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Caryl Chessman

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Zwölf Jahre wartete Caryl Chessman im Todestrakt von San Quentin auf seine Hinrichtung.

Caryl Whittier Chessman (* 27. Mai 1921 in St. Joseph, Michigan; † 2. Mai 1960) war ein wegen Raub und Vergewaltigung verurteilter US-Amerikaner, der vor allem wegen seines zwölfjährigen Aufenthalts in der Todeszelle 2455 des kalifornischen San-Quentin-Gefängnisses bekannt wurde.

Chessman, der bis zuletzt seine Unschuld betonte und mehrere Bücher im Todestrakt verfasste, wurde am 2. Mai 1960 in der Gaskammer des Gefängnisses hingerichtet. Der Fall erregte weltweit Aufmerksamkeit und löste eine weitreichende Diskussion über die Rechtmäßigkeit der Todesstrafe aus. Ob Chessman tatsächlich der so genannte „Rotlicht-Bandit“ war, für dessen Taten er hingerichtet wurde, ist auch mehr als 40 Jahre nach seinem Tod stark umstritten.

Biographie

Jugendjahre

Chessman wurde in Michigan geboren. Seine Familie zog jedoch kurz darauf in die kalifornische Stadt Glendale um.

Chessmans Jugend war von zahlreichen schweren Erkrankungen und häufigen Wohnortwechseln geprägt. So erkrankte er mit fünf Jahren an einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung. Nachdem sich bei ihm später Anzeichen für Asthma zeigten, zog die Familie nach Pasadena, wo das vermeintlich bessere Klima die Auswirkungen der Krankheit lindern sollte. Hier entdeckte Chessman sein Talent für das Klavierspiel, dass er allerdings nach einer schweren Gehirnhautentzündung aufgeben musste. Im Alter von 8 Jahren überlebte er einen schweren Verkehrsunfall auf dem Rücksitz des Autos seiner Mutter. Chessmans Mutter blieb fortan querschnittsgelähmt, er selbst erlitt einen Nasen- und einen Kieferbruch.

Die Lähmung der Mutter verschlechterte die finanzielle Situation der Chessmans und die Familie musste erneut in eine schlechtere Wohngegend von Glendale umziehen. Später erkrankte Chessman an Diphtherie und musste ein halbes Jahr das Bett hüten.

Nach seiner Genesung beging Chessman seine ersten Straftaten. Auf mehrere Einbrüche folgten erste Autodiebstähle und Geldfälschung. Bei einem Überfall auf eine Metzgerei wurde Chessman verhaftet, konnte jedoch aus dem Gefängnis fliehen. Im Jahr 1937 wurde er nach einem Autodiebstahl erneut verhaftet und in die Besserungsanstalt „County Forrestry Camp“ gebracht, aus dem er ebenfalls zweimal floh. Daraufhin wurde er an die „Preston State Industrial School“ in Ione überwiesen, aus der ihn der zuständige Richter ein Jahr später wieder entließ.

Chessman setzte seine Einbrüche und Diebstähle jedoch ungehindert fort. Hinzu kamen Überfälle auf Bordelle in den Hollywood Hills. Nach einer weiteren Verhaftung kam er wegen Autodiebstahls und Geldfälschung erneut in die „State Industrial School“. Erst im Juni 1939 wurde er entlassen und zog zu seinen Eltern nach Los Angeles. Nur wenige Wochen danach kam er erneute mit dem Gesetz in Konflikt und wurde für einen Diebstahl ins Gefängnis gesperrt. Nach mehreren Diebstählen und längeren Aufenthalten in Besserungsanstalten lernte Chessman ein Mädchen kennen, mit der er nach Las Vegas flüchtete. Nach der Rückkehr nach Glendale heiraten beide. Doch schon kurz nach der Heirat gründete Chessman mit Jugendlichen, die er in den Besserungsanstalten kennengelernt hatte, eine Bande und beging weitere Überfälle und Diebstähle.

Bei einem Überfall auf eine Tankstelle wurde er abermals verhaftet und im darauffolgenden Verfahren schuldig der Teilnahme an vier Einbrüchen gesprochen. Chessman wurde zu 16 Jahren Haft verurteilt. Am 11. Mai 1941 betrat Chessman das erste mal das Gefängnis San Quentin. Seine Zelle lag gegenüber dem Todestrakt, in dem er später die letzten Jahre seines Lebens verbringen sollte. Im Gefängnis wurde er zum Hauptassistenten des Erziehungsbeauftragten und war Leiter des „Prisoner Debating Team“.

Ab 1942 verfasste er Beiträge für das Radioprogramm „San Quentin on Air“. Aufgrund seiner vorbildlichen Führung wurde Chessman nach einem Jahr in die Haftanstalt in Chino verlegt. Die Sicherheitsvorkehrungen waren dort deutlich geringer und so flüchtete er nach vier Monaten Aufenthalt durch ein Hintertor, wo er bereits von Freunden mit einem Fluchtauto erwartet wurde.

Schon kurze Zeit darauf wurde er wieder verhaftet und erneut nach San Quentin gebracht, wo er bis 1945 blieb. Anschließend wurde er nach Sacramento verlegt. Nachdem sich seine Frau von ihm scheiden ließ, verbrachte Chessman noch zwei weitere Jahre in Haft. Der Rest seiner Strafe wurde im Dezember 1947 zur Bewährung ausgesetzt. Nach seiner Entlassung ging er nach Los Angeles, wo er mehrere bewaffnete Überfälle auf Wettbüros beging.

Der Rotlicht-Bandit

Chessman war noch keine zwei Monate auf freiem Fuß, als er am 23. Januar 1948 verhaftet wurde, nachdem er sich zuvor eine Verfolgungsjagd mit der Polizei geliefert hatte. Chessman wurde bezichtigt, der berüchtigte „Rotlicht-Bandit“ zu sein, der in Los Angeles seit mehreren Wochen Liebespaare überfiel. Der Rotlicht-Bandit suchte sich stets in einsamen Ausfallstraßen parkende Wagen aus. Den Insassen vermittelte er durch eine Blinkleuchte auf dem Dach seines Wagens den Eindruck, es handele sich um eine Polizeistreife. Von den Opfern verlangte er die Herausgabe der Geldbörsen und in einigen Fällen zwang er das weibliche Opfer, ihn zu begleiten. Einige der Opfer wurden vom Rotlicht-Banditen vergewaltigt.

Prozess und Jahre in der Haft

Aufgrund der Aussagen einiger Augenzeugen wurde Chessman vor Gericht gestellt. Dort verteidigte sich selbst und behauptete während der Verhandlung, dass das Geständnis, welches er zuvor unterschrieben hatte, ihm von der Polizei mit Gewalt abgenötigt worden war. Weiterhin behauptete er, dass ihm die Identität des wahren Rotlicht-Banditen bekannt sei. Er sei allerdings nicht bereit, dessen Namen zu verraten, da es sich um eine ihm nahestehende Person handele.

Am 25. Juni 1948 endete vor dem Schwurgericht in Los Angeles die Verhandlung des Falls „The People of the State of California versus Caryl Chessman“. Ihm wurden insgesamt 17 Verbrechen wie Raub, Entführung und Notzucht zur Last gelegt. Die Jury verkündete das Urteil: zweimal Tod durch Vergasen. Weiterhin erhielt er 15 Freiheitsstrafen, darunter einmal lebenslänglich.

Dass Chessman für Entführung überhaupt zum Tod verurteilt werden konnte, war nur aufgrund des Federal Kidnapping Act möglich. Dieses nach der Entführung von Charles Lindberghs Sohn eingeführte Gesetz war auch als „Lindbergh-Gesetz“ bekannt und wurde ursprünglich zur Bekämpfung von Kindesentführungen gedacht. Verschiedene US-Bundesstaaten, darunter Kalifornien, führten eigene Varianten des Gesetzes ein, die auch „Kleine Lindbergh Gesetze“ bezeichnet wurden. Laut dieses Gesetzes konnte ein Verbrecher, falls er seinem Opfer bei der Entführung physischen Schaden zufügte, zum Tode verurteilt werden. Dieses Gesetz fand bei Chessman Anwendung, der laut der Jury zwei seiner Opfer bei der Entführung vergewaltigt haben soll.

Chessman lernte in der Haft unter anderem den späteren Country-Star Merle Haggard kennen, der seine Strafe ebenfalls in San Quentin verbüßte. Im Gefängnis wandelte sich Chessman zum Schriftsteller und schrieb vier Bücher. Bereits vom ersten, 1954 veröffentlichten Buch Cell 2455 Death Row wurden über eine Million Stück verkauft. Das Buch wurde in 18 Sprachen übersetzt, darunter ins Deutsche. In seinem dritten Buch The Face of Justice, behauptet Chessman, dass er Vorkehrungen getroffen habe, die Identität des Rotlicht-Banditen 50 Jahre nach dem Tag zu lüften, an dem der Staat Kalifornien ein Moratorium der Todesstrafe abgelehnt hatte.

Während seiner Inhaftierung versuchte Chessman eine Wiederaufnahme seines Verfahrens zu erreichen. Er berief sich dabei auf die ungenauen Abschriften der Gerichtsprotokolle. Der ursprüngliche Stenograf war zwischenzeitlich verstorben und zwei Drittel der Aussagen noch nicht vollständig transkribiert. Chessman legte insgesamt 42 mal Berufung gegen das Urteil ein und brachte seinen Prozess bis vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten.

Sein Hinrichtungstermin wurde in den folgenden Jahren acht mal verschoben. Die folgende Übersicht zeigt die geplanten Hinrichtungstermine und die Aufschubdaten: [1]

Vorlage:Highlight3 | Geplanter Hinrichtungstermin Vorlage:Highlight3 | Aufschubdatum
28. März 1952 19. Februar 1952
27. Juni 1952 23. Juni 1952
14. Mai 1954 13. Mai 1954
30. Juli 1954 28. Juli 1954
14. Januar 1955 11. Januar 1955
15. Juli 1955 5. Juli 1955
23. Oktober 1959 21. Oktober 1959
19. Februar 1960 19. Februar 1960
2. Mai 1960 Hinrichtung trotz erneuten Aufschubs

Zuletzt wurde Chessmans Hinrichtung am 19. Februar 1960 aufgeschoben. Der damalige kalifornische Gouverneur Pat Brown war ein Gegner der Todesstrafe. Jedoch hatte er bis dato nicht im Fall Chessman interveniert. Nur Stunden vor dem angesetzten Hinrichtungstermin verschob er diesen um 60 Tage. Brown behauptete später, die Exekution nur aufgrund einer Südamerikareise Präsident Dwight D. Eisenhowers verschoben zu haben. Eine Hinrichtung Chessmans hätte dessen Sicherheit gefährden können, da der Fall bereits zu starken antiamerikanischen Protesten in Uruguay geführt hatte.

Die ständig verschobenen Hinrichtungstermine kommentierte Chessman ironisch:

Eine Katze, wurde mir gesagt, hat neun Leben. Falls das zutrifft, weiß ich wie sich eine Katze fühlt, wenn sie unter den haarsträubendsten Bedingungen gezwungen ist, die ersten acht dieser Leben in einer Kammer-des-Schreckens-Schlacht für ihr Überleben auszugeben, und der Sensenmann es sich in den Kopf gesetzt hat, dass es ein großartiger Scherz wäre, zu versuchen, auch noch das neunte einzusacken. [2]

Die bevorstehende Hinrichtung Chessmans führte weltweit zu Protesten und scharfer Kritik am US-amerikanischen Rechtssystem. Während das Urteil in der US-amerikanischen Bevölkerung weitestgehend Zustimmung fand, sprachen sich vor allem Intellektuelle wie Aldous Huxley, Ray Bradbury, Norman Mailer, Eleanor Roosevelt, Steve Allen und Robert Frost gegen das Todesurteil aus. Das Büro von Gouverneur Brown erhielt zahllose Briefe mit der Bitte um Gnade für Chessman. Noch am Vorabend der Hinrichtung forderte eine Delegation, zu der auch Marlon Brando und Shirley McLaine gehörten, eine Begnadigung Chessmans.

Die Hinrichtung

Chessman, der als Henkersmahlzeit nur Kaffee und Milch sowie etwas Eiscreme zu sich nahm, sollte nun am 2. Mai 1960 in der Gaskammer des San Quentin Gefängnisses hingerichtet werden.

Nachdem Chessman in der Gaskammer auf dem Stuhl fixiert worden war, leitete der Henker die Hinrichtung ein. Als in der Kammer die ersten Gasschwaden aufstiegen, klingelte das Telefon des Todestraktes. Chessmans Hinrichtung sollte ein weiteres mal aufgeschoben werden, der Henker entschied jedoch, dass der Vorgang bereits zu weit fortgeschritten und nicht mehr zu stoppen war. Im Hinrichtungsprotokoll heißt es:

Um 10.03 Uhr fielen die Zyanidkapseln in den Säuretank. ... Caryl Chessman atmete zwanzig Sekunden lang ruhig. Dann starrte er zur Decke. Um 10.05 Uhr begann er zu keuchen. Eine Minute später trat ihm Schweiß auf die Stirn, Speichel tropfte aus seinem Mund. Er fiel nach vorn in die Gurte, weinte, sein Körper bäumte sich auf. Um 10.12 war er tot.[3]

Der Fall Chessmann in der Populärkultur

Caryl Chessmans Leben wurde bislang zweimal verfilmt. Die erste Verfilmung Cell 2455 Death Row aus dem Jahr 1955 unter der Regie von Fred F. Sears entstand nach Chessmans im Todestrakt verfassten Buch Todeszelle 2455. Chessmans Person bildet hier die Grundlage für Figur des Whit, der aus dem Gefängnis heraus die Umstände analysiert, welche ihn in die Todeszelle gebracht haben.

Erst 1977 wurde der Fall von Regisseur Buzz Kulik erneut verfilmt. Im Film Der Mann in der Todeszelle (Originaltitel: Kill Me If You Can) übernimmt Alan Alda die Rolle des zum Tode verurteilten Straftäters. In weiteren Rollen sind Talia Shire als Chessmans Anwältin Rosalie Asher und John Hillerman zu sehen.

Auch auf dem Album The Lamb Lies Down On Broadway der britischen Band Genesis wird Chessman erwähnt. So heißt es im Stück Broadway Melody of 1974:

Caryl Chessman sniffs the air and leads the parade, he know in a scent, you can bottle all you made.

In den Linernotes zu seinem Album I Ain't Marching Anymore nennt der Songwriter Phil Ochs den Fall Chessman als Teil der Inspiration für sein Stück Iron Lady, in welchem er eine kritische Position zu Todesstrafe bezieht.

Literatur

Von Chessman verfasste Bücher

  • Chessman, Caryl: Todeszelle 2455 (engl.: Cell 2455, Death Row, 1954), Heyne Verlag, 1960, ISBN B0000BH4EF
  • Chessman, Caryl: Trial by Ordeal, Prentice-Hall Inc., 1955, ASIN B0007ITBQO
  • Chessman, Caryl: The Face of Justice, Prentice-Hall Inc., 1957, ASIN B000CBSI1K
  • Chessman, Caryl: The Kid Was a Killer, Gold Medal, 1960, ASIN B000E4CQLS

Weiterführende Literatur

  • Hamm, Theodore: Rebel and a Cause: Caryl Chessman and the Politics of the Death Penalty in Postwar California, 1948-1974 (englisch), University of California Press, 2001, ISBN 0520224280
  • Knustler, William M.: Beyond a Reasonable doubt? The original trial of Caryl Chessman, New York, 1961

Fußnoten

  1. Der Spiegel, Nr. 11/1960, S. 53, zitiert nach Eiber, S.
  2. A cat, I am told, has nine lives. If that is true, I know how a cat feels when, under the most hair-raising conditions, it has been obliged to expend the first eight of those lives in a chamber-of-horrors battle for survival, and the Grim Reaper gets it into his head that it will be great sport to try to bag the ninth.
  3. Die Todesstrafe - Fakten und Bewertung von Niklas Beckenkamp