Verschiebungsstrom
Verschiebungsstrom ist eine Bezeichnung aus der Elektrodynamik und stellt eine Veranschaulichung der Tatsache dar, dass die Änderung zeitliche eines elektrischen Feldes ein Magnetfeld erzeugt. Der Begriff wurde von James Clerk Maxwell entwickelt und erweitert das Ampère'sche Gesetz um einen Term.
Historische Entwicklung
Herleitung eines Widerspruchs
Als Maxwell die bis dahin von anderen Physikern wie Ampère und Faraday zusammengetragenen Erkenntnisse über elektromagnetische Phänomene in den Maxwell'schen Gleichungen zu vereinen suchte, wurde ihm klar, dass das Ampère'sche Gesetz über die Erzeugung von Magnetfeldern durch Ströme nicht vollständig sein konnte.
Diese Tatsache wird durch ein einfaches Gedankenexperiment klar. Ein Strom ID fließe durch einen langen Draht, in dem ein Kondensator liegt. Das Ampère'sche Gesetz
besagt nun, dass das Wegintegral des Magnetfelds entlang eines beliebigen Weges um den Draht proportional zu dem Strom ist, der durch eine von diesem Weg aufgespannte Fläche fließt. Auch die differentielle Form
verlangt, dass die Wahl dieser aufgespannten Fläche beliebig ist. Nun habe der Integrationsweg die einfachste mögliche Form, ein Kreis um die Längsachse des Drahts. Die natürlichste Wahl der durch diesen Kreis aufgespannten Fläche ist offenbar die Kreisfläche. Wie erwartet schneidet diese Kreisfläche den Draht, somit ist der Strom durch die Fläche ID. Aus der Symmetrie des Drahtes ergibt sich entsprechend das Magnetfeld des langen Drahtes, dessen Feldlinien Kreisbahnen um die Längsachse sind.
Auch wenn man die Fläche ein beliebig "ausbeult" oder "aufbläst", fließt durch sie immer noch der gleiche Strom - es sei denn, man dehnt sie soweit aus, das sie die Längsachse des Drahtes zwischen den beiden Kondensatorplatten schneidet. Dort fließt selbstverständlich kein Strom, also ist das Magnetfeld des Drahtes 0, offensichtlich im Widerspruch zum gerade besprochenen Ergebnis. Maxwell ging davon aus, dass das Ampère'sche Gesetz nicht falsch, sondern nur unvollständig ist.
Auflösung
Durch den Kondensator fließt kein Strom, aber das elektrische Feld und damit der elektrische Fluss ändert sich (es ist das elektrische Feld D ohne Einflüsse durch dielektrische Materie gemeint). Maxwell definierte einen Verschiebungsstrom nun als die Änderung des elektrischen Flusses durch die gegebene Oberfläche. Der Verschiebungsstrom ist daher nicht wirklich ein Strom, bei dem ja Ladung transportiert wird. Vielmehr ist es eine anschauliche Bezeichnung für eben diese Änderung des elektrischen Flusses, da sie offenbar die gleichen Wirkung hat wie ein richtiger Strom.
Formulierung und Bedeutung
Mathematische Herleitung
Integrale Form
Der Verschiebungsstrom, die Änderung des elektrischen Flusses durch eine Oberfläche A, ist definiert durch
- (1),
wobei der elektrische Fluss definiert ist durch
- (2).
Der Vorfaktor der beiden Dielektrizitätskonstanten elimiert hierbei dielektrische Effekte, da für das elektrische Feld, das von diesen unberührt bleibt und nur von Ladungen ausgeht, gilt
- (3)
mit der Dielektrizitätskonstante des Vakuums und der Konstante der entsprechenden Materie.
Analog gilt für das von dia- und paramagnetischen Effekten unberührte magnetische Feld
- (4).
Außerdem kann bekanntlich der (tatsächliche) Strom I durch einen Leiter als Oberflächenintegral einer Stromdichte j dargestellt werden:
- (5)
Mit dieser Vorbereitung erhält man
- (6).
Dieser Verschiebungsstrom muss nun in das im ersten Abschnitt zitierte Ampère'sche Gesetz eingefügt werden:
womit die integrale Form der vierten Maxwell'schen Gleichung erreicht ist.
Differentielle Form
Für die differentielle Formulierung fehlt nur noch die Definition einer Verschiebungsstromdichte für den Verschiebungsstrom analog zur Stromdichte j des tatsächlichen Stromes I:
- (7).
Man erhält
,
die differentielle Form der vierten Maxwell'schen Gleichung.
Bedeutung
Diese Erweiterung des Ampère'schen Gesetzes ist fundamental: Zum Beispiel im Fall einer elektromagnetischen Welle ist offenbar kein Strom durch Ladungsbewegung vorhanden, die Rotation von B wäre 0, und es gäbe keine elektromagnetischen Wellen.
Außerdem zeigt sich erst jetzt die Symmetrie der Elektrodynamik und die auf den ersten Blick nicht erkennbare Zusammengehörigkeit elektrischer und magnetischer Phänomene: Ein zeitlich veränderliches magnetisches Feld erzeugt ein elektrisches Feld, ein zeitlich veränderliches elektrisches Feld erzeugt ein magnetisches Feld.