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Listspinne

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Listspinne
Listspinne (Pisaura mirabilis)
Vorlage:Taxonomy
Vorlage:Subphylum: Kieferklauenträger (Chelicerata)
Vorlage:Classis: Spinnentiere (Arachnida)
Vorlage:Ordo: Webspinnen (Araneae)
Vorlage:Subordo: Echte Webspinnen (Araneomorphae)
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Vorlage:Superfamilia: Lycosoidea
Vorlage:Familia Raubspinnen (Pisauridae)
Vorlage:Genus: Pisaura
Vorlage:Species: Listspinne
Wissenschaftlicher Name
Pisaura mirabilis
Clerck, 1757

Die Listspinne Pisaura mirabilis, auch Raubspinne, Brautgeschenkspinne genannt, gehört zur Familie der Raubspinnen (Pisauridae) und zur Überfamilie der Lycosoidea. Die Listspinne ist in ganz Europa verbreitet.

Die Listspinne wurde 2002 von der Arachnologischen Gesellschaft e.V. zur Spinne des Jahres gewählt.

Aussehen

Ein auffälliges Merkmal der Listspinne sind die langen Beine, von denen das vierte das längste ist (Beinformel 4-2-1-3, der Größe nach geordnet) und der schlanke Hinterleib. Männchen haben eine Länge von 10-13 mm, Weibchen sind 12-15 mm lang. Nach der Adulthäutung wiegen Männchen im Mittel 54 mg, Weibchen 68 mg.

Der Vorderkörper (Prosoma) hat eine sehr variable Grundfärbung, die von hellbraun über meist rotbraun und grau bis schwarz reicht. Er trägt in der Mitte einen hellen, deutlich abgesetzten Längsstrich. Der Hinterkörper (Opisthosoma) ist lang und schmal, nach hinten verjüngt und auf dem Rücken mit einer breiten, dunkel gerandeten Zackenbinde versehen.

Die Weibchen besitzen auf der Unterseite des Hinterleibs einen auffallend dunklen Bereich (Epigyne) mit den beiden Begattungsöffnungen. Bei den Männchen ist die an der gleichen Stelle liegende Geschlechtsöffnung unauffällig.

Die Kieferntaster (Pedipalpen), also das zweite Gliedmaßenpaar, sind bei Nymphen und Weibchen beinartig, bei Männchen am Fuß verdickt (Bulbus). Am Ende der Verdickung findet sich der Eindringer (Embolus), der das Sperma nach der Aufnahme vom Spermanetz bis zur Paarung aufbewahrt. Am äußeren Chelicerengrundglied befinden sich nur drei Zähne.

Verbreitung und Lebensraum

Die Listspinne ist in ganz Europa verbreitet.

Nach Blandin (1976) kommt sie außerdem auf den Kanarischen Inseln und Madeira, im asiatischen Teil Russlands, in China und ganz Nordafrika vor. Während Roewer (1954) ihr Vorkommen für die ganze Paläarktis beschreibt, nimmt die Listspinne nach Pénicaud (1979) nur den westlichen Bereich des paläarktischen Verbreitungsgebiets der Gattung Pisaura ein. Seit Brignoli (1984) der Variationen der Weibchen beschrieben hat, ist die Verbreitung von Pisaura mirabilis außerhalb Europas höchst umstritten.

Die Listspinne besiedelt fast alle Habitate, bevorzugt jedoch feuchte Lebensräume wie Feuchtwiesen, Niedermoore, Salzwiesen, Dünenbereiche, Waldränder und feuchte Hecken (Knicks). Sie kommt in allen Höhenschichten (Strata) vom Boden bis zu den Baumkronen vor. Lediglich unter Steinen und in Höhlen fehlt sie. Die Listspinne ist in Höhenlagen von ca. 0-1500 m über NN heimisch.

Lebensweise

Die Listspinne hat ihre Fortpflanzungsperiode im Frühjahr und Sommer. In der Regel erfolgen auch Eiablage und Kokonherstellung in dieser Zeit. Die Jungtiere überwintern. Die Listspinne fängt am Tag und in der Nacht Beute. An warmen Tagen ist sie auch im Winter aktiv und jagt Beute.

Entwicklung

Die Listspinne entwickelt sich aus einem befruchteten Ei innerhalb des Kokons zum Embryo. Nach der Umrollung des Embryos entsteht die so genannte Prälarve 1. Diese häutet sich fast gleichzeitig mit dem Verlassen der Eihülle zur Prälarve 2. In diesem erstem Stadium ist die junge Listspinne noch haarlos, klauenlos, ohne funktionierende Sinnesorgane und unbeweglich.

Nach einigen Stunden findet die Häutung zur Larve statt. Diese ist farblos, aber beweglich und kann schon Sinnesreize aus der Umwelt wahrnehmen. Sie hat keine Augen und ihre Cheliceren haben nur eine kurze scharfe Spitze. Zudem hat sie einige Tasthaare an den Füßen.

Junge Listspinne

Je nach Temperatur häutet sie sich nach 4,5 bis 7,5 Tagen zum ersten voll entwickelten Stadium, Nymphe 1 oder Stadium 1 genannt. Sie verlässt den Kokon nach dem Öffnen durch die Mutter und lebt zunächst im Kinderstubennetz, das das Weibchen aus dem Glockengewebe gefertigt hat. Dort nimmt sie noch keine feste Nahrung zu sich, sondern zehrt von ihren Dottereserven. Zudem trinkt sie an Wassertropfen. Nach ungefähr einer Woche beginnt die Nymphe sich in ein selbstständiges Leben im ersten eigenen Netz abzuseilen. Der Übergang findet meist im sechsten oder siebten Stadium statt. Nun kann sie bereits Fruchtfliegen überwältigen. Kannibalismus tritt in den ersten Tagen nicht auf. Während ihrer Nymphonal-Imaginalperiode durchläuft die Raubspinne maximal 12 Stadien. Männchen werden mit dem neunten bis elften Stadium geschlechtsreif, Weibchen mit dem zehnten bis zwölften Stadium. Kühle Witterung verzögert die Entwicklung.

Alle Stadien produzieren einen Sicherheitsfaden, an dem sie sich bei Gefahr abseilen.

Von dem Stadium der Prälarve bis zur letzten Häutung (Adulthäutung) beträgt die Lebensdauer im Mittel 257 Tage für ein Männchen (Stadium 10) und 289 Tage für ein Weibchen (Stadium 11). Das Adultalter ist der Zeitraum von der letzten Häutung bis zum Tod. Weibchen werden deutlich älter als Männchen. Der Rekord liegt für Weibchen bei 247 Tagen und für Männchen bei 186,5 Tagen.

In Abhängigkeit vom Verbreitungsgebiet überwintert die Listspinne als Nymphe ein- oder zweimal. Sie verbringt die Zeit der Winterruhe (Diapause) in den Tiefen der Vegetation und unter Laub, Moos und Steinen. Auch in Garagen und Häusern übersteht sie den Winter. In Südfrankreich überwintern einzelne Exemplare unter lockerer Rinde von Platanen. Dort treten die Nymphen des Stadiums 6-8, meist 7 im November die Winterruhe an und nehmen ihre Entwicklung wieder Ende Februar/Anfang März auf.

In West- und Mitteleuropa erreicht die Listspinne ihre Geschlechtsreife im Mai, so dass dann Spermaaufnahme, Brautgeschenkherstellung, Weibchensuche, erste sexuelle Erregung, Balz und Paarung stattfinden. In Nord- und Osteuropa treten geschlechtsreife Listspinnen erst ab Juni auf, während sie in Südeuropa die Geschlechtsreife schon im April erreichen.

In Südeuropa hat die Listspinne einen einjährigen Jahreszyklus. Sie wächst im Sommer heran, macht eine Ruhepause mit Häutungsstopp im Winter, wird im Frühling erwachsen, pflanzt sich fort und stirbt spätestens im Herbst. Ihr Nachwuchs ist im nächsten Frühjahr geschlechtsreif. Im nördlichen Verbreitungsgebiet dauert die Entwicklung zwei Jahre, da die Nymphen zweimal überwintern müssen, bis sie geschlechtsreif sind. In Mittel- und Westeuropa gibt es eine Mischform von ein- und zweijähriger Entwicklung. Zwei Monate haben die Männchen Zeit, sich fortzupflanzen, dreieinhalb Monate die Weibchen.

Fressfeinde, Parasiten und Krankheitserreger

Die Listspinne hat zahlreiche Fressfeinde. Dazu zählen zunächst Wegwespen, Laubfrösche, Eidechsen, Singvögel am Tag und Kröten, Spitzmäuse, Fledermäuse in der Nacht. Aber auch andere Spinnenarten stellen Tag und Nacht Gefahren dar. In Südeuropa kommen weitere Feinde wie die Gottesanbeterinnen hinzu. Gelegentlich wird die Raubspinne auch von Krabbenspinnen erbeutet. Zudem kommt Kannibalismus vor.

Die Listspinne ist auch oft ein Opfer von Parasiten und Parasitoiden. Dies sind vor allem Fadenwürmer, Grabwespen, Schlupfwespen, Wegwespen und Spinnenfliegen. Auch Erzwespen, Mückenhafte und weitere Fliegen aus anderen Familien sowie Milben parasitieren diese Spinne. Die Parasiten befallen sowohl die Tiere selbst als auch die Eier in den Kokons. Letzteres kann zur vollständigen Vernichtung eines Geleges führen.

Die Listspinne wird sowohl von Baculoviren als auch Rickettsien befallen. Beide gelangen höchst wahrscheinlich über Insektenbeute in das Darmsystem. Nicht nur Nymphen und erwachsene Tiere können infiziert werden, sondern auch die Stadien im Kokon. Pilzinfektionen sind bei der Raubspinne bisher nicht bekannt.

Verhalten

Die Listspinne bewohnt in ihrer Jugend ein Netz und spinnt später selbst verschiedenartige Netze. Männchen stellen Spermanetze her, Weibchen fertigen Eikokons sowie Glockengespinste und Kinderstubennetze. Sowohl Männchen als auch Nymphen und Weibchen umspinnen ihre Beute.

Netzaufbau

Die Listspinne baut ihr Netz in der Krautschicht fixiert es an Gräsern und Kräutern. Charakteristisch ist die Position des Netzzentrums und somit der Spinne im unteren Winkel. Sie sitzt dabei kopfunter, nach oben und nach einer Seite hin von Pflanzenteilen geschützt und verdeckt.

Typisch für das Netz der Listspinne ist ein zentraler, von einem Fadengeflecht umgebener ellipsoider Freiraum (Oval), den sie selten verlässt und in dem sie auf Beute lauert. Das Oval misst in der Längsachse das 1,5- bis 2-fache der Körperlänge, in Breite und Höhe das 0,5- bis 1,5-fache der Spinne. Vom Ovalrand aus laufen kreuzende Spannfäden in die Umgebung, die den zentralen ovalen Raum auch bei Bewegungen der umgebenden Grashalme, Blätter oder Zweige dauerhaft konstant erhalten. In diesem Netzbereich sind Fäden zu finden, die einer Perlenschnur ähneln. Auf beiden Seiten der Ovalöffnung formen Fäden eine trichterförmige Struktur. Ein Teil dieses Netzbereiches (Warte) gibt der Spinne halt und ist auch noch bei erwachsenen Tieren zu finden. Form und Ausdehnung des Netzes variieren in Anpassung an die Umgebung beträchtlich, aber die drei Hauptelemente Oval, trichterförmige Fußstütze und fächerförmig ausgebreiteter Bereich sind immer vorhanden.

Wohn- und Jagdnetz

Listspinne in Ruhe-Lauerstellung

Die Listspinne sitzt im Nestoval in der charakteristischen Ruhe-Lauerstellung kopfunter mit dem Bauch zum Pflanzenstengel. Sie hat einen Sicherheitsfaden im oberen Bereich des Ovals befestigt und streckt ihre Beine zu beiden Seiten aus den Ovalöffnungen. Die Palpen berühren den Rand des Ovals, so dass sie jederzeit bereit ist, nach rechts oder links aus den Ovalöffnungen herauszuspringen, um Beute zu fangen oder zu fliehen.

Schon Nymphen sind zum Netzbau fähig, bauen ihre ersten eigenen Wohnnetze aber erst nach Verlassen der Kinderstube, etwa eine Woche nach dem Schlüpfen. Spätestens nach zwei Wochen haben alle Jungen ihr erstes eigenes Netz gebaut. Sie halten sich meistens in ihrem Oval auf, verlassen es aber kurzfristig zur Kotabgabe und Häutung.

Auf leichte Störungen in der Netzumgebung hin nehmen sie ruckartig die unbewegliche Haltung ein: beide vorderen Beinpaare starr nach vorne gestreckt. Bei etwas stärkeren Störungen verlassen sie ihr Netzoval, bleiben aber in der Umgebung. Erst massive Störungen lösen eine schnelle Flucht in die Tiefe der Vegetation aus. Nach einigen Minuten kehrt die Nympfe dann am Sicherungsfaden hängend oder zu Fuß in ihr Oval zurück. Zum Beutefang springen die Spinnen meist heraus, suchen das Oval mit der Beute aber sofort wieder auf.

Wird das Netz zerstört, so baut die Listspinne in der Regel innerhalb von 24 Stunden im Freiland oft am gleichen Platz ein Neues. Bis zum sechsten Stadium wird ein verlorenes Netz durch ein neues ersetzt. Geschlechtsreife Spinnen haben nie vollständige Netze, sondern nur Fragmente.

Jagdverhalten

Die Listspinne jagt vom Frühjahr bis in den Herbst Beute. Während der Überwinterung fängt sie nur bei Wärmeeinbrüchen Beute. Diese besteht zum Hauptteil aus Insekten, an erster Stelle Fliegen und Mücken, aber auch Zikaden und Heuschrecken, gefolgt von Weberknechten und Webspinnen. Kannibalismus kommt bei Nymphen und Weibchen vor.

Sobald die Nymphe ihr erstes Wohnnetz gebaut hat, lauert sie in ihren Oval kopfunter auf Beute. Sie reagiert sowohl auf Beutetiere, die das Netz berühren oder an Pflanzen der unmittelbaren Umgebung klettern, als auch auf vorbeikommende Fliegen. Bei kurzen oder schwachen Reizen nimmt sie die Bereitschaftstellung ein, indem sie die ersten Beinpaare spreizt ohne sich von der Stelle zu bewegen. Meistens rennt sie jedoch rasch aus ihrem Netzoval, umklammert die Beute in einem aus allen Beinen gebildeten Fangkorb (Spinndauer: 0,1 sec) und trägt sie in den Cheliceren in ihr Oval zurück, wo sie diese kopfunter verzehrt. Ältere Stadien handeln auf die gleiche Weise, transportieren jedoch große Beute auch rückwärts und verzehren sie kopfunter unterhalb des Ovals, falls nicht hineinpassen. Kleinere Beutetiere werden einfach mit den Chelieren ergriffen. Misslingt der erste Fangversuch, verfolgt die Raubspinne ihre Beute. Die wesentlichen Phasen des Beutefangs sind somit Lauern, Sprung, Umklammern, Biss, Auflösen des Fangkorbs, Hochtransport, Drehen in Kopfunterposition, Anheften des Sicherungsfadens an den Untergrund, Fressen und Fallenlassen der Beutereste.

Beim Fang beißt die Listspinne nach Umklammern mit dem Fangkorb die Beute mit den Cheliceren und injiziert dabei ihr Gift. Nach wenigen Sekunden oder Minuten ist das Beutetier tot. Im dritten Stadium können sogar mehrere Fliegen kurz hintereinander erjagt werden. Die Listspinne zerkaut ihre Beute mit den Cheliceren, wobei sie die Verdauungssekrete auf die Beute abgibt und die aufgelösten Bestandteile durch die enge Mundöffnung wieder einsaugt. In der Regel fängt die Listspinne einen halben Tag vor einer Häutung und einen halben Tag danach keine Beute. Bis zu einem halben Tag vor der für Spinnen üblichen Todesstarre geht sie auf Beutejagd.

Zur Aufbewahrung umspinnen sie die Beute oder Reste großer Beute und transportieren sie an den Cheliceren bis sie sie an Gräsern oder Blättern befestigen. Das Umspinnen verhindert den Verlust der Nahrung, die nicht sofort gefressen werden kann, und dient der Vorratshaltung. Kurzfristig ermöglichst es Putzhandlungen, Wasseraufnahme und den Fang weiter Beutetiere ohne den Verlust der ersten Beute.

Sozialverhalten

Die Listspinne verbringt die meiste Zeit in ihrem Netzoval und sitzt dabei fast immer energiesparend kopfunter im Gras oder an Zweigen von niedrigen Sträuchern und lauert auf Beute. Bisweilen sonnt sie sich auch horizontal mit zusammengefalteten Vorderbeinen (1-2 oder 1-3) auf Blüten und Blättern und wechselt dabei gelegentlich ihre Position. Bei Störungen verschwindet sie rasch auf die Blattunterseiten oder in den Untergrund. Dies alles trifft tagsüber auch auf Männchen zu, die jedoch vor allem nachts Weibchen suchen. Ebenso sind auch Weibchen mit Kokons aktiv, um einen sonnigen Platz für ihr Kinderstubnetz zu finden.

Die ein Netz bewohnenden Nymphen und die noch immer sesshaften Weibchen kämpfen um die besten Beutefangplätze in ihrem Lebensraum. Große Weibchen erobern die günstigsten Plätze. Später nehmen sie sich auch die geeignetsten Plätze für ihr Glockengewebe und bewohnen diese in hoher Dichte. Sie werden von großen Männchen umworben. Kleinere Weibchen werden entweder die Beute größerer oder in ungünstigere Gebiete abgedrängt. Hier werben dann vor allem kleinere Männchen um sie.

Fortpflanzung

Bevor das Männchen auf die Suche nach einem Weibchen geht, füllt es seine Tasterenden mit Sperma. Hierzu erzeugt es durch Spinn- und Tupfbewegungen des Hinterleibs mit den Spinnwarzen ein Spermanetz, das entweder horizontal, senkrecht oder in einem schrägen Winkel ausgerichtet ist. Zwischendurch unterbricht es diese Handlungen für Pausen, Palpenputzen, Bissen in das Gespinst und Betasten des Gewebes mit den Palpen. Hat das Männchen das Netz fertig gestellt, gibt es einen milchigen Spermatropfen aus der vorne auf der Unterseite des Hinterleibs liegenden Geschlechtsöffnung an der oberen Netzkante durch Reiben ab und nimmt ihn abwechselnd in beide Bulbi der Pedipalpen auf.

Balz und Paarung

Die Listspinne zeigt ein ausgefeiltes Balzverhalten. Das Männchen fängt ein Insekt und spinnt es zu einem Paket, das dem paarungsbereiten Weibchen angeboten wird. Das Weibchen entscheidet, ob es das Paket annimmt und beginnt nach einer Annahme sofort daran zu fressen.

Unbekannt ist, wie viel Nahrung die Raubspinnenweibchen von den Männchen erhalten, denn sie paaren sich öfter; die Anzahl der überreichten Geschenke und beteiligten Männchen ist unbekannt. Die Männchen begeben sich unter das Weibchen, um es erst mit der einen, dann mit der anderen Pedipalpe zu begatten. An den Pedipalpen befinden sich die Bulbi, in denen das Männchen sein Sperma für die Paarung aufbewahrt. Dabei geben die Männchen ihre Geschenke übrigens nicht völlig aus den "Händen", sondern halten sie mit dem dritten Beinpaar und einem Sicherungsfaden fest.

Männchen nehmen sich zudem untereinander die Geschenke ab und spinnen mehrere Pakete zu einem größeren zusammen. Es werden auch notfalls nicht fressbare Ersatzobjekte angeboten und angenommen. Die oft zu lesende Erklärung, dass das Männchen durch das Brautgeschenk vor dem gefräßigen Weibchen geschützt sei, ist falsch. Beide lassen sich auch zusammen in einem kleinen Terrarium halten. In äußerst seltenen Fällen wird ein Männchen von einem Weibchen erbeutet, dann nützt ihm aber auch kein Brautgeschenk.

Brutpflege

Das Weibchen stellt den Kokon für die Eier nachts, meist jedoch in den frühen Morgenstunden her. Dazu spinnt das es zunächst einige Aufhängefäden. Danach fertigt sie die Basalplatte mit einem Durchmesser von ca. 5 mm an, während es sich immer schneller mit ihrem Körper dreht. Diese Umdrehungen fortsetzend gibt das Weibchen dicke Fäden entlang des Randes der Basalplatte ab, so dass ein Randwall entsteht. Die Pedipalpen bleiben dabei ständig mit der den Spinnwarzen gegenüberliegenden Seite in Kontakt. Somit bestimmt die Größe des Weibchens die Größe des Kokons.

Eine Stunde nach der Herstellung des Kokons verharrt das Weibchen bewegungslos und presst den Genitialbereich durch Beugen der Beine fest gegen die Eikammer. Dadurch tritt eine braune Eimasse aus, die je nach der Anzahl der Eier 2 mm-4 mm Durchmesser einnimmt. Nun verschließt das Weibchen Kokonöffnung, indem sie rasch Fäden kreuz und quer darüber spinnt, dann wieder ganze Seidenpakete abgibt. Einige Minuten später reißt sie den Kokon von der Unterlage, wobei sie Fäden mit den Cheliceren abschneidet. Indem das Weibchen ihn zwischen den Pedipalpen und dem dritten Beinpaar rotieren lässt, überspinnt es ihn mit weißer Seide. Schließlich nimmt sie den Eikokon in die Cheliceren und transportiert ihn in der für die Pisauridae charakteristischen Weise unter dem Vorderkörper. Das Weibchen legt den Eikokon nur zum Fressen ab.

Die erste Eiablage erfolgt zwischen dem 13. und dem 91. Tag nach der Adulthäutung. Die befruchteten Eier messen fast 1 mm Durchmesser und sind hell, kugelrund und weich. Nicht entwickelte Eier sind dunkelbraun, eingeschrumpft und hart. Zwei bis drei Tage vor dem Schlüpfen der Jungtiere gegen Ende der Nacht wird zwischen Pflanzenstengeln ein Glockengewebe gewebt Dieses unten offene, meist 5 cm hohe, 3 cm weite, am Dach am dichtesten gesponnene Gespinst wird in höchstens 1m Höhe befestigt. Während des Spinnens heftet das Weibchen den Eikokon an eine Unterlage und nimmt ihn von Zeit zu Zeit in die Cheliceren. Zum Schluss wird der Kokon im Glockengewebe aufgehängt. Die geschlüpften Jungen werden von der Mutter bewacht und vor allem vor anderen Spinnen verteidigt.

Damit der Nachwuchs im ersten Stadium den Kokon verlassen kann, baut das Weibchen das Glockengewebe in den frühen Morgenstunden zu einer Kinderstube um. Dazu macht es zunächst den inzwischen stark aufgeweiteten Kokon am Dach des Gespinstes fest. Dann reißt sie ihn mit den Cheliceren fast vollständig auf und zieht Fäden vom Glockengewebe aus in die umgebende Krautvegetation. Nachdem sie so ein zeltartiges Gespinst, das Kinderstubennetz, geschaffen hat, wird es in der Zeit von zwei bis drei Stunden nach Öffnung des Kokons durch das Weibchen von den Jungen besiedelt. Die Mutter hängt meist kopfunter außen auf dem Kinderstubengespinst, um die Jungen zu bewachen. Bei Regen verstärkt sie das Netz der Kinderstube und repariert aufgetretene Schäden. Bei starker Störung flieht sie, indem sie um das Netz herumläuft oder in die Vegetation unterhalb des Netzes verschwindet. Die Mutter kehrt jedoch bald wieder zu ihren Jungen zurück.

Evolution und Systematik

Aufmerksam beobachtende Listspinne

Nach Brignoli (1978, 1984) kommen im Mittelmeerraum vier von fünf Pisaura-Arten, die den so genannten „Mirabilis-Komplex“ bilden. Diese könnten sich von einer gemeinsamen, vor oder zwischen den Eiszeiten, in der westlichen Paläarktis verbreiteten Stammart ableiten. In diesem Fall müssten sie verschiedene Ökologische Nischen in den gleiche Gebieten gebildet haben. Wenn die Arten echt sind, dürften sie untereinander nicht zu kreuzen sein. Nach dem heutigen Stand der Forschung ist es unklar, ob es fünf Variationen oder Unterarten sind.

Auf den Kanarischen Inseln und Azoren existiert nach Schmidt (1968, 1973, 1981) eine Variante der Raubspinne. Wunderlich (1987) bestritt dies und behauptete, Pisaura mirabilis sei mit der Art Pisaura madeiriana verwechselt worden und käme somit nicht dort vor, was Schmidt (1990) anhand erwachsener Exemplare widerlegte.

Schmidt erwähnte auch die Unterart Pisaura mirabilis quadrilineata (Lucas 1838) auf La Palma. Die Männchen dieser Unterart bieten den Weibchen nur Brautgeschenke mit nicht umsponnener Beute an. Balz und Paarung sind bisher unbekannt.

Synonyme

Die Listspinne ist unter zahlreichen lateinischen Synomymen zu finden.

Pisaura mirabilis wurde 1678 erstmals von Martin Lister beschrieben, als Linnés Nomenklatur noch nicht etabliert war, so dass er sie mit einem langen beschreibenden Artennamen versah: „Araneus sublividus, alvo undatim picta, productiori, acuminata“ (zu Deutsch: Bleifarbene Spinne mit wellenförmig bezeichnetem, verlängertem, zugespitztem Hinterleib). Noch im Jahre 1783 findet man bei Karl de Geer solch einen beschreibenden Namen für eine rötliche Farbvariante, die er als eigene Art ansah: „Araneus (rufo-fasciata), abdomine elongato, griseo fusco; fascia longitudinali undata rufa, pedibus longissimis“ (zu Deutsch: Die längliche braun-gräuliche Wolfsspinne, mit einer wellenförmigen rostfarbigen Längsbinde und sehr langen Füßen).

Wissenschaftlich gültig ist heute Carl Clercks Bezeichnung Pisaura mirabilis von 1757, auch wenn sie Carl Linné 1758 in seinem Systema Naturae als Areneus mirabilis bezeichnet. Das Brautgeschenk war damals noch unbekannt. Giovanni Scopoli beschrieb dieselbe Spinne 1763 in Unkenntnis von Clercks Erstbeschreibung unter dem Namen Aranea listeri.

Bei Roewer (1954) und Bonnet (1958/59) finden sich neben den bereits erwähnten weitere Synomyme:

Aranea agraria               Aranea obscura                    Dolomedes scheuchzeri
Aranea arcuatolineata        Aranea rufofasciata               Ocyale mirabilis
Aranea bivittata             Aranea tripunctata                Ocyale murina
Aranea flavostriata          Araneus mirabilis                 Ocyale rufofasciata
Aranea listeri               Dolomedes fimbriatus              Philodromus quadrilineatus 
Aranea marmorata             Dolomedes insignis                Pisaura listeri
Aranea mirabilis             Dolomedes mirabilis               Pisaura rufofasciata

Pisaura mirabilis ist auch in der deutschen Literatur unter einigen Synomymen zu finden. Meist wird sie dort als „Raubspinne“ (z.B. Stern u. Kullmann 1975, Pfletschinger 1976, Sauer u. Wunderlich 1984, Heimer 1988, Renner 1997, Foelix 1992) bezeichnet. Sie wird aber auch mit den Namen „Wunderbare Jagdspinne“ (Grüne 1873) oder „Wunderbarer Wasserläufer“ (Menge 1879) versehen. Lock nannte sie 1939 „Große Wolfsspinne“.

Die Namen „Heideraubspinne“ (Smolik 1987) und „Heidejagdspinne“ (Schmidt 1955, 1980) sind nur für einige Populationen zutreffend, da Pisaura mirabilis nicht nur in der Heide vorkommt.

Bellman (1984,1994,1997) und Baehr u. Baehr (1987) nennen sie Listspinne. Damit bezeichnen sie das genetisch fixierte, regelmäßig vorkommende Verhalten des männlichen Brautgeschenks (Nitzsche) als „List“. Allerdings kann es so zu Verwechslungen mit der Gattungsart Dolomedes fimbriatus (z.B. Pfletschinger 1976) kommen, die auch als „Listspinne“ bezeichnet wird. Bei ihr gibt es kein Brautgeschenk. Dennoch wurde auch P. mirabilis zeitweilig der Gattung Dolomedes zugeordnet.

Zutreffend ist auch der von Lierath (1988) im Titel seines kleinen Artikels über diese Art erwähnte populäre Name „Brautgeschenkspinne“, den auch Nitzsche häufig verwendet. Eine namentliche Abgrenzung zu anderen Pisauridenarten mit entsprechenden Verhalten (z.B. Pisaura lama) ließe sich nach letztgenannten durch Integration des Artnamens „mirabilis“ zu „Wunderbare Brautgeschenkspinne“ erreichen.

In der englischsprachigen Literatur wird sie nuptial feeding spider (Lang 1996) genannt, in Frankreich heißt sie le Pisaure und in den Niederlanden nennt man sie Grote Wolfspin oder Kraamwebspin (Roberts 1998).

Listspinne und Mensch

Die in Europa heimische Listspinne gelangte schon relativ früh ins Blickfeld der Spinnenforscher. Das Interesse galt zunächst der Brutpflege. Im 20. Jahrhundert widmeten die Forscher sich jedoch schwerpunktmäßig dem Fortpflanzungsverhalten und physiologischen sowie phänologischen Aspekten.

Haltung als Haustier

Die Listspinne kann auch als Haustier gehalten werden. Sie ist ein geduldiger Pflegling, der leichte Fehler in der Haltung nicht gleich übel nimmt. Sie ist und bleibt aber dennoch ein Wildtier.

Um an Listspinnen zu kommen, sucht man am Besten Anfang April im Gras kleiner Ödlandstellen am Dorf- oder Stadtrand nach größeren Nymphen.

Zur Unterbringung der Listspinne reichen ein Wasserschälchen, genügend Feuchtigkeit sowie ein in die Erde gesteckter Tradeskantientrieb. Beabsichtigt man viele Spinnen aufzuziehen, so nimmt man am Besten Kunststoffbehälter, die mit Schaumstoffdeckeln nach unten in eine mit Wasser gestellte Schale gestellt werden und innen zur Breite diagonal eingelegten Pappstreifen gefüllt werden. Die Behälter können alternativ auch als Miniterrarium eingerichtet werden. Dazu legt man die Schaumstoffdeckel nach oben und beflanzt sie im Inneren. Obwohl grundsätzlich alle durchsichtigen Gefäße geeignet sind, muss immer eine Klettermöglichkeit und genügend Raum für das Aufhängen bei der Häutung vorhanden sein.

Die Listspinne muss bis zur Geschlechtsreife einzeln gehalten werden. Allerdings können ausgewachsene Tiere in einem kleinen beflanzten Terrarium zu mehreren gehalten werden. Hierbei muss man beachten, dass ein Weibchen und ein oder mehrere Männchen, jedoch niemals mehrere Weibchen zusammen gehalten können.

Als Futter eignen sich Grillenlarven und Fliegen.

Die Jungen sind nur mit großen Verlusten ab dem Schlüpfen aufzuziehen. Es wird vermutet, dass sie eine Überwinterung mit Kälte und Ruheperiode benötigen. Sie können mit Fruchtfliegen ernährt werden. Es ist jedoch ratsam, sie wegen der schwierigen Aufzucht im Sommer freizulassen.

Referenzen

Literatur

  • Foelix, Rainer F.: Biologie der Spinnen. Thieme Verlag, Stuttgart, 1979.
  • Hänggi, Stöckli und Nentwig: Lebensräume mitteleuropäischer Spinnen. Centre Suisse de cartographie de la faune. Neuchatel Verlag, 1995.
  • Jones, Dick: Der Kosmos Spinnenführer. Kosmos Verlag, 1990.
  • Nitzsche, Rainar O. M.: Das Brautgeschenk der Spinne. Pisaura mirabilis (Clerck, 1757) (Pisauridae). Rainar Nitzsche Verlag, 1999, ISBN 3-930304-00-7

Filme

  • Bublath, J.: Räuber mit Netz. Das aufregende Leben der Spinnen. Aus Forschung und Technik, ZDF, 1987
  • Hayden, P.: Wenn Tiere zu Kannibalen werden. Killer in den eigenen Reihen, SWR (Südwest 3), 1999
  • Schneider, P.: Pisaura mirabilis, die Raub-, Jagd- oder Listspinne, HWF 14, Begleitheft Heidelberg, 1998
  • Stern, H.: Bemerkungen über Spinnen 2.Meilensteine des Dokumentarfilms, Ein Frankh-Kosmos Video, Frankh Kosmos Stuttgart, 1975
Commons: Raubspinne – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

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