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Victor Klemperer

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Victor Klemperer (* 9. Oktober 1881 in Landsberg an der Warthe; † 11. Februar 1960 in Dresden) war ein deutscher Schriftsteller und Literaturwissenschaftler. Besondere Bekanntheit erlangte er neben seiner Abhandlung LTI (Lingua Tertii Imperii, Sprache des Dritten Reichs) vor allem durch seine Tagebücher, in denen er akribisch seine Ausgrenzung als jüdischer Intellektueller aus der deutschen Gesellschaft im Alltag der Zeit des Nationalsozialismus dokumentierte.

Leben

Victor Klemperer, Vetter des Dirigenten und Komponisten Otto Klemperer, war das achte Kind von Dr. Wilhelm Klemperer, der zunächst in Landsberg und später in der jüdischen Reformgemeinde in Berlin Rabbiner war. Das Gymnasium verließ Victor Klemperer zunächst ohne Abschluss, um auf Drängen seiner Eltern eine kaufmännische Lehre zu absolvieren. 1902 holte er das Abitur nach und studierte dann Philosophie, Romanistik und Germanistik in München, Genf, Paris und Berlin. 1906 heiratete er Eva Schlemmer (standesamtliche Trauung am 16. Mai). Von 1905-1912 lebte er als freier Publizist in Berlin. 1912 konvertierte er zum Protestantismus. Die Promotion erlangte er 1912, 1914 dann die Habilitation. 1914–1915 arbeitete Klemperer als Lektor an der Universität Neapel und meldete sich anschließend als Kriegsfreiwilliger. Zuerst war er als Artillerist an der Front eingesetzt, später bei der Militärzensur als Buchprüfer in Kowno und Leipzig tätig. 1920 wurde er als Professor für Romanistik an die Technische Hochschule Dresden berufen.

1935 wurde Klemperer auf Grund des nationalsozialistischen Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums unter Federführung des Gauleiters Martin Mutschmann aus seiner Professur an der TH Dresden entlassen. Er konzentrierte sich daraufhin auf die im Juli 1933 begonnene Arbeit zur „Geschichte der französischen Literatur im 18. Jahrhundert“, die in zwei Bänden 1954 und 1960 erschien. Als dann Juden auch der Zugang zu Bibliotheken und das Abonnieren von Zeitungen und Zeitschriften verboten wurde, waren ihm die Hände gebunden und er musste diese wissenschaftliche Arbeit endgültig einstellen. Um so intensiver widmete er sich darum seinen Tagebüchern und begann 1938 die Arbeit an seiner Vita. Während der Kriegsjahre legte er mit seinen Tagebuchaufzeichnungen die Grundlage für seine geplante Abhandlung zur Sprache des Dritten Reiches, der "LTI". Diese Tagebuchnotizen führte Klemperer als lose Blattsammlung, die er in regelmäßigen Abständen durch seine Frau Eva bei einer Freundin verstecken ließ, da eine Entdeckung durch die Gestapo bei den permanent drohenden Haussuchungen fatale Folgen gehabt hätte.

Nachdem er 1940 aus seinem erst 1934 bezogenen Haus in Dresden-Dölzschen vertrieben wurde, lebten er und seine Frau in verschiedenen Judenhäusern in Dresden. Die Luftangriffe auf Dresden in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 überlebte das Paar unverletzt und entkam der drohenden Deportation. Zitat aus "LTI":

Am Abend dieses 13. Februar brach die Katastrophe über Dresden herein: die Bomben fielen, die Häuser stürzten, der Phosphor strömte, die brennenden Balken krachten auf arische und nichtarische Köpfe, und derselbe Feuersturm riß Jud und Christ in den Tod; wen aber von den etwa 70 Sternträgern diese Nacht verschonte, dem bedeutete sie Errettung, denn im allgemeinen Chaos konnte er der Gestapo entkommen.

Nach einer mehrmonatigen Flucht durch Sachsen und Bayern kehrten die Klemperers im Juni 1945 nach Dresden und schließlich in ihr Haus in Dölzschen zurück. Die folgenden Monate, in denen Klemperers berufliche Zukunft weiterhin unsicher blieb, nutzte er zur Niederschrift seines Buches LTI, das 1947 erschien.

Eine Übersiedlung in die Westzonen lag ihm gefühlsmäßig fern, da er lieber mit den "Roten" als mit den "alten Braunen" seine restliche Lebenszeit verbringen wollte. Eva und Victor Klemperer traten nach kurzer Überlegung der KPD bei und zählten somit im weitesten Sinne zur politischen Elite in Dresden. Von 1947 bis 1960 war Klemperer an den Universitäten Greifswald, Halle und Berlin tätig. 1950 wurde er Abgeordneter des Kulturbundes der Volkskammer der DDR und bemühte sich, der französischen Sprache die rechtmäßige Stellung bei der Sowjetisierung der SBZ einzuräumen.

Victor Klemperers Grabstelle befindet sich auf dem Friedhof in Dresden-Dölzschen. 1995 erhielt er postum den Geschwister-Scholl-Preis, die Laudatio bei der Verleihung hielt Martin Walser.

Tagebuch

Im ausführlichen Tagebuch legte Klemperer sich Rechenschaft ab über seine wissenschaftliche Karriere und die zahllosen Intrigen an der Universität, beispielsweise die Konkurrenz zu Ernst Robert Curtius. Weiter schrieb er über die Beziehung zu seiner Frau, die oft kränklich war, beschrieb Personen und Landschaften. Aufmerksam verfolgte er sein eigenes Befinden und die Fortschritte seines wissenschaftlichen Schreibens. Häufig wurde er von Selbstzweifeln heimgesucht. Seine prekäre Existenz als konvertierter Jude und gegen ihn gerichtete antisemitische Anfeindungen thematisierte er oft in seinem Tagebuch. In den 1930er Jahren lässt sich mitverfolgen, wie Klemperer langsam und systematisch ausgegrenzt wurde, zunächst nur in der Wissenschaft, später auch im privaten Leben. Die Tagebücher wurden ab 1996 im Aufbau-Verlag veröffentlicht und waren ein großer verlegerischer Erfolg. Die Tagebücher der Jahre 1933 bis 1945 gelten heute als wichtiges Dokument der Zeitgeschichte und sind Standardwerke für den Geschichts- und Deutschunterricht.

Verfilmung der Tagebücher

1999 verfilmte der Regisseur Kai Wessel die Tagebücher Victor Klemperers anhand der dramaturgischen Aufarbeitung von Peter Steinbach (Drehbuch) in der 12-teiligen Fernsehserie „Klemperer - Ein Leben in Deutschland“, mit Matthias Habich in der Titelrolle.

Zitate

  • Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Aus: LTI - Die unbewältigte Sprache
  • "Was an mir liegt, so soll das Judenhaus Caspar-David-Friedrich-Straße 15 b mit seinen vielen Opfern berühmt werden." aus Tagebücher 1942

Werke

  • Die moderne französische Prosa 1870-1920, Berlin 1923
  • Die französische Literatur von Napoleon bis zur Gegenwart, 4 Bde., Berlin 1925-31 (Neuausg. 1956 unter dem Titel Geschichte der französischen Literatur im 19. und 20. Jahrhundert)
  • LTI - Notizbuch eines Philologen, Berlin, 1947 (Ausgabe beim Reclam Verlag Leipzig, ISBN 3-379-00125-2)
  • Geschichte der französischen Literatur im 18. Jahrhundert, Bd. 1: Berlin, 1954, Bd. 2: Halle 1966

aus dem Nachlass:

  • Curriculum Vitae (Band I – II). Berlin 1996, ISBN 3-746-65500-5
  • Leben sammeln, nicht fragen wozu und warum - Tagebücher 1919 - 1932. Berlin 1996, ISBN 3-351-02391-X
  • Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten - Tagebücher 1933 - 1945 (Band I – VIII). Berlin 1995, ISBN 3-7466-5514-5
  • Und so ist alles schwankend - Tagebücher Juni - Dezember 1945. Berlin 1996, ISBN 3-7466-5515-3
  • So sitze ich denn zwischen allen Stühlen. Tagebücher 1945 - 1959 (Band I – II). Berlin 1999, ISBN 3-351-02393-6
  • Das Tagebuch 1933-1945. Eine Auswahl für junge Leser. 2.Auflage, Berlin 1997.