Melodram (Musik)
Melodram (griech. melos: Klang, Weise, drama: Handlung) bezeichnet in der Musik ein Werk oder einen Teil davon, in dem sich gesprochener Text, pantomimische Gestik und Instrumentalmusik abwechseln oder gleichzeitig ablaufen, ohne dass gesungen wird wie in der Oper, abgesehen von eventuellen Begleitchören.
Ursprünge
In der altgriechischen Tragödie war das rhythmische Sprechen der Darsteller möglicherweise mit Musik unterlegt. Vorläufer des Melodramatischen könnten die Reden zur Musik in William Shakespeares Theaterstücken sein. Eine ähnliche Tradition existierte in den protestantischen "Schuldramen", die teilweise mit improvisierter Musik begleitet wurden. Wahrscheinlicher jedoch ist die Herkunft von der pantomimischen Ballettmusik des 18. Jahrhunderts, wie sie etwa auf den Pariser Jahrmärkten zu hören war.
Das Melodram als Bühnenexperiment
Jean-Jacques Rousseaus Pygmalion (1762, aufgeführt 1770) gilt als erstes eigenständiges Melodram. Hier dient die Musik, noch vom Text getrennt, als Untermalung der dramatischen Pantomime zwischen den gesprochenen Abschnitten. In Georg Anton Bendas Melodramen (z.B. Ariadne auf Naxos, 1774), wird die Sprache, ähnlich einem Rezitativ, von zugleich erklingender dramatischer Musik untermalt. Auch Goethe schrieb ein Melodram Proserpina, das von Eberwein vertont wurde. Vor allem Bendas Melodramen waren bis ins 19. Jahrhundert hinein beliebt.
Die große Öffentlichkeit der Pariser Jahrmarktsattraktionen wurde in diesen Melodramen zur Exklusivität eines Kammerspiels gemacht. Aber ihre Musik behielt dabei den Nimbus des Allgemeinverständlichen und Unmittelbaren. Nach der Französischen Revolution ging das Melodrama in der gering geschätzten populären Theatergattung Melodram auf und verlor damit seine experimentelle Attraktivität. Die melodramatische Musik behielt fortan den Anstrich des Vulgären, obwohl ihr Erfolg immer eine Faszination ausübte.
Melodramatische Abschnitte im Musiktheater
Von der Ausdruckskraft und dem Erfolg der Theatermelodramen beeindruckt, begannen seit Ende des 18. Jahrhunderts einige Komponisten, ihre Opern mit melodramatischen Abschnitten zu versehen. Schon in Mozarts Zaïde kommen zwei Melolog genannte Nummern vor, und besonders die französischen Opernkomponisten verwendeten dieses Stilmittel gerne. Als Reflex auf populäre Theatermelodramen war Daniel François Esprit Aubers Die Stumme von Portici gedacht, eine Oper, die ausgedehnte gestische Musikpassagen zur Charakterisierung der stummen Hauptfigur enthält, die als Sozialkritik verstanden wurden und die belgische Revolution von 1830 entfacht haben sollen.
Berühmt geworden sind aber vor allem zwei "Opernmelodramen": Das eine befindet sich in der Kerkerszene von Beethovens Fidelio, wo das Sprechen als Steigerung zum Singen angewandt wird: Leonore soll für ihren eigenen Mann das Grab schaufeln – die bedrückte Stimmung findet keinen gesungenen Ausdruck. Das andere ist die Wolfsschlucht-Szene in Webers Freischütz, wo die dämonische Kälte von Max und Samiel durch Nicht-Singen ausgedrückt wird.
Richard Wagner hat offenbar wesentliche Anregungen für seine Musikdramen Ende der 1830er Jahre von den Melodramen der Pariser Boulevardtheater empfangen.
Die Komponisten der Zweiten Wiener Schule entwickelten einen rhythmisch festgelegten Sprechgesang, dessen Tonhöhen nur teilweise notiert sind und nur annähernd als Sprachmelodie wiedergegeben werden sollen. Beispiele hierfür finden sich in Alban Bergs Opern Wozzeck und Lulu sowie in Arnold Schönbergs Oper Moses und Aron, in der die Titelfiguren durch Sprechgesang und gesungene Kantilene charakterisierend voneinander abgesetzt werden und der brennende Dornbusch u. a. von einem Sprechchor realisiert wird.
Auch in Operette oder Singspiel finden sich oft Melodramen an den Höhepunkten, erwähnt sei hier die Schlüsselszene in Johann Strauss' Die lustige Witwe, ebenso in Brechts/Weills Dreigroschenoper (Melodram zwischen Mackie und Polly). Im Musical und auch im Schauspiel ist das Melodram ebenfalls ein häufiges Stilmittel.
Konzertmelodramen
Franz Schubert oder Franz Liszt haben kürzere Konzertmelodramen mit Klavierbegleitung geschrieben. Aber erst im 20. Jahrhundert gelang es, das Konzertmelodram von seiner Geringschätzung zu befreien. Arnold Schönberg verwendete im Monodrama Erwartung und in Pierrot Lunaire eine ausgeklügelte Notation für die Sprechstimme, in der Tonhöhen angedeutet sind, die aber keinesfalls ausgesungen werden, sondern im Sprechton erklingen sollen.
Filmmusik
Im weiteren Sinne kann man viele Szenen im Film, die mit Filmmusik unterlegt sind, als Melodram betrachten. Die Musikbegleitung im Stummfilm und im populären Bühnenmelodrama hängen eng zusammen. In Londoner Theatern spielten die Begleitpianisten der Bühnenmelodramen vor dem Ersten Weltkrieg zunehmend auch zu Filmen.
Auch die aufgezeichnete Hintergrundmusik im frühen Tonfilm wurde von Theaterkapellmeistern wie dem Wiener Max Steiner geprägt, die Erfahrungen mit melodramatischer Bühnenmusik hatten. Insofern gibt es eine historische Verbindung zwischen Bühnen- und Filmmusik.
Literatur
- Jan van der Veen: Le mélodrame musical de Rousseau au romantisme. Ses aspects historiques et stylistiques. Den Haag: Nijhoff 1955
- Henri Lagrave: "La pantomime à la foire, au Théâtre-Italien et aux boulevards (1700–1789)", in: Romanistische Zeitung für Literaturgeschichte 79:1980, S. 408–430
- James L. Smith: Melodrama. London: Methuen 1973
- David Mayer: Four Bars of ’Agit’. Incidental Music for Victorian and Edwardian Melodrama. London: Samuel French 1983
- Nicole Wild: "La musique dans le mélodrame des théâtres parisiens", in: Peter Bloom (Hg.): Music in Paris in the Eighteen-Thirties. Stuyvesant (NY): Pendragon 1987, S. 589–610
- Emilio Sala: L'opera senza canto: il mélo romantico e l'invenzione della colonna sonora. Venedig: Marsilio 1995
Weblinks