Bündnerromanisch
Was man genau unter dem Begriff "Rätoromanisch" versteht, ist sehr vom Blickwinkel abhängig.
Man benutzt den Ausdruck zunächst als Oberbegriff für eine Gruppe von drei Sprachen, die in den schweizer und in den italienischen Alpen verbreitet sind. Zu diesen gehören das Ladinische, das Friaulische und das Rätoromanische im engeren Sinne.
Letzteres wird in der Schweiz im Kanton Graubünden von etwa 50.000 Menschen gesprochen. Ein ebenfalls geläufiger Ausdruck für dieses Rätoromanisch im engeren Sinne ist "Bündnerromanisch", durch den schon einmal der Sprachraum eingegrenzt wird. Allerdings ist es im Schweizerdeutschen üblich, von "Romanisch" zu sprechen, wenn man jene Volksgruppe meint. Die Bezeichnung "Romands" (französisch artikuliert) dagegen bezeichnet zumeist die französischsprachige Bevölkerung der Schweiz.
Die Bündnerromanen selber bezeichnen sich selbst als "Rumantsch".
Allerdings: von EINER rätoromanischen Sprache in der Schweiz zu sprechen, ist weit gefehlt. Durch die Abgeschiedenheit vieler Orte und Täler haben sich eine Vielzahl von Dialekten entwickelt, die sich dann in fünf Großdialekte unterscheiden lassen: Sursilvan (surselvisch), Sutsilvan (sutselvisch), Surmiran(isch), Puter (oberengadinisch) und Vallader (unterengadinisch). Diese Aufreihung entspricht in etwa ihrer Verbreitung von West nach Ost
Und jeder dieser fünf Großdialekte hat eine eigene Schriftsprache entwickelt!
Zwar ist "Rätoromanisch" seit 1938 die vierte Amtssprache der Schweiz, doch gab es lange Zeit Probleme darin, auf welchem Dialekt sie basieren soll.
Um die Überlebenschancen der Sprache zu erhöhen, beschloss man Ende der 1970er Jahre die Bildung einer Art Hochsprache für alle Rumantsch sprechenden. Deren Bezeichnung lautet "Rumantsch Grischun" - "Grischun" steht für "Graubünden". Entwickelt wurde sie vor allem auf Grundlage der Dialekte Vallader, Surmiran und Sursilvan von Sprachwissenschaftlern in Zürich. Seit 1982 ist Rumantsch Grischun die offizielle Amtssprache für den Schriftverkehr mit der Rumantsch sprachigen Bevölkerung.
Allerdings ist diese Sprache zunächst nicht sehr feierlich aufgenommen worden, da sie für die meisten Betroffenen eher so etwas wie ein Kunstprodukt darstellt. Vor allem musste oftmals ein Kompromiss bei der Schreibweise bestimmter Laute gefunden werden, da diese in den fünf Dialektschriften recht unterschiedlich dargestellt wurden. Dialekt und Schriftsprache sind eben nicht nur bei den Schweizerdeutschen oft zwei verschiedene Welten.
Geschichte
Die Bezeichnung "Rätoromanisch" weist auf ihre Entstehungsgeschichte hin. Ursprünglich war das heutige Verbreitungsgebiet jener Sprache(n) von einem keltischen Volksstamm besiedelt, den so genannten Rätern. Diese wurden vom Römischen Reich unterworfen. Wie auch in Gallien und anderen Regionen haben dann die Kelten recht schnell ihre eigene Sprache und Kultur aufgegeben und die Sprache der Eroberer - das so genannte Vulgärlatein -übernommen. Im Laufe der Jahrhunderte bildeten sich - auch durch die Abgeschiedenheit - die recht eigenwilligen Sprachen heraus.
Sprache
Rumantsch kennt, wie alle anderen romanischen Sprachen auch, nur zwei Geschlechter: männlich und weiblich. Auch ist die Zahl der Fälle gegenüber dem Deutschen deutlich reduziert. Einen Akkusativ und einen Dativ gibt es nicht mehr.
Wer als Deutschsprachiger erstmals Rumantsch liest, könnte es aufgrund der Ähnlichkeit für Italienisch halten. Beim zweiten Blick aber fallen Endungen wie "-ziun" oder Buchstabendkombinationen wie "tg" auf, die untypisch fürs Italienische sind.
Zwei Wort-Beispiele für die Ähnlichkeit:
Deutsch : Haus ; Wasser
Sursilvan : casa; aua
Sutsilvan : tgea; aua
Surmiran : tgesa; ava
Puter : chesa; ova
Vallader : chasa; aua
Rumantsch Grischun. : chasa; aua
Italienisch : casa; acqua
"tg" und "ch" sind von der Aussprache her identisch und bezeichnen ein "t" gefolgt von einem stimmhaften "ch"-Laut ("ich"-Laut).