische Familien Eingaben im Sinne ihrer gefangenen Angehörigen, 90 Prozent der später als "Pfeiffers Liste" bekannt gewordenen Initiativen gehen auf direkte Order Pius XII. zurück. Nachdem in Rom die Judendeportationen angefangen hatten, benutzte Pius XII. die Verbindung über Pfeiffer und den Stadtkommandanten Roms direkt zu Himmler. Dem Himmler sollte in beeinflussender Weise berichtet werden, dass Neapel kurz zuvor durch die Mithilfe Aufständischer an die Alliierten gefallen sei. Dasgleiche drohe Rom, wenn die Deportationen nicht unmittelbar eingestellt würden, die Stimmung in der Stadt ginge in Richtung eines Aufstandes, der durch die deutschen Truppen nur schwer unter Kontrolle zu bringen sei. Widerwillig beorderte Himmler daraufhin seine Schergen mit der vorübergehenden Einstellung der Deportationen der römischen Juden. Dieselbe Verbindung über Pankratius Pfeiffer benutzten dann – in die andere Richtung – auch die deutschen Besatzer Roms anläßlich der Verhandlungen über die Übergabe der Stadt an die Alliierten, und trugen so Pius den Wunsch an, diese Verhandlungen zu initiieren. Pius erklärte sich dazu bereit, indes forderte er von den Besatzern als Zeichen guten Willens, namhafte Gefangene freizulassen sowie die Deportationen einzustellen.
Im Geheimen ließ Pius rund 4500 Juden in Klöstern und Häusern in und um Rom dauerhaft verstecken. In Castel Gandolfo fanden zeitweise bis zu 8000 Flüchtlinge Unterschlupf, von denen ein Teil Bombenflüchtlinge waren, aber auch Kommunisten und Juden waren unter ihnen. Als die Judenverfolgung in Europa ihren Höhepunkt erreichte, war Pius XII. selbst Gefangener im Vatikan. Rom war von deutschen Truppen besetzt, und Hitler plante sogar, Pius XII. wegen seiner Aktivitäten gegen die Nationalsozialisten zu entführen und nach Deutschland zu deportieren. Der Papst hatte für diesen Fall bereits einen schriftlichen Amtsverzicht vorbereitet. Vor diesem Hintergrund wird argumentiert, dass allzu offene, ggf. reißerisch im Stile eines Winston Churchill geäußerte kritische Äußerungen des Papstes für Hitler ein willkommener Vorwand für den offenen, direkten Angriff auf den Vatikan gewesen wären.
Im Frühjahr 1943 verhinderte Pius XII auf diplomatischem Wege, dass die slowakische Regierung die Judendeportationen fortsetzte. Dieser Schritt wird vereinzelt kritisch beurteilt mit der Begründung, dass er angeblich in erster Linie dem Ansehen der Kirche habe helfen sollen. Denn in der Slowakei bekleidetete der Priester Josef Tiso das Amt des Präsidenten und auch weitere hohe Staatsämter wurden von Geistlichen ausgeübt. Der "Außenminister" des Vatikans, Domenico Tardini, stellte fest, dass die slowakische Beteiligung an den Judendeportationen dem Ansehen der Kirche massiv schaden könnte. Mit Blick auf die Tatsache, dass die Juden nach Kriegsende auf Seiten der Sieger stehen würden, habe der Papst sodann zum Handeln geraten. Eine andere Sicht der Dinge lässt auch den Schluss zu, dass Pius XII. es in diesem Einzelfall besonders leicht hatte, da der Präsident der Slowakei ein Priester war. Weitere diplomatische Eingaben ähnlicher Intention an andere Regierungen hatten nicht den gleichen Erfolg.
Die verbale Zurückhaltung in Form verklausulierter Verurteilungen Pius XII. gegen die millionenfache Vertreibung und Vernichtung der Juden wird von einigen Historikern dahingehend erklärt, dass Pius XII. glaubte, ein provozierender Protest würde die Lage nur verschlimmern und keine praktischen Erfolge zeigen. Der offizielle Kurs Pius XII. und des deutschen Episkopates entsprach der Linie, die unter anderem auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz einschlug.
Einige Bischöfe und andere Kleriker, beispielsweise von Clermont-Ferrand , Lyon und Toulouse haben im Bereich des Vichy-Regimes in Frankreich insbesondere sehr vielen jüdischen Kindern durch die Aufnahme in Klosterschulen das Leben gerettet und die Judenverfolgung öffentlich verurteilt.
Robert Graham, einer der vier Herausgeber der «Actes et Documentes», beschreibt das Gefühl von Papst Pius XII. zu den Judenvernichtungen in Polen: «Die veröffentlichten Korrespondenzen und die Gespräche mit dem polnischen Gesandten im Vatikan, Casimir Papée, beschreiben viel und lassen sogar noch mehr die Qual und damit die Hilflosigkeit des Heiligen Vaters angesichts dieser traurigen Tatsachen durchblicken. Es war nicht Mangel an Mitgefühl oder an Wissen, sondern die Gegenwart der Gewalt, rücksichtsloser Gewalt, die seinen Mund verschloss. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine formelle Verurteilung der Nazi-Greueltaten durch den Papst die Lage der Opfer erleichtert hätte, war sehr gering; dagegen war es möglich, dass ein so gezeigtes Interesse des Papstes noch grössere Grausamkeiten verursacht hätte. Dafür hätte man dann den Papst verantwortlich gemacht... »
Des weiteren wird angeführt, dass der Vatikan sich weigerte, die deutschen Eroberungen und Annexionen in Polen anzuerkennen, solange nicht entsprechende Friedensverträge unterzeichnet waren. Hitler schlug deshalb mit einer harten Repressalie zurück. Wenn der Vatikan die deutsche Anwesenheit in diesen besetzten und eroberten Gebiete nicht anerkennt, dann anerkennt Deutschland auch nicht das Recht des Hl. Stuhles, mit ihm irgendein diesen Raum betreffendes Problem zu erörtern. Von diesem Moment an hatte das deutsche Außenministerium einen leichten Vorwand, die Appelle und Proteste des Hl. Stuhles, die sich auf Vorkommnisse in jenen Gebieten bezogen, abzuweisen.
Als Pius XII. in seiner Weihnachtsansprache 1942 seine Sorge um « die Hunderttausende, die ohne eigenes Verschulden, bisweilen nur wegen ihrer Nationalität oder Rasse, dem Tode oder fortschreitender Vernichtung preisgegeben sind, » ausdrückte, wies Außenminister von Ribbentrop den Gesandten beim Vatikan, Diego von Bergen, an, mit Vergeltungsmaßnahmen zu drohen. Der deutsche Sicherheitsdienst brachte die Papstansprache auf den Nenner: «... eine einzige Attacke gegen alles, für das wir einstehen.» «Der Papst sagt», so von Ribbentrop, «dass Gott alle Völker und Rassen gleichwertig ansieht. Hier spricht er deutlich zugunsten der Juden... Er beschuldigt das deutsche Volk, Ungerechtigkeiten gegenüber den Juden zu begehen, und macht sich zum Sprecher der jüdischen Kriegsverbrecher» (24. Januar 1943). Der Gesandte, der dem Auftrag seines Berliner Vorgesetzten nachkam, berichtete, dass der Papst zunächst schweigend zugehört habe. Dann habe er in aller Ruhe gesagt, ihn bekümmere nicht, was ihm zustoßen werde. Doch käme es zu einem Konflikt zwischen der Kirche und dem deutschen Staat, so würde der Staat den Kürzeren ziehen. «Der Papst», kommentierte von Bergen, «ist so wenig durch Drohungen zu beeinflussen wie wir selber».
Angesichts des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion 1941 interpretierte Pius XII. die Enzyklika "Divini Redemptoris" seines Vorgängers Pius XI. um. Diese hatte den Katholiken eine Zusammenarbeit mit dem Kommunismus untersagt. In der neuen Deutung wurde allerdings zwischen einem Volk und seiner jeweiligen Regierung unterschieden. Diese neue Interpretation ließ Pius XII. über diplomatische Kanäle den amerikanischen Bischöfen übermitteln. Diese hatte eine Hilfe der USA für die begrängte Sowjetunion stets abgelehnt. Daraufhin unterstützten die Bischöfe die amerikanischen Waffen- und Ausrüstungslieferungen. Ein internes Dokument (aus: Actes et Documents du Saint Siége relatifs á la seconde guerre mondiale, ADSS, 15. September 1941) enthüllt die Hoffnungen, die man sich diesbezüglich im Vatikan machte. Kurz nach dem Beginn des Überfalls wurde damit gerechnet, dass Hitler Stalin schnell bezwingen könnte, da die Blitzkriegstaktik erneut aufzugehen schien. Eine solche Entwicklung konnte für die Kirche nichts Gutes bedeuten, da der Nationalsozialismus nach dem Endsieg das Christentum verdrängen wollte. Einer Beeinflussung des Krieges zugunsten Stalins stand man ebenfalls skeptisch gegenüber, denn auch von diesem war eine Kirchenverfolgung zu erwarten, wenn er weitere europäische Länder unter seine Kontrolle bringen würde. Die im Vatikan erhoffte Entwicklung bestand darin, dass die amerikanische Waffenhilfe für Stalin nur so zaghaft ausfiel, dass sowohl Deutsches Reich wie auch Sowjetunion ihre Kräfte in einem langen Krieg erschöpfen würden. Der Kommunismus sollte besiegt werden, der Nationalsozialismus stark geschwächt aus der Auseinandersetzung hervorgehen.
Der Streit zwischen Verteidigern und Anklägern Pius XII. wird wohl auch zukünftig um die Fragen geführt werden, ob der Papst seinen moralischen Standpunkt gegen die Nationalsozialisten noch deutlicher hätte publik machen müssen, und ob er in der Rolle des Verantwortungsträgers tatsächlich mehr Menschenleben hätte retten können. Pius XII. hat sich kraft seines diplomatisch – staatsmännischen Selbstverständnisses dafür entschieden, den Verhandlungsweg offen zu lassen und pragmatische Erwägungen einer symbolhaften Geste vorzuziehen. Ob dieser Weg richtig war, wird kontrovers bewertet.
Nach dem Untergang des nationalsozialistischen Regimes waren kirchliche Stellen an der Fluchthilfe für Naziverbrecher, der sog. Rattenlinie, beteiligt. Nazi-Größen wie Adolf Eichmann oder Josef Mengele verließen Italien mit Pässen und Visa, an deren Beschaffung und Herstellung unter anderem auch päpstliche Behörden beteiligt waren. Es ist allerdings umstritten, ob es sich um zusammenhanglose Handlungen einzelner Personen wie etwa dem Bischof Alois Hudal handelte, oder um eine organisierte Aktion, und wieviel Papst Pius XII. über diese Vorgänge wusste. Historiker, darunter auch Kritiker Pius XII., merken zu diesem Thema an, dass Hudal in der katholischen Kirche trotz seines Bischofsamtes und wegen seiner offenen Bekenntnisse zum Nationalsozialismus eine Aussenseiterrolle spielte.
Literatur
- Pierre Blet: Papst Pius XII. und der Zweite Weltkrieg. Aus den Akten des Vatikans. Aus dem Französischen von Birgit Martens-Schöne, Paderborn: Schöningh 2000, ISBN: 3-506-71903-3
- John Cornwell: Pius XII. - Der Papst der geschwiegen hat, C.H.Beck 1999, ISBN 3-40645-472-0 hierzu: Rezension
- David G. Dalin: The myth of Hitler's Pope. How Pope Pius XII rescued Jews from the Nazis, Regnery Publ., Wahington 2005, ISBN 0-89526-034-4 Rezension
- Karlheinz Deschner: Die Politik der Päpste im 20. Jahrhundert, Hamburg: Rowohlt 1991, ISBN 3-498-01282-7
- Michael F. Feldkamp: Pius XII. und Deutschland, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, ISBN: 3-525-34026-
- Peter Godman: Der Vatikan und Hitler. Die geheimen Archive, Knaur Taschenbuch, München 2005, ISBN 3-426-77810-6
- Daniel Jonah Goldhagen: Die katholische Kirche und der Holocaust, Berlin: Siedler-Verlag 2004, ISBN 3-88680-770-3
- Robert A. Graham SJ: The Vatican and Communism during World War II. What Really Happened?, Ignatius Press, San Francisco 1996, ISBN 0-89870-549-5
- Robert A. Graham, Joseph L. Lichten, John C. Pantuso, Virgil C. Blum: Pius XII and the Holocaust: A Reader, Catholic League for Religious & Civil Rights, New York 1988, ISBN 0945775016
- J.R. Grigulevic: Die Päpste des XX. Jahrhunderts, Leipzig-Jena-Berlin: Urania-Verlag 1984
- Hubert Gruber: Katholische Kirche und Nationalsozialismus 1933-1945 - Ein Bericht in Quellen, Paderborn: Schöningh 2005, ISBN 3-50673-443-1
- Pinchas Lapide: Rom und die Juden, 1967 ; 3., verb. und überarb. im Gerhard Hess Verlag, 2005, ISBN 3-87336-241-4
- Mary Ball Martínez: Die Unterminierung der Katholischen Kirche, Anton Schmid, Durach 1992, ISBN 3-929170-29-9 (Originaltitel: The Undermining of the Catholic Church, Mexico City 1991)
- Georges Roche, Philippe Saint Germain: Pie XII devant l'Histoire, Paris 1972
- Ronald J. Rychlak: Hitler, the War, and the Pope, Our Sunday Visitor 2000, ISBN 0-87973-217-2 (englisch)
- José Sánchez: Pius XII. und der Holocaust, Paderborn: Schöningh 2002, ISBN 3-50677-553-7
- Wilhelm Sandfuchs: Papst Pius XII., Karlsruhe 1946. (Karlsruher Hefte)
- Johana Schmid: Papst Pius XII. begegnen, Augsburg: Sankt Ulrich Verlag 2001, ISBN 3-929246-62-7
- Georg Schwaiger: Papsttum und Päpste im 20. Jahrhundert, München: C.H.Beck 1999, ISBN 3-406-44892-5
- Otto Walter: Pius XII - Leben und Persönlichkeit. Schweiz 1941
- Mathieu-Rosay, Jean "Die Päpste im 20. Jahrhundert" ISBN 3-89678-531-1
siehe auch:
- Auf evangel. Seite im Nachkriegsdeutschland: Stuttgarter_Erklärung
- S. auch die Auflistung aller Enzykliken.
Weblinks
- Wikiquote: Pius XII. – Zitate
- Rabbi David Dalin: A Righteous Gentile Die Meinung eines Rabbi zu Pius XII. (auf Englisch)
- Pius XII.. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL).
- Ausführliche Biographie zu Pius XII. bei Shoa.de
- „The End of the Pius Wars“ - von Joseph Bottum - Versuch einer Bilanz der Kontroverse um Pius XII. (auf Englisch)
- Pius XII. auf den Seiten des Vatikans
- Mary Ball Martínez: Pope Pius XII in the Second World War (Englisch)
- Rainer Decker: Rezension über: Cornwell Pius XII., Der Papst der geschwiegen hat
- Rainer Decker: Sammelrezension über Pierre Blet: Papst Pius XII. und der Zweite Weltkrieg. und Michael F. Feldkamp: Pius XII. und Deutschland
- Die Welt - Interview mit Robert Graham über Pius XII. und Cornwell
- Zum Verhalten der dänischen Kirche
- Zum Verhalten der bulgarischen Kirche
- Zum Verhalten der niederländischen Kirchen
Personendaten | |
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NAME | Pius XII. |
ALTERNATIVNAMEN | Pacelli, Eugenio Maria Giuseppe Giovanni |
KURZBESCHREIBUNG | Papst von 1939 bis 1958 |
GEBURTSDATUM | 2. März 1876 |
GEBURTSORT | Rom |
STERBEDATUM | 9. Oktober 1958 |
STERBEORT | Castel Gandolfo |