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Friedrich Schleiermacher

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Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (* 21. November 1768 in Breslau; † 12. Februar 1834 in Berlin) war protestantischer Theologe, Philosoph und Pädagoge.

Friedrich Schleiermacher

Leben

Schleiermacher wurde als Sohn eines reformierten Feldpredigers geboren und ab 1783 im Pädagogium der Herrnhuter Brüder-Unität in Niesky erzogen. Ab 1785 besuchte er ihr Seminar in Barby, das er 1787 wieder verließ, nachdem er sich ab 1786 von der dogmatisch-positiven Form der Religiosität zu distanzieren begonnen hatte. Nach dem äußeren Bruch mit den Herrnhutern, studierte er anschließend in Halle Theologie, arbeitete von 1790-1793 als Hauslehrer in der Familie des Grafen Dohna-Schlobitten und wurde 1794 Hilfsprediger in Landsberg/Warthe. Ab 1796 war er Prediger an der Charité in Berlin, wo er Schlegel kennenlernte und besonders in von Frauen geleiteten literarischen Salons verkehrte. Er musste 1802 aber diese Stellung aufgeben und ging als Hofprediger nach Stolp.

Schon in Berlin war er – durch die beiden Schlegel und Henriette Herz in die romantischen Kreise hereingezogen – mit seinen Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799) und den Monologen (1800) als Schriftsteller aufgetreten. Im Laufe seiner Freundschaft mit Friedrich Schlegel verfasste er die Vertrauten Briefe über Lucinde (1801) 1804-1810 und schuf eine fünfbändige Übersetzung der Werke Platons, die besonders durch die Einleitungen zu den Dialogen Epoche machte. An seine Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre (1803) schlossen die Abhandlungen über die wissenschaftliche Behandlung des Tugendbegriffs, des Pflichtbegriffs, über den Begriff des Erlaubten, über den Unterschied zwischen Natur- und Sittengesetz und den Begriff des höchsten Gutes an.

1804 konnte Schleiermacher an der Universität in Halle eine Stelle als außerordentlicher Professor der Theologie und Philosophie antreten; 1806 wurde er dort Ordinarius. Wegen der kriegsbedingten zeitweiligen Schließung der Universität Halle begab er sich 1807 nach Berlin, wo er ab 1809 als bedeutender und einflussreicher Prediger an der Trinitatiskirche wirkte. Unter dem Einfluss des Freiherrn vom Stein und Wilhelm von Humboldts setzte er sich für die Gründung der Friedrich-Wilhelms-Universität ein, an der er ab 1810 bis zu seinem Lebensende als ordentlicher Professor der Theologie lehrte. Während diesen Jahren veröffentlichte er 1806 Die Weihnachtsfeier, ein Gespräch, 1807 die kritische Schrift Über den so genannten ersten Brief des Paulus an den Timotheus sowie 1808 Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinn. Schleiermacher war Mitglied zahlreicher Gesellschaften, wie z.B. der Zwanglosen und der deutschen Tischgesellschaft.

In der Vielgestaltigkeit seiner in die verschiedensten Richtungen ausgreifenden Tätigkeiten war er eine der bedeutendsten geistigen Größen während der ersten und glänzenden Periode der Berliner Universität. Die Fülle der Gedanken und ihre Form, die ihm in schönster Vollendung zu Gebote stand, vor allem die Vereinigung von Religiosität mit der schärfsten Dialektik und der freiesten, an kein Herkommen gebundenen Kritik führten ihm begeisterte Schüler zu. Seine Vorlesungen umfassten nicht nur nahezu den gesamten Umfang des theologischen Wissens, sondern er trug seit 1811 auch eine Dialektik vor, die er als Einheit der Logik und Metaphysik fasste.

Damals erschien seine Kurze Darstellung des theologischen Studiums (1811). In Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhang dargestellt von 1821-22 unternahm Schleiermacher dann erstmals den Versuch, die überlieferte Theologie mit der Innerlichkeit und Freiheit des Subjekts auszusöhnen und zu erfüllen und die Religion auf das Gefühl absoluter ("schlechthinniger") Abhängigkeit zurückzuführen. Als Seitenstück zur Glaubenslehre entstand das aus dem Nachlass herausgegebene Werk Die christliche Sitte (1843).

Als die Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied Schleiermacher seit 1810 war, ihn 1814 zum Sekretär der philosophischen Abteilung wählte, ließ er sich vom Ministerium von seiner Lehrverpflichtung entbinden, wie er denn überhaupt wachsende Ungunst seitens der Regierung zu erfahren hatte und eine Zeitlang in Gefahr stand, wegen angeblicher Demagogie in Untersuchung gezogen oder abgesetzt zu werden.

Die Schriften der königlichen Akademie bereicherte er durch eine große Anzahl von Reden und Abhandlungen, namentlich über einzelne schwierige Punkte der Geschichte der alten Philosophie. Seine Teilnahme an dem allgemeinen kirchlichen Leben und eine klare Einsicht in die Bedürfnisse desselben hatte er schon durch die 1804 anonym erschienenen Zwei unvorgreiflichen Gutachten in Sachen des protestantischen Kirchenwesens in Beziehung auf den preußischen Staat bekundet, worin er namentlich auf die Nachteile der Trennung der protestantischen Kirchen hinwies. Als 1817 die Union auf einer von ihm präsidierten Synode zu stande kam, und die Ausschreibungen zur Bildung einer Presbyterial- und Synodal-Verfassung erschienen waren, suchte er das Werk mit Rat und Tat, wenngleich ohne Erfolg, zu fördern. Ebensowenig vermochte er im Kampf gegen die lediglich im königlichen Kabinett entstandene Agende auszurichten.

Unter dem Namen Pacificus Sincerus schrieb er 1824 ein Theologisches Bedenken über das liturgische Recht evangelischer Landesherren, das den alten Streit über die Rechtsprinzipien in dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat wieder anregte. Als Prediger übte Schleiermacher namentlich auf den gebildeten Teil des Publikums einen bedeutenden Einfluss aus.

Theologische Entwicklung

Die Aufklärung hatte über das 18. Jahrhundert die christliche Religion in Bedrängnis gebracht. Die Geschichtlichkeit war anrüchig geworden, die amtskirchliche Nähe zum Staat galt als Zeichen der Abhängigkeit. Und auch die Reste der Religiosität standen zwischen zwei Fronten: Auf der einen Seite stand der Rationalismus, vertreten vornehmlich durch die Schule des Christian Wolff, der das Denken wie das Handeln aus einem System allgemeingültiger Wahrheiten deduzierte. Auf der anderen Seite führte die Kritik Immanuel Kants zu einer Moralphilosophie, die allein vom Menschen abhing, ihn in den Mittelpunkt stellte und damit auch den im Namen der Menschlichkeit angerichteten Grausamkeiten zu spotten schien.

Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts schien aber auch der (Spät-) Rationalismus seinen Zenit überschritten zu haben. Die christliche Gegenbewegung fand nun im Supranaturalismus ihren Ausgangspunkt. Der nie verschwundene Pietismus entfaltete erneut seine Wirkung. Die in das konfessionelle Neuluthertum mündende Erweckungsbewegung gewann allmählich an Profil. In dieser Zeit bezog Schleiermacher Stellung, versuchte die Positionen von Rationalismus und Supranaturalismus, von im weiteren Sinne Kultur und Religion überhaupt zu vermitteln und darin über sie hinauszukommen. Sein theologischer Entwurf machte ihn zum "Kirchenvater des 19. Jahrhunderts", der "an die Spitze einer Theologie der neuesten Zeit gehört […] und keiner neben ihn " (Barth), in ihm kam die "Antithese der romantischen gegen die aufklärerische Bildung zur vollen Geltung " (R. Haym), er wurde für viele "die Geburtsstunde […] [ihres] höheren Lebens " (Claus Harms). Man redete andererseits in abschätzigem Sinne von "Vermittlungstheologie", "Gefühlstheologie" und "Kulturprotestantismus".

Schleiermachers erster Ansatz zu einer derartigen Theologie fand sich 1799 in Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. (Nach Wilhelm Dilthey stammten die ersten Ansätze aus Gesprächen mit Henriette Herz, die schon im Frühjahr 1798 stattgefunden hatten. Im Februar 1799 war die zweite Rede vollendet). Das anonym veröffentlichte Werk sollte Apologie und Kampfschrift zugleich sein. In ihm wollte Schleiermacher die Notwendigkeit religiöser Besinnung aus der Situation des Gebildeten heraus aufzeigen: Dem vernünftig Denkenden sollte gerade in seiner Vernunft die zentrale Bedeutung des Christentums nachgewiesen werden.

Zu einer der grundlegenden Behauptungen Schleiermachers wurde daher, dass die Religiosität genauso zum Menschen gehöre, wie das (deduktive) Denken und das (moralische) Handeln und somit beide als gleichwertig zu betrachten seien. Die Subjekt-Objekt-Spaltung zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenem der Religion sollte nach Schleiermacher gerade durch die Religion überwunden werden, in der Überwindung sollte die Religion sich erst als solche sichtbar machen (und als tertium belegen).

Denn die Religion, die für Schleiermacher "Sinn und Geschmack für das Unendliche" war, überwand in der Wahrnehmung, die er als Verschmelzung von Subjekt (dem religiösen Menschen) und Objekt (der göttlichen Unendlichkeit) begriff, diese Spaltung. "Das Charakteristische ist also ein Doppeltes", wie Martin Kähler später formulierte: "Es ist ein Einswerden mit unseren Gegenständen in unserem Inneren […] und ferner: Es bezieht sich auf die Gegenstände als Träger der Wirkung des Universums." (Geschichte der protestantischen Dogmatik, 55).

Die Schleiermachersche Frömmigkeit als der subjektive Ausdruck der Religion, die später von vielen Theologen brüsk abgelehnt wurde, hat ihre Vorläufer in J. J. Hess mit seinem Werk Vom Reich Gottes. Ein Versuch über den Plan der göttlichen Anstalten und Offenbarungen (2.A. 1781) und Johann Albrecht Bengel und wurzelt in der deutschen Romantik und ihrem Menschenbild, wie es sich bei Johann Gottfried von Herder, Johann Georg Hamann, schließlich Schelling, Jakob Friedrich Fries, Wilhelm Martin Leberecht de Wette fand. So ist, wenn Religion als Privatsache ausgegeben wird, hier auch nicht egozentrische Überheblichkeit oder schales Privatisieren, sondern der in der Romantik geprägte Individualismus angesprochen, der sich gegen ein funktionell verstandenes Menschenbild der Spätaufklärung abgrenzte und gerade in der Wiederentdeckung der Gefühlswelt mechanistischen Menschenbildern, wie sie sich bei Descartes fanden, entgegenstand.

In der Religion sollen nach Schleiermacher dann aber Anschauung und Gefühl, rezeptiver und spontaner Bewusstseinsakt, das Affizierende und das Affizierte wieder zusammenfallen. Beide Pole werden in der Religion überwunden, denn "[…] Anschauung ohne Gefühl ist nichts und kann weder den rechten Ursprung noch die rechte Kraft haben, Gefühl ohne Anschauung ist auch nichts: beide sind nur dann und deswegen etwas, wenn und weil sie ursprünglich Eins und ungetrennt sind." (Reden , 73).

In der Glaubenslehre, die 1821/22 in zwei Bänden erschien, engte Schleiermacher dann den Begriff von Religion auf das unmittelbare Bewusstsein — und hier insbesondere das unmittelbare Bewusstsein unbedingter Abhängigkeit — ein. Damit war Frömmigkeit unmittelbares Selbstbewusstsein und hatte einen eigenen Inhalt. War der Mensch in der Bedingtheit (Endlichkeit) zwischen partieller Freiheit und partieller Abhängigkeit in allem Denken und Handeln eingespannt, so lag nach Schleiermacher im Erleben seiner unbedingten Abhängigkeit gegenüber dem Unendlichen und Unbedingten (also der Gottheit) nun gerade seine Freiheit im Endlichen begründet.

Diese Wendung Schleiermachers stand in der Tradition paulinischen wie lutherischen, aber auch Hegelschen Denkens. Die Anerkennung dieser Schleiermacherschen Wendung galt aber (wie bei Barth) immer auch der (vermeintlichen oder tatsächlichen) sophistischen Darstellungskunst ihres Autoren und war so angetan, die Rezeption insbesondere des Bewusstseins-Begriffes zu behindern. In diesem setzte Schleiermacher immer ein Wissen als ein vor dem Denken oder Handeln gegebenens Sich-Haben voraus (was sich später in Abwandlung bei Heidegger wiederfinden sollte). Der unbedingten Abhängigkeit in Bezug auf jenes, ohne dass nichts wäre (hier scheint Spinoza durch), also der absoluten Ursache aller Einzelursachen, der ungeteilten Vernunft (was die Gottheit meinte) stand gegenüber die Geteiltheit, das Chaos (hier verwies schon Kähler auf die "blossen Begriffsgrenzen" (a.a.O., 62)), sodass Schleiermachers Religionsbegriff aber letztlich per negationem bestimmt wurde. Hegel erwiderte hierauf polemisch: "Selbst dass jenes natürliche Gefühl ein Gefühl des Göttlichen sei, liegt nicht im Gefühl als natürlichem. Das Göttliche ist nur im und für den Geist […] Gründete sich die Religion im Menschen nur auf ein […] Gefühl seiner Abhängigkeit […] so wäre der Hund der beste Christ, denn er trägt dieses am stärksten in sich […]"

(Daniel Schenkels Vorwurf einer ästhetischen Religion, wozu im Gegensatz seine eigene eine ethische sei, verfing aber nicht. Weder traf auf Schleiermachers Begriff von Religion Kants Definition der Ästhetik zu, noch wäre für jenen überhaupt etwas anderes denkbar gewesen, als seine Lehre als ethische zu verstehen. Denn neben der Ethik sah Schleiermacher nur noch die (grundlegende) Dialektik und die (unterpersonale) Physik.)

Aus dem Primat gefühlshaften Erlebens war Religion bei Schleiermacher nun wesentlich kerygmatisch ausgerichtet. Die Verkündigung war vor allem Selbstmitteilung des Predigers. Jedes Dogma aber kann nur sekundärer Niederschlag jenes Gefühles sein, mithin Meinung und darin geschichtlich verhaftet. Die letzte aussprechbare Wahrheit wäre in der Philosophie darzulegen. Die darüber hinausreichende Wahrheit (hier lässt sich der "Herrnhuter" erblicken) blieb unaussprechbar (und wurde singend noch am ehesten erfasst).

Dementsprechend entwickelte die Glaubenslehre die so genannte Lehre von den drei Formen dogmatischer Sätze (§30). Dabei blieb als vorrangiger wieder das fromme Selbstbewusstsein in seiner Abhängigkeit stehen. Erst sekundär, da das Abhängigkeitsgefühl nicht "rein", also "isoliert" vorlag, sondern sich auf den konkreten Gemütszustand bezog, war es nach außen vermittelt, wurde also eine Aussage über Welt möglich. Und erst in jenem "sekundären" Bereich, in dem im Abhängigkeitsgefühl zumindest das Unendliche "durchschien", war es auch möglich, Aussagen über Gott zu versuchen.

Dass die erstgenannten sekundären "kosmologischen" Sätze hin zu naturwissenschaftlichen Aussagen tendierten, die zweitgenannten (der im engeren Sinne "theologischen" Sätze, die in der Gotteslehre zu behandeln waren) ihrerseits zu metaphysisch-spekulativen Aussagen, wurde Schleiermacher aber zunehmend deutlicher, so dass er gegen Ende seines Lebens erwog, beide Arten völlig auszuschließen. Dass sie dennoch (vor allem in der Glaubenslehre) erhalten blieben, war dem Vermittlungsinteresse Schleiermachers, nicht aber der argumentativen Notwendigkeit geschuldet.

Eine andere Schwierigkeit, die sich ergab, war die, von der anthropologischen Warte in die Christologie zurückzufinden. Dabei dürfte die Anstrengung nicht der defizitären Anlage der Theologie, sondern gerade der Durchführung des Gemeinten, der darin begründeten Vorsicht bei der Wahl der Worte über die doch nicht originär erfassbare Thematik, geschuldet gewesen sein. Schleiermacher versuchte, dem Psychologicum das Historicum als zweiten Pol gegenüberzusetzen. Ist die sich der Abhängigkeit bewusste Frommheit die Konkretisierung der Religion, so ist in Christo ihre einmalige geschichtliche Ursache (auf die Differenzierung "historisch" und "geschichtlich" Kählers soll hier verzichtet werden). Die geschichtliche Ursache "Christus" war nun in kausaler Perspektive, als Bedingung allen bedingten Empfindens das primum, in temporaler Perspektive, als Zurückliegendes (mithin von der eigenen frommen Empfindung weitgehend Abstrahiertes) demgegenüber das secundum (vgl. aber Barth, a.a.O., 416f.).

Aber auch wenn Barths Ansicht, hier zeige sich Schleiermachers "Mystik" (a.a.o., 417, auch 416), überspitzt erscheint, befindet sich die Konstruktion Schleiermachers in der Gefahr, die Gottheit gerade als trinitarisch Gedachte aufzuheben. Denn wollte man die Durchführung seiner Glaubenslehre aufrecht erhalten, müsste man in Jesus ein "Urbild", eine "Urtatsache" benennen. Eine andere Frage ist, ob Schleiermacher dies als dringliches Problem anerkannt hätte (Seine Einordnung des Dogmas unter den Glauben wurde bereits benannt). Eine dritte Frage wäre, ob die Destruktion der Schleiermacherschen Theologie, wie sie als von Barth vorgenommene exemplarisch vorgestellt wurde, nicht schon zu sehr einen anderen Welt-Begriff voraussetzt. Zumindest lässt sich in der Betrachtung der Akzentuierung von Sünde und Gnade beider Autoren ein derartiger Unterschied annehmen.

Christologisch schaltete Schleiermacher die klassische Zwei-Naturen-Lehre zumindest dort aus, wo er schrieb "dass auch die strengste Ansicht von dem Unterschiede zwischen ihm [sc. Christus] und allen anderen Menschen nicht hindere zu sagen, dass seine Erscheinung auch als Menschwerden des Sohnes Gottes etwas Natürliches sei. Denn zuerst muss doch, so gewiss Christus ein Mensch war, auch in der menschlichen Natur die Möglichkeit liegen, das Göttliche, wie es eben in Christo gewesen ist, in sich aufzunehmen " — und: "Der Erlöser ist […] allen Menschen gleich vermöge der Selbigkeit der menschlichen Natur, von allen aber unterschieden durch die stetige Kräftigkeit seines Gottesbewusstseins, welches ein eigenes Sein Gottes in ihm war." (§ 96)

Dieser später "Christologie von unten" genannte Ansatz zielte aber auf die Vermittlung des Religiösen gegenüber reinen Vernunft- und Moralbestimmungen des Menschen (s.o.). "Entgegen einer rationalen Theologie, die in Jesus nur das moralische Vorbild sah und von der Schleiermacher sich bewusst absetzt, versteht er diese Bedeutung soteriologisch als erlösende Wirkung, die von Jesus ausgeht und nur von ihm ausgehen kann eben kraft der besonderen Gegenwart Gottes in ihm." (W. Joest, Dogmatik, Bd. 1, 221)

Auch fand sich eine eigene Orientierung in der Soteriologie: "Das Christentum ist eine der den teleologischen Richtungen der Frömmigkeit angehörige monotheistische Glaubensweise, und unterscheidet sich von anderen solchen wesentlich dadurch, dass alles in derselben bezogen wird auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung ". (§11). "Teleologisch" meinte dabei "ethisch-aktiv gestaltend" (im Gegensatz zur "ästhetischen" Schicksalsverhaftung).

Gleicherart motiviert war auch die Kritik an der positiven Religion, womit Schleiermacher der anstaltlichen Religion, also der institutionellen Kirche, vorhielt, dass diese staatlich eingebunden und dirigistisch aufgebaut war: In dem "Hinweg mit jeder solchen Verbindung zwischen Kirche und Staat!", die als "Quelle des Verderbens" galt (Reden , 244), schien wieder die romantisch geprägte Individualfrömmigkeit durch. Der ekklesiologischen Problematik, die Gottesdienstgemeinde hiermit zumindest in Frage zu stellen, und der daraus dann folgenden pneumatologischen Konsequenzen konnte sich Schleiermacher aber kaum bewusst werden. Die religiöse Gemeinschaft konstituierte sich durch das Zusammentreffen produktiver und rezeptiver Individuen, also sowohl durch die der religiösen Anschauung Bedürftigen als auch durch die in ihr Schwelgenden.

Die Religion sollte so aus ihrer Funktionalität (was meinte: der Staatserhaltung) befreit werden. Noch August Neander und andere Schüler Schleiermachers konnten, so versichert Kähler, mit der Losung ausziehen: "Die Religion geht nicht zu Lehen bei dem Verstande oder der Vernunft, aber auch nicht bei der Moral […] Die Religion ist selbstständiges Leben im Menschen […]" (a.a.O., 63). Ein Ausdruck der Überschwänglichkeit dessen findet sich bei Friedrich Schiller: "Welche Religion ich bekenne? keine von allen, / die du mir nennst. — Und warum keine? Aus Religion." (Mein Glaube) Die später oft getrennten Ausdrücke Religion und Glauben konnten hier noch zusammenstehen, auch wenn der Kampf gegen die "Anstaltlichkeit" den konfessionellen Boden verließ.

Poetischer Brief

Im Zeitraum 1810/1820 dichtete Schleiermacher einen 40-zeiligen "poetischen Brief" an Friederike von Aulock, geb. von Hirsch (1764-1834), Ehefrau des Erbherrn Friedrich von Aulock (1764-1815) auf Gut Pangel bei Nimptsch (Niederschlesien). Diese Handschrift gelangte durch Erbschaft in den Besitz ihres Urenkels, des ebenfalls schlesischen Theologen Prof. Dr. Ernst von Dobschütz (1870-1934). Dobschütz ließ genau 100 Jahre später einen Abdruck dieser Originalhandschrift Schleiermachers mit Abschrift und Begleittext fertigen und widmete ihn seinem älteren Kollegen, dem Wirklichen Geheimen Oberkonsistorialrat Prof. Dr. Paul Kleinert, zu dessen 80. Geburtstag am 25. September 1917. Dieser Sonderdruck mit dem einzigartigen Gedicht Schleiermachers erschien deshalb in nur wenigen Exemplaren im Druckhaus Ehrhardt Karras GmbH in Halle (Saale).

Literatur

  • Kurt Nowak: Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung. Göttingen 2001 — ISBN 3-525-03233-1.
  • Wilhelm Baur: Geschichts- und Lebensbilder aus der Erneuerung des religiösen Lebens in den deutschen Befreiungskriegen. Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg 1893 (5. Aufl.)
  • Carl Beck: Schleiermacher, ein deutscher Mann. Neujahrs-Gabe an das deutsche Volk aus seinen Briefen und Schriften. Rupp, Reutlingen 1869
  • Hans-Joachim Birkner: Schleiermacher-Studien. Eingeleitet und herausgegeben von Hermann Fischer. (Schleiermacher-Archiv. Band 16) De Gruyter, Berlin 1996 ISBN 3-11-014253-8
  • Josef Bohatec: Schleiermachers Religionsbegriff, 1904
  • Sebastian Brunner: Die vier Grossmeister der Aufklärungs-Theologie in ihrem Schreiben und Treiben verständlich und nach Möglichkeit erheiternd dargestellt. Herder, Paulus, Schleiermacher, Strauss. Schönigh, Paderborn 1888
  • Rudolf Eucken: Die Träger des deutschen Idealismus. Ullstein, Berlin 1924
  • Albrecht Geck: Schleiermacher als Kirchenpolitiker. Die Auseinandersetzungen um die Reform der Kirchenverfassung in Preußen (1799–1823). Luther-Vg., Berlin 1997. (Unio und Confessio. Band 20) ISBN 3-7858-0370-2
  • Albrecht Geck, Die „demokratische“ Kirche in einem demokratischen Staat. Zur Edition der kirchenpolitischen Schriften Friedrich Schleiermachers – Nicht nur ein Beitrag zum Preußenjahr 2001, in: Praktische Theologie. Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Kirche 37 (2002), 154–157.
  • Albrecht Geck, Sozialethische und sozialpolitische Ansätze in der philosophischen und theologischen Systematik Schleiermachers, in: M. Friedrich/N. Friedrich/T. Jähnichen/J.-Chr. Kaiser (Hgg.), Sozialer Protestantismus im Vormärz. Bochumer Forum zur Geschichte des sozialen Protestantismus 2, Münster 2001, 133–146.
  • Albrecht Geck, Schleiermachers Kirchen- und Real-Kirchenpolitik zwischen Revolution und Restauration (1799-1823), in: U. Barth/C.-D. Osthövener (Hgg.), 200 Jahre „Reden über die Religion“. Akten des 1. Internationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft Halle 14.–17. März 1999, Schleiermacher Archiv 19, Berlin/New York 2000, 909–927.
  • Friedrich Wilhelm Kantzenbach: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. — Rowohlt, Reinbek 1999. ISBN 3-499-50126-0
  • Andreas Reich: Friedrich Schleiermacher als Pfarrer an der Berliner Dreifaltigkeitskirche 1809-1834. De Gruyter, Berlin 1992 (Schleiermacher-Archiv. Band 12) ISBN 3-11-013636-8
  • Roger Töpelmann: Romantische Freundschaft und Frömmigkeit. Briefe des Verlegers Georg Andreas Reimer an Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (Spolia Berolinensia. Berliner Beiträge zur Geistes- und Kulturgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Band 16) Weidmann, Hildesheim 1999 ISBN: 3-615-00210-5
  • Ehrenfried von Willich: Aus Schleiermachers Hause : Jugenderinnerungen seines Stiefsohnes. Reimer, Berlin 1909
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