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Indogermanen

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Indogermanen oder Indoeuropäer bezeichnet alle muttersprachlichen Sprecher einer indogermanischen Sprache.

Im engeren Sinne bezeichnet man mit dem Begriff die Mitglieder der Sprechergemeinschaft, die Träger einer (als Voraussetzung angenommenen) indogermanischen Ursprache war, auf die sämtliche indogermanische Sprachen zurückgehen sollen. Alternativ spricht man heute meist von den Proto-Indoeuropäern oder Urindogermanen.

Indogermanisch oder indoeuropäisch?

Durch vergleichende Sprachforschung entdeckte William Jones Ende des 18. Jahrhunderts, dass viele Sprachen in Europa und dem Vorderen Orient von einer gemeinsamen Ursprache abstammen (indogermanische oder indoeuropäische Sprachen) müssen. Der dänisch-französische Forscher Malte-Brun verwendete 1810 hierfür den Namen „langues indo-germaniques“ nach der - damals bekannten - südöstlichsten (indo-arisch) und nordwestlichsten indoeuropäischen Sprache (isländisch), zwischen denen alle anderen Sprachräume lagen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand man jedoch im Tarim-Becken (Chinesisch-Turkestan) - also noch östlicher - Schriftrollen, die eine bislang unbekannte Sprache – das Tocharische – enthielten, das als Kentum-Sprache lautliche Nähe zu sonst nur westlicheren Sprachen zeigte.

Da indogermanisch als Klammerbegriff ursprünglich den östlichsten und westlichsten Sprachzweig der Sprachfamilie benannte, müsste er nach diesem Prinzip jetzt eigentlich tocharogermanisch heißen. Auf der anderen Seite ist der alternativ gebrauchte Begriff indoeuropäisch ebenso unpräzise. Schließlich gibt es sowohl in Europa (z.B. Finno-ugrische Sprachen) als auch auf dem indischen Subkontinent (z.B. Dravidische Sprachen) weitere Sprachfamilien.

Die Diskussion, welcher Begriff „richtig“ oder „treffender“ ist, ist damit müßig. Innerhalb des deutschen Sprachraums wird vorwiegend der Begriff indogermanisch verwendet, wohingegen ansonsten Synonyme des Typs indoeuropäisch (englisch Indo-European, französisch indo-européen) üblicher sind.

Überblick

Früher untergliederte man die indogermanischen Sprachen in einen westlichen Zweig, die Kentum-Sprachen (von lateinisch centum = hundert) und einen östlichen Zweig, die Satem-Sprachen (u. a. altindoarisch satam = hundert). Diese Abgrenzung verlor jedoch mit der Entdeckung des Tocharischen und Hethitischen ihre Bedeutung, da diese Entwicklung nur eine von mehreren ist.

Zu den indogermanischen Sprachen zählen fast alle modernen europäischen Sprachen, einige Sprachen des Nahen Ostens, die meisten Sprachen Nordindiens und einige ausgestorbene Sprachen. Siehe indogermanische Sprachen.

Die gemeinsame Ursprache konnte mit rein sprachlichen Forschungen teilweise rekonstruiert werden. Früher versuchte man, durch Untersuchung der in den indogermanischen Sprachen gemeinsamen Pflanzen- und Tierbezeichnungen, die also Bestandteil der Indogermanischen Ursprache gewesen sein sollen, eine Urheimat ihrer Träger zu ermitteln. Diese Ansätze stehen wegen der häufigen Bedeutungswechsel in der Kritik. Allerdings weisen die Pflanzen- und Tiernamen auf mittlere gemässigte Breiten, der Längengrad kann so aber nicht ermittelt werden. Unter Berücksichtigung des Zeitrahmens, siehe unten, kommen viele Autoren auf verschiedene Weise auf ein Gebiet in Südrußland, auf Viehhirten, die nicht mehr Jäger und Sammler waren, die aber auch nicht zu den ersten Ackerbauern zählten. Nach diesen Untersuchungen liegt der Zeitpunkt mit einer Unsicherheit von fast tausend Jahren bei 3100 v. Chr. Die zahlreichen Bezeichnungen gemeinsamen Ursprungs für Pflug, Rad, Wagen, Pferdeutensilien wie das Joch und das Pferd in der Urindogermanischen Sprache hat zu der Annahme geführt, dass die Indogermanischen Stämme sich erst mit Hilfe des Pferdes (und evtl. Wagens) ausbreiteten und nicht die Träger der ersten Ackerbaukulturen waren, die schon im Neolithikum Asien und Europa erreichten, und nach den Genetikern den größten Beitrag zum europäichen Genpool lieferten, sondern erst eine relativ späte Migration eben ca. 3600-2600 v. Chr. in die westlichen und östlichen Gebiete darstellten. Diese frühmetallzeitliche Periode brachte eine erneute Umwälzung in der Wirtschaft mit sich. Eine Intensivierung der Landschwirtschaft durch den Pflug und domestizierte Tiere. Diese Zeit fällt im groben mit dem rekonstruierten Auftreten der indogermanischen Sprachen zusammen. Die Untersuchungen der „europäisch“ anmutenden Mumien aus der Takla Makan –  diese Mumien werden im Provinzmuseum der Stadt Urumtschi aufbewahrt -, lassen erneut Vermutungen aufkommen, die einen Zusammenhang von Rasse (Ethnos) und „Sprechergemeinschaft“ zumindest nicht ausschließen. Hierzu sind auch genetische Untersuchungen aufschlussreich, wie in jüngster Zeit an „skythischen“ Skeletten und Bewohnern der Mongolei vorgenommen wurden. Wünschenswert ist auf jeden Fall eine unvoreingenommene wissenschaftliche Auseinandersetzung zu dem wichtigen Thema der Anthropologie und Evolution des Menschen, weil hier während der NS-Zeit auch in wissenschaftlicher Hinsicht Schaden angerichtet wurde.

Bei der Erschließung des Herkunftgebietes der Urindogermanen gibt es verschiedene Theorien. Die folgenden Richtungen erscheinen prominent:

Ältere Theorien besagen, dass die Indogermanen in Mitteleuropa entstanden sind und damit die Urbevölkerung dieses Kontinents bildeten. Dem entgegengesetzt ist die These der „Kurgankultur“ (s. unten). Sie geht von erobernden Steppenvölkern aus dem nordpontischen Raum aus. Seit den 90er Jahren des 20. Jh. häufen sich Arbeiten, die von Anatolien als Urheimat ausgehen. Auch das Donaubecken erscheint einigen plausibel, Zentralasien ebenso.

Bei der Erforschung der Kultur der Indogermanen interessiert man sich heute vor allem für die Sozialordnung und deren Widerspiegelung im Bereich der Mythologie und Religion. Einzige Basis hierfür ist die teilweise erschlossene indogermanische Ursprache, da eindeutig zuzuordnende materielle Funde bis heute nicht vorliegen.

Methodik

Die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft und die Sprachtypologie erschließen durch Vergleich verschiedener Sprachen so genannte Protosprachen. Die Benennung der Protosprachen erfolgte durch Auswahl von ein oder zwei Hauptvertretern oder des bewohnten Areals. Das so genannte (Ur-)Indogermanische ist die Protosprache vieler verschiedener Sprachen, die von Europa bis Indien und China gesprochen wurden und z.T. noch werden. Die Protosprache ist eine Arbeitshypothese, die nur eine Annäherung an die einstige Ursprache darstellen kann. Es können nur diejenigen Bereiche der einstigen Sprache diese rekonstruieren, die Spuren hinterlassen haben. Behauptungen, dass die Sprechergemeinschaft dieser realen Sprache, die durch das Konstrukt Protosprache nur approximiert wird, eine bestimmte Sippe, ein Volk, ein Reich oder ein Staat gewesen seien, bleiben spekulativ - , wenn dies nicht historisch untermauert werden kann.

Beispiele:

  • Die Franzosen sind Nachfahren der Kelten (Gallier), Römer und Germanen (Franken, Alemannen und Normannen). Das Proto-Französische ist Latein.
  • Hebräisch ist schon seit vorchristlicher Zeit ausgestorben und hat ähnlich dem Lateinischen als liturgische Sprache überlebt. Iwrith ist eine Kunstsprache, die mit der Gründung des Staates Israel geschaffen wurde. Proto-Iwrith würde Hebräisch approximieren.

Für archäologische Kulturen gilt das gleiche wie für Protosprachen: Archäologen ordnet ihre Funde zu Horizonten. Horizonte mit ausreichend umfangreicher Datenlage werden Kulturen genannt. Eine sogenannte "Kultur" wird durch typische Funde, meist Keramik, definiert (Leitfunde). Eine Gleichsetzung archäologischer Kulturen mit ethnischen Einheiten, Sippen oder Völkern ist jedoch i.d.R. nicht möglich, auch wenn das im 19. und frühen 20. Jh, besonders von Gustaf Kossinna, versucht wurde.

Sprachwissenschaftler, die eine Protosprache beschreiben, versuchen auch, archäologische Evidenzen für diese Protosprache zu finden, und mitunter versuchen Archäologen, die eine Kultur beschreiben, in Ermangelung historischer Daten sprachwissenschaftliche Evidenzen zu finden. Dies ändert nichts daran, dass ein Zusammenhang zwischen Protosprachen und Kulturen prinzipiell hypothetisch ist, so dass zwar allgemein von Gesellschaften gesprochen werden kann, die Sprechergemeinschaft der linguistisch rekonstruierten Protosprache und ganz oder teilweise Träger der betreffenden archäologischen Kultur gewesen sein können, während jedoch nicht mit Bestimmtheit behauptet werden kann, diese Gesellschaften seien ein Volk oder eine Nation gewesen.

Das Ignorieren dieser wissenschaftstheoretischen Problematik führt auch heute noch dazu, dass nationalistische Ideologien sowohl Sprachwissenschafler wie Archäologen vereinnahmen können. Die oben erwähnten Theorien, jede für sich, beruhen auf völlig verschiedenen (mitunter chauvinistischen) Annahmen. Damit schließen sich manche Theorien, obwohl sie sich zu widersprechen scheinen, aber keineswegs gegenseitig völlig aus.

Zeitlicher Rahmen

Die verschiedenen Theorien differieren bereits beim Versuch, die Indogermanen zeitlich zu fassen. Man kann beim Jungpaläolithikum (Otte) anfangen; dann lägen die Ursprünge in Nordafrika. Späteste Annahmen datieren die Ausbreitung der Indoeuropäer in das beginnende Neolithikum oder in die lokal unterschiedlich beginnende Bronzezeit (in Mitteleuropa ca. 2500 v. Chr.).

Die drei zentralen Theorien

Anatolien-Hypothesen

Zwei Theorien gehen von Anatolien als Urheimat aus. Die des britischen Forschers Colin Renfrew setzt die Indogermanen mit den neolithischen (jungsteinzeitlichen) Bauern gleich, die den Ackerbau ab 7000 v. Chr. über den Balkan bzw. den westmediteranen Raum nach Mittel- und Nordeuropa brachten. Diese gegenüber den altehrwürdigen Theorien der Sprachwissenschaftler neuartige Hypothese geht von einer allmählichen und friedfertigen Ausbreitung einer indoeuropäischen Ackerbauernkultur aus. Sie erfuhr unerwartete Untertützung von den neuseeländischen Evolutionsbiologen Russel Gray und Quentin Atkinson, University of Auckland. Diese untersuchten im Jahre 2003 mehrere 1000 Grundwörter aus 87 indogermanischen Sprachen mit Hilfe biologischer Simulationsmodellen von Populationen im Computer. Sie bestimmten das antatolische Hethitisch als eine bereits 9000 Jahre alte Sprache.

Die andere, die der Gruppe um die ehemals sowjetischen Forscher Gamkrelize und Ivanov, sehen Ostanatolien, eigentlich den Raum südlich des Kaukasus (das heutige Kurdistan) als Ausgangspunkt der Sprache und einer von hier ausgehenden indoeuropäischen Wanderung an, die zunächst ostwärts um das Kaspische Meer herum führte (dort ihre tocharische bzw. nordindische Abspaltung erfuhr) und dann westwärts in den Nordpontischen Raum führte. Evolutionsgenetiker um den Forscher Cavalli-Sforza unterstützen wiederum die Theorie von Gamkrelize und Ivanov.

Diese Theorien schließen sich gegenseitig aus. Renfrews mehrfach revidierte Theorie erklärt darüber nicht die nicht-indogermanischen Sprach-Inseln (auf der Iberischen Halbinsel (Basken, Iberer) der Apenninen-Halbinsel (Ligurer, Etrusker), besonders nicht die in der Ägäis (Ägäische Sprachen, Lemnische Sprache), auf den Inseln Kreta (Eteokretische Sprache) und Zypern (Eteokyprische Sprache), Pelasger, Leleger in Griechenland u.a.), die erst im Neolithikum besiedelt wurden. Auch gehen diese Theorien von einem zu hohen Alter des Urindogermanischen aus, da die rekonstruierte Grundsprache zahlreiche Wörter enthält für Dinge, die nach heutigem Kenntnisstand erst im 5. oder 4. Jahrtausend erfunden wurden, wie Rad, Wagen, Pflug und Joch.

Pontische Steppen-Theorien

Die schon Anfang des 20. Jahrhunderts von vielen Linguisten geäußerte Vermutung, die Urheimat der indogermanischen Sprachen befände sich in den Steppen nördlich und nordöstlich des Schwarzen Meeres, wird heute noch von der Mehrheit der Sprachwissenschaftler favorisiert. Die Urindogermanen könnten demnach auf Grund vorhandener Wörter als eine patriarchal organisierte Hirtengesellschaft angesehen werden, die den Pflug kannte, das Pferd nutzte und mit Sicherheit nicht am Meer beheimatet gewesen war, aber z. B. ein Wort für Schnee kannte. Archäologen versuchten, dies mit Hilfe archäologischer Indizien zu bestätigen. Die während des Neolithikums und der frühen Bronzezeit in Südrussland, der Ukraine und Moldawien existierenden Kulturen nördlich und östlich des Schwarzen Meeres und an der unteren Wolga wurden von Marija Gimbutas in den 1950er Jahren nach der charakteristischen Bestattungsweise in Grabhügeln (Kurgan) zur Kurgankultur zusammengefasst.

Dieser Hypothese zufolge lebten die Indogermanen im 5. vorchristlichen Jahrtausend als kriegerisches Hirtenvolk in Südrussland, sie domestizierten das Pferd (Sredny-Stock-Kultur um 4000 v. Chr.), gegen 3000 v. Chr. erfanden sie auch das Fuhrwerk (Worte für Rad, Achse, Deichsel, Geschirr, Nabe stehen dafür), sie betrieben eine intensive Weidewirtschaft mit Schafen und Rindern, aber wenige Archäologen identifizieren sie mit dem Kurganvolk. Sie seien nach Klimaverschlechterungen zwischen 4400 und 2200 v. Chr. in mehreren Schüben west-, süd- und ostwärts gezogen. Die so genannten Streitaxtleute bzw. Schnurkeramiker wären eine der Auswanderungswellen dieses Kurganvolkes. Auf den Wanderungen hätten sie auch Mitteleuropa erreicht und sich mit den dort ansässigen Menschen vermischt. Schon lange vor Maria Gimbutas galt die geschliffene Streitaxt um die Mitte des 3. jahrtausends als Kennzeichen der sich ausbreitenden indoeuropäischen Bevölkerung.

Aus der Vermischung von Indogermanen und nicht-indogermanischer Urbevölkerung sowie durch isolationsbedingte Differenzierung entwickelten sich die verschiedenen indogermanischen Volks- und Sprachgruppen, wie die Kelten, Germanen, Slawen, Italiker, Griechen, Iranier, Inder, Balten, Armenier, Thraker u.a.

Diese Theorie, die zeitweise sehr stark in die Kritik geraten war, passt am besten zum sprachlichen Befund, wonach im Gegensatz zu Renfews Annahme die Indogermanen nicht zum Beginn des Neolithikums mit den ersten Ackerbaukulturen nach Europa kamen, sondern erst in relativ später Zeit um 3000 v. Chr. mit dem Beginn der Metallzeit als Reitervölker nach Westen vorstießen. Das Problem aus archäologischer Sicht ist nur wesentlich komplizierter, da sich die Reitervölker regelmässig nur bis zum Karpatenbecken nachweisen liessen. Auch in späterer Zeit endete die Invasion der Reitervölker (Magyaren, Altbulgaren, Mongolen, Hunnen, Türken) immer an den Karpaten und am Balkan und drangen nur partiell weiter westlich und nördlich vor, denn in den ausgedehnten Waldgebieten Mittel- und Westeuropas hätten sie Lebens- und Wirtschaftsweise total umstellen müssen. Genetisch gesehen haben diese Reitervölker nur einen geringen Beitrag zur heutigen Bevölkerung in Europa, oder im Falle der Türken in Anatolien beigetragen. Die Genetiker haben deutlich gezeigt, dass Ungarn mehrheitlich aus slawischer Bevölkerung besteht, anstatt finno-ugrischer, die Türkei vorwiegend von europäischem Typus besiedelt (statt Turkvölkern) und Europa von einer alteuropäischen Urbevölkerung genetisch dominiert wird, die vermutlich mit ihren alten nichtindogermanischen Sprachen mit dem Neolithikum und den ersten Ackerbauern Europa besiedelten. In allen Fällen kann man aber gut beobachten, wie die Sprache und ein Teil der Kultur einer kleinen, militärisch und technisch überlegenen Migrantenschicht auf die Gesamtbevölkerung überging.

Ähnlich stellen sich heutige Sprachforscher den Übergang zu den Indoeuropäischen Sprachen vor. Die überlegene Technik des Pfluges, des Pferdes und der intensiven Viehwirtschaft breitete sich über Gesamt-Europa und den primitiven Ackerbaukulturen, die noch allein mit Grabstock und Hacke den Boden bestellten, aus und bildete in Folge der Steppenreiterkultur an der östlichen Grenze in kurzer Zeit zahlreiche neue Einzelkulturen in Europa heraus, z.B. die der Streitaxtkultur und der Schnurkeramiker. Man geht davon aus, dass sich die neuen Technologien mit ihrer höheren Produktivität und mit ihr sich die Sprache explosionsartig überall verbreiteten und sich neue Gesellschaften bildeten, die aber an die andere Umgebung Europas angepasst keine Reitervölker mehr waren, sondern aus der authochthonen Ackerbau-Bevölkerung bestanden, auf die die neuen kulturellen Technologien übergingen. Tatsächlich ist das Auftreten des Pferdes und der Pferdewirtschaft in Mittel-, Nord- und Westeuropa erst in dieser Zeit ab 3000, meist erst um 1500 v. Chr. nachweisbar. Wildpferde kamen in Europa kaum vor, während sie im Steppengebiet Südrußlands vor der Domestikation große Herden bildeten. Dort hatte der Archäologe David Anthony an Pferdezähnen (um 4000 v. Chr.) Spuren entdeckt, die auf Zaumzeug zum Reiten schließen lassen. Und tatsächlich enthält die Urindogermanische Grundsprache auch einen reichen Wortschafts aus der Milch- und Viehwirtschaft (Milch, Butter, Wolle, Weben), während die Bezeichnungen für Kulturpflanzen, darunter nur eine unbekannte Getreidesorte, gar nicht vorhanden waren oder erhalten geblieben sind. Ähnlich muss der Prozeß in Mittelasien, Persien und Nordindien verlaufen sein. So erklärt sich, dass die Hethitische Sprache in Anatolien, dem nach Renfew angeblichen Ursprungsgebiet der Indogermanen, am weitesten von der Urindorgermanischen Sprache abweicht, hingegen das Finno-Ugrische, wahrscheinlich eine Nachbarsprachfamilie, starke Ähnlichkeiten mit dem Urindogermanischen aufweist, und auch die Litauische Sprache sowie andere Baltische Sprachen sich besonders altertümliche Bestandteile der Urindogermanischen Grundsprache bewahrten. Diese Völker und Stämme lebten wahrscheinlich im 5. Jahrtausend v. Chr. noch in unmittelbarer Nähe, nämlich nördlich der vermuteten Urheimat der Indogermanen und waren in den folgenden Jahrtausenden, insbesondere im vierten, als die Wanderbewegungen begannen, geringen Veränderungen unterworfen; sie lebten sozusagen in einem Rückzugsgebiet, aus dem sie später von Slawen und Goten - die Finno-Ugren auch von den Balten - an den Rand der Ostsee und in den Norden gedrängt wurden. Auf diese differenzierter betrachtete Weise kämen Teile der Theorie von Gimbutas doch noch zu ihrem Recht.

In Europa ist die Bevölkerung und Sprache weniger durch Vermischung mit einwandernden Indogermanen entstanden, sondern vermutlich durch Kulturdrift beeinflusst und verändert worden. Die einwandernden neuen Technologien und kurzzeitigen geringen Anteile an Fremdbevölkerungen lassen sich sowohl archäologisch als auch genetisch nur sehr schwer nachweisen. Der kulturelle Einfluss der oben erwähnten vor- und frühmittelalterlichen Reitervölker konnte bei Weitem keine solche Umwälzung hervorrufen wie die indogermanische Steppenvölkerinvasion, weil sie keine wesentliche kulturelle und technische Neuerung mitbrachten. Somit hatten sie mit Ausnahme der Magyaren und Türken auch keinen Einfluß auf die Sprache.

Alteuropa-Theorie

Die von Hans Krahe begründete und von Wolfgang P. Schmid weiterentwickelte „Alteuropa-Theorie“ (die außer dem Namen nichts mit Gimbutas' Alteuropa-Konzeption gemeinsam hat) stützt sich auf die Untersuchung alter Gewässernamen. Sie geht davon aus, dass sich Gewässernamen gegenüber Umbenennungen als besonders resistent erwiesen haben und damit eine sehr alte Sprachschicht repräsentieren. Dabei bedienen sich die Forscher einer Unterdisziplin der Sprachforschung, der sogenannten Onomastik. Die Hydronymie führte zur Annahme eines sprachlichen Kontinuums von europäischen Ausmaßen. Vertreter dieser Forschungsrichtung ist Prof. J. Udolph. Eine besonders von italienischen und spanischen Forschern herausgearbeitete Theorie einer „Paläolitischen Kontinuität“ (Palaeolithic Continuity Theory - PCT) könnte zu diesen Ergebnissen passen. Passen würde aber sogar Renfrews Theorie, sofern man davon ausgeht, dass ausgerechnet die Gewässernamen der ersten Bauern die Indoeuropäisierung überstanden, denn die Gewässernamen gelten auch als Substrat älterer Vorindogermanischer Sprachschichten, z.B. des Vaskonischen.

Sonstige Theorien

Balkan

In manchen Theorien kommt dem Balkan eine Art Schlüsselstellung zu, da er mindestens als „Durchzugsgebiet“ infrage kommt. In letzter Konsequenz muss auch die These geprüft werden, ob nicht auch der Balkan, insbesondere das Donaubecken als „Urheimat“ in Frage kommt.

Mitteleuropa-Theorien

Anhänger dieser Richtung gehen, im Gefolge Gustaf Kossinnas davon aus, dass die Indogermanen auf die mesolithische Bevölkerung Mitteleuropas zurückgehen und somit die Urbevölkerung bilden würden. Nach ihrer Auffassung erstreckte sich der dafür infrage kommende Raum zwischen Weser, Ostsee, Ostpolen und Karpaten. Etwa um 4000 v. Chr. hätten diese Frühindogermanen die Trichterbecherkultur ausgebildet und ca. 2500 v. Chr. ihre Wanderungen auf den Balkan, nach Vorderasien und Indien angetreten. Eine Invasion aus dem asiatischen oder südrussischen Raum hätte es danach nicht gegeben. In den 30er und 40er Jahren vertraten zahlreiche Wissenschaftler diese Ansicht, die auf europäischer Ebene heute nicht mehr relevant ist (Pontische Wanderung).

Out-of-Iran-Hypothese

Der iranischen Wissenschaftler Derakshani glaubt, indogermanische Ausdrücke auf früharische Sprecher im Gebiet des heutigen Iran zurückführen zu können. Dies Volk hätte im 4. Jahrtausend v. Chr. im Hochland des Iran gelebt. Neueste Ausgrabungen belegen in der Tat eine bisher nicht entdeckte Kultur (Aratta); jedoch bleibt der Zusammenhang noch zu beweisen. Von dort aus sollen sich die Arier als Proto-Indoeuropäer (Urindogermanen) ausgebreitet haben.

Siehe auch

Literatur

sprachwissenschaftlich

  • Thomas W. Gamkrelidse, Wjatscheslaw Iwanow: Die Frühgeschichte der indoeuropäischen Sprachen. in: Spektrum der Wissenschaft. Dossier. Die Evolution der Sprachen. Heidelberg 2000,1, S.50-57. ISSN 0947-7934
  • William B. Lockwood: Überblick über die indogermanischen Sprachen. G. Narr, Tübingen 1979. ISBN 3-87808-100-6
  • Robert S.P. Beekes: Comparative Indo-European Linguistics: An Introduction. John Hopkins, Amsterdam 1995. ISBN 1556195052.
  • Michael Meier-Brügger, Hans Krahe: Indogermanische Sprachwissenschaft. de Gruyter, Berlin 2002 (8.Aufl.). ISBN 3-11-014478-6
  • Oswald Szemerényi: Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1989, 1990 (4.Aufl.). ISBN 3-534-04216-6
  • Abenteuer Archäologie. Spektrum der Wissenschaft Verl.-Ges., Heidelberg 2004,1, S.9. ISSN 1612-9954

archäologisch

  • Marija Gimbutas: Das Ende Alteuropas. Der Einfall von Steppennomaden aus Südrussland und die Indogermanisierung Mitteleuropas. in: Archeolingua. series minor 6. jointly ed. by the Archaeological Institute of Hungarian Academy of Sciences and the Linguistic Institute of the University of Innsbruck. Archaeolingua Alapítvány, Budapest 1994 (auch als Buch). ISSN 1216-6847 ISBN 3851241711
  • Marija Gimbutas: The Kurgan Culture and the Indo-Europeanization of Europe. Selected Articles From 1952 to 1993. Institute for the Study of Man, Washington DC 1997. ISBN 0941694569.
  • Alexander Häusler: Zum Ursprung der Indogermanen. Archäologische, anthropologische und sprachwissenschaftliche Gesichtspunkte. in: Ethnographisch-archäologische Zeitschrift. (EAZ). Berlin 39.1998, S.1-46. ISSN 0012-7477
  • Alexander Häusler: Ursprung und Ausbreitung der Indogermanen. Alternative Erklärungsmodelle. Indogermanische Forschungen. in: Zeitschrift für Indogermanistik und allgemeine Sprachwissenschaft. de Gruyter, Berlin 107.2002, S.47-75. ISSN 0019-7262
  • Alexander Häusler: Nomaden, Indogermanen, Invasionen, zur Entstehung eines Mythos. in: Orientwissenschaftliche Hefte. (OWH). Halle Saale 5.2003, ²2004. ISSN 1617-2469
  • George Cardona (Hrsg.): Indo-European and Indo-Europeans. University of Pennsylvania Press. Philadelphia 1968, 1970.
  • James P. Mallory: In Search of the Indo-Europeans. Language, Archaeology and Myth. Thames und Hudson, London 1989, 1991, 1997. ISBN 0500276161
  • James Mallory, D. Q. Adams (Hrsg.): Encyclopedia of Indo-European Culture. Fitzroy Dearborn, London 1997. ISBN 1884964982.
  • Marcel Otte: Diffusion des langues modernes en Eurasie préhistorique. in: Comptes rendus de l'Académie des Sciences. Serie 2 A. Elsevier, Paris 321.1995, 1219-1226. ISSN 0764-4450
  • Colin Renfrew: Die Indoeuropäer - aus archäologischer Sicht. in: Spektrum der Wissenschaft. Dossier. Die Evolution der Sprachen. Heidelberg 2000,1, S.40-48. ISSN 0947-7934
  • Colin Renfrew.: Archaeology and Language. The Puzzle of Indo-European Origins. Jonathan Cape, London 1987, Cambridge 1990. ISBN 0521386756.
  • C. Renfrew, K. Boyle (Hrsg.): Archaeogenetics. DNA and the population prehistory of Europe. McDonald Institute, Cambridge 2000. ISBN 1-902937-08-2
  • C. Renfrew, A. McMahone, Larry Trask (Hrsg.): Time Depth in Historical Linguistics. McDonald Inst. for Archaeological Research, Cambridge 2000. ISBN 1-902937-06-6
  • Jürgen E. Walkowitz: Die Sprache der ersten Bauern und die Archäologie. In: Varia Neolithica. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas. Bd 37. Beier & Beran, Langenweissbach 3.2004. ISBN 3-937517-03-0
  • David Anthony: The Kurgan culture. Indo-european origins and the domastication of the horse, a reconsideration. in. Current Anthropology. Univ. of Chicago, Chicago Ill. 27.1986, S.291-313. ISSN 0011-3204
  • David Anthony, Dorcas Brown: The origins of horseback riding. in: Antiquity. Oxford Univ. Press, Oxford 65.1991, S.22-38. ISSN 0003-598X

historisch

  • Jahanshani Derakshani: Die Arier in den nahöstlichen Quellen des 3. und 2. Jahrtausends v. Chr. Teheran 1998. ISBN 964-90368-1-4

allgemein

  • Martin Kuckenburg: Auf den Spuren der Indoeuropäer. in: Abenteuer Archäologie. Spektrum der Wissenschaft Verl.-Ges., Heidelberg 2006,2, 48ff. ISSN 1612-9954 (gute aktuelle Einführung)
  • Reinhard Schmoeckel: Die Indoeuropäer. Aufbruch aus der Vorgeschichte. Bastei-Lübbe-Taschenbuch 64162. Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach 1999. ISBN 3-404-64162-0
  • Elizabeth W. Wayland Barber: The Mummies of Ürümchi. W.W. Norton & Company, New York, Mc Millan, London 1999. ISBN 0-333-73024-0

Führende Zeitschrift:

  • Journal of Indo-European Studies. University of Southern Mississippi, Hattiesburg Miss 1.1973ff. ISSN 0092-2323
  • Journal of Indo-European Studies. Monograph. Institute for the Study of Man. Washington DC 1975,1ff. ISSN 0895-7258