Gräfenberg-Zone
Bei der Gräfenberg-Zone, oder Gräfenberg-Ring auch G-Zone, G-Punkt oder G-Spot, handelt es sich um eine erogene Zone in der Vagina. Bei manchen Frauen führt ihre Stimulation sehr schnell zu einem Orgasmus, andere empfinden diese jedoch als wenig oder nicht erregend. Sie ist nach Ernst Gräfenberg benannt, einem deutschen Arzt, der 1950 in einem Artikel von einer „erogenen Zone in der vorderen Vaginalwand, entlang der Harnröhre, die bei sexueller Stimulation anschwillt“ schrieb. Allerdings wird der G-Punkt bei der Frau erst ab einem gewissen Erregungsgrad als erogene Zone aktiv. Die Gräfenberg-Zone und auch der A-Punkt liegen im Bereich der sogenannten Halban'schen Faszie oder Septum vesicovaginale die sich zwischen der Vagina und der Harnblase befindet. Einige Untersuchungen legen darüber hinaus eine Bedeutung der G-Punkt-Stimulation im Geburtsvorgang nahe.[1][2]
Geschichtliches
Reinier de Graaf beschrieb (1672)[3] als Erster die weibliche Ejakulation und verwies auf eine besonders sensible Zone in der vorderen, ventralen Scheidenwand, die er mit der Prostata des Mannes in Zusammenhang brachte und die später von dem deutschen Gynäkologen Ernst Gräfenberg auf seiner Suche nach dem vaginalen Lustzentrum der Frau als Gräfenberg-Zone wiederentdeckt wurde.[4] Auch der englische Geburtshelfer und Arzt William Smellie erwähnte die weibliche Ejakulation während des Koitus.[5]
Anatomie
Die Zone liegt etwa fünf Zentimeter vom Scheideneingang entfernt an der Vorderwand der Scheide. Sie hat die Form einer abgeflachten Halbkugel von etwa zwei Zentimeter Durchmesser und eine Vertiefung in der Mitte. Im Bereich der G-Zone liegt nach Gräfenberg die „Prostata feminina“, deren Drüsengewebe bei sexueller Stimulation Sekrete produziere und in der Folge zur weiblichen Ejakulation führen könne, einem mehrschübigen pulsierenden Ausstoß. Es handelt sich hierbei um die sogenannten Paraurethraldrüsen, weil sie um (para) die Harnröhre (Urethra) herumliegen. Da sie vom Gynäkologen Alexander Skene genau untersucht wurden, nennt man sie auch Skene-Drüsen.[6]

Ein Merkmal des G-Punkts ist, dass sich das Gewebe an dieser Stelle rau, gerippt oder hart anfühlt, während die übrige Scheidenwand glatt ist. Die Form, Größe und Empfindlichkeit kann stark variieren. Die Art der notwendigen Stimulation hängt nicht nur von dem physiologischen Körperbau, der Morphologie und Anatomie, sondern auch von den erlernten Reaktionsschablonen ab. Für den Orgasmus spielt bei Frauen vor allem die Stimulation der Klitoris (auch „C-Punkt“) eine wesentliche Rolle. Stimulationen weiterer erogener Zonen neben dem G-Punkt, wie des A-Punkts oder des Gewebes um die weibliche Harnröhrenmündung („U-Punkt“) dienen ebenfalls dem Lustgewinn. Der allein durch Stimulation der erogenen Zonen innerhalb der Vagina erreichte Orgasmus wird „vaginaler Orgasmus“ genannt. Es ist umstritten, ob er sich vom „klitoralen Orgasmus“ unterscheidet.
Kritik
Die Auffassung, der G-Punkt sei eine anatomisch klar umschriebene und regelhafte Struktur, wird von Wissenschaftlern diskutiert. In die meisten Anatomie-Lehrbücher hat die Gräfenberg-Zone keinen Eingang gefunden.
Terence M. Hines, Psychologe an der New Yorker Pace University, kommt in einem Artikel mit dem Titel The G-Spot: a modern gynecological myth, der 2001 im American Journal of Obstetics and Gynaecology publiziert wurde, zu dem Ergebnis:
“The evidence is far too weak to support the reality of the G-spot. Specifically, anecdotal observations and case studies made on the basis of a tiny number of subjects are not supported by subsequent anatomic and biochemical studies.”
„Die Beweislage für die Existenz des G-Punktes ist viel zu schwach. Insbesondere wurden Einzelbeobachtungen und Fallstudien mit einer kleinen Anzahl von Personen gemacht, die nachfolgend nicht durch anatomische und biochemische Studien bestätigt wurden.“
Eine Studie des King’s College der Londoner Universität an Zwillingen kommt beispielsweise zu folgendem Ergebnis:
„Der Mythos G-Punkt ist nur ein Produkt der Medien und Sexualtherapeuten. Wenn, dann existiert er nur im Kopf, abhängig vom Charakter der Frau. Und das hat auch nichts mit Ernährung oder Übung zu tun.“

Die Existenz des G-Punktes diente lange Zeit als wichtige Begründung für den vaginalen Orgasmus als den einzig vertretbaren, da er allein durch die Stimulation des Penis beim Geschlechtsverkehr erreicht werden sollte. Entgegen früheren Annahmen sprechen aktuellere wissenschaftliche Untersuchungen dafür, dass 70–80 % der Frauen ausschließlich durch Stimulation der Klitoris einen Orgasmus erreichen können. Es ist vom empirischen Standpunkt davon auszugehen, dass die Mehrheit der Frauen durch bloße Penetration des Penis in die Vagina keinen Orgasmus erreichen kann. Orgasmen, die durch klitorale Stimulation ausgelöst werden, sind leichter zu erreichen, da die Glans clitoridis weit mehr als jeder andere Teil des menschlichen Körpers sensorische Nervenenden besitzt. Die Akzeptanz des klitoralen Orgasmus und die explizite äußere Stimulation war ein wichtiger Meilenstein bei der Emanzipation der Frau.[14]
G-Spot amplification
Mit der „G-Spot amplification“[15] (auch „G-Spot augmentation“ oder „G-Shot“) wird der G-Punkt mit Kollagen vergrößert und sensibilisiert, um dadurch zeitweilig das Lustempfinden sexuell aktiver Frauen zu steigern. Die Wirkung soll sechs Monate andauern. Der Nutzen ist allerdings nicht untersucht, und der Eingriff ist mit Risiken, wie z. B. Infektionen, Dyspareunie oder Vernarbung verbunden.[16] Wie bei allen medizinisch nicht notwendigen, sondern rein ästhetischen oder sexuellen Gründen dienenden Eingriffen sollte bei unter 16-Jährigen die Einwilligung der Erziehungsberechtigten vorliegen.
Risikolos als Alternative ist das Tragen von „Love Balls“, die die Beckenbodenmuskulatur stärken und ebenfalls die u. a. Orgasmusfähigkeit erhöhen sollen.
Literatur
- Ernst Gräfenberg: The Role of the Urethra in Female Orgasm. In: International Journal of Sexology. Band 3, 1950, S. 145 [11]
- F. Addiego, E. G. Belzer, J. Comolli, W. Moger, J. D. Perry, B. Whipple: Female ejaculation: A case study. In: The Journal of Sex Research. Band 17. 1981, S. 13–21.
- Alice Kahn Ladas, Beverly Whipple, John D. Perry: Der G-Punkt: das stärkste erotische Zentrum der Frauen, Heyne, München 1983, ISBN 3-453-01806-0.
- C. A. Darling, J. K. Davidson, C. Conway-Welch: Female ejaculation, perceived origins, the Gräfenberg spot/area, and sexual responsiveness. In: Archives of sexual behavior. Band 19, 1990, S. 29–47
- Cabello Santa Maria Paco: Communication au XVème congrès mondial de sexologie. Paris 2001
- M. Zaviacic, R. J. Ablin: The female prostate and prostate-specific antigen. Immunohistochemical localization, implications of this prostate marker in women and reasons for using the term "prostate" in the human female. In: Histol. Histopathol. Band 15 (1), 2000, S. 131–142
- T. M. Hines: The G-spot: A modern gynecologic myth. In: American Journal of Obstetrics and Gynecology, Band 185, 2001, S. 359–362
- Nicola Jones: Bigger is better when it comes to the G spot. In: New Scientist. 3. Juli 2002 (newscientist.com [abgerufen am 29. Juni 2006]).
- Clint Arthur: 9 Free Secrets of New Sensual Power, this entertaining true story will guide you to professional, personal & spiritual success using simple systems for sexual ecstasy. New Sex Institute, Marina Del Rey, CA 2004, ISBN 0-970163-78-9.
- Deborah Sundahl: Weibliche Ejakulation und der G-Punkt. (Originaltitel: Female ejaculation and the G-spot, übersetzt von Elisabeth Liebl). Nietsch, Freiburg im Breisgau 2006, ISBN 3-934647-95-2
- Marie-Claude Benattar: Plaisir d'Amour: eine neue Methode zur Entdeckung des G-Punkts (= Plaisir féminin, übersetzt von Helga Schenk), Nietsch, Emmendingen 2010, ISBN 978-3-939570-68-4.
- Matthias David, Frank C. K.Chen, Jan-PeterSiedentopf: Ernst Gräfenberg: Wer (er)fand den G-Punkt? Dtsch Arztebl 2005; 102(42): A-2853 / B-2407 / C-2270 [12]
Weblinks
- Yella Cramer: G-Punkt-Massage. 23 Massagegriffe und -techniken; (pdf-Datei)
- Ausführliche Übersicht (Stand 1982), mit Literaturliste
- Welt online: Italienische Forscher messen bei Frauen unterschiedliche Dicke des Gewebes zwischen Harnröhre und Vagina
Einzelnachweise
- ↑ Martina Eirich: G-Punkt und Geburt. DHZ 06/2005
- ↑ Matthias David,; Frank C. K. Chen, Jan-Peter Siedentopf: Ernst Gräfenberg: Wer (er)fand den G-Punkt? Dtsch Arztebl 2005; 102(42): A-2853 / B-2407 / C-2270 [1]
- ↑ Reinier de Graaf: De mulierum organis in generationi inservientibus tractatus novus. Tractatus novus demonstrans tam homines et animalia caetera omnia, quae viviparadicuntur, haudminus quam vivipara ab ovo originem ducere. Leiden 1672.
- ↑ Kenneth Mah, Yitzchak M. Binik: The nature of human orgasm: A critical review of major trends. Clinical Psychology Review, Vol. 21, No. 6, S. 823–856, 2001 [2]
- ↑ Joanna B. Korda, Sue W. Goldstein, Frank Sommer: The History of Female Ejaculation. 2010 International Society for Sexual Medicine, J Sex Med 2010;7:1965–1975 [3]
- ↑ H. Ümit Sayin: Doors of Female Orgasmic Consciousness: New Theories on the Peak Experience and Mechanisms of Female Orgasm and Expanded Sexual Response. NeuroQuantology (November 2012) 10(4):692-714 DOI: 10.14704 , siehe S. 697 [4]
- ↑ Yella Cremer: G-Punkt-Massage Kurzanleitung - mit 23 Massagetechniken in Bild und Text. Copyright 2017 bei Yella Cremer, www.lovebase.com [5]
- ↑ Forscher können den G-Punkt nicht finden. In: Welt Online Online vom 5. Januar 2010, zuletzt abgerufen am 13. Januar 2010
- ↑ Alexander J. C. Skene: The anatomy and pathology of two important glands of the female urethra. William Wood & Co, New York 1880. [6]
- ↑ Milan Zaviacic, R. J. Ablin: The female prostate and prostate-specific antigen. Immunohistochemical localization, implications of this prostate marker in women and reasons for using the term "prostate" in the human female. Histology and Histopathology, Vol 15, No 1 (2000) [7]
- ↑ Wachsmodell der Paraurethraldrüsen aus Zaviacic et al. [8]
- ↑ Wachsmodell der Paraurethraldrüsen aus Zaviacic et al. [9]
- ↑ Milan Zaviacic, Beverly Whipple: Update on the Female Prostate and the Phenomenon of Female Ejaculation. The Journal of Sex Research Vol. 30, No. 2 (May, 1993), S. 148–151
- ↑ Four Nerve Six Pathway Theory of Female Orgasm. At least six pathway-orgasmic reflex arch systems work during the development of female orgasms. Pudental, Pelvic, Hypogastric, intercostal and Vagus nerves constitute the main nerve network system. Also there are at least two Oxytocin pathway systems, whereas Oxytocin works as a neurotransmitter and as a hormone, separately. During expanded orgasms and ESR orgasms, more than one 'orgasm reflex arch pathway' is activated and trigger an expanded orgasm, while many others contribute to the formation of an EO or ESR orgasms.[10]
- ↑ THE G-SHOT. TESS, 7. Mai 2003, abgerufen am 4. Mai 2012.
- ↑ Committee on Gynecologic Practice, American Congress of Obstetricians and Gynecologists: ACOG Committee Opinion No. 378: Vaginal "rejuvenation" and cosmetic vaginal procedures. In: Obstetrics and Gynecologz. 110. Jahrgang, Nr. 3, September 2007, S. 377–378, PMID 17766626.