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Trinkkultur in Europa

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„Gepflegte“ Getränke sind der Ausweis einer gehobenen Trinkkultur

Unter Trinkkultur versteht man das Trinken, Zubereiten und Darbieten von alkoholischen Getränken und von Getränken, die als Genussmittel bezeichnet werden wie Kaffee, Tee und Kakao. Soziologen und Historiker benutzen den Begriff im Allgemeinen nur im Zusammenhang mit Alkohol. Als Bestandteil der Kultur gelten auch alle nötigen Utensilien (Geschirr, Besteck) und die speziellen Trinkorte.

In fast allen Regionen der Welt existiert nicht nur eine Esskultur, sondern auch die Einnahme von Getränken ist mit bestimmten Ritualen oder Zeremonien verbunden. So wird die Trinkkultur in den meisten Gesellschaften zu einem wichtigen Kulturträger.

Soziologische Aspekte

Es gibt eine ganze Reihe wissenschaftlicher Studien zur Geschichte und Bedeutung der Genussmittel. Bei den soziologischen Publikationen zur Trinkkultur steht der Alkohol im Vordergrund, da er das mit Abstand älteste bekannte trinkbare Genussmittel ist. Kaffee, Tee und Kakao wurden im Westen dagegen erst in der Neuzeit eingeführt.

Für das Trinken von Alkohol gab und gibt es in allen bekannten Kulturen Regeln. "Drinking, in every culture, is a rule-governed activity, hedged about with prescriptions and norms concerning who may drink how much of what, when, where, with whom, in what manner and with what effects." (Social Issues Research Centre, siehe Weblinks) Übersetzt: Das Trinken (von Alkohol) ist in allen Gesellschaften eine geregelte Aktivität, eingegrenzt durch Vorschriften und Normen im Hinblick darauf, wer wieviel von was trinkt, wann, wo, mit wem, auf welche Weise und zu welchem Zweck. Eine Ausnahme bilden die islamischen Gesellschaften, aber auch dort gilt eine feste Regel, nämlich das Alkoholverbot.

Aus den bekannten Studien ergibt sich, dass es vor allem eine kulturübergreifende Regel gibt, und das ist die gesellschaftliche Ablehnung des einsamen Alkoholkonsums (solitary drinking). Alkoholgenuss wird als soziale Aktivität aufgefasst, die dazu dient, soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Wer alleine zu Hause trinkt, gerät in den Verdacht, ein Alkoholiker zu sein. Außerdem ist es üblich, alkoholische Getränke mit anderen zu teilen. Sie alleine zu konsumieren, gilt daher als unsozial.

In nahezu allen Kulturen wird vor allem bei festlichen Anlässen reichlich getrunken. Alkohol und Feste gehören kulturell fast untrennbar zusammen. Es gibt jedoch Länder, in denen die Trinkkultur Bestandteil des Alltags ist, so dass auch ohne besonderen Anlass Alkohol serviert wird; das ist zum Beispiel in den europäischen Mittelmeerländern Italien, Spanien und auch in Frankreich der Fall. Soziologen unterscheiden zwischen Gesellschaften mit "integrierter Trinkkultur" wie in den erwähnten Mittelmeerländern, wo kein besonderer Anlass für Alkoholgenuss nötig ist, und Nationen mit "ambivalenter Trinkkultur", wo Alkohol zwar gesellschaftlich durchaus akzeptiert ist, aber nicht ohne jeden Anlass, wie in England und in Deutschland.

Das kann bei ausländischen Besuchern etwa in Frankreich zu Missverständnissen führen, wie ein englischer Autor ausführt: "Drinks may be offered at ten o'clock in the morning, for example. (...) What are we celebrating? During the midday meal, wine is served. What fun! What are we celebrating? The bars are open all afternoon, and people seem to be drinking. What a riot! What are we celebrating? Pastis is served at six o'clock. Whoopee! These people certainly know how to celebrate. More wine is served with dinner. (...)" (zitiert nach SIRC; übersetzt: Drinks werden zum Beispiel um 10 Uhr am Vormittag angeboten. Was feiern wir? Zum Mittagessen wird Wein serviert. Welch ein Spaß! Was feiern wir? Die Bars haben am Nachmittag geöffnet, und die Leute trinken. Welch ein Happening! Was feiern wir? Um 18 Uhr wird Pastis serviert. Super! Diese Leute verstehen es zu feiern. Zum Abendessen gibt es noch mehr Wein.) In England wäre das nur an einem besonderen Feiertag denkbar, in Frankreich gehört das zum Alltag.

Alkohol wird auch symbolische Bedeutung zugeschrieben. Champagner beispielsweise gilt in Mitteleuropa als Getränk für besondere, feierliche Anlässe. In einer Publikation wird erwähnt, dass in Österreich Sekt einen eher formellen, offiziellen Charakter hat, während Schnaps das typische Getränk bei privaten Zusammenkünften ist. Die symbolische Bedeutung werde auch daran deutlich, dass das Anbieten von Schnaps während eines Gesprächs dazu führen könne, dass die Anrede vom formellen Sie zum vertrauten Du wechselt.

Die Art des Getränks gilt auch als Statusindikator, denn nicht alle Alkoholika gelten als "gleichwertig". Importierte Getränke haben oft einen höheren Status als einheimische, und den Konsumenten ist das jeweilige Image bewusst. In Polen zum Beispiel gilt Wein als Getränk der Mittelschicht, während das einheimische Bier und Wodka die Getränke der unteren Schichten sind. Folglich bevorzugen polnische Studenten Wein. In Frankreich dagegen ist Wein ein Alltagsgetränk und hat keinen besonderen Status. Hier bevorzugen junge Akademiker Importbier. (Quelle: SIRC)

Getränke können auch zu Symbolen nationaler Identität werden: Guiness steht für Irland, Tequila für Mexiko, Whisky für Schottland, Ouzo für Griechenland. Das Nationalgetränk zu trinken, kann zu einem Akt des Patriotismus werden.

In allen Kulturen finden sich auch einschränkende Regeln im Hinblick auf den Alkoholkonsum von Frauen und Kindern bzw. Jugendlichen. Es wird erwartet, dass sie deutlich weniger Alkohol trinken als Männer. Fast überall gibt es auch Unterschiede zwischen Alkoholika, die als "männlich" und solchen, die als "weiblich" gelten. Die "Frauengetränke" enthalten weniger Alkohol, gelten als "leichter" und sind oft süßer. Likör gilt zum Beispiel als typisches Frauengetränk, im Gegensatz zum Schnaps. Im Allgemeinen gilt es für Frauen als unweiblich, "harte" Drinks zu konsumieren, während es unter Männern verpönt ist, die "Frauengetränke" zu trinken.

Es ist unter Soziologen umstritten, ob die Alkoholbeschränkungen für Frauen und Heranwachsende vorrangig gesundheitliche Gründe haben, oder ob sie die gesellschaftliche Hierarchie symbolisch betonen sollen, wonach gewisse Getränke mit höherem Status allein den erwachsenen Männern vorbehalten sind.

Trinksitten

Historisch

In früheren Zeiten wurde in Mitteleuropa wesentlich mehr Alkohol getrunken als heute; Wein und Bier waren Alltagsgetränke, denn das Wasser konnte aus hygienischen Gründen nicht pur getrunken werden. In Deutschland nahm ein großer Teil der Bevölkerung bis weit in die Neuzeit hinein morgens eine Biersuppe zu sich. Außerhalb von Mahlzeiten nahm das Trinken der Männer im Allgemeinen den Charakter eines Gelages an. Die Trinksitten verlangten, dass ein angebotenes Getränk nicht abgelehnt werden durfte, das wäre als Beleidigung aufgefasst worden. Solange die Mittrinker noch tranken, durfte keiner aufhören, denn das galt als Zeichen von Schwäche und Unmännlichkeit. So wurde oft gezecht bis zur Bewusstlosigkeit, wie Chronisten berichten. Die Trinksitten schrieben das Kampftrinken vor, eine Form des Duells ohne Waffen. Wer sich diesen Regeln entziehen wollte, wurde zum Außenseiter und wurde sozial ausgegrenzt, oder er wurde sogar zum Feind erklärt.

Von Grimmelshausen ist die Äußerung überliefert, dass beim so genannten Zutrinken oft regelrecht "der Angstschweiß ausbrach, doch es musste gesoffen sein", um sich keine Blöße zu geben oder geächtet zu werden. Adlige Herren hatten den Vorteil, dass sie mitunter ersatzweise ihre Diener vorschicken konnten, die dann in ihrem Namen mittrinken mussten. Dahinter stand teilweise auch die Angst, beim Trinken vergiftet zu werden. In einem Singspiel von 1793 von Joachim Perinet heißt es: "Wer niemals einen Rausch hat g'habt, der ist ein schlechter Mann, wer seinen Durst mit Achteln labt, fang lieber gar nicht an". Dieser Satz war lange Zeit ein geläufiges Zitat.

Seit dem 16. Jahrhundert gingen weltliche und geistliche Obrigkeit mit Verordnungen gegen diese Trinksitten vor. Ein Teil der Trinkstuben wurde geschlossen, die Schankzeiten wurden verkürzt. Außerdem wurden Vereinigungen gegründet, die Mäßigkeit beim Trinken propagierten. So gab es die Brüderschaft der Enthaltsamkeit oder den Orden der Mäßigkeit. Es ging keineswegs darum, dem Alkoholgenuss ganz zu entsagen, sondern lediglich um das Vermeiden des sonst fast unvermeidlichen "Vollrausches". Auch der Klerus beteilte sich den Überlieferungen zufolge häufig an Trinkgelagen.

Im 18. Jahrhundert wurde der Branntwein in den unteren Schichten populär; der starke Konsum wurde mit dem Begriff Branntweinpest bezeichnet. Durch den vermehrten Ausschank von Schnaps änderten sich die Trinksitten insofern, dass der Rausch jetzt deutlich schneller eintrat als bei Wein oder Bier. Und in den "besseren Kreisen" diente Alkoholkonsum nicht mehr als Form des Duells. Historiker vertreten die Ansicht, dass die Industrialisierung einen deutlichen "Ernüchterungseffekt" hatte, denn die Arbeit in den Fabriken ließ sich zwar mit einem gewissen Alkoholpegel besser ertragen, in betrunkenem Zustand war sie jedoch nicht zu bewältigen und führte zur Entlassung oder zu Arbeitsunfällen.

Binge Drinking

Als Binge Drinking wird seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im englischen Sprachraum übermäßiger Alkoholkonsum bis zum Kontrollverlust, mitunter bis zur Bewusstlosigkeit, verstanden. Mediziner benutzen mitunter eine Definition, wonach der Konsum von vier alkoholischen Getränken bei Frauen und von fünf Alkoholika bei Männern innerhalb von zwei Stunden bereits als Binge Drinking zu werten ist. Die sinngemäße Übersetzung wäre Kampftrinken oder Wetttrinken, die historische Entsprechung ist das Trinkgelage.

Am ausgeprägtesten ist die Erscheinung des Binge Drinking in Irland, Großbritannien und den USA, obwohl es in den letzten Jahren auf dem europäischen Kontinent bei jungen Leuten zunehmend populär wird. Die Aussagen von regelmäßigen Teilnehmern an solchen "Sauftreffen" deuten darauf hin, dass das Ziel des übermäßigen Trinkens der möglichst schnelle Rausch inklusive Bewusstlosigkeit ist. Genuss wird eindeutig nicht angestrebt. In den Ländern, in denen bei jedem Essen selbstverständlich Wein getrunken wird und Jugendliche auf diese Weise früh in die Trinkkultur des Landes eingeführt werden, sind diese Saufgelage (noch) sehr selten. Völlige Trunkenheit gilt in diesen Ländern als gesellschaftlich nicht akzeptabel und unkultiviert.

Auf dem europäischen Kontinent ist Binge Drinking fast ausschließlich unter Jugendlichen verbreitet, weniger unter Erwachsenen. Besuche in der Kneipe dauern meist mehrere Stunden, der Alkoholkonsum verteilt sich so über einen längeren Zeitraum. In Großbritannien wird der Alkohol im Gegensatz dazu relativ schnell konsumiert, was früher zu einem Zustand der Trunkenheit führt. Gefördert wird das übermäßige Trinken auch dadurch, dass jede britische Universität einen eigenen Pub betreibt. In der Öffentlichkeit betrunken zu sein, zu torkeln oder sich zu übergeben erregt weniger Anstoß als in vielen anderen Ländern. Das sind jedenfalls die Aussagen einiger Studien in diesen Ländern.

Den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch von Alkohol haben in Europa die Iren mit umgerechnet 12 Litern reinem Alkohol pro Jahr, gefolgt von Großbritannien mit 9 Litern. In Skandinavien und Deutschland liegt er bei 6 Litern. Das ist das Ergebnis einer internationalen Studie. Etwa die Hälfte aller irischen Männer und 16 Prozent der Frauen nehmen danach einmal pro Woche an einem Binge Drinking teil. In Großbritannien ist das bei 38 Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen der Fall. (Quellen: englische Wikipedia und Weblinks)

Genussoptimierung

Hierzu zählen alle Maßnahmen, Hilfsmittel und Raumausstattungen, die dem Zweck dienen, den Genuss der Flüssigkeitsaufnahme zu maximieren. So bieten viele Getränke schon bei der Herstellung die Möglichkeit, durch Sorgfalt und Know-how den Genuss zu verbessern, wobei die eigentliche Herstellung (Anbau von Tee und Kaffee, Keltern von Wein, Brauen von Bier etc.) nicht im engeren Sinn zur Trinkkultur gehört.

Das Zubereiten und Servieren wird jedoch sehr wohl dazugerechnet. Hochentwickelt ist die Kunst des Teekochens und Kaffeeaufbrühens. Ein weiteres Beispiel ist die Degustation von Weinen, inklusive Darbietung im richtigen Glas etc. oder die Kulte, die sich rings um den schottischen Whisky gebildet haben. Auch die Rituale und Legenden, die sich im Kanton Jura und Neuenburger Jura um den Genuss von Absinth gebildet haben, gehören zur Trinkkultur in diesem Sinne.

In der Inlokal-Szene des 20. Jahrhunderts entstand eine Form des Tequilatrinkens, bei der Salz und Zitronensaft eine besondere Rolle spielen.

Noch vor wenigen Jahrzehnten warben Gaststätten mit der Formulierung „gepflegte Getränke“, was sich nicht nur auf das fachgerechte Zapfen von Bier („Ein gutes Pils braucht sieben Minuten.“) bezog.

Sozialverstärkung

Eine entwickelte Trinkkultur stellt die alltägliche Flüssigkeitsaufnahme in den Dienst einer höheren Sache, zum Beispiel in die Pflege der Sozialbeziehungen der gemeinsam Trinkenden (siehe auch Ritual). Alkoholische Getränke werden hier oft als besonders wirksam erachtet. Die einfachste Form ist das „Zuprosten“ und zeitgleiche Trinken, zu zweit oder in größeren Gruppen, oft nach einer Ansprache (engl. toast), auf das gegenseitige Wohl oder auf einen oder mehrere Dritte.

Bierduell von Georg Mühlberg (1863–1925), um 1900

Im deutschsprachigen Raum hat sich die ausgeprägteste Form von sozialverstärkender Trinkkultur bei den Studentenverbindungen erhalten, die im Laufe des 19. Jahrhunderts aus dem zwanglosen abendlichen Essen, Trinken und Rauchen die mehr formellen Veranstaltungsformen Kneipe und Kommers entwickelt haben.

Eine besonders ritualisierte Form des Zutrinkens ist der Schoppensalamander, der auf eine Trinksitte vermutlich des 18. Jahrhunderts zurückgeht.

Typisch für die Entwicklung der Studentenverbindungen in Deutschland besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind geschriebene Bier-Comments, die das Trinkverhalten auf der Kneipe im Detail regelten – bis hin zu strengen Sanktionen bei Fehlverhalten. Jugendlicher Übermut führte dabei auch zur Entwicklung des noch heute vielfach durchgeführten „Bierjungen“.

Eine Weinprobe vermittelt eine Möglichkeit, das varianten- und genussreiche Getränk Wein in geselliger Runde zu erkunden.

Weitere Beispiele für Trinkkultur in diesem Sinne sind die britische Tea Time oder die Ostfriesische Teekultur, die durchaus mit dem deutschen nachmittäglichen Kaffeetrinken verglichen werden können.

In Ostasien bestehen verschiedene Formen von Teezeremonien. Das in China verbreitete Gong Fu Cha ähnelt in seinem Ablauf und Zweck einer Weinverkostung.

Religiöses Erleben

Sadō

Die japanische Teezeremonie (auch Teeweg) Sadō ist eingebettet in die Philosophie des Zen-Buddhismus. Ziel ist weder ein geselliges oder gar ausschweifendes Zusammensein, noch eine Berauschung (mit Alkohol), sondern die innere Einkehr.

Siehe auch

Wiktionary: trinken – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Symposion, Alkoholmissbrauch, Ernährungssoziologie, Trinkspiel, Trinkgelage

Literatur

  • Europäische Esskultur. Eine Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute. Gunther Hirschfelder, ISBN: 3593379376
  • Ulrich Wyrwa: Branntewein und ›echtes‹ Bier. Die Trinkkultur der Hamburger Arbeiter im 19. Jahrhundert. (Sozialgeschichtliche Bibliothek, Hrsg.: Dieter und Ruth Groh), Junius Verlag, Hamburg 1990.