Deutsch-Balten
Die Deutsch-Balten sind eine ursprünglich im Bereich des Baltikums (mit Ausnahme von Litauen) ansässige deutschsprachige Minderheit, die ab dem späten 12. Jahrhundert großen Einfluss auf Kultur und Sprache der ortsständigen Letten und Esten hatte sowie unter wechselnder Oberherrschaft (u.a. Schweden, Russland) die verhältnismäßig selbständige Verwaltung der Baltischen Provinzen Kurland, Livland, Estland und Ösel (heute Saaremaa) übernahm und in den Städten Kaufleute und Handwerker stellte.
Bekannte Deutsch-Balten sind zum Beispiel der Chemiker Wilhelm Ostwald, der Komiker Heinz Erhardt, russischer Generalfeldmarschall Michael Andreas Barclay de Tolly oder der Astronom Friedrich Georg Wilhelm Struve.
Geschichte
Von Beginn des 12. Jahrhunderts an kamen die ersten Deutschen im Rahmen der Ostkolonisation des Heiligen Römischen Reiches und der Eroberung durch den Deutschen Orden (Ordo Teutonicus, OT) ins Baltikum.
Sie siedelten sich - von Süden nach Norden betrachtet - in den historischen Gebieten Kurland, Livland und Estland sowie der Insel Ösel - dem heutigen Saaremaa - an und übernahmen die Herrschaft des Gebietes. Das damalige Estland umfasste den heutigen nördlichen Teil der Republik Estland. Livland umfasste das heutige Südestland und Nordlettland, Kurland die restlichen Regionen; Litauen zählte nicht zum damaligen Siedlungsgebiet.
Gesellschaftlich stellte die deutschstämmige Ritterschaft die Oberschicht gegenüber der lange Zeit leibeigenen baltischen Bauernschaft. Hansestädte - wie z.B. Reval, Riga, Dorpat - kennzeichneten sich durch ein großflächiges Netzwerk an Kaufleuten und Handwerkern sowie ein wohlhabendes, mächtiges Bürgertum. Die Vorfahren der heute noch lebenden Deutsch-Balten waren vorwiegend im landwirtschaftlichen und gewerblichen Bereich als Grundbesitzer und Kaufleute tätig (anders als in Russland).
Chronologie
- 12. Jahrhundert - erste niederdeutsche Handels- und Missionsstationen an der Düna
- 13. Jahrhundert - 1201 Gründung Rigas durch den Bremer Domherren Albert von Buxhoeveden, Bischof von Livland, und Beginn der Unterwerfung der baltischen Heiden durch den Schwertbrüderorden (später Deutscher Orden)
- 1242 - Deutschritter werden von den Russen in der Schlacht auf dem Peipussee geschlagen
- 1346 bis 1561 - Livland (heutiges Estland und Lettland) sind Teil des Deutschen Ordens
- 1558 bis 1583 - Livländischer Krieg: Das Ordensgebiet zerfällt
- 1561 - Privilegium Sigismundi Augusti: Die städtischen Stände erhalten das Recht auf den Gebrauch der deutschen Sprache, deutsche Gerichtsbarkeit und Religionsfreiheit
- Ende 18. Jahrhundert - Zustrom deutscher Akademiker (u.a. Johann Gottfried von Herder), Handwerker und Theologen
- 1920 - Bodenreform: Enteignungen und darauf folgend Emigration vieler Deutschbalten
- 1939 - Hitler-Stalin-Pakt: zwangsweise Umsiedlung der Deutschbalten (in der NS-Terminologie: "Baltendeutsche") in die Region Posen ("Warthegau") und Westpreußen
- 1950 - Reorganisation der exilierten Deutschbalten in Landsmann- und Ritterschaften
Sprache
Deutsch-Balten sprechen Hochdeutsch (mit "baltischem Akzent") oder (weniger häufig) Plattdeutsch.
Die Bezeichnung "Baltendeutsche"
Der Name Baltendeutsche geht auf die Zeit des Nationalsozialismus zurück und sollte die Eigenschaft als Deutsche betonen. Er war aber unter den Angehörigen der deutschen Minderheit im Baltikum niemals gebräuchlich, welche dagegen den Begriff Deutsch-Balten als Eigenbezeichnung seit geraumer Zeit verwenden.
Verbände
Heute gibt es noch verschiedene Verbände, die die Traditionen der Deutsch-Balten aufrecht erhalten. Diese sind:
- Deutsch-Baltische Landsmannschaft im Bundesgebiet e.V. (DBLiB) mit 13 Länderlandsmannschaften
- Verband der Baltischen Ritterschaften e.V.
- Deutschbaltischer Jugend- und Studentenring e.V. (DbJuStR)
- Die baltischen Corporationen
Bekannte Deutsch-Balten
- Karl Ernst von Baer, Biologe
- Michael Andreas Fürst Barclay de Tolly, Feldmarschall
- Fabian Gottlieb von Bellingshausen, Admiral und Entdecker
- Alexander von Benckendorff, General und Staatsmann
- Konstantin von Benckendorff, General und Diplomat
- August Johann Gottfried Bielenstein, Ethnograph und Theologe
- Johann Christoph Brotze, Pädagoge und Ethnograph
- Georg Dehio, Kunsthistoriker
- Heinz Erhardt Komiker
- Johann Friedrich von Eschscholtz, Botaniker
- Robert Gernhardt, deutscher Schriftsteller, Lyriker und Satiriker
- Bernd Freytag von Loringhoven, Generalleutnant a.D. und Kanzler des Johanniterordens
- Wessel Freytag von Loringhoven, Mitglied des 20. Juli 1944
- Alexander Graf Keyserlingk, Geologe, Paläontologe
- Otto von Kotzebue, Marineoffizier und Entdecker
- Adam Johann von Krusenstern, Admiral und Entdecker
- Heinrich Lenz, Physiker
- Walter Masing, Physiker und Unternehmer
- Alexander von Oettingen, Theologe
- Wilhelm Ostwald, Chemiker
- Johann Reinhold von Patkul,
- Alexander Pilar von Pilchau, Maler
- Wolter von Plettenberg, Meister des Livländischen Ordens
- Georg Wilhelm Richmann, Physiker
- Alfred Rosenberg, nationalsozialistischer Rassentheoretiker
- Thomas Johann Seebeck, Physiker
- Jacob Johann Graf Sievers, Staatsmann und Reformator
- Friedrich Georg Wilhelm Struve, Astronom
- Gustav Tammann, Chemiker
- Jakob von Uexküll, Biologe
- Roman von Ungern-Sternberg, Kommandant der Weißrussen
- Edgar von Wahl
- Peter P. von Weymarn, Chemiker
- Gero von Wilpert
- Ferdinand von Wrangel, Admiral und Entdecker
Literatur
- Nicolai von Budberg: Ritter des kaiserlich-russischen St.-Georg-Ordens und des Georg-Säbels. Balten-Deutsche, Russland-Deutsche und Finnland-Schweden. Offiziere der kaiserlich-russischen Garden im Weltkrieg 1914-1917. Starke, Limburg Lahn 1969. ISBN 3798005281
Weblinks
- Webseite der Deutsch-Baltischen Landsmannschaft im Bundesgebiet e.V.
- Webseite des Verbandes der Baltischen Ritterschaften e.V.
- Webseite des Deutsch-Baltischen Jugend- und Studentenringes e.V. (DbJuStR)
- Informationsseite zum neugegründeten Baltenzentrum in München
- http://www.dbgg.de/ Deutsch-Baltische Genealogen in Darmstadt Darmstadt