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Erkenntnis

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Es existiert keine einheitliche Definition des Begriffs Erkenntnis. Häufig wird die bewusste Einsicht in einen Sachverhalt, die über das bloße Wissen hinausgeht und die Akzeptanz dieses Wissens enthält, als Erkenntnis bezeichnet.

Zum Begriff der Erkenntnis

Der Begriff der Erkenntnis ist einer der Grundbegriffe der Philosophie, der ohne Selbstbezug (Zirkel) nicht definierbar ist und dessen Verständnis deshalb aus einer erläuternden Begriffsanalyse (Explikation) gewonnen werden muss. Erkenntnis bezeichnet das Ergebnis und den Prozess des Erkennens. Erkenntnis bezeichnet immer die Beziehung zwischen einem erkennenden Subjekt und etwas Erkanntem (Objekt). Erkenntnis kann sich ebenso auf einen Sachverhalt wie auf einen Prozess beziehen. Je nachdem, ob eine Erkenntnis unmittelbar gewonnen wird oder ob sie durch eine indirekte Information entstanden ist, spricht man von der unmittelbaren (intuitiven) oder von der mittelbaren (diskursiven) Erkenntnis.

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Die verschiedenen Aspekte des Erkenntnisbegriffs

Der Begriff der Erkenntnis ist abzugrenzen von ähnlichen Begriffen wie Erfahrung, Einsicht, Wissen, Überzeugung, Meinung, Glauben und entgegenzusetzen zu Begriffen wie Ahnung, Vermutung, Spekulation sowie Vorurteile und Irrtum.

Die Vorsilbe „Er-„ im Wort Er-kenntnis ist ähnlich wie bei Er-fahren oder Er-leben eine Bezeichnung für eine über das bloße Kennen hinausgehende Einsicht in einen Gegenstand, die u.a.durch Verstehen von Wesensmerkmalen und Erinnerung gekennzeichnet ist.

Das Ergebnis des Prozesses der Erkenntnis bezeichnet man auch als Wissen. Erkenntnistheorie befasst sich daher mit der Entstehung von und dem Bestand an Wissen. Dabei ist der Begriff des Wissens allerdings nicht ausreichend, um den Begriff der Erkenntnis zu erklären. Erkenntnis beinhaltet auch die Einsicht in die Bedeutung eines Sachverhalts, ob z.B. eine Information wichtig ist für eine Problemlösung. Einsicht bedarf hingegen nicht zwingend einer Begründung, z.B. wenn man einsieht, dass etwas Gewünschtes sich nicht realisieren lässt, aber den Hinderungsgrund dafür nicht erkennt. Ähnlich wie Wissen ist Erkenntnis mit dem Anspruch der Richtigkeit verbunden. Erkenntnisse sind immer wahre Erkenntnisse. Dabei ist aber der Grad der Begründung nicht wie beim Wissen an logische Wahrheit und an einen Beweis gebunden. Erkenntnisse können sich auf einen vorwissenschaftlichen Bereich der Alltagserfahrung beziehen. In einem weiten Verständnis des Erkenntnisbegriffs werden auch Gefühle wie z.B. die Liebe sowie die Kunst als mögliche Erkenntnisquellen gesehen.

Wenn von gesicherter Erkenntnis gesprochen wird, steht dahinter die Vorstellung, dass die Erkenntnis durch wissenschaftlichen Nachweis belegt werden kann. Doch haben gerade die neuesten naturwissenschaftlichen Forschungen (Quantenphysik) gezeigt, dass zumindest in gewisser Hinsicht Aussagen nur mit Wahrscheinlichkeit gemacht werden können. Auch gilt in der Mathematik der Gödelsche Unvollständigkeitssatz, nach dem es in jedem System Aussagen gibt, die nicht innerhalb des Systems als wahr oder falsch bewiesen werden können. Dies führt zu Fragen, ob es überhaupt eine gesicherte Erkenntnis geben kann. Angesichts der Funktionsweise und der Täuschbarkeit der menschlichen Wahrnehmung entstehen darüber hinaus Fragen nach der Beschaffenheit der Realität, ob und inwieweit die Art der Erkenntnisgewinnung bereits die Erkenntnisinhalte beeinflusst.

In manchen Ländern (etwa Österreich) werden Urteile des Verfassungsgerichtshofes ebenfalls Erkenntnisse genannt. In diesem Fall ist das Wort nicht Femininum, sondern Neutrum.

Forschungsrichtungen

Die Erforschung der Wege zur Erkenntnis sind Sache der Kognitionswissenschaften (v. lat.: cognitio = Erkenntnis) und der Epistemologie (griechisch epistemé = Verstehen, (theoretisches) Wissen, Erkenntnis, Einsicht), auch Erkenntnistheorie genannt.

Erkenntnistheorie ist eine Teildisziplin der Philosophie, die sich mit der Frage befasst, was das Wesen, das Zustandekommen, die Bedingungen, Grenzen und Prinzipien von Erkenntnis sind. Eine Kernfrage ist dabei die Frage nach der Sicherheit von Erkenntnis bzw. ob es überhaupt sichere Erkenntnis gibt.

Die Abgrenzung der philosophischen Erkenntnistheorie zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen kann wie folgt vorgenommen werden:

  • Die Logik ist die Lehre vom folgerichtigen Denken und setzt dabei Erkenntnis schon voraus.
  • Die Dialektik konfrontiert eine These mit ihrer Antithese und gewinnt Erkenntnis durch die Formulierung der Synthese.
  • Die Wissenschaftstheorie konzentriert sich auf einen Teilbereich der Erkenntnis und fragt nach dem methodisch richtigen Vorgehen bei der Erkenntnisgewinnung im Bereich der wissenschaftlichen Forschung.
  • In der Psychologie werden die Mechanismen und Verhältnisse des Bewusstseins untersucht in ihrer Auswirkung auf die Psyche. Der Inhalt des Erkannten hat keine primäre Bedeutung.
  • Zu den Kognitionswissenschaften zählt man neben Philosophie und Psychologie auch die Neurowissenschaften, die Linguistik und die Informatik.

Der Erkenntnisbegriff der Wissenschaftstheorie

In vielen systematischen Darstellungen zur Erkenntnistheorie, vor allem aber in der Wissenschaftstheorie wird Erkenntnis verstanden als Ergebnis der empirischen Forschung. Diese Forschungsergebnisse gehen in den Wissensbestand der jeweiligen Wissenschaften ein. Als Bestimmung des Wissens in diesem Sinne wird üblicherweise die auf Platon zurückgehende Begriffsbestimmung verwendet: Wissen ist wahre, begründete Meinung.

Schon in der Philosophie der Antike wurden die in dieser Begriffsbestimmung enthaltenen Begriffe wiederum kritisch hinterfragt. Gibt es überhaupt eine absolute, eindeutige Wahrheit? Wie muss die Begründung aussehen, damit man sie als korrekte Rechtfertigung ansehen kann? Gibt es ein Sinnkriterium, so dass man eine Meinung überhaupt als eine wissenschaftliche Theorie anerkennen kann?

Während vor allem im Positivismus davon ausgegangen wurde, dass man in den empirischen Wissenschaften gesichertes Wissen durch Verifikation erlangen kann, wird im Fallibilismus unterstellt, dass der Mensch grundsätzlich keine gesicherte Erkenntnis erlangen kann. Die fallibilistische Position, die zum Beispiel schon von Arkesilaos oder Karneades in der Antike vertreten wurde, hat sich im Verlaufe der Philosophiegeschichte immer stärker durchgesetzt. Einen wesentlichen Beitrag leistete Hume mit der Widerlegung der Induktion. Theoretisch ausgearbeitet wurde diese Position im Kritischen Rationalismus von Popper, der alle Erkenntnis als vorläufig betrachtete. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind demnach Theorien, die sich durch empirische Beobachtungen bewährt haben. In der Möglichkeit, eine Theorie anhand von Beobachtungssätzen (Basissätzen) zu überprüfen, sah Popper auch das entscheidende Abgrenzungskriterium zur Metaphysik und zu Pseudowissenschaften. Nur eine Theorie, die falsifizierbar ist, erfüllt das Kriterium der Wissenschaftlichkeit. Erkenntnisfortschritt entsteht nach Popper, wenn die Wissenschaft durch Beobachtungen oder logische Prüfungen Widersprüche in bestehenden Theorien feststellt. Forscher müssen sich daher bemühen, bestehende Theorien durch Experimente zu widerlegen oder durch neue, bessere Theorien zu ersetzen. Die Qualität einer Theorie wächst dabei, je besser sie falsifizierbar ist und je höher der Grad ihrer Bewährung ist. Eine Bestätigung seiner Auffassung sah Popper in der Relativitätstheorie, die als bessere Theorie die lange als unumstößliches Naturgesetz geltende Gravitationstheorie Newtons ablöste.

Erkenntnis und Interesse

Von Jürgen Habermas wurde die schon von Karl Mannheim in Ideologie und Utopie (1929) formulierte These aufgenommen und ausgearbeitet, dass herrschende Gruppen mit ihren Interessen so intensiv an eine Situation gebunden sind, dass sie die Fähigkeit verlieren, bestimmte Tatsachen zu reflektieren. Habermas wandte sich in seinem Werk Erkenntnis und Interesse insbesondere gegen die in den Einzelwissenschaften oftmals vorzufindende naive Auffassung einer objektiven Wissenschaft. Unbestritten ist die wissenschaftstheoretische Einsicht, dass jedes Experiment und jede Beobachtung in den empirischen Wissenschaften von der Fragestellung und von der Versuchsanordnung abhängt. Jede Beobachtung ist damit theoriebeladen. Die unterschiedlichen Auffassungen über die Begriffsbestimmung und die Möglichkeit objektiver Erkenntnis zwischen Kritischer Theorie und Kritischem Rationalismus wurden in den 1960er Jahren im Positivismusstreit ausgetragen.

Die Kritik des Pragmatismus

Mit Schopenhauer, Nietzsche, aber auch Eucken und Dilthey entwickelte sich eine Kritik an dem rein kognitiv gefassten Begriff der Erkenntnis in der Philosophie der Neuzeit. In einer ganzheitlichen Betrachtung beinhaltet Erfahrung nicht nur kognitive, sondern stets zugleich auch affektive und voluptative Elemente. Vernunft, Gefühl und Wollen sind nicht isolierbar. Diese oft unter dem Sammelbegriff der Lebensphilosophie subsumierten Auffassungen wurden im Pragmatismus und in der Existenzphilosophie aufgegriffen sowie Ende des 20. Jahrhunderts im Neopragmatismus vor allem durch Richard Rorty neu thematisiert.

In der Aufsehen erregenden Arbeit Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie (1979, deutsch 1987) lehnte er Erkenntnistheorie als sinnvolle Disziplin ab:

Wittgensteins, Heideggers und Deweys gemeinsame Diagnose lautet, dass die Vorstellung, das Erkennen sei ein akkurates Darstellen – ermöglicht durch besondere mentale Vorgänge und verstehbar durch eine allgemeine Theorie der Darstellung -, aufgegeben werden muss. Die Rede von ‚Fundamenten der Erkenntnis’ und der Gedanke, die Philosophie habe das cartesianische Unternehmen der Widerlegung des erkenntnistheoretischen Skeptikers zu ihrer zentralen Aufgabe, werden von diesen gleichermaßen für nichtig erklärt. Weiterhin abgeschafft wird die Descartes, Locke und Kant gemeinsame Idee ‚des Bewusstseins’ als eines besonderen, in einem inneren Raum angesiedelten Forschungsbereichs, in dem sich die Bestandteile und Prozesse finden, die unser Erkennen ermöglichen. Dies bedeutet nicht, dass sie über alternative ‚Theorien der Erkenntnis’ oder ‚Philosophien des Mentalen’ verfügen. Sie verabschieden Erkenntnistheorie und Metaphysik als mögliche Disziplinen. (1987, 16)

Anstelle der Erkenntnistheorie, die Rorty in der Kulturanthropologie oder Wissenschaftssoziologie ansiedeln möchte, fordert er das hermeneutische Gespräch und hält die Frage der Letztbegründung für irrelevant (Relativismus).

Die Kritiker Rortys halten ihrerseits dagegen, dass mit dessen Ansatz die Frage nach dem Wesen der Erkenntnis nicht abgeschafft wird. Erkenntnistheorie ist vor allem eine Reflexionswissenschaft, eine nicht empirische Wissenschaft über den Umgang mit Empirischem.

Methoden der Erkenntnisgewinnung und Überprüfung von Erkenntnissen

Literatur

Vorlage:Philosophiebibliographie2

  • Kurt Eberhard: Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Geschichte und Praxis konkurrierender Erkenntniswege, Kohlhammer, 2. Aufl. Stuttgart 1999 (Sehr empfehlenswert als Zweitlektüre, da z.T. überraschende, aber plausible Betrachtungen aus sozialwissenschaftlicher Sicht vorgenommen werden.)
  • Gottfried Gabriel: Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Von Descartes bis Wittgenstein, Schöningh, Paderborn, 2. Aufl. 1998 (Zum Einstieg besonders geeignet. Historisch orientiert. Endet bei Wittgenstein. Ergänz sich daher sehr gut mit Norbert Schneider.)
  • Richard Hönigswald: Grundfragen der Erkenntnistheorie. Hrsg. v. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik. Philosophische Bibliothek Bd.510 Meiner, Hamburg 1997. ISBN 3-7873-1349-4
  • Peter Janich: Was ist Erkenntnis. Eine philosophische Einführung, Beck, München 2000 (Viele kritische Fragen an die klassische Erkenntnistheorie mit einem weiten Erkenntnisbegriff aus Sicht des methodischen Konstruktivismus. Als Einführung empfehlenswert, als Zweitlektüre sehr wichtig.)
  • Hans Günther Ruß: Wissenschaftstheorie, Erkenntnistheorie und die Suche nach der Wahrheit. Eine Einführung, Kohlhammer, Stuttgart 2004 (klassische Position des Kritischen Rationalismus; Relativ leicht zu verstehen.)
  • Herbert Schnädelbach: Erkenntnistheorie zur Einführung, Junius, Hamburg 2002 (sprachanalytisch pragmatischer Ansatz mit einer knappen historischen Einleitung. Zum Einstieg nicht ganz einfach, aber sehr empfehlenswert)
  • Norbert Schneider: Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert. Klassische Positionen, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1998 (Als Einführung sehr wichtig, relativ leicht zu lesen und mit einem breiten Spektrum der dargestellten Positionen. Incl. Piaget und Materialismus in Russland. Sehr gute, historisch orientierte Einführung.)

Siehe auch