Schorlemer (Adelsgeschlecht)

Schorlemer ist der Name eines alten westfälischen Adelsgeschlechts. Die Herren und Freiherren von Schorlemer gehören zu den bedeutendsten Geschlechtern des westfälischen Uradels.
Geschichte
Schon um 1200 traten wohl Angehörige als Kolonisatoren der Ostseegebiete auf. Erstmals urkundlich erwähnt wird das Geschlecht 1217 mit Reinfridus de Scurlemere.[1] Benannt nach einem heute nicht mehr zu lokalisierenden Ort in der Lippstädter Gegend, nach anderer Ansicht im Schörmel bei Sendenhorst im Münsterland (siehe unten, Ursprung in Sendenhorst), besaßen die Herren von Schorlemer seit dem 13. Jahrhundert die Herrschaft Friedhardtskirchen mit den Gütern Overhagen, Hellinghausen und Herringhausen (heute alle Ortsteile von Lippstadt).
Aus dem Geschlecht sind namhafte Angehörige hervorgegangen wie der sogenannte westfälische Bauernkönig Burghard Freiherr von Schorlemer-Alst, Nationalökonom, Parlamentarier und Gründer und Leiter des Westfälischen Bauernvereins, und dessen Sohn, der preußische Landwirtschaftsminister Clemens Freiherr von Schorlemer-Lieser.
Linien
Im 14. Jahrhundert traten mehrere Linien unter den Namen Klusener, von Erwitte (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen alten Geschlecht) und Stenhule auf. Ab dem 15. Jahrhundert entwickelten sich aus dem Stamm Schorlemer drei große Linien auf den Rittergütern Overhagen, Herringhausen und Hellinghausen bei Lippstadt, die letztere seit dem 16. Jahrhundert mit den Ästen Oberhellinghausen und Niederhellinghausen. Die Linie Overhagen erlosch allerdings schon im 18. Jahrhundert, die Linie Heillinghausen im 19. Jahrhundert. Angehörigen der Linie Herringhausen gelang es aber im Laufe der Zeit, alle drei Rittergüter wieder in einer Hand zu vereinigen. Der von dem Geschlecht gewohnheitsrechtlich getragene Freiherrentitel fand 1844 preußische Anerkennung.
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Schloss Overhagen (um 1860), seit dem 13. Jh. im Besitz der Familie
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Schloss Herringhausen, seit dem 15. Jh. im Besitz der Familie
Linie Herringhausen

Um 1800 starben die um 1450 auf vier Söhne aufgeteilten Familienlinien teilweise wieder aus. Somit fielen die Linien Hellinghausen mit Nieder- und Oberhellinghausen sowie die Linie Overhagen an die verbliebene Linie Herringhausen zurück. Damit war der Familienbesitz wieder vereint.
Friedrich Clemens Freiherr von Schorlemer (1815–1885) war der erst geborene Sohn des Friedrich Wilhelm von Schorlemer (1786–1849) und begründete den neuen Zweig Herringhausen. Seine Erbnachfolge auf Overhagen, Herringhausen und Hellinghausen trat der erstgeborene Sohn Friedrich (1842–1921) an; dessen Erbe wurde sein Sohn Friedrich Ludwig (1878–1948). Klemens Freiherr von Schorlemer (1932–2012) trat sodann das Erbe seines Vaters an. Er war seit 1966 mit Anna-Elisabeth Gräfin von Mensdorff-Pouilly (* 1932) verheiratet. Nach dem Tod von Klemens trat sein Sohn Friedrich Freiherr von Schorlemer (* 1971) das Erbe an.
Friedrich Clemens' Bruder Wilhelm von Schorlemer (1821–1884) wurde Offizier, Landrat und Politiker. Er kaufte sich als Wohnsitz Gut Vehr. Er war Mitglied des Reichstages (1880 bis 1884) und des preußischen Abgeordnetenhauses (1879 bis 1882).
Der jüngste Bruder Burghard von Schorlemer-Alst wurde ebenfalls Politiker und ist als „Westfälischer Bauernkönig“ bekannt. Er war der Gründer des „Westfälischen Bauernvereins“ und Initiator der ländlichen Genossenschaftsbewegung in Westfalen sowie als Reichstagsabgeordneter ein bedeutsamer Widersacher der Politik Bismarcks im Kulturkampf. 1852 erwarb er das Rittergut Alst bei Horstmar. Sein Sohn Clemens Freiherr von Schorlemer-Lieser (1856–1922) erwarb 1895 das Weingut Schloss Lieser an der Mosel und wurde Oberpräsident der preußischen Provinz Schlesien sowie der Rheinprovinz und von 1910 bis 1917 preußischer Landwirtschaftsminister.
Besitzungen
Schloss Overhagen und Schloss Herringhausen sind bis heute im Familienbesitz geblieben, ebenso das Gut Hellinghausen, dessen um 1650 gebautes Schloss allerdings um 1820 abbrannte und nicht wieder aufgebaut wurde; das erhalten gebliebene Torhaus wird noch bewohnt. Außerdem gehören Familienzweigen die Wasserburg Volperhausen im Rheinland und das Rittergut Lonne bei Bramsche sowie das Gut Grundhof im Großherzogtum Luxemburg.
Haus Alst bei Horstmar blieb von 1852 bis 1935 im Besitz der Familie, Gut Vehr bei Quakenbrück von 1876 bis 1929, Gut Schlichthorst bei Merzen bis in die 1980er Jahre und das Weingut Schloss Lieser an der Mosel von 1895 bis 1981, samt dazugehörigem Weingut in Zeltingen-Rachtig.
Ursprung in Sendenhorst
Das Werdener Gut im »Scurilingis miri«, im Schierlingsumpf, wurde im 12. Jahrhundert namengebend für eine Familie, die zwar in Sendenhorster Urkunden keine Spuren hinterlassen hat, die aber umso größere Bedeutung außerhalb des Münsterlandes erlangte. Die Familie von Schorlemer hat ohne Zweifel ihren Ursprung und Stammsitz im Schörmel nordöstlich der Siedlung Sendenhorst. Zum Schutz gegen feindliche Überfälle errichteten die Schorlemers inmitten ihrer Sendenhorster Güter eine Turmhügelburg, eine „Motte“. Das war die bis ins 13. Jahrhundert hinein übliche Art des Burgenbaus: In der Talaue der Angel wurde ein kreisrunder Hügel aufgeworfen, ringsum mit einem Wassergraben umzogen und mit Palisaden und einem festen Blockhaus gesichert.[2] Die Schorlemers suchten Verdienst und Auskommen bei auswärtigen Herren. Sie mieden das Dienstverhältnis zu ihrem bischöflichen Landesherrn. So nennen die Urkunden sie als Ritter und Burgmannen im Gefolge der Grafen von Arnsberg und Ravensberg. Genau wie hundert Jahre später ostwestfälische Adelsfamilien, wie die Retberg und von Quernheim, in den Sendenhorster Raum einsickern und hier sesshaft und begütert werden, genauso drängen die Schorlemers aus Sendenhorst hinaus nach Süd- und Nordosten. Sie erwerben Güter in der Umgebung von Soest und Lippstadt, werden Bürger von Soest, Lippstadt, Geseke und Osnabrück.
Die Schorlemers waren mit der Familie von Warendorf versippt. Beide Familien waren maßgeblich an der Kolonisation und Besiedlung des Raumes zwischen Elbe und Ostsee beteiligt. Von Giselbert von Warendorf wissen wir, dass er zu dem Konsortium von Fernhandelskaufleuten und Adligen gehörte, das 1156 Lübeck gründete. Ludolf und Reinfried von Schorlemer sind Ende des 12. Jahrhunderts in angesehener Stellung als Truchsessen, Amtmänner oder Drosten der Grafen von Ratzeburg südlich von Lübeck. Reinfried, der Jüngere, war ein erfolgreicher Siedlungsunternehmer, ein »Lokator«, der im Auftrage seines gräflichen Herren Dörfler plante, Siedler anwarb und Ackerland zuwies. Man kann annehmen, dass Reinfried auch Siedlungswillige aus der Stammheimat seiner Familie, aus Sendenhorst, anwarb. Auf jeden Fall kam die Mehrheit der Siedler aus Westfalen. In dem von slawischen Wenden nur dünn besiedelten Gebiet gründete Reinfried von Schorlemer nicht weniger als zehn Dörfer, bei Lauenburg, bei Schwarzenbeck, am Schaalsee und südlich von Lübeck.
Als Kriegsmannen stritten die Schorlemer auf der Seite der Grafen von Holstein gegen die Dänen. Reinfried von Schorlemer kämpfte im Aufgebot der norddeutschen Fürsten, die am 22. Juli 1227 dem Dänenkönig Waldemar II. bei Bornhöved (südlich Bad Segeberg) eine vernichtende Niederlage verschafften. Bornhöved beschränkte die dänische Herrschaft auf die Eidergrenze. In einem ersten Vertrag bürgte Reinfried zusammen mit dem Grafen von Schwerin gegenüber dem gefangenen Dänenkönig. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts treffen wir Mitglieder der Familie Schorlemer in Lübeck, letztmals 1296 Reynfridus Scorlemorle.[3] Die weitere Geschichte der Schorlemer kann nicht Gegenstand dieser Ortsgeschichte sein. Erwähnt werden sollte jedoch ein bedeutender Vertreter dieser ursprünglich Sendenhorster Familie, Burghard Freiherr von Schorlemer-Alst (1825–1895), Zentrumspolitiker und engagierter Verfechter bäuerlicher Interessen. Von Schorlemer-Alst gründete 1862 den Westfälischen Bauernverein (»Bauernkönig«), war 1875–1887 Mitglied des Deutschen Reichstags und bemühte sich als Zentrumspolitiker während des Kulturkampfes um einen Ausgleich mit dem Staat.[4]
Die westfälische Linie der Schorlemer von Fredehardskirchen führte im Wappen einen doppelt gezinnten Rechtbalken. Mit genau diesem Wappenbild siegeln im 14./15. Jahrhundert die Mitglieder einer Familie mit dem Spitznamen Mule (= Maul). Die Mule weisen sich durch Wappengleichheit als bescheidene Vettern der erfolgreicheren Schorlemers aus. Es ist der in der Heimat verbliebene Familienzweig, dem der ganz große soziale Aufstieg versagt blieb. Die Mules erscheinen vor allem in Urkunden, die Güter in der Bauerschaft Elmenhorst und in den Nachbarkirchspielen zum Inhalt haben. Vielleicht haben sie in Elmenhorst gewohnt. Auf jeden Fall waren sie zeitweilig bischöfliche Richter und Burgmannen zu Wolbeck.[5] Die ehemals selbständige Landgemeinde Sendenhorst, das Kirchspiel, wählte 1938 das Wappen der Schorlemer-Mule für ihr Gemeindewappen, eine sicherlich sinnvolle Erinnerung an eines der großen Geschlechter des mittelalterlichen Sendenhorst.[6][7]
Wappen

Das Stammwappen zeigt in rot einen schrägrechten silbernen Wechselzinnenbalken. Auf dem Helm mit rot-silbernen Decken sind drei goldene, oben mit fünf grünen Hahnenfedern besteckte Schalmeien.


Namensträger
- Hermann Werner Joseph von Schorlemer, Oberst (aus der Linie Overhagen), bezog das Schloss Herzford, 1734/1735 Regimentsinhaber eines paderbornischen und von 1735 bis 1766 eines münsterschen Infanterieregiments
- Ludwig Wilhelm von Schorlemer (1695–1776), von 1747 bis 1760 Regimentsinhaber eines preußischen Dragonerregiments
- Johann Itel von Schorlemer (um 1740), Kaiserlicher Reichs-Kammergerichts-Pfenningmeister.
- Franz Friedrich Wilhelm von Schorlemer (1761–1814), Vater von Friedrich Wilhelm von Schorlemer
- Friedrich Wilhelm von Schorlemer (1786–1849), u. a. Vater von Wilhelm von Schorlemer und Burghard von Schorlemer-Alst
- Wilhelm von Schorlemer (1821–1884), preußischer Offizier, Landrat und Politiker der Zentrumspartei.
- Burghard von Schorlemer-Alst (1825–1895), deutscher Politiker, Begründer des westfälischen Bauernvereins, Vorsitzender der Zentrumspartei im Preußischen Landtag, Reichstagsabgeordneter und im Kulturkampf Gegner Bismarcks. Vater von Clemens Freiherr von Schorlemer-Lieser
- Friedrich von Schorlemer-Alst (1854–1934), Jurist, Landrat im Kreis Ahaus, Mitglied des westfälischen Provinziallandtags, Neffe von Wilhelm von Schorlemer
- Clemens Freiherr von Schorlemer-Lieser (1856–1922), preußischer Landwirtschaftsminister
- August Freiherr von Schorlemer-Lieser, Sohn von Clemens Freiherr von Schorlemer-Lieser
- Ferdinand von Schorlemer (1870–1935), Sohn von Wilhelm von Schorlemer, Landrat des Kreises Warburg
- Karl Friedrich Freiherr von Schorlemer (1886–1936), deutscher Gutsbesitzer, Jurist und Politiker (DNVP)
- Wilhelm Freiherr von Schorlemer (1888–1965), deutscher Politiker (NSDAP) und SA-Führer
- Reinhard von Schorlemer (* 1938), deutscher Politiker, gehörte für die CDU dem deutschen Bundestag an
- Sabine Irene Freifrau von Schorlemer (* 1959), deutsche Völkerrechtlerin und ehemalige sächsische Wissenschaftsministerin; ehemalige Ehefrau des Wirtschaftsanwalt Andreas Freiherr von Schorlemer
Literatur
- Otto Hupp: Münchener Kalender 1927. Buch u. Kunstdruckerei AG, München / Regensburg 1927.
- Schorlemer, Freiherren von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, ISBN 978-3-428-11204-3, S. 479–482 (Digitalisat).
- Genealogisches Handbuch des Adels, Band 69, 1979
- Genealogisches Handbuch des Adels, Adelslexikon Band XIII, Band 128 der Gesamtreihe, C. A. Starke Verlag, Limburg (Lahn) 2002, ISSN 0435-2408
- Gothaisches genealogisches Taschenbuch der freiherrlichen Häuser auf das Jahr 1859. Neunter Jahrgang, S.744ff
Weblinks
- Urkundenregesten aus dem Archiv der Familie von Schorlemer im Schloss Herringhausen / Digitale Westfälische Urkunden-Datenbank (DWUD)
- Wappen derer von Schorlemer in Johann Siebmachers Wappenbuch von 1605
- Wappen derer von Schorlemer im Wappenbuch des westfälischen Adels
- SendenhorsterGeschichten.de auf [1]
- Schloß Herringhausen. Dieter Radine, abgerufen am 5. April 2013.
Einzelnachweise
Aus: Heinrich Petzmeyer: Sendenhorst – Geschichte einer Kleinstadt im Münsterland. S. 50–52
- ↑ Westfälisches Urkundenbuch VII 134
- ↑ Zur Namensdeutung vgl. die einschlägigen Werke: HERMANN JELLINGHAUS, Die westfälischen Ortsnamen nach ihren Grundwörtern. Osnabrück 1923. ADOLF BACH, Deutsche Namenkunde. II I u. 2, die deutschen Ortsnamen. Heidelberg 1954. FORSTEMANN- JELLINGHAUS, Altdeutsches Namenbuch. 2. Band 1913. Maurits-Gysseling, Toponymisch Woordenboek van Belgie, Nederland. Luxemburg. Nordfrankrijk enWest-Duitsland (voor 1226). Brüissel 1960. Außerdem; SCHMiIDER, Die Ortschaften der Provinz Westfalen bis zum Jahre 1300 (Münster. Beiträge zur Geschichtsforschung III 12). Münster 1936.
- ↑ Das Institut für Mundart und Namenforschung Münster (G. Müller) gab wertvolle Informationen, konnte aber für „Senden“ keine Deutung geben. Die von Prof. Zurbonsen hergestellte Ableitung von Synodum (kirchliche Versammlung) kann nicht zutreffen, weil das lateinische Wort um 900 noch nicht zu „…Send“ eingedeutscht war.
- ↑ Diese Deutung, die von G. Müller bestätigt wird, gibt Anton Schulte in seinem Aufsatz zur älteren Geschichte von Vorhelm. In; QPB 5 S. 248–266.
- ↑ Friedrich Kurze (Hrsg.): Annales regni Francorum 784. Hannover 1895.
- ↑ Adolf TIBUS, Gründungsgeschichte der Stifter, Pfarrkirchen, Klöster und Kapellen im Bereiche des alten Bistums Münster. Münster 1871–1885. ALBERT K. HÖMBERG, Studien zur Entstehung der mittelalterlichen Kirchenorganisation in Westfalen. In: WF 6 (1953), S. 46–108.
- ↑ Heinrich Petzmeyer: Sendenhorst – Geschichte einer Kleinstadt im Münsterland