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Neue Heimat

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Die Neue Heimat (NH) war ein Wohnungsunternehmen mit Sitz in Hamburg, das dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) gehörte.

Geschichte

Der Name geht – Ironie der Geschichte – auf die Zeit des Nationalsozialismus zurück: die im Mai 1933 enteigneten gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen wurden der Deutschen Arbeitsfront (DAF) unterstellt, und diese benannte 1939 die einzelnen Firmen in Neue Heimat um. So firmierte beispielsweise die 1926 vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) gegründete Gemeinnützige Kleinwohnungsbaugesellschaft Groß-Hamburg (GKB) als Neue Heimat Hamburg (NHH).

Nach dem Krieg wurde die NHH von der britischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und 1952 dem DGB übergeben. Das Unternehmen beschränkte seine Tätigkeit in der Wiederaufbauphase zunächst auf Hamburg, aber unter ihrem ersten Vorsitzenden Heinrich Plett kaufte die NHH Anteile zahlreicher Baugesellschaften in Hamburg, Bremen, München und anderen Städten. 1954 beschloss der DGB, alle eigenen Wohnungsunternehmen wirtschaftlich der Neuen Heimat Hamburg zu unterstellen und formte so den Großkonzern Neue Heimat mit über 100.000 Wohnungen (Ende der 50er Jahre). Als Planungsleiter gewann sie Ernst May, der maßgeblich an der Errichtung von NH-Großwohnsiedlungen beteiligt war, beispielsweise München-Bogenhausen, die Gartenstadt Farmsen (Hamburg), Grünhöfe (Bremerhaven), St. Lorenz (Lübeck) und die Neue Vahr (Bremen), und von dem auch die Firmenzentrale, ein Hochhaus an der Lübecker Straße in Hamburg-Hohenfelde, stammt.

Nach dem Tod Pletts (1963) übernahm dessen "Ziehsohn" Albert Vietor die Leitung des Großunternehmens, das bereits über einen Bestand von 200.000 Wohnungen verfügte und inzwischen auch international tätig war. Zu den bekanntesten deutschen Neue-Heimat-Wohnanlagen der folgenden Jahre zählen Mettenhof (Kiel), Osterholz-Tenever (Bremen), Lohbrügge-Nord und Karlshöhe (Hamburg), Leherheide (Bremerhaven), Ratingen-West, Heidelberg-Emmertsgrund, Hasenbergl und Neuperlach (München), aber zunehmend auch Gewerbebauten wie das Elbe-Einkaufszentrum oder das Kongresszentrum CCH in Hamburg. Nicht realisiert wurde hingegen das auf Betreiben Vietors entworfene Großprojekt Alsterzentrum in Hamburg. In den 1970ern stieg die Neue Heimat auch in das Geschäft mit der Altstadtsanierung ein (Hameln, Stade u.a.); zudem wurde sie in mehrere regionale Gesellschaften wie die Neue Heimat Nord aufgegliedert.

Die Neue Heimat Affäre

Am 8. Februar 1982 erschien ein Bericht im Spiegel, in dem aufgedeckt wurde, dass sich mehrere Vorstandsmitglieder unter der Führung von Albert Vietor persönlich, zum Teil auch direkt an den Mietern, bereichert hatten. Eine Woche später entließ der Aufsichtsrat unter dem DGB-Vorsitzenden Heinz Oskar Vetter die Angeschuldigten. In den weiteren Untersuchungen stellte sich eine erhebliche Verschuldung des Konzerns heraus.

Am 18. September 1986 verkaufte der DGB das gewerkschaftseigene Wohnungsbauunternehmen zum symbolischen Preis von einer Mark an den Berliner Bäckerei-Unternehmer Horst Schiesser. Zusammen mit den 190.000 Wohnungen übernahm er die Schulden des Konzerns, die auf etwa 17 Milliarden Mark geschätzt wurden. Der Verkauf stieß in der Öffentlichkeit auf Unverständnis. Die Presse hielt einen mittelständischen Unternehmer mit dem milliardenschweren Wohnungsunternehmen für überfordert. Auch der symbolische Kaufpreis von 1 DM für überschuldete Unternehmen war in der Öffentlichkeit damals nicht geläufig und löste Erstaunen aus. Der Sanierungsplan Schiessers wurde von den Banken nicht akzeptiert, daher kaufte der DGB die Neue Heimat am 12. November 1986 für eine Mark von Schiesser zurück.

Abwicklung der Neuen Heimat

Am 25. November 1986 wurde eine NH-Auffanggesellschaft gegründet mit der Bestellung von Heinz Sippel zum Treuhänder der Neuen Heimat. Nach dem Verkauf aller Neue Heimat Wohnungsbestände legte dieser im September 1990 sein Mandat nieder.

Die meisten Neue Heimat Regionalgesellschaften wurden in dieser Zeit entweder an die Bundesländer (z.B. Bremen, Hamburg, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen) oder in zwei Fällen an private Investoren verkauft (Baden-Württemberg und Bayern).

Im Bundesland Schleswig-Holstein und Niedersachsen gab es kein Interesse seitens der Länder an den dortigen Wohnungsbeständen, es kamen andere Verkaufskonzepte zum Zuge.

In Schleswig-Holstein erwarb eine gewerkschaftsnahe Immobilienhandelsgesellschaft von der Neuen Heimat die Wohnungsbestände, welche diese zeitverzögert später "En bloc" veräußerte.

In Folge der Regionalisierung der NH-Bremen übernahm "Neue Heimat Niedersachsen" von dieser und anderen Gesellschaften (u.a der NWDS) ca. 37.000 Wohnungen. Die dadurch entstandenen hohen Belastungen wurden in 1988 unter anderem durch den Verkaufserlös von ca. 8.200 Wohnungen an die neu Gegründete ALLWO AG Hannover reduziert, welches den Fortbestand der NH-Niedersachsen sicherte. Die ALLWO AG, u.a. von der Gewerkschaftsholdung BGAG (Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften) gegründet, verkaufte diese Wohnungen nach dem von der BGAG entwickelten Konzept zur sozialverträglichen Wohnungsprivatisierung "Wohnungen in Mieterhand" an Mieter und Kapitalanleger, wo rund die Hälfte dieser Wohnungsbestände über einem Strukturvertrieb nach den Methoden des Immobilienbetrugs verkauft wurde.

Am 5. Juni 1998 wurde die Abwicklung der Neuen Heimat durch die Verschmelzung der HVB (Hamburger Verwaltungs- und Betreuungs Aktiengesellschaft) zur BGAG (Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften Aktiengesellschaft, früher Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG) abgeschlossen.

Die ehemalige Regionalgesellschaft "Neue Heimat Niedersachsen", die heute zur BauBeCon-Gruppe gehört, blieb bis Herbst 2005 in Gewerkschaftsbesitz, bis diese an die "Cerberus Capital Management" verkauft wurde, infolge von Finanzproblemen bei der Allgemeinen Hypothekenbank Rheinboden (AHBR) wo die Gewerkschaften ihren Anteil in 2005 an den US-Finanzinvestor Lone-Star verkauften.

Was blieb von der Neuen Heimat?

Der Begriff Neue Heimat ist inzwischen fast zum negativ besetzten Synonym für den heute nicht mehr akzeptierten Groß-Siedlungsbau in Form von Trabantenstädten der 1960er und 1970er Jahre geworden (Schlagwort Urbanität durch Dichte) .

Als Beispiel hat der Bund das Forschungsprogramm Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) mit dem Titel Stadtumbau West gegründet mit dem Ziel rückläufige Entwicklungen in problematischen Stadtregionen, Städten und Stadtteilen entgegenzuwirken. Unter anderem sind die von der Neuen Heimat erbauten Wohnanlagen Bremen-Osterholz-Tenever und Lübeck-Buntekuh teil dieses Pilotprojektes, wo unter anderem als Impulsprojekt Wohnhochhäuser abgebrochen wurden.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Wohnungssituation der Nachkriegszeit durch eine massive Bebauung rasch verbessert werden musste.

Auch geriet durch die Affäre die unternehmerische Betätigung der Gewerkschaften insgesamt in die Kritik.

Siehe auch

Literatur

  • Andreas Kunz: Die Akte Neue Heimat. Krise und Abwicklung des größten Wohnungsbaukonzerns Europas 1982 - 1998 Campus Verlag, Frankfurt 2002, ISBN 3593371642
  • Erwin K. Scheuch, Ute Scheuch: Manager im Größenwahn. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2003, ISBN 3-499-61481-2
  • Peter Kramper: Das gescheiterte Reformprojekt? Die NEUE HEIMAT 1950-1982, in: Hesse, Jan-Otmar/Tim Schanetzky/Jens Scholten (Hg.), Das Unternehmen als gesellschaftliches Reformprojekt. Strukturen und Entwicklungen von Unternehmen der „moralischen Ökonomie" nach 1945 (Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte Bd. 12), Essen 2004, S. 201-227.