Herzinfarkt
ICD-10-Code Myokardinfarkt | ||||
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Der Herzinfarkt oder Myokardinfarkt ist eine akute und lebensbedrohliche Erkrankung des Herzens. Eine in der Medizin gebräuchliche Abkürzung ist AMI (acute myocardial infarction). Es handelt sich um Absterben oder Gewebsuntergang (Infarkt) von Teilen des Herzmuskels (Myokard) auf Grund einer Durchblutungsstörung (Ischämie), die in der Regel länger als 20 Minuten besteht.
Leitsymptom des Herzinfarktes ist ein plötzlich auftretender, mehr als 20 Minuten anhaltender und meist starker Schmerz im Brustbereich, der in die Schultern, Arme, Unterkiefer und Oberbauch ausstrahlen kann. Er wird oft von Schweißausbrüchen, Übelkeit und evtl. Erbrechen begleitet. Allerdings treten bei etwa 25 % aller Herzinfarkte nur geringe oder keine Beschwerden auf. Im Gegensatz zum Angina Pectoris-Anfall kommt es beim Herzinfarkt immer zum kompletten Gewebsuntergang eines Teils des Herzmuskels, in den meisten Fällen durch Blutgerinnsel in einer arteriosklerotisch veränderten Engstelle eines Herzkranzgefäßes. In der Akutphase eines Herzinfarktes treten häufig gefährliche Herzrhythmusstörungen auf. Auch kleinere Infarkte führen nicht selten über Kammerflimmern zum Sekundenherztod, etwa 30 % aller Todesfälle beim Herzinfarkt ereignen sich vor jeder Laienhilfe oder medizinischen Therapie.
Epidemiologie
Der Herzinfarkt ist eine der Haupttodesursachen in den Industrienationen. Die Inzidenz beträgt in Österreich/Deutschland etwa 300 Infarkte jährlich pro 100.000 Einwohner, in Deutschland erleiden jedes Jahr etwa 280.000 Menschen einen Herzinfarkt. Laut Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes starben in Deutschland im Jahr 2003 fast 65.000[1] , im Jahr 2004 fast 62.000 Menschen an einem akuten Herzinfarkt. Somit lag der akute Herzinfarkt 2004 an zweiter Stelle der Todesursachen in Deutschland.[2]
Terminologie und Pathologie
Das Verständnis vom Herzinfarkt hat sich in den letzten 30 Jahren grundlegend gewandelt. Neue Diagnose- und Therapieverfahren haben wichtige Erkenntnisse zur Pathophysiologie besonders der ersten Stunden nach Beginn der Symptome beigetragen und die Definition und Terminologie des Herzinfarktes verändert.
Terminologie
Eine in jeder Situation gültige Definition des Herzinfarktes existiert nicht. Allgemein ist akzeptiert, dass der Begriff Herzinfarkt den Zelltod von Herzmuskelzellen auf Grund einer länger dauernden Durchblutungsstörung (Ischämie) beschreibt.[3] Schwieriger ist die Frage, welche Kriterien für einen solchen Zelltod zu Grunde gelegt werden. Die eingesetzten Messinstrumente unterscheiden sich teilweise erheblich:
- der Notarzt definiert den Infarkt anhand von Symptomen und EKG-Veränderungen,
- der Intensivmediziner zusätzlich mit Hilfe von Laboruntersuchungen,
- der Pathologe ausschließlich auf der Grundlage von makroskopischen oder seltener auch mikroskopischen Gewebeveränderungen und
- der Epidemiologe schließlich meist unter Verwendung von mehr oder weniger exakten Todesursachenstatistiken (vgl. Leichenschau) oder Entlassungsdiagnosen der Krankenhäuser.

Erläuterungen im Text
Bei länger als 20 Minuten anhaltenden infarkttypischen Brustschmerzen wird zunächst von einem akuten Koronarsyndrom gesprochen, was die Möglichkeit eines Herzinfarktes einschließt. Wenn sich dann in einem möglichst rasch anzufertigenden Elektrokardiogramm (EKG) Hebungen der ST-Strecke (vgl. EKG-Nomenklatur) zeigen, so wird der Begriff ST-Hebungsinfarkt (Abk. STEMI für ST-elevation myocardial infarction) verwandt. Bei Patienten ohne eine solche ST-Hebung kann erst nach drei bis vier Stunden mit Hilfe von Laboruntersuchungen zwischen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (Abk. NSTEMI für Non-ST-elevation myocardial infarction) und instabiler Angina pectoris unterschieden werden. Während in den für Deutschland gültigen Leitlinien[4] STEMI und NSTEMI als endgültige Diagnosen angesehen werden, unterscheiden die US-amerikanischen Leitlinien[5] zwischen Q-wave myocardial infarction (Qw MI) und Non-Q-wave myocardial infarction (NQMI) als abschließender Diagnose. Diese Unterscheidung zwischen transmuralen (die gesamte Dicke der Wandschicht des Herzens betreffend) und nicht-transmuralen Myokardinfarkten war auch in den deutschsprachigen Ländern gebräuchlich und wird anhand von Veränderungen des QRS-Komplexes im EKG getroffen, die in der Regel erst nach zwölf Stunden, oft auch erst nach einem Tag, erkennbar sind.
Pathophysiologie
Bei den meist größeren STEMI zeigt sich im akuten Stadium bei über 90 % ein durch Blutgerinnsel (Thromben) verschlossenes Herzkranzgefäß. Bei NSTEMI sind nur in etwa 50 % der Fälle Thromben in den Kranzgefäßen nachweisbar. Die Mehrzahl aller Herzinfarkte entsteht im Rahmen einer koronaren Herzkrankheit (KHK).
Deutlich seltener ist ein Herzinfarkt Folge einer anderen Erkrankung. In Frage kommen Verschlüsse der Herzkranzgefäße durch andere Ursachen wie langanhaltende „Verkrampfungen“ (Spasmen) bei Prinzmetal-Angina und Embolien bei einer Endokarditis oder einer disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC). Auch Blutungen oder Tumoren am Herzen sowie Einrisse der Gefäßinnenwand (Intima) bei einer Aortendissektion können zum Verschluss eines Kranzgefäßes und damit zum Herzinfarkt führen.
Risikofaktoren

Hauptrisikofaktoren für Herzinfarkte sind Alter, Nikotinkonsum, Fettstoffwechselstörungen (insbesondere erniedrigtes HDL- und erhöhtes LDL-Cholesterin), Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Bluthochdruck sowie eine erbliche Veranlagung.
Weitere Risikofaktoren sind Übergewicht, Fehlernährung und Bewegungsmangel. Ein erhöhter Blutspiegel von Homocystein (Hyperhomocysteinämie) ist ebenfalls ein unabhängiger Risikofaktor, die verfügbaren Therapieansätze zur Senkung des Homocysteinspiegels führen allerdings nicht zu einer Senkung des kardiovaskulären Risikos.
Ob der regelmäßige Konsum von wenig Alkohol das Herzinfarktrisiko senkt, ist umstritten. Beim reichlichen Alkoholkonsum jedenfalls steigt das Risiko von Herzinfarkten und anderen schweren Erkrankungen.
Auslösende Faktoren für einen Infarkt können plötzliche Belastungen und Stress-Situationen mit starken Blutdruckschwankungen sein, 40 % aller Infarkte ereignen sich in den frühen Morgenstunden (zwischen 6 und 10 Uhr). Die meisten Infarkte treten montags auf, erstaunlicherweise auch bei Rentnern nach dem 60. Lebensjahr.
Krankheitsbild
Symptome

rot: häufig und stark
rosa: selten oder ausstrahlend

Die meisten Patienten klagen über Brustschmerzen unterschiedlicher Stärke und Qualität. Typisch ist ein starkes Druckgefühl hinter dem Brustbein (retrosternal) oder Engegefühl im ganzen Brustkorb (als ob „jemand auf einem sitzen würde“). Auch stechende oder reißende Schmerzen werden beschrieben. Die Schmerzen können in die Arme (häufiger links), den Hals, die Schulter, den Oberbauch oder den Rücken ausstrahlen. Oft wird von einem „Vernichtungsschmerz“ gesprochen, der mit Atemnot, Übelkeit und Angstgefühl („Todesangst“) einher geht.
Im Gegensatz zum Angina-pectoris-Anfall bessern sich diese Beschwerden nicht durch Anwendung von Nitroglycerin.
Manche Herzinfarkte verursachen keine, nur geringe oder untypische Symptome und werden erst nachträglich diagnostiziert, meist anlässlich einer EKG-Untersuchung. So wurde mehr als ein Viertel der in den 30 Jahren der Framingham-Studie diagnostizierten Infarkte nur auf Grund der routinemäßig angefertigten EKG festgestellt, fast die Hälfte von ihnen war ohne Symptome verlaufen („stille“ oder „stumme“ Infarkte). Der Anteil unbemerkter Infarkte war bei Frauen (35 %) höher als bei Männern (28 %).[6] Von den mehr als 430.000 Patienten, die 1994 bis 1998 in 1674 US-amerikanischen Krankenhäusern in das Register National Registry of Myocardial Infarction 2 aufgenommen wurden, hatten 33 % bei Krankenhausaufnahme keine Brustschmerzen. Diese Patienten waren häufiger Frauen (49 %) als Männer (38 %), im Durchschnitt sieben Jahre älter und häufiger zuckerkrank (32.6 %) als Patienten mit Brustschmerzen (25.4 %).[7]
Klinische Zeichen
Die Befunde der körperlichen Untersuchung sind variabel, sie reichen vom Normalbefund eines unbeeinträchtigten Patienten bis hin zum bewusstlosen Patienten mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Eindeutige klinische Zeichen des Herzinfarktes gibt es zwar nicht, typisch aber ist der Gesamteindruck eines schmerzgeplagten Patienten mit Blässe, ängstlich wirkendem Gesichtsausdruck, Erbrechen und Schweißneigung.
Andere Befunde weisen bereits auf eingetretene Komplikationen hin:
- Pulsunregelmäßigkeiten auf die beim Infarkt häufigen Extrasystolen,
- Pulsbeschleunigung, dritter Herzton und Rasselgeräusche über der Lunge bei der Auskultation sowie Halsvenenstauung auf eine Pumpschwäche des Herzens (Herzinsuffizienz),
- Herzgeräusche auf eine Mitralklappeninsuffizienz, eine Herzbeutelentzündung (Perikarditis) oder eine Ventrikelruptur (Herzkammerriss) und
- Kollaps, Bewusstlosigkeit und Herz-Kreislaufstillstand auf schwerwiegende Rhythmusstörungen wie Kammerflimmern, ventrikuläre Tachykardien oder Asystolien.
Technische Befunde
Elektrokardiogramm

Das wichtigste Untersuchungsverfahren bei Infarktverdacht ist das EKG. Im Akutstadium treten gelegentlich Überhöhungen der T-Wellen (vgl. EKG-Nomenklatur) und häufig Veränderungen der ST-Strecke auf, wobei ST-Strecken-Hebungen auf den kompletten Verschluss eines Herzkranzgefäßes hinweisen. Im weiteren Verlauf kommt es nach etwa einem Tag oft zu einer „Negativierung“ (Ausschlag unterhalb der sogenannten Nulllinie) von T-Wellen. Veränderungen des QRS-Komplexes weisen in dieser Phase auf eine transmurale Infarzierung hin, einen Gewebsuntergang, der alle Wandschichten des Herzmuskels betrifft. Diese QRS-Veränderungen bleiben in der Regel lebenslang sichtbar und werden oft als „Infarktnarbe“ bezeichnet.
Auch für die Erkennung und Beurteilung von Herzrhythmusstörungen als häufige Komplikationen eines Infarktes ist das EKG von entscheidender Bedeutung. Um Extrasystolen, Kammerflimmern und AV-Blockierungen in der Akutphase so rasch wie möglich erkennen und ggf. behandeln zu können, wird in der Akutphase eine kontinuierliche EKG-Überwachung (EKG-Monitoring) durchgeführt.
Im Anschluss an die Akutphase dient ein Belastungs-EKG der Beurteilung der Belastbarkeit und Erkennung fortbestehender Durchblutungsstörungen des Herzmuskels, ein Langzeit-EKG der Aufdeckung anderweitig unbemerkter Herzrhythmusstörungen.
Laboruntersuchungen

Als so genannte Biomarker werden Enzyme und andere Eiweiße bezeichnet, die von absterbenden Herzmuskelzellen freigesetzt werden. Sie sind im Blut nach einem Herzinfarkt in erhöhter Konzentration messbar.
Die klassischen und bis Anfang der 1990er-Jahre einzigen Biomarker sind die Creatin-Kinase (CK), deren Isoenzym CK-MB, die Aspartat-Aminotransferase (AST, meist noch als GOT abgekürzt) und die Laktat-Dehydrogenase (LDH). Hinzugekommen sind seither das Myoglobin und das Troponin (Troponin T und Troponin I, oft abgekürzt als „Trop“).
Die Messung der Blutkonzentrationen dieser Biomarker wird meist in regelmäßigen Abständen wiederholt, da Anstieg, höchster Wert und Abfall der Konzentration Rückschlüsse auf den Zeitpunkt des Infarktbeginns, die Größe des Herzinfarktes und den Erfolg der Therapie erlauben.
Bildgebende Verfahren
Die Ultraschalluntersuchung des Herzens (Echokardiografie) zeigt beim Herzinfarkt eine Wandbewegungsstörung im betroffenen Herzmuskelbereich. Da das Ausmaß dieser Wandbewegungsstörung für die Prognose des Patientin sehr wichtig ist, wird die Untersuchung bei fast allen Infarktpatienten durchgeführt. In der Akutphase liefert die Echokardiografie bei diagnostischen Unsicherheiten und Komplikationen wichtige Zusatzinformationen, weil sie hilft, die Pumpfunktion und und evtl. Einrisse (Ruptur) des Herzmuskels, Schlussunfähigkeiten der Mitralklappe (Mitralklappeninsuffizienz) und Flüssigkeitsansammlungen im Herzbeutel (Perikarderguss) zuverlässig zu beurteilen.
Die Gefäßdarstellung (Angiografie) der Herzkranzgefäße im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung erlaubt den direkten Nachweis von Verschlüssen und Verengungen. Sie wird entweder so früh wie möglich als Notfall-Untersuchung zur Vorbereitung einer PTCA (vgl. Reperfusionstherapie) oder im weiteren Verlauf bei Hinweisen auf fortbestehende Durchblutungsstörungen des Herzmuskels durchgeführt.
Diagnostik
Die Diagnose Herzinfarkt wird gestellt, wenn einer der so genannten „Biomarker“ (vorzugshalber kardiales Troponin, ersatzweise CK-MB) im Blut erhöht und mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:
- typische EKG-Veränderungen oder
- typische Brustschmerzen oder
- unlängst durchgeführte Intervention an einem Herzkrangefäß (beispielsweise eine PTCA).
Da die Blutkonzentration der Biomarker erst nach drei bis sechs Stunden ansteigt, ist die Diagnose in diesem Zeitraum mit Unsicherheit behaftet. In dieser Akutphase ist das wichtigste Untersuchungsverfahren ein so schnell wie möglich angefertigtes EKG. Beim Nachweis von ST-Strecken-Hebungen wird mit einer diagnostischen Sicherheit von über 95 % von einem Infarkt ausgegangen und die entsprechende Behandlung möglichst unverzüglich eingeleitet.[8]
Zeigt das EKG hingegen ST-Strecken-Senkungen oder keine Veränderungen, so kann ein Infarkt anhand der Biomarker erst sechs Stunden nach Beginn der Symptome mit Sicherheit ausgeschlossen oder bestätigt werden. Bei diagnostischer Unsicherheit in dieser Phase kann der Nachweis einer Wandbewegungsstörung in der Echokardiografie helfen, die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß eines Infarktes besser einzuschätzen.
Differentialdiagnose
Wegen der möglicherweise weitreichenden Konsequenzen wurde die Verdachtsdiagnose Herzinfarkt früher oft gestellt, in der Akutsituation mussten dann die Differentialdiagnosen Pneumothorax, Lungenembolie, Aortendissektion, Lungenödem anderer Ursache, Stress-Kardiomyopathie, Roemheld-Syndrom, Herzneurose oder auch Gallenkolik berücksichtigt werden. Nur bei etwa 32 % der Patienten mit Infarktverdacht fand sich tatsächlich ein Herzinfarkt. Heute wird der Begriff Infarkt bis zu seinem definitiven Nachweis meist vermieden und stattdessen vom akuten Koronarsyndrom gesprochen, um der häufigen diagnostischen Unsicherheit in den ersten Stunden Ausdruck zu verleihen.
Auch die Infarktdiagnostik ist mit möglichen Fehlern behaftet: Bei einigen Patienten (in einer Untersuchung 0,8 %), vor allem bei älteren Patienten und solchen mit Diabetes mellitus, wird auch im Krankenhaus der Infarkt nicht richtig erkannt.
Therapie
Erste Hilfe
Die ersten Minuten und Stunden eines Herzinfarktes sind für den Patienten von entscheidender Bedeutung:
- Die Gefahr des Herzstillstandes durch Kammerflimmern ist in der ersten Stunde am größten. Nur ein schnell bereitstehender Defibrillator kann dann den Tod des Patienten verhindern.
- Innerhalb der ersten Stunde (der sog. goldenen Stunde oder golden hour) bestehen gute Aussichten, den Infarkt durch eine Lysetherapie oder Herzkatheterbehandlung fast vollständig zu verhindern.
Daher steht die unverzügliche Alarmierung des Rettungsdienstes an erster Stelle der sinnvollen Maßnahmen.
Medizinische Erstversorgung
Die erstversorgenden Ärzte und Mitarbeiter des Rettungsdienstes konzentrieren sich zunächst auf eine möglichst rasche Erkennung von Akutgefährdung und Komplikationen. Dazu gehört eine zügige klinische Untersuchung mit Blutdruckmessung und Auskultation von Herz und Lunge. Nur ein schnellstmöglich angefertigtes 12-Kanal-EKG lässt den ST-Hebungsinfarkt erkennen und erlaubt die Einleitung der dann dringlichen Lysetherapie oder Katheterbehandlung. Um Herzrhythmusstörungen sofort erkennen zu können, wird eine kontinuierliche EKG-Überwachung (Rhythmusmonitoring) begonnen und zur Medikamentengabe eine periphere Verweilkanüle angelegt.
Die medikamentöse Therapie zielt in der Akutsituation auf eine möglichst optimale Sauerstoffversorgung des Herzens, die Schmerzbekämpfung und eine Vermeidung weiterer Blutgerinnselbildung. Verabreicht werden in der Regel Sauerstoff (O2) über eine Nasensonde oder Maske, Nitroglyzerin-Spray oder -Kapseln sublingual und Morphinpräparate, Acetylsalicylsäure sowie Heparin intravenös.
In speziellen Situationen und bei Komplikationen können weitere Medikamente erforderlich sein. Zur Beruhigung (Sedierung) beispielsweise Benzodiazepin wie Diazepam (z. B. Valium®) oder Midazolam (z. B. Dormicum®), bei vagaler Reaktion Atropin, bei Übelkeit oder Erbrechen Antiemetika (z. B. Metoclopramid), bei Tachykardie trotz Schmerzfreiheit und fehlenden Zeichen der Linksherzinsuffizienz Betablocker (z. B. Metoprolol) und bei kardiogenem Schock die Gabe von Katecholaminen.
Reperfusionstherapie
Vordringliches Therapieziel beim ST-Hebungsinfarkt ist die möglichst rasche Eröffnung des betroffenen und in dieser Situation meist verschlossenen Herzkranzgefäßes. Diese Wiederherstellung der Durchblutung im Infarktgebiet wird Reperfusionstherapie genannt. Je früher diese erfolgt, um so besser kann eine Infarktausdehnung verhindert werden. Gelingt es, die Reperfusionstherapie bereits in der ersten Stunde nach Infarkteintritt anzuwenden, so können viele dieser Infarkte sogar vollständig verhindert werden.
Als Reperfusionstherapie sind zwei Behandlungsverfahren etabliert:
- Primär-PCI (auch Direkt-PTCA oder Primär-PTCA): mechanische Öffnung (Rekanalisation) des Gefäßes mit anschließender Ballondilatation und Stentimplantation mittels Herzkatheter.
- Lysetherapie oder Thrombolyse: intravenöse Gabe eines gerinnselauflösenden Medikamentes. Dieses Thrombolytikum kann im Krankenhaus oder vom Notarzt bereits am Einsatzort verabreicht werden. Letzteres wird prästationäre Lyse genannt und führt durch den im Mittel 60 Minuten früheren Behandlungsbeginn zu besseren Behandlungsergebnissen.
Bei gleichzeitiger Verfügbarkeit ist die Primär-PCI in einem erfahrenen Zentrum die bevorzugte Strategie. Da aber weniger als 20 % der deutschen Krankenhäuser über die Möglichkeit zur Primär-PCI verfügen, muss die Entscheidung zur optimalen Therapie im Einzelfall getroffen werden. Viele Notärzte sind mit 12-Kanal-EKG-Geräten und Medikamenten für eine Lysetherapie ausgerüstet, so dass sie heute sofort nach Diagnosestellung in Abhängigkeit von der Infarktdauer, dem Patientenzustand, der Verfügbarkeit eines erfahrenen Herzkatheterteams und der Transportentfernung die bestmögliche Reperfusiontherapie auswählen können.
Bei Nicht-ST-Hebungsinfarkten (NSTEMI) ist ein Nutzen der unverzüglichen Reperfusionstherapie nicht belegt, eine Lysetherapie ist kontraindiziert. Ob und zu welchem Zeitpunkt eine Herzkatheteruntersuchung erforderlich ist, ist trotz vieler Studien zu diesem Thema immer noch strittig. Die vorherrschende und auch in den Leitlinien der kardiologischen Fachgesellschaften verankerte Empfehlung sieht eine „frühe Intervention“ innerhalb von 48 Stunden vor. Erneute Diskussionen sind durch eine weitere im Herbst 2005 veröffentlichte Studie entstanden, die bei 1200 Patienten mit NSTEMI kein höheres Risiko fand, wenn die Intervention nur bei Patienten mit anhaltenden Beschwerden erfolgte[9].
Weitere Behandlung
Im Krankenhaus werden Infarktpatienten wegen möglicher Herzrhythmusstörungen in der Akutphase auf einer Intensiv- oder Überwachungsstation behandelt, wo eine kontinuierliche EKG-Überwachung (Monitoring) möglich ist. Bei einem unkompliziertem Verlauf können sie oft bereits am Folgetag Schritt für Schritt mobilisiert und nach fünf bis acht Tagen entlassen werden.
Im Anschluss an die Krankenhausbehandlung wird in Deutschland oft eine ambulante oder stationäre Anschlussheilbehandlung empfohlen. Diese meist drei Wochen dauernde Maßnahme soll durch Krankengymnastik (Physiotherapie), dosiertes körperliches Training, Schulungsmaßnahmen und psychosoziale Betreuung eine möglichst gute und vollständige Wiedereingliederung in den Alltag ermöglichen.
Nach einem Herzinfarkt ist bei den allermeisten Patienten eine lebenslange medikamentöse Therapie sinnvoll, die Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen und Herzmuskelschwäche sowie erneuten Herzinfarkten vorbeugt. Dazu zählt die Therapie mit Betablockern, ASS, Statinen, ACE-Hemmern und bei einigen Patienten Clopidogrel (Plavix®, Iscover®).
Besondere Aufmerksamkeit sollte den Risikofaktoren geschenkt werden, deren Verbesserung für die Lebenserwartung der Infarktpatienten von großer Bedeutung ist. Vorteilhaft sind strikter Nikotinverzicht und eine optimale Einstellung von Blutdruck, Blutzucker und Blutfettwerten. Neben der Normalisierung des Lebenswandels, dem Stressabbau und der Gewichtsnormalisierung spielen eine gesunde Ernährung und regelmäßiges körperliches Ausdauertraining nach ärztlicher Empfehlung dabei eine ganz wesentliche Rolle.
Krankheitsverlauf und Prognose
Die ersten beiden Stunden nach Eintritt eines Herzinfarktes sind zumindest bei einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) für den weiteren Verlauf und die Überlebenschance des Patienten von entscheidender Bedeutung, weil
- sich die Mehrzahl der Todesfälle, die in der Regel durch Kammerflimmern verursacht sind, in diesem kurzen Zeitraum ereignet[5] und
- eine während dieser Zeit eingeleitete Reperfusionstherapie die Prognose maßgeblich beeinflusst.
Die Akutsterblichkeit (30-Tage-Sterblichkeit) jener Patienten, die im Krankenhaus aufgenommen werden, hat auf weniger als 10 % abgenommen. Da aber weiterhin ein knappes Drittel aller Infarktpatienten vor Aufnahme in einer Klinik verstirbt, ist die Einjahressterblichkeit in den letzten 30 Jahren nahezu unverändert bei ca. 50 % verblieben.
Komplikationen
Fast immer kommt es zur Ausbildung von Herzrhythmusstörungen, auch bei kleinen Infarkten. Ventrikuläre Tachykardien bis hin zum Kammerflimmern sind die häufigste Todesursache beim Herzinfarkt, deshalb wird in der Akutphase eine ständige Überwachung und Defibrillationsbereitschaft auf einer Intensivstation gesichert. In Einzelfällen ist eine Behandlung mit einem Antiarrhythmikum nötig. Besonders Hinterwandinfarkte können über eine Ischämie des AV-Knotens zum AV-Block führen, was gelegentlich den Einsatz eines passageren Herzschrittmachers erfordert.
Wenn der Infarkt große Areale des Herzens (mehr als 30 % der Muskulatur) betrifft, kann es zur Ausbildung eines kardiogenen Schocks kommen, bei dem das Herz durch die Herzmuskelschädigung nicht mehr in der Lage ist, eine ausreichende Kreislauffunktion aufrecht zu erhalten. Diese Patienten haben eine deutlich schlechtere Prognose, der kardiogene Schock ist die zweithäufigste Todesursache im Rahmen eines akuten Herzinfarktes.
Ein Herzwandaneurysma kann sich aufgrund der Wandschwäche nach einem Herzinfarkt ausbilden. Hierbei entwickelt sich eine Auswölbung der geschädigten Herzwand, was zu einer verschlechterten Herzfunktion, der Bildung eines Thrombus durch gestörten Blutfluss, arteriellen Embolien oder im schlimmsten Fall zu einer Ruptur (Platzen) der Auswölbung führen kann. Bei einer Ruptur kommt es zu einer akuten Herzbeuteltamponade, welche sofort entlastet werden muss. Auch kann sich im weitern Verlauf eine Entzündung des Herzbeutels entwickeln.
Durch Nekrose kann auch eine Ruptur der Herzscheidewand entstehen (Septumperforation).
Insbesondere bei Hinterwandinfarkten kann eine akute Insuffizienz der Mitralklappe durch Ischämie oder Nekrose der Papillarmuskeln auftreten. Der Rückfluss von Blut in den linken Vorhof kann zu einer akuten Herzinsuffizienz führen und eine schnelle Herzoperation notwendig machen. Ein neu aufgetretendes systolisches Herzgeräusch kann zu dieser Verdachtsdiagnose führen, daher sollen Patienten nach Herzinfarkt regelmäßig abgehört (auskultiert) werden.
Geschichte
Von den Anfängen bis 1950
Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist bekannt, dass eine Thrombose im Herzkranzgefäß zum Tode führen kann. Tierexperimente mit Unterbindung eines Kranzgefäßes und Sektionsbefunde legten nahe, dass die Koronarthrombose ein fatales Ereignis darstellte. 1901 wies der Deutsche Krehl nach, dass sie nicht immer tödlich ausging, die erste ausführliche Beschreibung nicht-tödlicher Herzinfarkte stammt von den Russen V.P. Obraztsov und N.D. Strazhesko aus dem Jahr 1910.[10] 1912 bezog sich der US-Amerikaner James B. Herrick auf diese Veröffentlichung und führte körperliche Ruhe als Therapieprinzip für Infarktpatienten ein. Sie blieb bis in die frühen 1950er Jahre einzige Behandlungsmöglichkeit und wurde zum Teil exzessiv betrieben: Die Patienten sollten bis zu sechs Wochen Bettruhe einhalten, durften sich in den ersten zwei Wochen nicht bewegen und sollten gefüttert werden. Herrick war es auch, der die 1903 vom Holländer Einthoven entwickelte Elektrokardiografie zur Diagnostik des Herzinfarktes einführte.
1923 veröffentlichte Wearn die Beschreibung des Krankheitsverlaufes von 19 Patienten mit Herzinfarkt, denen absolute Bettruhe und Flüssigkeitsrestriktion verordnet wurden. Sie erhielten Digitalispräparate gegen eine Lungenstauung und Koffein und Kampher zur Vorbeugung und Behandlung von erniedrigtem Blutdruck, Synkopen und Herzrhythmusstörungen. 1928 beschrieben Parkinson und Bedford ihre Erfahrungen mit der Schmerzbehandlung durch Morphin bei 100 Infarktpatienten, Nitrate hielten sie wegen der blutdrucksenkenden Wirkung für kontraindiziert.
1929 wurde das erste ausschließlich der Infarktbehandlung gewidmete Fachbuch durch Samuel Levine veröffentlicht, in dem u. a. auf die Bedeutung der Herzrhythmusstörungen eingegangen und Chinidin gegen ventrikuläre Tachykardien und Adrenalin gegen Blockierungen empfohlen wurden.
In den 1950er Jahren wurde der Herzinfarkt bereits als wichtige Todesursache in den Industrieländern angesehen. Wegen der hohen Gefährdung durch Thrombosen und Lungenembolien auf Grund der langen Bettruhe gewann das von Bernard Lown propagierte Konzept einer früheren Mobilisierung (arm chair treatment) an Bedeutung. Großzügige Flüssigkeitszufuhr und regelmäßige Sauerstoffgabe wurden empfohlen.[11]
Die „Thrombolyse-Ära“
Bereits 1948 wurde empfohlen, nach einem überstandenen Herzinfarkt vorbeugend Cumarine als Antikoagulanzien einzunehmen. Hauptsächlich von Fletcher und Verstraete wurde in den 1950er- und 1960er-Jahren experimentell nachgewiesen, das frische Koronarthrombosen medikamentös aufgelöst werden können. 1959 brachten die deutschen Behring-Werke Streptokinase auf den Markt, das u. a. die Lysetherapie beim akuten Herzinfarkt ermöglichte. In den 1970er-Jahren waren es dann zwei Arbeitsgruppen um Chazov und Rentrop, die den Nachweis einer erfolgreichen Lysetherapie durch intrakoronare Infusion von Streptokinase führten. Ihre Ergebnisse wurden unterstützt durch Befunde von De Wood, der bei 90 % der Patienten mit ST-Strecken-Hebung okkludierende (das Gefäßlumen verschließende) Koronarthromben nachwies. Anfang der 1980er-Jahre wurde deutlich, dass eine intravenöse Infusion der intrakoronaren gleichwertig war, was die Verbreitung der Methode sehr förderte.
1986 wurde die als „GISSI-Studie“ bezeichnete erste randomisierte klinische Studie zur Lysetherapie veröffentlicht, die an 11.806 Patienten durchgeführt wurde und eine Senkung der 21-Tage-Sterblichkeit von von 13 auf 10,7 % nachwies, was einem geretteten Menschenleben pro 43 Behandlungen entsprach.[12]
Varia
1960 veröffentlichte die American Heart Association die Framingham-Studie, die den Zusammenhang zwischen dem Rauchen und dem Auftreten von Herzinfarkten bewies. Mitte der 1990er Jahre wurde die erst 1977 von Andreas Grüntzig eingeführte Ballondilatation der Herzkranzgefäße als Therapieoption auch beim akuten Herzinfarkt in größerem Umfang eingesetzt. Heute ist diese die Behandlung der Wahl und wird in Deutschland bei mehr als 200.000 Patienten jährlich angewandt.
Myokardinfarkt bei Tieren
Anders als beim Menschen wird der Herzmuskelinfarkt bei Haussäugetieren nur sehr selten beobachtet. Beim alten Hund können bei pathologischen Untersuchungen als Zufallsbefunde relativ häufig lokale Vernarbungen des Herzmuskels gefunden werden, die auf eine verminderte Sauerstoffversorgung dieser Gebiete infolge einer Amyloidose kleiner (intramuraler) Arterien zurückzuführen sind. Bei Katzen scheinen Infarkte vor allem als Komplikationen bereits bestehender Herzmuskelerkrankungen (Hypertrophe Kardiomyopathie) aufzutreten. Daneben ist die Erkrankung auch für Rinder beschrieben. Die erhöhte Anfälligeit des Herzmuskels von Schweinen auf Stress ist dagegen nicht auf Infarkte zurückzuführen, sondern beruht auf einer stressbedingten Muskeldegeneration (porcines Stress-Syndrom, PSS).
Siehe auch
Stress-Kardiomyopathie - Ergometrie - Infarktnetzwerk
Quellen
- ↑ Mark B et al.: Stetige Zunahme der Prähospitalzeit beim akuten Herzinfarkt. Dt Ärzteblatt (2006) 103:A1378-A1383. online als PDF
- ↑ Statistisches Bundesamt. Sterbefälle nach den 10 häufigsten Todesursachen insgesamt und nach Geschlecht 2004. [1] (abgerufen am 13. Juni 2006.)
- ↑ Van de Werf F et al.: Management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. Eur Heart J (2003) 24:28–66. PMID 12559937.
- ↑ Hamm CW: Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS) - Teil 1: ACS ohne persistierende ST-Hebung. Z Kardiol (2004) 93:72–90. (online als PDF-Datei)
- ↑ a b c Antman EM et al.: ACC/AHA Guidelines for the Management of Patients With ST-Elevation Myocardial Infarction. J Am Coll Cardiol (2004) 44:E1-E211. PMID 15358047. (online als PDF-Datei [engl.]).
- ↑ Kannel WB: Silent myocardial ischemia and infarction: insights from the Framingham Study. Cardiol Clin (1986) 4:583-591. PMID 3779719.
- ↑ Canto JG et al.: Prevalence, clinical characteristics, and mortality among patients with myocardial infarction presenting without chest pain. JAMA (2000) 283:3223-3229. PMID 10866870.
- ↑ Arntz HR et al.: Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des akuten Herzinfarktes in der Prähospitalphase. Z Kardiol (2000) 89:364–372.
- ↑ de Winter RJ et al.: Early Invasive versus Selectively Invasive Management for Acute Coronary Syndromes. N Engl J Med (2005) 353:1095-1104. PMID 16162880.
- ↑ Muller JE: Diagnosis of myocardial infarction: historical notes from the Soviet Union and the United States. Am J Cardiol (1977) 40:269-271. PMID 327787.
- ↑ Sarmento-Leite R et al.: Acute myocardial infarction. One century of history. Arq Bras Cardiol (2001) 77:593-610. PMID 11799435.
- ↑ Gruppo Italiano per lo Studio della Streptochinasi nell'Infarto Miocardico (GISSI): Effectiveness of intravenous thrombolytic treatment in acute myocardial infarction. Lancet (1986) 22:397-402. PMID 2868337.
Literatur
- Zipes DP et al. (Hrsg.): Braunwald's Heart Disease: A Textbook of Cardiovascular Medicine. 7. Auflage. W.B. Saunders Company, Philadelphia 2004. ISBN 1-41-600014-3.
- Arntz HR: Prähospitale Versorgung von Patienten mit akutem ST-Streckenhebungsinfarkt. Z Kardiol (2004) 93:915–916. (online als PDF-Datei).
- Hamm CW: Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS) - Teil 2: Akutes Koronarsyndrom mit ST-Hebung. Z Kardiol (2004) 93:324–341. (online als PDF-Datei).
Weblinks
- Herzinfarktrisiko online testen Deutsche Herzstiftung
- Online-Spiel zur Ersten Hilfe bei Herzinfarkt ZDF (Macromedia Flash Player erforderlich)
- Myokardinfarkt & KHK: Risk-Score-Rechner & Checklisten nach nationalen und internationalen Leitlinien (Ausführung von JavaScript muss zugelassen sein)
- UKPDS riskengine: Diabetologischer Risiko-Kalkulator zur Berechnung des kardiovaskulären Risikos bei Typ2-Diabetikern Berechnungsmodul zum downloaden