Berolinismus
Als Berlinismus wird ein nur in Berlin übliches Wort (z. B. Spitznamen für bestimmte Gebäude) oder eine dort geprägte Redewendung bezeichnet.
Spitznamen
Viele Berliner Spitznamen sind weit über die Grenzen Berlins bekannt. Der Berliner Volksmund ist berühmt dafür, allgegenwärtig mit diesen Spitznamen durchsetzt zu sein.
Wie bei allen Spitznamen (im 17. Jahrhundert spitz = verletzend) handelt es sich meist um Spottnamen, die einen kurzen Ersatznamen für den realen Namen geben, der sich aus den Charakteristika der Sache oder der Person ergeben. Die Alltagssprache des Berlinischen ist berühmt dafür, vergleichsweise ruppig zu sein, und soll recht frei Spottnamen verwenden.
Tatsächlich ist dies jedoch ein Märchen, das auch von Touristenführern und Reiseliteratur gern kolportiert wird. Im täglichen Umgang der Menschen werden der Fernsehturm und der Funkturm auch eben so genannt. Die alternativen Namen werden nur ironisch gebraucht oder wenn man Touristen ein wenig verwirren möchte.
Viele spitze Bezeichnungen sind stark zeitbezogen. Da jedoch echte und angebliche Spitznamen vor allem von den Medien zur Herstellung eines Berliner Lokalkolorits verbreitet werden, kann zumindest zeitweise so manche sehr eigenartige Bezeichnung auch ohne weiteren Satzbezug von den Berlinern verstanden werden. Die funktionellen Namen überwiegen jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch.
- Abgetrocknetenhaus - Abgeordnetenhaus.
- Autobahn Köpenick-Pankow (hochkant) - Berliner Mauer 1961...1990.
- Banane - Areal zwischen Alexanderplatz und U-Bahnhof Jannowitzbrücke auf dem u.a. das Einkaufszentrum Alexa errichtet wird.
- Bierpinsel - mittlerweile offizieller Name für das Turmrestaurant Steglitz.
- Big Benz - angeblicher Name des Carrillon, Glockenturm neben dem »Haus der Kulturen der Welt« (früher Kongreßhalle) im Tiergarten. Der Turm war ein Geschenk der damaligen Firma Daimler-Benz (heute Daimler-Chrysler) an die Stadt Berlin. In Anlehnung an Big Ben.
- Blackbox (Anspielung auf das Aussehen) - Erwin-Schrödinger-Zentrum auf dem Adlershofer Campus der Humboldt-Universität
- Bohrinsel - früher geläufig für das Zugangsgebäude U-Bahnhof Fehrbelliner Platz
- Bonnies Ranch - Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf-Wittenau.
- Café Achteck - die achteckigen, früher für Berlin typischen Gründerzeitpissoirs.
- Café Schönstedt - Amtsgericht in der Schönstedtstraße. Der Seitenflügel diente jahrzehntelang als Jugendgefängnis.
- Denkbeule - angeblicher Spottname für die Kuppel des Reichstages
- East Side Gallery - mittlerweile offizieller Name eines Reststücks einer zur Berliner Mauer gehörenden Grenzbefestigung zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße.
- Eierwärmer - Das Reichstagsgebäude mit der neuen Glaskuppel.
- Erichs Lampenladen - Spottname für den Palast der Republik bis zur Wende.
- Gebetsgasometer - neben Lippenstift und Puderdose ein Spitzname für Egon Eiermanns Neubau der Gedächtniskirche.
- Goldelse - Bezeichnung der Figur auf der Spitze der Berliner Siegessäule.
- Gürteltier - das Ludwig-Erhard-Haus, Verwaltungsgebäude der IHK Berlin.
- Hohenschöngrünkohl - Bezeichnung für Hohenschönhausen, das früher für den Gemüseanbau bekannt war
- Hohler Zahn - Spitzname der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Breitscheidplatz.
- (VEB) Horch und Guck - Flüsterbezeichnung für die Stasi im allgemeinen und für das Gebäude des MfS in der Normannenstraße.
- Hundekopf - früher geläufiger Name der Berliner Ringbahn.
- Hungerharke oder Hungerkralle - Spitzname des Denkmals für die Berliner Luftbrücke in Tempelhof.
- Klein Istanbul - Rixdorf im Bezirk Neukölln
- Kohlosseum - angeblicher Spottname des Bundeskanzleramts; Bauplanung und -beginn des recht massig ausgefallenen Gebäudes unter Helmut Kohl — daher auch "Elefantenwaschmaschine".
- Kommode - Bezeichnung für das Gebäude der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität.
- Langer Lulatsch - Spitzname des Berliner Funkturms am Messegelände, der an einen langen schlaksigen Kerl erinnert.
- Lippenstift und Puderdose - die beiden Gebäude der neuen Gedächtniskirche
- Merkwürdiges Viertel - scherzhafte Bezeichnung für das Märkische Viertel, eine Hochhaussiedlung im Bezirk Reinickendorf
- Mont Klamott - der große Bunkerberg im Volkspark Friedrichshain.
- Netzspinne - der schematische Linienplan des Netzes S-Bahn und der U-Bahn.
- Nuttenbrosche - der Brunnen auf dem Alexanderplatz
- Palazzo Prozzo - Spottname für den Palast der Republik.
- Peppers Manhattan - das Hochhaus des Europa-Centers, benannt nach seinem Erbauer K.H. Pepper.
- Protzkeule - Berliner Fernsehturm (zur Demonstration der Überlegenheit des Sozialismus, vgl. Telespargel; von den DDR-Offiziellen aber gar nicht gern gehört)
- Retourkutsche - früher geläufiger Name der Quadriga auf dem Brandenburger Tor (wurde auf Anordnung Napoléons I. 1806 nach Paris gebracht und kam erst 1814 wieder retour)
- Rosinenbomber - halboffizieller Name der Flugzeuge der Berliner Luftbrücke.
- Rost- und Silberlaube - Institutsgebäude der Freien Universität in Dahlem.
- Roter Kasten - früher für die später zerstörte Schinkelsche Bauakademie.
- Rotes Rathaus - nach der offiziellen Umbenennung in Berliner Rathaus noch immer sehr geläufige Bezeichnung; seit der Wahl Klaus Wowereits zum Regierenden Bürgermeister teilweise auch als „Rosarotes Rathaus“ bezeichnet.
- Sing-Sing - scherzhafte Bezeichnung für den Neubau der Deutschen Oper in der Bismarckstraße, doppeldeutig für "singen" (in der Oper), und da die fensterlose Fassade angeblich an das New Yorker Staatsgefängnis „Sing-Sing“ bei Ossining erinnere.
- Schröderwürfel - angeblicher Spottname für das Gebäude des Kanzleramtes im Tiergarten, benannt nach dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder.
- Schwangere Auster - Spitzname der Kongreßhalle/Haus der Kulturen der Welt im Tiergarten.
- Schweineöde - scherzhafte Bezeichnung für Schöneweide (anspielend auf dezentrale Lage), entsprechend Oberschweineöde
- Stift St. Walter oder Sankt-Walter-Kathedrale - Frühere Bezeichnung der Ost-Berliner Bevölkerung für den Berliner Fernsehturm am Alexanderplatz, da dessen kugelförmiger Korb - sehr zum Ärgernis des SED-Regimes - das Sonnenlicht in Form eines weithin sichtbaren Kreuzes reflektierte.
- Suppenschüssel - die Granitschale im Lustgarten (Berlin)
- Tantiemenbunker - Verwaltungsgebäude der GEMA am Wittenbergplatz
- Tapetenschloss oder "Schloss Potemkin" - angebliche Spitznamen für das geplante neue/alte Berliner Stadtschloss (das von Wiederaufbaubefürwortern als Kulisse aufgestellt wurde, um für einen Wiederaufbau zu werben).
- Telespargel - Berliner Fernsehturm zwischen Marx-Engels-Forum und Alexanderplatz; von den DDR-Offiziellen gern verbreitete Bezeichnung (vgl. Protzkeule).
- Tränenpalast - das Abfertigungsgebäude des ehemaligen Grenzübergangs Friedrichstraße
- TSK (Tote Schwarze Katze, Anspielung auf den Namen und das Aussehen) - Erwin Schrödinger-Zentrum auf dem Adlershofer Campus der Humboldt-Universität
- Villa Kunterbunt - früher für das Landgericht Berlin.
- Waschmaschine - angeblicher Spottname für das Gebäude des Kanzleramtes im Tiergarten.
- Wasserklops - geläufiger Name des Weltkugelbrunnens am Breitscheidplatz.
- Zirkus Karajani - frühere Bezeichnung für die Philharmonie am Tiergarten nach dem ehemaligen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker Herbert von Karajan.
daneben existieren zahlreiche Kurznamen für wichtige Straßen, Gegenden, Plätze und Einrichtungen:
- Ahof - Adlershof
- Alex - Alexanderplatz in Mitte
- Der Alte Fritz - Reiterstandbild Friedrichs des Großen Unter den Linden.
- Anhalter - Berlin Anhalter Bahnhof in Kreuzberg.
- Baume - Spitzname für den Ortsteil Baumschulenweg.
- Erpel - Kurzbezeichnung für den Ernst-Reuter-Platz (E.-R.-Pl.).
- Ferbe - Kurzbezeichnung für den Fehrbellliner Platz.
- F-Hain - Abkürzung für den Stadtteil Friedrichshain.
- Görli - Görlitzer Park in Kreuzberg.
- JWD - Ganz weit draußen (Berlinisch: Janz weit draußen), Kurzbezeichnung für die Randgebiete Berlins und dessen Umland
- KDN - Kurzform für Kaulsdorf-Nord
- Ku'damm - Kurfürstendamm in Charlottenburg und Wilmersdorf.
- Kotti - Kottbusser Tor in Kreuzberg.
- Kutschi - Kurt-Schumacher-Platz in Reinickendorf.
- KW (KaWe) - Kurzformen für Königs Wusterhausen bei Berlin
- Leo - Leopoldplatz im Wedding.
- Moabit - meist die Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit.
- Normannenstraße - früher Umschreibung für die Stasizentrale an diesem Ort
- O'burg - Oranienburg bei Berlin.
- O'burger - Oranienburger Straße
- O-Platz, O-Straße - Oranienplatz, Oranienstraße in Kreuzberg
- OTH - Kurzbezeichnung für die Gegend um den U-Bahnhof Onkel Toms Hütte.
- Plötze - meist die Jugendstrafanstalt Berlin-Plötzensee
- Potse - Potsdamer Straße in Schöneberg.
- Prenzl'berg - Touristen geläufige Kurzform des Stadtteils Prenzlauer Berg von Berlin.
- Stutti - Stuttgarter Platz in Charlottenburg.
- Te-Damm - Tempelhofer Damm in Tempelhof.
- Theo - Kurzform für Theodor-Heuss-Platz
- VN-Insel - Pfaueninsel
- Zoo - Kurzbezeichnung für das Zentrum West-Berlins zwischen Bahnhof Zoo, Breitscheidplatz und Kudamm-Eck
Redewendungen
- Dit is doch Jacke wie Hose → das ist vollkommen egal
- Dit is mich allens eens → das ist mir völlig egal
- Der jibt an wie 'ne Tüte Mücken (auch: Lore Affen) → Der gibt an wie eine Tüte Mücken. (angeben = prahlen) → hier: stark übertreiben
- Ick jeb dir eens uff'n Deez, detste durch de Rippen kiekst wie'n Affe durch't Jitter. → Ich gebe Dir gleich eins auf den Deez (= Kopf), dass Du durch die Rippen kiekst (= schaust) wie der Affe durch das Gitter. → hier: mit Rauswurf drohen (Zitat aus Carl Zuckmayers Der Hauptmann von Köpenick)
- sich de Beene in'n Bauch stehn → sich die Beine in den Bauch stehen → hier: lange warten müssen
- Du hast ooch noch keen'n nackt'n Mann 'n Bonbon an't Hemde jeklebt → Du hast wohl auch noch keinem nackten Mann einen Bonbon an das Hemd geklebt → hier: Veralbern kannst du jemand anders.
- Da staunste Bauklötzer → hier: große Augen machen
- Der jeht ran wie Hektor anne Buletten → Der geht ran wie Hektor an die Bouletten → etwas mit sehr viel Elan erledigen (eben wie Hektor, der Hund, der über die Buletten herfällt) - kann pos. oder neg. verstanden werden, z.B.: deutlich ein Mädel anmachen.
- Der hat 'n schlimm'n Finger am Fuß. → Krankheit vortäuschen
- Der wird ausde Latschen kippen (Latschen = Pantoffeln) → hier: Er wird sprachlos sein.
- Du riskierst ne janz schön große Lippe → hier: dreist daherreden
- Dit liegt ja j.w.d. (JWD = janz weit draußen) → hier: mit langem Anfahrtsweg
- Ey Meesta, jeht'it no'? → hier: Sind Sie verrückt? z.B. "Wollen Sie tatsächlich hier parken?"
- Uff da andan Saite stet 'n zuet Auto mipp'm app'm Rad → Auf der anderen Seite steht ein zu(geschlossen)es Auto mit einem ab(gefallen)en Rad.
- Ick verkasematuckel dir gleich ma'! → hier: Ich werde dich zusammenschlagen!
- Da kiekste, wa? → Da schaust Du aber, stimmt's? → Meist ein Spruch auf das Erstaunen eines anderen.
- Ick find' dir richtich schniecke! → hier: Ich finde dich sehr hübsch!
- Muff'nsaus'n ha'm / krie'ng → Muffensausen haben / kriegen → Angst haben / bekommen (von Muffe für hintere Körperöffnung und "sausen" für hörbar Wind durchpfeifen).
- wat uff’m Kast’n ha’m → etwas auf dem Kasten haben → hier: fähig sein
- aus’m Kopp → aus dem Kopf → hier: auswendig
- Nu machma Fuffzn Puppe! → Jetzt mach mal halblang, Mädchen! → von "Fuffzehn machen" (Fünfzehn Minuten) Pause machen
Abschließend sei gesagt: Nich jeschimft ist jenuch jeloobt.
Sonstige Wörter
Einige Wörter bzw. Aussprachen lassen sich kaum über Ausspracheregeln aus dem Hochdeutschen ableiten.
- auf [ ] → uf(f) [ ]
- bisschen [ ] → bissjen [ ]
- dann [ ] → denn [ ] (n [ ] bei Liaison: was ist denn? [ ] → wat is ’n? [ ] → wat’n? [ ])
- das [ ] → dit [ ] / det [ ]
- die [ ] → die [ ] / de [ ]
- doofe [ ] → doove [ ]
- ein [ ] → 'n [ ] (unbestimmter Artikel)
- elf [ ] → ölv(e) [ ]
- es [ ] → it [ ] (t [ ], z.T. auch s bei Liaison: wenn er es [ ] → wennat [ ], geht es → jeht's)
- -es [ ] → -et [ ] (alles [ ] → allet [ ])
- etwas [ ] / was [ ] → wat [ ]
- fünf [ ] → fümv(e) [ ]
- gucken [ ] → kiek’ng [ ]
- ich [ ] → ick [ ]
- nicht [ ] → nich [ ]
- nichts [ ] → nüscht [ ] / nichs [ ] / nix [ ]
- nö [ ] → nee [ ]
- Schnautze → Schnute (im Sinne von "Mund")
- solche [ ] → so ’ne [ ] (auch für die Mehrzahl)
- und [ ] → un' [ ]
- viele [ ] → ville [ ] oder vülle [ ]
- weil [ ] → wall [ ]
- zwölf [ ] → zwölv(e) [ ]
Zum Vergleich: Einige berlinische Wörter bzw. phonetische Merkmale, die aber auch in anderen Dialekten auftauchen, finden sich auch im Hochdeutschen wieder.
- wohlmöglich → wohłmöglich → womöglich
- eene meene Muh [ ]
- wenn schon, denn schon
- für ’n App’l und ’n Ei (für sehr wenig Geld)
Zitate
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- Singt Eener Uffn Hof
- Ick hab ma so mit dir jeschunden,
- Ick hab ma so mit dir jeplacht.
- Ick ha in sießen Liebesstunden
- zu dir »Mein Pummelchen« jesacht.
- Du wahst in meines Lehms Auf un Ab
- die Rasenbank am Elternjrab.
- Mein Auhre sah den Hümmel offen,
- ick nahm dir sachte uffn Schoß.
- An nächsten Tach wahst du besoffen :
- un jingst mit fremde Kerle los.
- Un bist retuhr jekomm, bleich un schlapp –
- von wejen: Rasenbank am Elternjrab!
- Du wahst mein schönstet Jlück auf Erden,
- nur du – von hinten und von vorn.
- Mit uns zwee hätt et können werden,
- et is man leider nischt jeworn.
- Der Blumentopp vor deinen Fensta
- der duftet in dein Zimmer rein ...
- Leb wohl, mein liebes Kind, und wennsta :
- mal dreckich jeht, denn denke mein –!