Kritik der reinen Vernunft

Die Kritik der reinen Vernunft (KrV) ist das erkenntnistheoretische Hauptwerk des deutschen Philosophen Immanuel Kant. Sie ist eines der Grundbücher der abendländischen Philosophie. Der Königsberger Philosoph schrieb die KrV als erste seiner drei „Kritiken“. Es folgten die Kritik der praktischen Vernunft und die Kritik der Urteilskraft. An die KrV schließen zudem die Prolegomena von 1783 an.
Die „Kritik der reinen Vernunft“ erscheint in erster Auflage 1781. Die 2. Auflage kommt 1787 heraus. Sie ist gegenüber der ersten Fassung wesentlich verändert und erweitert. In den 1790er Jahren erscheinen weitere Fassungen, die sich aber nur unwesentlich von der 2. Auflage unterscheiden.
Für diesen Artikel ist die 2. Auflage maßgeblich.
Unterfangen der Kritik
Seit der Antike diskutieren Philosophen das Verhältnis von Gegenstand und Erkenntnis. Doch ihre Antworten mündeten stets in Aporien ( = die Einsicht in die Unlösbarkeit eines Problems ). Kant nimmt sich der Frage erneut an und kommt zu einer Antwort, die oft als „kopernikanische Wende“ bezeichnet wird. Denn Kant bestimmt das Verhältnis von Gegenstand und Erkenntnis grundlegend neu: Die Bedingungen der Erkenntnis eines Gegenstandes sind zugleich die Bedingungen des Gegenstandes der Erkenntnis. Mit anderen Worten: Der Mensch kann nur erkennen, was er überhaupt wahrnehmen kann und wofür er Begriffe hat.
Kants KrV widmet sich der Logik, Metaphysik und Erkenntnistheorie. Die Ergebnisse aus der KrV werden zur Grundlage von Kants Ethik.
Zum Inhalt des Buches
Bedeutung des Titels „Kritik der reinen Vernunft“
- „Kritik“ ist nicht als Beanstandung, Tadelung oder Herabwürdigung zu verstehen, sondern als Analyse, Sichtung und Überprüfung (zur näheren Erläuterung des Kritik-Begriffs siehe Kritizismus).
- Der Genitiv „der“ kann als genitivus objectivus wie als genitivus subjectivus verstanden werden. Kant versteht seine Untersuchung in der Tat als eine Kritik an der und durch die reine Vernunft. Als oberstes Erkenntnisvermögen kann sich die Vernunft einer Selbstkritik unterziehen. Kant spricht vom „Gerichtshof der Vernunft“ (B779), vor dem die Vernunft Richter und Angeklagter zugleich ist.
- „Reine“ Vernunft umfasst nach Kant die Erkenntnisfähigkeit des menschlichen Denkens, ohne auf schon vorhandene (Lebens-)Erfahrung zurückgreifen zu müssen. Rein ist das Vernunftvermögen, wenn es vor und unabhängig aller Erfahrung gedacht wird. Für die reine Vernunft gibt es außer den Gesetzen der Logik keine Kontrolle. Die Gesetze der Logik aber garantieren nur logische, nicht aber inhaltliche Widerspruchsfreiheit.
- „Vernunft“ im Sinne der „Kritik der reinen Vernunft“ umfasst: die Sinnlichkeit, als das Vermögen der Anschauung, den Verstand, als das Vermögen, Anschauungen unter (einfache) Begriffe zu bringen sowie die Vernunft im Allgemeinen, als das Vermögen, die Verstandeserkenntnis zu ordnen. In der heutigen Diskussion um die KrV werden vor allem Kants Ergebnisse zu Sinnlichkeit und Verstand eingehender Betrachtung unterzogen.
Im Resümee bedeutet der Buchtitel: Überprüfung der Möglichkeiten der Erkenntnisfindung ohne Verwendung der Erfahrung. Oder wie Kant es sagt: „Was sind die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis?“
Metaphysik als Aufgabe
Kants „Kritik der reinen Vernunft“ stellt sich einer philosophischen Zumutung: Generationen von Philosophen haben ausgefeilteste Gedanken und Systeme ersonnen, doch sind sie gerade im traditionellen Kerngebiet der Philosophie, der Metaphysik, nicht übereins gekommen - ein Skandal der Philosophie.
Metaphysik ist ein Werk der Vernunft - wenn die Vernunft aber zu unterschiedlichsten und sich widersprechenden Ergebnissen gelangt, könnte es ursächlich daran liegen, dass man sich über die Art und Weise des (sinnvollen) Vernunftgebrauchs nicht klar geworden ist. Hier setzt Kants kritisches Verfahren an: Seine Frage, „Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?“, zielt auf ein sicheres Fundament, auf dem metaphysische Überlegungen beanspruchen können, (echte) Erkenntnisse zu sein.
Kants Streben nach sicherer Erkenntnis ist vor dem Hintergrund der seinerzeitigen Erfolge der Naturwissenschaften zu sehen, insbesondere der klassischen theoretischen Physik Newtons. Kant schreibt über die von ihm gewonnenen Ergebnisse seines kritischen Unterfangens: „Ich erkühne mich zu sagen, dass nicht eine einzige metaphysische Aufgabe sein müsse, die hier nicht aufgelöst oder zu deren Auflösung nicht wenigstens der Schlüssel dargereicht worden wäre.“ - Tatsächlich wird Kants Werk, bei allen Einwänden, als eine in Vorgehen und Gehalt bis heute weitreichendsten und bedeutendsten philosophischen Schriften wahrgenommen.
Sicheres Wissen
„Was kann ich [sicher] wissen?“ - so lautet die leitende Fragestellung der Kritik der reinen Vernunft. Diese Frage ist Ausgangspunkt der kantischen Transzendentalphilosophie, einem Denken, das die Grenzen sicherer Erkenntnis ausloten will. Im Unterschied zur vorangegangenen „dogmatischen“ Philosophie (vergleiche vor allem Christian Wolff in Nachfolge zur Leibnizschen Philosophie) rationalistischer und empiristischer Prägung und zum Skeptizismus Humes sucht Kant in seiner Schrift, die Metaphysik in „sichere Schranken“ zu weisen und so die Grenzen der menschlichen Vernunft zum Zwecke der Erkenntnis aufzuzeigen. Die Frage nach der Sicherheit des Wissens nach Kant betrifft zuvorderst also nicht das Problem der Anerkennung von Wissen, sondern die Bedingungen der Möglichkeit, durch Erkenntnis zu sicherem Wissen zu gelangen.
Reine Erkenntnis
Kant setzt in Tradition des Empirismus voraus: „Alle Erkenntnis fängt mit der Erfahrung an.“ Doch damit ist nicht gesagt, dass alle Erkenntnis aus der Erfahrung, a posteriori, stammt. Eine kritische Analyse muss untersuchen, ob es etwas gibt, das wir vor und unabhängig aller Erfahrung, das heißt a priori, besitzen. Um reine von empirischer Erkenntnis zu unterscheiden, nennt Kant die Kriterien der strengen Allgemeinheit und unbedingten Notwendigkeit.
Seine Transzendentalphilosophie ist „ein System aller Verstandesbegriffe und Grundsätze, aber nur insofern sie a priori auf Gegenstände gehen, welche durch die Sinne gegeben und durch Erfahrung belegt werden können.“ Es geht ihr um die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis. Dazu erforscht sie Quellen, Umfang und Grenzen des Wissens.
Analytische und synthetische Urteile
Grundlegend für Kants Vorgehen ist auch die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen. Ein Urteil ist die logische Verbindung eines Subjektes mit einem Prädikat. Analytisch heißt „auflösend“, „zergliedernd“. Analytische Urteile nennt Kant auch Erläuterungsurteile, das heißt, das Prädikat ist bereits im Subjekt enthalten. Synthetische Urteile nennt er Erweiterungsurteile, denn sie erweitern die Erkenntnis. Synthetisch sind alle Urteile, die aus der Erfahrung stammen. Synthetische Urteile a priori finden sich in Mathematik und Naturwissenschaften. In der Metaphysik, die ja Erfahrungsgrenzen überschreitet, sollten solche Sätze ebenso nachweisbar sein. Damit stellt sich die Hauptfrage, die Kant bereits in den Prolegomena so formuliert: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Diese umfasst folgende Fragen:
- Wie ist reine Mathematik möglich?
- Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?
- Wie ist Metaphysik nicht nur als Naturanlage wirklich, sondern als Wissenschaft möglich?
Aufbau der „Kritik der reinen Vernunft“
Die transzendentale Elementarlehre (B 49-465)
Der erste Hauptabschnitt der Schrift, die Transzendentale Elementarlehre, gliedert sich in zwei Teile, die Transzendentale Ästhetik und die Transzendentale Logik. Der zweite, wesentlich kürzere Hauptabschnitt enthält die Transzendentale Methodenlehre. In der transzendentalen Elementarlehre zeigt Kant, dass objektive Realität erst entsteht, wenn ein Begriff mit einer Anschauung korrespondiert. In Kants Worten: Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.
- Gedanken ohne Inhalt sind leer: Die Transzendentale Ästhetik behandelt das Problem, wie, aufgrund der affektiven Sinnlichkeit des Menschen, in der Anschauung die empirischen Gegenstände möglich werden und in Raum und Zeit als wirklich erscheinen können.
- Anschauungen ohne Begriffe sind blind: Die Transzendentale Logik fragt, in welchem Verhältnis Anschauungen und Begriffe stehen müssen, damit ein Gegenstand erkannt werden kann. Die reine Logik handelt von apriorischen Prinzipien und beschäftigt sich mit der Leistung des Verstandes
Sinnlichkeit und Verstand sind die beiden Wurzeln der Erkenntnis:
Durch die Anschauung werden die Gegenstände empirisch vorgegeben und durch den Verstand begrifflich gedacht. Raum und Zeit sind für Kant Formen der Anschauung und damit unabhängig und vor aller Erfahrung (a priori). Die Leistung des formenden (logischen) Geistes bringt die erkennbare, nach notwendigen Gesetzen erzeugte Erscheinungswirklichkeit hervor, die im Gemüt (also letztlich im menschlichen Bewusstsein) durch die Verstandeskategorien (Quantität, Qualität, Relation, Modalität) konstituiert wird. Die Logik des menschlichen Verstandes erzeugt aus der Erfahrung des Mannigfaltigen die Erkenntnis.
Die transzendentale Ästhetik (B 49-74), Überblick
- In der transzendentalen Ästhetik wird das Vermögen der Sinneserkenntnis untersucht. Sinnlichkeit ist das in uns liegende Vermögen von etwas, das außerhalb uns ist, affiziert zu werden. Die Sinne, und nur sie allein, liefern uns Anschauungen, die bereits in einer räumlichen und zeitlichen Einheit geordnet sind. Einzelvorstellungen sind bereits geformter Stoff von Ordnungsprinzipien, die selbst nicht aus der Empfindung stammen. Es seien also nicht die Dinge an sich erkennbar, sondern nur deren Erscheinungen (Phänomene).
- Ausgehend von der Beobachtung, dass Erkenntnis auf der Erfahrung der Natur beruht, stellt Kant die transzendentale Frage nach der Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis bzw. als Aufgabe der reinen Vernunft die Frage: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“.
- Die raum-zeitliche Synthese von Vorstellungen im denkenden Bewusstsein stellt das Erkenntnisobjekt her. Die Wirklichkeit, die wir wahrnehmen, werde vom Subjekt hervorgerufen (vgl. Subjektivismus). So kann auch interpretiert werden, dass Mathematik keine Entdeckung, sondern bloss Produkt des menschlichen Denkens ist. Für Kant ist Mathematik Erkenntnis a priori schlechthin: Lösungen mathematischer Probleme existieren a priori im erkennenden Geist; beim Demonstrieren bringt der Mathematiker durch Konstruktion das hervor, was er selbst nach Begriffen a priori hineindenkt (vgl. Vorrede zur 2. Auflage, 1787, B XI-XII).
- Weitere Vertiefung unter: Transzendentale Ästhetik
Transzendentale Logik (B 74-465), Überblick
- Die transzendentale Logik teilt sich in die transzendentale Analytik (B 74-234) und die transzendentale Dialektik (B 234-465).
- Das Problem der transzendentalen Analytik lautet: Wie kommt Erkenntnis zustande? Die Ästhetik zeigte, dass Begriffe ohne Anschauungen leer sind. Dass Anschauungen ohne Begriffe blind sind, wird die Analytik, als erster Abschnitt der transzendentalen Logik, belegen. Diese Logik befasst sich mit den Gesetzen des formalen Denkens, sofern sie a priori auf Gegenstände der Anschauung bezogen werden können.
- Dazu untersucht Kant die Tätigkeit des Verstandes. „Verstehen“ heißt „Urteilen“. Dieses geschieht durch Begriffe: Urteile sind Verbindungen von Begriffen zu einem höheren Begriff und schließlich Vermittlungen zur Einheit. Aus der Tradition der Logik übernimmt Kant die Urteilstafel, die er als apriorischen Leitfaden der Einheitsstiftung des Verstandes deutet. Aus der Urteilstafel deduziert er die Kategorien, die a priori und transzendental gelten.
- Wie sich die Verstandeskategorien a priori auf Gegenstände der Anschauung beziehen, wird im Kapitel der transzendentalen Deduktion erforscht. Der Grundgedanke ist folgender: Die Bedingungen unter denen der Mensch sich seiner selbst als in der Zeit identisches Subjekt bewusst werden kann, und die Bedingungen, unter denen er von Gegenständen Erfahrung haben kann, verweisen aufeinander. Ohne durchgängiges Selbstbewusstsein keine Erfahrung und vice versa. Das „Ich denke“, die transzendentale Apperzeption, muss alle Vorstellungen begleiten können. Das notwendig subjektive „Ich denke“ ist die objektive Bedingung für das Erkennen von Gegenständen. In einem zweiten Schritt zeigt Kant, dass die Kategorien zudem die Gesetzmäßigkeit der Gegenstände bestimmen. Gesetze existieren nicht in den Erscheinungen, sondern nur in deren Bezug auf das Subjekt. Die Kategorien sind somit allgemein und notwendig.
- Wie Kategorien auf die Gegenstände der Erfahrung angewandt werden, erörtert Kant in der Analytik der Grundsätze, die er auch als Transzendentale Doktrin der Urteilskraft bezeichnet. Sie ist das Vermögen, unter den Verstandesregeln zu subsumieren. Woran erkennt man beispielsweise, wann man es in der Anschauung mit einer Substanz zu tun hat, wenn die Kategorie der Substanz im Verstande liegt? Zwischen Anschauungen und Kategorientafel vermitteln transzendentale Schemata der Zeit (Zeitreihe, Zeitordnung, Zeitinhalt und Zeitinbegriff).
- Aus der Kategorientafel entwickelt Kant das System der Grundsätze. Dies sind synthetische Urteile a priori, die als Bedingungen von Naturerkenntnis und damit als Fundamentalgesetze der Natur fungieren. Unterschieden wird in (1.) Axiome der Anschauung, (2.) Antizipationen der Wahrnehmung, (3.) Analogien der Erfahrung und (4.) Postulate des empirischen Denkens. Die ersten beiden Grundsätze, die mathematischen, lassen uns die Dinge als extensive und intensive Größen erkennen. Der letzten beiden, die dynamischen Grundsätze bestimmen das Dasein der Dinge: die Analogien bestimmen es nach dem Verhältnis der Gegenstände untereinander, die Postulate nach dem Verhältnis, welches die Erscheinungen in Bezug auf das Erkenntnisvermögen besitzen. Alle Grundsätze sind genau und nur Prinzipien a priori der Möglichkeit von Erfahrung.
- In der Analytik zeigt Kant wie reine Naturwissenschaft möglich ist. Die gesetzmäßige Ordnung der Erscheinungen nennen wir Natur, ihre Gesetze Naturgesetze. Ihr Ursprung liegt im Verstande. Und so kann Kant sagen, dass die Bedingungen der Erkenntnis der Gegenstände zugleich die Bedingungen der Gegenstände der Erkenntnis sind. Eine Revolution der Denkart, die gemeinhin als kopernikanische Wende gilt, obwohl der Vergleich missverständlich ist.
- Reine Gedankenkonstruktionen der Metaphysik (wie auch in der Theologie) führen in Widersprüche, die nicht entscheidbar sind (Antinomien).
- Die reine Vernunft ist keine konstitutive Quelle der Erkenntnis. Der spekulative Gebrauch ihrer Prinzipien ist unnütz. Von den Ideen der Vernunft kann sinnvoll nur ein kritischer und regulativer Gebrauch gemacht werden.
- Weitere Vertiefung unter: Transzendentale Logik, Transzendentale Analytik, Transzendentale Dialektik
Transzendentale Methodenlehre
Nach Kant enthält die Methodenlehre die „Bestimmungen der formalen Bedingungen eines vollständigen Systems der reinen Vernunft“ (B. 735 f.).
1. Hauptstück: Disziplin der reinen Vernunft
Die Disziplin soll helfen, Irrtümer zu vermeiden, die aus unangemessenen Methoden entspringen. Die klassische, dogmatische Methode der Philosophie hält Kant für unangemessen. Sie ist der Mathematik abgeschaut, die - wie Kant zeigt - in einer reinen, erfahrungsunabhängigen Anschauung Begriffe und Verhältnisse konstruiert, um dann erst Erkenntnisse zu gewinnen. Die Mathematik gründet ihr Wissen auf Axiomen, Definitionen und Demonstrationen. Der Philosophie ist dies nach Kant verwehrt. Sie muss ihre Erkenntnisse aus Begriffen gewinnen.
Kant lehnt ebenfalls die polemische Methode ab, denn die Philosophie selber kenne keine Polemik. Die skeptische Methode David Humes sieht Kant nur als eine Etappe im philosophischen Räsonieren.
Als einzig angemessene Methode kommt nach Kant der kritische Weg in Betracht, der sich durch Konzentration auf und Bindung an die Anschauungsformen Raum und Zeit, die Kategorien und die regulativen Vernunftideen auszeichnet.
2. Hauptstück: Kanon der reinen Vernunft
Während die Disziplin eine Negativlehre ist, zeigt der Kanon nun, was erlaubt ist. Allerdings betrifft er nur den praktischen Gebrauch der reinen Vernunft. Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage, ob der Mensch auf Glücksseligkeit hoffen darf, wenn er das Sittengesetz befolgt. Kants Antwort lautet: Wir dürfen auf Glücksseligkeit hoffen, wenn es Gott gibt und wenn unser Leben nicht schon mit dem körperlichen Tod endet.
3. Hauptstück: Architektonik der reinen Vernunft
Die Metaphysik vollendet die Kultur der menschlichen Vernunft. Sie ist eine Theorie der Bedingungen der Möglichkeit aller anderen Wissenschaften. Vor allem aber bestimmt sie die praktischen Maximen von Moral und Politik.
4. Hauptstück: Geschichte der reinen Vernunft
Kant geht auf diesen Schlusspunkt der KrV nur noch kurz ein. Seine Geschichte der Philosophie ist selbst Philosophie. Denn sie nimmt den Gedanken der Zweckhaftigkeit und Zielgerichtetheit wieder auf, die er für ein wesentliches Moment der theoretischen Vernunft hält und der nun der Schluss in der Komposition des Werkes zukommt.
Rezeption
Weite Teile der deutschen Philosophie nach 1800 sind ohne die KrV nicht zu denken. Manche Philosophiehistoriker unterscheiden gar zwischen einer Zeit „vor Kant“ (bzw. der Kritik) und „nach Kant“. Im 18. Jahrhundert wird aus der kritischen Philosophie eine Weltanschauung.
Die KrV ist die Gründungsschrift für den deutschen Idealismus von Fichte, Hegel und Schelling sowie Bezugspunkt für den Neukantianismus, einer Strömung, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts versucht, zu Kants Philosophie zurückzukehren.
Die KrV hat bis weit über die Philosophie hinaus gewirkt. Sie erweist zentrale Lehrsätze der traditionellen Theologie als unhaltbar, insbesondere weist sie traditionelle Versuche, die Existenz Gottes zu beweisen, als dogmatisches Scheinwissen und als Weltanschauung aus. Kants Philosophie nannte der Theologe Mendelssohn „alles zermalmend“. Doch die KrV zerstört nicht nur. Sie verteidigt menschliche Freiheit und Autonomie.
Insbesondere die beiden ersten Hauptteile der Kritik, die „transzendentale Ästhetik“ und die „transzendentale Logik“ sind bis heute Ausgangspunkt erkenntnistheoretischer und wissenschaftstheoretischer Überlegungen. Bezieht man aber Kants Frage nach der Gültigkeit traditioneller metaphysischer Aussagen mitein, so muss man die gesamte KrV als auch alle drei kritischen Werke als Einheit betrachten.
Kritik
Zur Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich
Schon früh kritisierte Friedrich Heinrich Jacobi Kants Unterscheidung zwischen „Erscheinung“ und „Ding an sich“. Seine seither stets zitierte Meinung lautet: Wir müssen zwischen „Erscheinung“ und „Ding an sich“ unterscheiden. Sonst kommen wir nicht in Kants System hinein. Aber mit dieser Unterscheidung können wir nicht drinnen bleiben. Denn mit Kant bedürfen wir der Vorstellung eines „Dinges an sich“, um die Erkenntnisse unserer Erfahrung einschränken zu können. Ohne ein gewissermaßen „äußeres“ Korrektiv ergibt sich das Problem des Solipsismus - mit anderen Worten: Wenn wir kein Etwas jenseits unserer Erfahrung voraussetzen, ist alles (nur) unsere Erfahrung. Weil aber dieses unerkennbare „Ding an sich“ nach Kant unsere Sinnlichkeit affiziert, muss es eine Kausalität zwischen „Ding an sich“ und unserer „Erfahrung“ geben. Kausalität ist nach Kant eine Kategorie des Verstandes.
Zu Kants Auffassung von Raum und Zeit
Kants Auffassungen von Raum und Zeit haben unterschiedlichste Kritik auf sich gezogen: Albert Einstein und Hans Reichenbach halten es für falsch, Raum und Zeit als Eigenschaften unserer Wahrnehmung zu sehen. Entsprechend der Relativitätstheorie sehen sie Raum und Zeit als Eigenschaften der Dinge, als Strukturmerkmale der Materie und der Energieverhältnisse. Tatsächlich scheint es notwendig, zwischen Raum und Zeit im Sinne der Relativitätstheorie und Raum und Zeit als „subjektiven“ Anschauungsformen im Sinne der KrV zu unterscheiden.
Zur Unterscheidung von Sinnlichkeit und Verstand
Kant denkt Sinnlichkeit und Verstand als zwei wesentlich unterschiedliche Erkenntnisvermögen. Doch wie können sie dann zusammenwirken? Gibt es nicht eine gemeinsame Wurzel? Oder handelt es sich gar um ein systematisches Defizit der KrV? Diese Kritik an Kants KrV beruht aus heutiger Sicht z.T. auf einem Missverständnis von Kants Vorgehen: Kant entwirft keine Theorie des Geistes oder von Denkvorgängen, sondern analysiert verschiedene Bedingungen und Vermögen der Erkenntnis.
Zum Problem des Subjekts des „Ich denke“
Zur „Lebensferne“ des analytischen Ansatzes“
Lektürehinweise
Zitation
Literatur
Primärliteratur
- Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Meiner Verlag. Hamburg 1998. Mit einer ausführlichen Bibliographie von Heiner Klemme. ISBN 3-7873-1319-2.
- Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Suhrkamp. Frankfurt am Main 1974. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. ISBN 3-518-27655-7.
Sekundärliteratur
- Erich Adickes: Kants Kritik der reinen Vernunft. Berlin 1889.
- Georg Mohr und Markus Willaschek (Hg): Kritik der reinen Vernunft, Klassiker Auslegen. Akademie Verlag Berlin 1998. ISBN 3-05-003277-4
- Grayeff: Deutung und Darstellung der theoretischen Philosophie Kants, Hamburg 1977
- Hans Michael Baumgartner: Kants Kritik der reinen Vernunft. Anleitung zur Lektüre. 2. durchgesehene Aufl. Freiburg (Breisgau) 1988. ISBN 3-495-47638-5
- Hans Vaihinger: Commentar zur Kants Kritik der reinen Vernunft. 2 Bände. Stuttgart 1881 und 1892. Nachdruck Aalen 1970.
- Peter Strawson: The Bounds of Sense. An Essay on Kants Critique of Pure Reason. London 1966.
- Ratke: Systematisches Handlexikon zu Kants KrV, Hamburg 72
- Kopper u.a.: Materialien zu Kants KrV, herausgegeben von Kopper/Malter, Frankfurt a.M. 1975
- Rudolf Eisler: Kant-Lexikon, Olms (ISBN 3487007444)
Rezeption & Kritik
- Nikolaus Knoepffler: Der Begriff »transzendental« bei Immanuel Kant. Eine Untersuchung zur „Kritik der reinen Vernunft“. Herbert Utz Verlag, München 2001, ISBN 3-89675-847-0
- Peter Rohs: Feld. Zeit. Ich. Entwurf einer feldtheoretischen Transzendentalphilosophie. Frankfurt a.M. 2000.
- Otto Willmann: Geschichte des Idealismus, Band I (1973), Band II (1975) und Band III (1979), Aalen. ISBN 3-511-03709-3
Weblinks
- Kritik der reinen Vernunft im Projekt Gutenberg-DE
- Struktur der KrV bei Geocities
- Informationen bei br-alpha
Siehe auch
Transzendentalphilosophie, Apperzeption, Erkenntnistheorie, Streitfrage, Deutscher Idealismus, Zeitalter der Aufklärung
Übersicht zur Gliederung der „Kritik der reinen Vernunft“
- Über die folgenden Verweise gelangen Sie zu vertiefenden Artikeln über die einzelnen Abschnitte.
Gliederung:
- Zueignung
- Vorrede zur 2. Auflage
- I. Einleitung
- 1. Von dem Unterschiede der reinen und empirischen Erkenntnis
- 2. Wir sind im Besitze gewisser Erkenntnisse a priori, und selbst der gemeine Verstand ist niemals ohne solche
- 3. Die Philosophie bedarf einer Wissenschaft, welche die Möglichkeit, die Prinzipien und den Umfang aller Erkenntnisse a priori bestimme
- 4. Von dem Unterschiede analytischer und synthetischer Urteile
- 5. In allen theoretischen Wissenschaften der Vernunft sind synthetische Urteile a priori als Prinzipien enthalten
- 6. Allgemeine Aufgabe der reinen Vernunft
- 7. Idee und Einteilung einer besonderen Wissenschaft, unter dem Namen einer Kritik der reinen Vernunft
- II. Transzendentale Elementarlehre
- 1. Teil: Transzendentale Ästhetik
- 1. Abschnitt: Von dem Raume
- 2. Abschnitt: Von der Zeit
- 2. Teil: Transzendentale Logik
- Einleitung: Idee einer transzendentalen Logik
- 1. Abteilung: Transzendentale Analytik
- 1. Buch: Die Analytik der Begriffe
- 1. Hauptstück: Von dem Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe
- 2. Hauptstück: Von der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe
- 2. Buch: Die Analytik der Grundsätze
- Einleitung: Von der transzendentalen Urteilskraft überhaupt
- 1. Hauptstück: Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe
- 2. Hauptstück: System aller Grundsätze des reinen Verstandes
- 3. Hauptstück: Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena
- Anhang: Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe
- Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe
- 1. Buch: Die Analytik der Begriffe
- 2. Abteilung: Transzendentale Dialektik
- Einleitung
- 1. Buch: Von den Begriffen der reinen Vernunft
- 2. Buch: Von den dialektischen Schlüssen der reinen Vernunft
- 1. Hauptstück: Von den Paralogismen der reinen Vernunft
- 2. Hauptstück: Die Antinomie der reinen Vernunft
- 3. Hauptstück: Das Ideal der reinen Vernunft
- Anhang zur transzendentalen Dialektik
- Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft
- Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft
- 1. Teil: Transzendentale Ästhetik
- III. Transzendentale Methodenlehre
- 1. Hauptstück: Disziplin der reinen Vernunft
- 2. Hauptstück: Kanon der reinen Vernunft
- 3. Hauptstück: Architektonik der reinen Vernunft
- 4. Hauptstück: Geschichte der reinen Vernunft