Engelbert Dollfuß
Engelbert Dollfuß (* 4. Oktober 1892 in Texing, Niederösterreich; † 25. Juli 1934 in Wien) war österreichischer Bundeskanzler. 1932 auf demokratischem Weg in sein Amt gelangt, nützte er eine Krise bei einer Parlamentssitzung (die sogenannte "Selbstausschaltung des Parlaments") zu einem Staatsstreich. Nach der Ausschaltung von Parlament und Opposition regierte Dollfuß diktatorisch per Notverordnungen (siehe Austrofaschismus). Dem italienischen Faschismus und der katholischen Kirche nahestehend, lehnte er den Nationalsozialismus deutscher Prägung, die durch die Verfassung garantierte pluralistische Demokratie, den demokratischen Rechtsstaat und die Sozialdemokratie ab.
Im Verlauf eines Putschversuches österreichischer Nationalsozialisten wurde er am 25. Juli 1934 ermordet.
Leben
Dollfuß war das uneheliche Kind der Bauerntochter Josepha Dollfuß und wuchs in Kirnberg bei seinem Ziehvater Leopold Schmutz auf. Ein Stipendium ermöglichte ihm 1904 den Eintritt in das f. e. Knabenseminar der Erzdiözese Wien in Oberhollabrunn. Er studierte am dortigen k. k. Staatsgymnasium und legte 1913 die Reifeprüfung ab.
Für einige Monate trat er in das Wiener Priesterseminar ein und studierte Theologie, wechselte dann zum Studium der Rechtswissenschaften in Wien und Berlin. Er war Mitglied der K.Ö.H.V. Franco-Bavaria Wien und der K.D.St.V Germania Berlin, beide damals im Cartellverband, und war 1919 Mitbegründer der Deutschen Studentenschaft. 1920 stellte er auf der Generalversammlung des CV den Antrag, dass kein Mitglied von CV-Verbindungen bis zur Generation der Großeltern direkte jüdische Verwandte haben dürfte. Der Antrag wurde nicht angenommen, weshalb Dollfuß ihn ein Jahr später wieder zurückzog. In den 1930er Jahren wurde er als Ehrenmitglied in die K.Ö.St.V. Amelungia Innsbruck aufgenommen. Dollfuß war Bauernfunktionär für die Christlichsoziale Partei Niederösterreichs. Nach dem Scheitern der Regierung Buresch wurde er am 20. Mai 1932 überraschend Bundeskanzler und übernahm auch das Außenministerium und das Landwirtschaftsministerium.
Wegen seiner Kleinwüchsigkeit erhielt er von der Bevölkerung den Spitznamen Millimeternich in Anspielung auf den Politiker Klemens Wenzel Fürst von Metternich.
Von Anfang an stand Dollfuß den Sozialdemokraten ablehnend gegenüber. Er versuchte eine Allianz mit dem faschistischen Italien zu bilden, um Österreichs Unabhängigkeit gegenüber dem Deutschen Reich zu erhalten. Die Westmächte wollten Österreich nicht unterstützen. Mussolini versprach damals, die Selbständigkeit Österreichs zu garantieren.
Dabei war die Umwandlung der Republik in einen Ständestaat, d.h. einen autoritären Staat auf der Basis berufsständischer Gliederung vorgesehen, wie dies auf der programmatischen Rede auf dem Trabrennplatz am 11. September 1933 dargelegt wurde. Politisch stützte er sich auf die Christlichsoziale Partei, hinter der die Katholische Kirche stand, sowie auf die von Ernst Rüdiger Starhemberg aufgebauten Heimwehren, die als einflussreiche paramilitärische Formation für einen Umbau des Staates nach dem Muster des italienischen Faschismus unter Mussolini kämpften.
Ein Zufall ebnete Dollfuß den Weg: am 4. März 1933 traten alle drei Präsidenten des Nationalrates nacheinander von ihrem Amt zurück. Die Abgeordneten gingen anschließend auseinander, ohne die Sitzung formal beendet zu haben. Dollfuß interpretierte dies als "Selbstauflösung" des Nationalrats; ein versuchtes Neuzusammentreten desselben ließ er durch die Polizei verhindern (siehe "Selbstausschaltung des Parlaments").
Auf Grund der Ausschaltung der Demokratie kam es vom 12. bis zum 15. Februar 1934 zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Heimwehr auf der einen und dem Republikanischen Schutzbund auf der anderen Seite, die Heimwehr und Bundesheer militärisch für sich entscheiden konnten (siehe Februarkämpfe). In weiterer Folge wurde die sozialdemokratische Partei vollends verboten. Die Führer des Republikanischen Schutzbundes wurden verhaftet und einige auch hingerichtet.
Sein größter außenpolitischer Gegner war Hitler, der zum Anschluss seiner Heimat Österreich an das Deutsche Reich drängte. Dollfuß lehnte sich daraufhin mehr und mehr an Mussolini an, der als einziger Nachbar Schutz vor den Nationalsozialisten versprach. Der Nationalsozialismus hatte damals bereits mehrere Tausend Anhänger in Österreich und drohte bei Neuwahlen zu einer starken politischen Kraft zu werden; deren Partei wurde allerdings mit der Errichtung des sog. "Ständestaates" gleichfalls verboten. Ein von längerer Hand vorbereiteter Putschversuch fand 25. Juli 1934 statt. Der "Juliputsch" war erfolglos, weil das Militär loyal blieb, aber die Putschisten konnten bis ins Bundeskanzleramt vordringen, wo Dollfuß kurz darauf erschossen wurde. Die Untersuchung seiner Leiche erfolgte durch den Gerichtsmediziner Professor Anton Werkgartner.
Die Beurteilung seines Regimes schwankt heute noch sehr stark: er hat zweifellos einen Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen und eine Diktatur errichtet. Durch seinen vermeintlichen "Widerstand" gegen die Nationalsozialisten wird er von der ÖVP als "Märtyrer" verehrt und als Patriot gesehen. Im Parlamentsklub der ÖVP hängt sein Bild bis heute, daneben finden alljährlich Gedenkgottesdienste im Stephansdom für sein Seelenheil statt.
Die Sozialdemokraten werfen ihm vor, nicht nur Demokratie, Parlamentarismus und Rechtsstaat abgeschafft zu haben, sondern durch den Bürgerkrieg und die Ausschaltung der Arbeiterbewegung den Widerstand gegen den Nationalsozialismus entscheidend geschwächt zu haben.
Literatur
- Heinrich Bußhoff: Das Dollfuß-Regime in Österreich. Duncker & Humblot, Berlin 1968
- Ulrich Eichstädt: Von Dollfuß zu Hitler. Geschichte des Anschlusses Österreichs 1933 - 1938. Steiner, Wiesbaden 1955
- Wolfgang Maderthaner (Hrsg.): "Der Führer bin ich selbst." Engelbert Dollfuß - Benito Mussolini. Briefwechsel. Löcker, Wien 2004
- Dieter Ross: Hitler und Dollfuß. Die deutsche Österreich-Politik 1933 - 1934. Leibniz, Hamburg 1966
- Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur. 1933-1938. 5. Aufl., Lit, Münster u. a. 2005, ISBN 3-8258-7712-4
- Gudula Walterskirchen: Engelbert Dollfuß. Arbeitermörder oder Heldenkanzler. Molden, Wien 2004
Weblinks
- Wikiquote: Engelbert Dollfuß – Zitate
- Vorlage:PND
- www.wienerzeitung.at Engelbert-Dollfuß-Biographie
- www.dhm.de Engelbert-Dollfuß-Biographie
- www.couleurstudent.at Engelbert-Dollfuß-Portrait durch den ehemaligen ÖVP-Bundeskanzler Dr. Josef Klaus
- www.aeiou.at Video: Dollfuß bei einer Veranstaltung im Burgenland um 1933 (mpeg, 5,9 MB)
- www.austrofaschismus.at Der austrofaschistische Staatsstreich
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Personendaten | |
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NAME | Dollfuß, Engelbert |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Bundeskanzler und Diktator |
GEBURTSDATUM | 4. Oktober 1892 |
GEBURTSORT | Texing, Niederösterreich |
STERBEDATUM | 25. Juli 1934 |
STERBEORT | Wien |