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Homologie (Biologie)

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Unter Homologie (v. griech. ομολογεω, homologeo, übereinstimmen) versteht man die grundsätzlichen Übereinstimmungen von Organen, Organsystemen, Körperstrukturen oder Verhaltensweisen bei unterschiedlichen systematischen Taxa.

Die Ähnlichkeiten dieser Merkmale gehen evolutionär auf ein und die selbe Struktur bei einem gemeinsamem Vorfahren zurück, können sich aber auseinander entwickelt haben und müssen nicht (mehr) die gleichen Funktionen erfüllen, das heißt sie sind bezüglich ihrer Herkunft äquivalent.

„Ein Merkmal zweier oder mehrerer Taxa ist homolog, wenn es sich von dem selben (oder einem entsprechenden) Merkmal ihres nächsten gemeinsamen Vorfahren ableitet.[1]

Diese Merkmale spielen bei der Erstellung von Stammbäumen in der klassischen Systematik eine wichtige Rolle.

In der Genetik und Evolutionsbiologie wird der Begriff der Homologie auch auf Gene angewandt, die in unterschiedlichen Spezies ähnliche oder identische Funktionen haben und in ihrer Sequenz auf einen gemeinsamen Vorläufer zurückzuführen sind. In diesem Fall kann die Homologie zusätzlich in Paralogie und Orthologie unterteilt werden.

Klassisches Verständnis

1843 führte Richard Owen (1804-1902) den Begriff Homologie ein. Er war noch ein dem Schöpfungsgedanken verpflichteter britischer Paläontologe und Morphologe. Aufgrund der Unveränderlichkeit der Arten können sich auch ihre kennzeichnenden Merkmale nicht verändern. Die Organismen wurden nach dem Muster verschiedener Typen geschaffen, Merkmalsähnlichkeiten beruhen auf „gewollten“ Variationen im Baumuster dieser Typen.

Mit der Einführung der Evolutionstheorie (1859) von Charles Darwin wurde es notwendig, den Homologiebegriff mit der Veränderlichkeit der Arten in Einklang zu bringen. Es wurde das Konzept der abstrakten „Baupläne“ entwickelt.

Methode der Homologisierung

Grundannahme: Je ähnlicher verschiedene Organismen sind, um so größer ist ihre Verwandtschaft.

Da aber viele entfernt verwandte Organismen auf Grund einer ähnlichen Lebensweise auch sehr ähnlich aussehen (Konvergenz, siehe Analogie), sehr nah verwandte Arten aber in unterschiedlichen Lebensräume sehr unterschiedlich aussehen können (Divergenz), ist es bei einem Vergleich von Organismen notwendig, von diesen Einflüssen zu abstrahieren: Ihre individuellen Baupläne werden durch "Homologisieren" auf abstrakten Bauplänen zurückgeführt. Dabei werden alle Ausformungen der Merkmale, die auf Anpassung an eine gemeinsame Lebensweise zurückgeführt werden können, eliminiert, die von der Lebensweise „verformten“ Merkmale (Änderungen in der Größenrelation, Reduktion, Verschmelzung, Funktionsänderung, Ortsänderung im Gefügesystem) „entzerrt“ (siehe Homologiekriterien) und zu einem abstrakten „Bauplan“ vereinheitlicht, der als charakteristisch für die jeweilige Verwandtschaftsgruppe gilt.

Je näher diese betrachteten Organismen verwandt sind, um so detaillierter und komplexer ist ihr gemeinsamer Bauplan. Weit entfernt verwandte Organismen können nur auf einen einfachen, mit wenigen generellen Merkmalen ausgestattenten Bauplan zurück geführt werden.

Auf der Suche nach dem fehlenden Glied (missing link) gemeinsamer Vorfahren können diese abstrakten Baupläne als Vorlage dienen.

Auf Grund der Komplexität der Bau- und Leistungsmerkmale von Organismen, konzentriert sich die Homologisierung in der Regel auf einzelne Organsysteme. Durch Heranziehen mehrerer Kriterien ergibt sich ein multidimensionaler Ähnlichkeitsraum. (In dem unten angeführten hypothetischen Beispiel wird nur ein Merkmal herangezogen!)

Ein Vergleich von Bau- und Leistungsmerkmalen heute lebender Arten und von Fossilfunden erlaubt ein Ordnen nach Ähnlichkeiten. Je weiter die Vergleichsobjekte voneinander entfernt sind, desto weniger gemeinsame Merkmale haben sie. Um später größerer Sicherheit bei der Beurteilung des Verwandtschaftsgrades zu haben, müssen möglichst viele morphologische, anatomische, cytologische, physiologische, chemische, ontogenetische, ethologische Merkmale herangezogen werden. Dadurch ergibt sich ein multidimensionaler Ähnlichkeitsraum. (In dem unten angeführten hypothetischen Beispiel wird nur ein Merkmal herangezogen!)

Modellstammbaum zur Methode der Homologisierung
An den „Knoten“ dieses Stammbaumes sind die gemeinsamen Baupläne zu finden, die mit abnehmender Verwandtschaft immer abstrakter und merkmalsärmer werden.

Homologiekriterien

Sie wurden 1952 von Adolf Remane (1898-1976) entwickelt, der davon überzeugt war, aus der Feststellung der Homologie a priori die Verwandtschaft der Organismen feststellen zu können.

Kriterium der Lage

Strukturen sind dann homolog, wenn sie trotz unterschiedlicher Ausprägung in Gestalt und Anzahl in einem vergleichbaren Gefügesystem stets die gleiche Lagebeziehung aufweisen..

Beispiele:

  • Vordergliedmaßen der Landwirbeltiere. Der Grundbauplan besteht aus der Abfolge von einem Oberarmknochen, zwei Unterarmknochen, mehreren Handwurzelknochen, fünf Mittelhandknochen und fünf Fingern mit je drei Fingerknochen.
Bei gleichem Grundaufbau kann aber tatsächliche Struktur und die Funktion der Vordergliedmaßen der Wirbeltiere sehr verschieden sein. Sie dienen dem Laufen, Graben, Fliegen oder Schwimmen. Im Verlauf der stammesgeschichtlichen Entwicklung haben sich Spezialisierungen dieser Teile herausgebildet.

Der gleiche Grundbauplan weist auf gemeinsame Vorfahren hin, von denen aus sich die Entwicklung zu den heutigen Formen vollzogen hat.

  • Auch bei den Insektenbeinen ist das Kriterium der Lage erfüllt.
  • Verdauungsorgane der Wirbeltiere (Mund - Speiseröhre - Magen - Darm - After),
  • des Säugetierherzens (linke Kammer, rechte Kammer, zwei Vorhöfe)


Kriterium der spezifischen Qualität

In der Erklärung des "Kriteriums der Lage" wird bereits auf den Aufbau von Organen eingegangen. Der Aufbau eines Organs ist bei dem Homologiekriterium der spezifischen Qualität ebenso wichtig, nur tiefgreifender. Hierbei ist nicht der "grobe" Aufbau eines Organs gemeint, sondern der stoffliche oder mikrobiologische.

Beispiel: Nach dem Homologiekriterium der spezifischen Qualität sind der menschliche Zahn und die Hautschuppe eines Hais homolog, weil die äußerste Schicht aus Zahnschmelz, die darunterliegende Schicht aus Dentin und letztendlich aus Nerven besteht.

Kriterium der Stetigkeit / Kontinuität

(Verknüpfung durch Zwischenformen)

Organe sind auch dann homolog, wenn Zwischenformen (z.B. durch Fossilien) bekannt sind. Denn so kann eine stammesgeschichtliche Entwicklung nachvollziehbar sein und der Begriff homolog benutzt werden.

Unähnliche oder unterschiedlich gelegene Strukturen können als homolog angesehen werden, wenn sie sich durch Zwischenformen, also durch eine kontinuierliche Entwicklungsreihe verbinden lassen.

rezente Zwischenformen

Beispiel: die Homologie des Articulare und Quadratum der Amphibien, Reptilien und Vögel mit Amboss und Hammer im Mittelohr der Säugetiere sowie der hyomandibularen Columella der Vögel, Reptilien und Amphibien mit dem Steigbügel der Säugetiere wurde bereits 1837 von Carl Bogislaus Reichert (1811-1883) entdeckt.

embryonale Zwischenformen

Beispiel: Der Vogelflügel ist mit der Hand des Menschen homologisierbar, da der Vogelembryo noch eine Hand mit fünf Fingern aufweist, die im Laufe seiner Entwicklung durch Verschmelzung und Reduktion umgebaut werden.

fossile Zwischenformen

Beispiel: Archaeopteryx

Weitere Beispiele

Auch Verhaltensweisen können homolog sein, wie speziell die klassische ethologische Forschung herausgearbeitet hat. Beispiel: das Balzverhalten einiger Entenarten.

Homologie vs. Analogie

  • Homolog sind Strukturen, die sich auf einen gemeinsamen Bauplan zurückführen lassen. Ihre unterschiedliche Ausprägung wird durch Divergenz erklärt. Ein Beispiel: Die Flügel der Vögel und der Fledermäuse sind bezüglich des Armskelettes homolog, da die Reihenfolge der Knochen, also Oberarmknochen, Elle und Speiche, Handwurzelkochen, Mittelhandknochen und Fingerknochen, gleich geblieben ist.Kurz: Gleicher Bauplan aber andere Funktion
  • Analog sind Strukturen, die sich nicht auf einen gemeinsamen Bauplan zurückführen lassen. Ihre ähnliche Ausprägung wird durch Konvergenz erklärt. Ein Beispiel: Flügel der Vögel und Fledermäuse sind bezüglich der Tragfläche - Federn bzw. Flughaut - analog. Ebenso die Flügel von Insekten und Vögeln. Kurz: Anderer Bauplan aber gleiche Funktion.

Die analogen Strukturen oder Verhaltensweisen erfüllen in den einzelnen Organismen den gleichen Zweck, sind also bezüglich ihrer Funktion äquivalent, jedoch nicht auf gemeinsame Vorfahren zurückzuführen. Vereinfacht ausgedrückt sind homologe Merkmale ursprungsgleich, analoge Merkmale funktionsgleich.

Problematik

Die Hauptproblematik des typologischen Homologie-Konzepts besteht darin, dass die Richtung der auseinander strebenden Entwicklung homologer Organe erst aus ihrer Phylogenie verstanden werden kann. Es müsste also vor dem Erkennen der Homologie die phylogenetische Verwandtschaft bekannt sein.

  • Ähnlichkeiten sind nicht immer auf enge phylogenetische Verwandtschaft zurückzuführen, es können auch Anpassungsähnlichkeiten (Analogien) oder „Verlustähnlichkeiten“ sein (aus dem fehlenden Haarkleid bei Walen und Seekühen kann man nicht auf eine enge Verwandtschaft schließen).
  • Unterschiede sind nicht immer auf entfernte phylogenetische Verwandtschaft zurückzuführen sie können auch durch divergente Entwicklung von Schwesterarten in unterschiedlichen Lebensräumen, durch „Gendrift“ oder durch Neuerwerb von Merkmalen entstanden sein.
  • Homologe und dabei ähnliche Merkmale können im Laufe der Evolution soweit auseinander entwickelt werden, dass ihre ursprüngliche Homologie mit Hilfe der Homologiekriterien nicht mehr erkannt werden kann. Dies tritt vor allem dann ein, wenn das Merkmal bei der einen Art verloren geht. Es kann somit nicht entschieden werden, ob die Abwesenheit eines Merkmals primär oder sekundär ist. (So sind Nacktschnecken trotz des Fehlens eines Gehäuses mit den Gehäuse tragenden Schnecken eng verwandt.)

Verständnis der phylogenetischen Systematik

Merkmale sind dann homolog, wenn sie auf einen gemeinsamen Ursprung in der Phylogenese zurückzuführen sind. Homologie kann also erst dann festgestellt werden, wenn die Verwandtschaft bekannt ist.

1950 wird von Willi Hennig der Begriff der Homologie durch die Begriffe der phylogenetischen Systematik ersetzt:

  • Apomorphie liegt bei einem vergleichsweise abgeleiteten (in der Phylogenie später erworbenen) Merkmal vor.
  • Plesiomorphie liegt bei einem vergleichsweise ursprünglichen (also früher erworbenen) Merkmal vor.
  • Autapomorphie ist der Neuerwerb von Merkmalen in einer Stammart.
  • Synapomorphie ist das Auftreten von Merkmalen einer Stammart bei ihren beiden Tochterarten.
  • Symplesiomorphie ist das Auftreten von gemeinsamen Merkmalen bei Arten die nicht Tochterarten sind, die aber auf eine frühere Stammart zurückzuführen sind.

Die Bewertung ist also abhängig vom kommunizierten Grundplan: Das Merkmal "Neurocranium" ist eine Autapomorphie der Schädeltiere, eine Synapomorphie aller zu den Schädeltieren gehörenden Gruppen und eine Plesiomorphie für einzelne zu den Schädeltieren gehörende Gruppen. Der apomorphe Merkmalszustand ist an den Grundplan geknüpft, in dem er zuerst auftritt, in Grundplänen die aus der weiteren Aufspaltung der resultierenden Gruppe hervorgehen ist dasselbe Merkmal dann im plesiomorphen Zustand.

Der Begriff des Bauplans wird durch den Begriff Grundmuster ersetzt. Das ist die Summe aller Plesiomorphien und Autapomorphien einer Art.

Zur Anwendung dieses Konzeptes siehe Kladistik und phylogenetische Systematik.

Anmerkungen

  1. [“Mayr, Ernst (1997). Das ist Leben - die Wissenschaft vom Leben, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg; S. 189. ISBN 3-8274-1015-0]