Atheologie
Definition
Die Atheologie, Lehre des Atheismus, ist der philosophische Widerpart der Theologie.
Grundlage der Theologie ist der Glaube an die reale Existenz Gottes und anderer Geisteswesen, der Glaube an eine Welt hinter der Welt, der Glaube an ein Jenseits. Dabei stützt sich die Theologie auf angebliche göttliche Offenbarung oder sogenannte Gottesbeweise.
Die Atheologie hingegen stützt sich ausschließlich auf wissenschaftlich-empirische Erkenntnisse und lehrt, dass Religionen, Götter, gute oder böse Geister, Gott und Teufel Erfindungen der menschlichen Phantasie sind. Während in theologischen Wörterbüchern Atheismus negativ als 'Nichtglaube an Gott' oder als 'Gottesleugnung' definiert wird, wählt die Atheologie einen positiven definitorischen Ansatz: Atheismus ist demnach eine aufklärerische Form der Religionskritik, nach der 'höhere Wesen' und das Jenseits der Theologie genau wie alle übrigen Fabelwesen und Märchengestalten nur als Phantasievorstellungen, als Fiktionen, als Illusion in der menschlichen Einbildung existieren.
Der alttestamentliche Satz: "So schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde" (Gen 1,27) wird in der Atheologie umgekehrt zu: "Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde" (Ludwig Andreas Feuerbach); in Nachfolge Feuerbachs wird 'Gott' als Anthropomorphismus, als Hypostasierung, als personifizierter Begriff angesehen. Die Beweislast der Existenz liegt immer auf Seiten desjenigen, der die Existenz von etwas behauptet. Die von der Theologie vorgebrachten Gottesbeweise überzeugen die Atheologen nicht und in der von Theologen behaupteten angeblichen göttlichen Offenbarung sehen Atheologen nur den Versuch einer - mit rational-logischen Argumenten unwiderlegbaren - Selbstimmunisierung.
Dekonstruktion der Theologie und aller Religionen
Innerhalb der gegenwärtigen Diskussion um die 'Wiederkehr von Religion im 21.Jhd.' fallen der Atheologie, welche Religionen nicht als Phänomene überirdischer Herkunft, sondern als Produkte der menschlichen Einbildungskraft betrachtet, vier Hauptaufgaben zu:
1. die Rekonstruktion der Wissenschaftsgeschichte des Atheismus
2. die Dekonstruktion und Entmythisierung der Theologie und aller Religionen, insbesondere die Dekonstruktion der drei großen monotheistischen Religionen: Judentum, Christentum, Islam
3. die Aufdeckung theokratischer und fundamentalistischer Tendenzen (Enttheokratisierung).
4. das Aufzeigen von Selbstimmuniserungsstrategien in Religionen und Weltanschauungen
Die Atheologie versucht, durch Sprachkritik eine eigene Terminologie zu entwickeln, um sich vom Befangensein in der theologischen Begrifflichkeit zu lösen. In diesem Zusammenhang besteht eine Verbindung zu Jacques Derridas Dekonstruktivismus und Rudolf Karl Bultmanns Entmythologisierungsprogramm.
Konstruktion atheistischer Ethik
Unter der jahrhundertelangen Vorherrschaft der Kirchen wurden Lehrstühle für Theologie eingerichtet, eine eigenständige philosophische Atheologie konnte sich an Hochschulen nicht etablieren. Ein Meilenstein auf dem Weg zu einer solchen theologie- und religionskritischen Disziplin war Nietzsches Nihilismus, "Gott ist tot". Friedrich Nietzsche versuchte in logischer Konsequenz, auch die theologisch geprägte, sprich christliche Ethik zu demontieren. In Anknüpfung an Nietzsche ist es Aufgabe der Atheologie, Möglichkeiten atheistischer Ethik, d.h. die Konstruktion von Ethik ohne Rückgriff auf die Gottes-Hypothese und ohne latente Theologie zu diskutieren.
Zur Begriffsgeschichte
Der griechisch-lateinische Ursprungsbegriff taucht bereits im Werk von Esdras Edzardus "Collegii theologici in alma Universitate Rostochiensi Decanus, Doctores & Professores ad solennem panegyrin inauguralis disputationis Judaeorum et Socinianorum atheologiae oppositae, clarissimi" (1656) auf. Auch Christoph Sonntag benutzt den Begriff in seiner Schrift "O kartēsios antigraphos, tutesi ta tu kartēriu lēmmata pente atheologa kai aphilosopha" (1712).
Der französischen Philosoph und Soziologe Georges Bataille betitelte seine 1943-45 erschienene religionskritische Trilogie mit "Somme athéologique" in ironischer Anspielung auf Thomas von Aquins theologische Schrift Summa theologica.
Literatur
- Georges Bataille: La Somme athéologique. (deutsch: "Atheologische Summe"), 3 Bde.: L'Expérience intérieure, 1943; Le Coupable, 1944; Sur Nietzsche, 1945
- Ludwig Andreas Feuerbach: Das Wesen der Religion. Leipzig ab 1846 (obiges Zitat stammt aus der 20. Vorlesung)
- François Nault: La déconstruction et le jeu de l'athéologie. (Nietzsche, Bataille, Derrida). in: Studies in Religion/Sciences Religieuses:, Volume 27, 3/1998
- Michel Onfray:Traité d'athéologie. Paris 2005, ISBN 2-246-64801-7. (Zu deutsch: 'Lehrbuch der Atheologie') In Deutschland erschienen unter dem Titel: "Wir brauchen keinen Gott. Warum man jetzt Atheist sein muss", Piper 2006, ISBN 3492048528.
- Laurens Ten Kate: De lege plaats revoltes tegen het instrumentele leven in Batailles atheologie; een studie over ervaring, gemeenschap en sacraliteit in 'De innerlijke ervaring' . 1994
- Roberto Tessari: Pinocchio. Summa atheologica di Carmelo Bene. 1982
- Mark C. Taylor: Errance. Lecture de Jacques Derrida; une athéologie postmoderne. 1985