Zum Inhalt springen

Stader Bronzeräder

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 11. Oktober 2018 um 23:57 Uhr durch AxelHH (Diskussion | Beiträge) (Entdeckung). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Die vier Stader Bronzeräder

Bei den Stader Bronzeräder handelt es sich um vier in Stade gefundenen Räder aus Bronze, die aus der Bronzezeit stammen und etwa 3000 Jahre alt sind.

Beschreibung

Ein Stader Bronzerad mit Holzresten in der Felge

Die vier Räder haben einen Durchmesser von 58 cm und wiegen jeweils 11,5 kg. Sie entstanden als Guss in verlorenen Form, der nur bei einem Rad gelang. Bei den anderen drei Rädern misslang der erste Versuch und es waren Nachbearbeitungen durch weitere Gussvorgänge erforderlich. Die dabei angewendeten Techniken von Überfangguss und Verbundguss zeigen, dass die Bronzehandwerker über ein hohes technisches Können und Kreativität verfügten. In den hohlen Felgen mit einem U-förmigen Profil fanden sich Reste von Eichenholz. Ursprünglich wiesen die Räder 2 cm starke hölzerne Laufflächen auf, die mit 24 Nieten an der Felge befestigt waren. Die Räder wurden offensichtlich nicht benutzt, da die Naben keine Schleifspuren aufweisen. Ein häufige Nutzung war vermutlich nicht vorgesehen, da die verwendete Bronze porös war und keine stärkere Belastung zuließ.

Untersuchungen und Präsentation

1958 wurde der gusstechnische Herstellungsprozess der Räder vom Römisch Germanischen Zentralmuseum in Mainz näher untersucht. In den 1970er erfolgte eine Restaurierung, bei der ein Rad als Reserve für zukünftige Forschungen unrestauriert blieb. 1972 wurden Holzreste eines Rades mit der C14-Methode datiert, wonach das Holz etwa 3000 Jahre alt ist. 2015 kam das noch nicht rekonstruierte und nur in Einzelteilen vorhandene Rad ins Römisch Germanische Zentralmuseum. Dort wurde es anhand von Abformungen als Kopie zusammengesetzt. Weitere naturwissenschaftliche Untersuchungen galten der Herkunft der Rohstoffe.

Vom 21. September 2018 bis 6. Januar 2019 wird ein Rad im Martin-Gropius-Bau in Berlin in der Ausstellung Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland gezeigt, die aus Anlass des Europäischen Kulturerbejahres 2018 stattfindet.

Entdeckung

Die Bronzeräder wurden 1919 bei Straßenbauarbeiten in der Goebenstraße in Stade etwa 40 bis 60 cm unter der Oberfläche entdeckt. Die Fundstelle liegt erhöht auf einer Geestkuppe über dem Tal der Schwinge. In Unwissenheit über die Bedeutung des Fundes bargen die Bauarbeiter ihn mit einer Brechstange und zerbrachen drei der vier Räder. Seitens der Baufirma erging eine Fundmeldung an das Stader Museum, das eine Nachgrabung durchführte. Dabei wurden einige bei der Fundbergung abgesplitterte Bruchstücke und zwei Bronzenägel gefunden. Die Räder wurden in das Provinzialmuseum Hannover gebracht, wo sie Karl Hermann Jacob-Friesen untersuchte. Weitere wissenschaftliche Untersuchungen nahm die staatliche Materialprüfungsanstalt Berlin-Dahlem vor. 1927 publizierte Karl Hermann Jacob-Friesen den Fund.

Vergleichsfunde

Räder eines Prozessionswagens, Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit um 700 v. Chr., Musée gallo-romain de Fourvière, Lyon

Die Stader Bronzeräder stammen aus der Zeit der Urnenfelderkultur. Typologisch werden sie der Coulon-Gruppe zugerechnet, die nach dem westfranzösischen Fundort Coulon im Département Deux-Sèvres benannt ist. Bisher (Stand 2004) gibt es neun Vergleichsfunde von Bronzeräder der Coulon-Gruppe, die sich in einem Streifen von der Mündung der Elbe bis zum Golf von Lyon verteilen.Die Fundorte liegen in den Tälern von Rhone, Loire und Saône bis zum Fuß der Pyrenäen, wobei Stade am weitesten im Norden liegt. Fundorte sind Nîmes, La Côte-Saint-André, Cortaillod, Langres und in Deutschland Haßloch. Die Räder stellen die größte Leistung des Bronzegießens in der Urnenfelderzeit bzw. der frühen Eisenzeit dar.

Deutung

Wahrscheinlich ist, dass die Räder zu einem Wagen gehörten, wobei offen ist, ob es ein zweirädriger oder vierrädriger Wagen war. Aufgrund fehlender Abnutzungsspuren wird eine alltägliche Benutzung des Wagens ausgeschlossen. Vermutet wird eine Nutzung im rituellen Kontext, wie Prozessionen oder als Transportmittel zur letzten Ruhestätte bei hochstehenden Persönlichkeiten. Es gibt neun Vergleichsfunde in einem Gebiet, dass sich von Südfrankreich bis an die Elbe zieht. Ein Herstellungsort für die Räder ist nicht bekannt, aber vermutlich gelangten die Räder als Fertigprodukt nach Stade. Der Grund der Niederlegung der Räder, bei den es sich mit 45 kg Materialgewicht an Bronze um einen größeren Hort handelt, ist bisher nicht bekannt. Eine Opferdeponierung ist möglich.

Literatur

  • Bernd Habermann: Kein Volkswagen - die Bronzeräder aus Stade, Ldkr. Stade in Archäologie in Niedersachsen 7, 2004, S. 27-28
  • Betty Arndt, Bernd Habermann: Handel. Austausch und Transport in Archäologie in Niedersachsen 14, 2011
  • Sebastian Möllers: Sensationsfund bei Bauarbeiten in: Daniel Nösler, Andreas Schäfer (Hrsg.): FundSache - Archäologie zwischen Oste und Elbe. Drochtersen, 2013, S. 64-65
  • Christopher Pare: Der Zeremonialwagen der Bronze- und Urnenfelderzeit: seine Entstehung, Form und Verbreitung (Online bei academia.edu)