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Eine Kreuzung

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Eine Kreuzung ist ein kurzes Prosastück von Franz Kafka, das 1917 entstand und posthum veröffentlicht wurde. Es gehört in die Kategorie von Kafkas Tiergeschichten, in denen sich eine irreale Verwandlung vollzieht.

Inhalt

Der Ich-Erzähler berichtet von seinem eigentümlichen Tier, das er von seinem Vater geerbt hat. Das Tier, eine Kreuzung, ist in Verhalten und Aussehen halb Lamm und halb Katze. Sonntags dürfen es die Kinder der Nachbarschaft besichtigen. Sie haben schon Katzen und Lämmer mitgebracht, aber es gab kein Erkennen bei dem seltsamen Tierchen.

Es hat zu seinem Herren eine innige Verbindung und begleitet ihn oft wie ein Hund bei Fuß. Als der Erzähler einmal in geschäftlichen Problemen keinen Ausweg weiß, scheint das Tier mit ihm zusammen zu weinen. Manchmal hält es seine Schnauze an das Ohr des Herrchens, als wollte es etwas sagen und blickt dann fragend in sein Gesicht. Es benimmt sich also ähnlich wie ein mitfühlender Mensch.

Aber das Tier hat von beiderlei Abstammung auch beiderlei Unruhe und so ist ihm "die Haut zu eng". Der Erzähler fragt sich, ob für dieses Tier nicht das Messer des Fleischers eine Erlösung wäre. Das Tier scheint ihn aus seinen Menschenaugen dazu aufzufordern. Aber da es ein Erbstück ist, muß er diese Erlösung versagen.

Hintergrund

Die Zwitterstellung eines Wesens zwischen tierisch-menschlichen Existenzformen hat Kafka mehrfach behandelt. Siehe hierzu Ein Bericht für eine Akademie, Die Verwandlung. Ausgangspunkt für die vorliegende Geschichte könnte ein Traum sein, den Kafka bereits in einer Tagebuchaufzeichnung vom 29.10.1911 festgehalten hat. Dort gibt es einen windhundartigen Esel mit schmalen Menschenfüßen, der sich immer menschlich aufrecht hält.

Eine Deutung

Über das Tier heißt es, es stamme aus dem Besitz des Vaters. Es wurde dem Erzähler also nicht gezielt vom Vater vererbt, sondern tauchte eben in der nur mageren Erbmasse auf. Dafür aber entschädigt dieses Wesen, das den Erzähler bezaubert aber auch traurig und betroffen macht, voll und ganz.

Man kann diese Kreuzung vielleicht als Symbol sehen für das, was der Vater unbewußt an den Sohn weiter gegeben hat, nämlich hier im Fall Kafka die künstlerische Fähigkeit. Bezeichnender Weise entwickelt sich das Tier erst dann in das mehrschichtige Wesen, seit es im Besitz des Erzählers ist. Zwar sagt man, das Kafka mehr die musische Seite seiner Mutter geerbt hätte. Aber Kafka bewegte immer nur sein Verhältnis zum Vater; die Mutter führte in seinen Augen ein Schattendasein. Von daher ist er - auch in der Abgrenzung - immer nur der Sohn seines Vaters. Und sein Schreiben ist immer wieder die Suche nach einer Verbindung zum Vater (Siehe hierzu auch Brief an den Vater, Das Urteil). Und ähnlich wie dieses Tier seinem Besitzer tiefe Freude und Zufriedenheit aber auch Verwirrung und Todessehnsucht beschert, begleiten eben diese Emotionen Kafkas schriftstellerische Tätigkeit.

Quelle

  • Franz Kafka. Sämtliche Erzählungen. Herausgegeben von Paul Raabe. Frankfurt am Main und Hamburg: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1970. ISBN 3-596-21078-X.

Sekundärliteratur

  • Peter-André Alt: Franz Kafka: Der ewige Sohn. Verlag C.H. Beck München 2005 ISBN 3-406-53441-4