Islam in der Ukraine
Die Angaben über die in der Ukraine lebenden Muslime schwanken zwischen 1,2 und 2 Millionen, das entspricht bis zu 4% der Bevölkerung. Auf der Halbinsel Krim machen 250.000 überwiegend tatarische Moslems einen Anteil von 12% aus, doch auch damit liegt das Gewicht des Islam in der Ukraine noch immer vergleichsweise deutlich unter dem des Islam in Russland.
Zentren des Islam in der Ukraine sind neben der Hauptstadt Kiew und der zweitgrößten Stadt Charkow auch Donezk, Cherson und vor allem die Krim, die traditionelle Heimat muslimischer Tataren. Wie die Wolgatataren in Russland so sind auch die sunnitischen Krimtataren in der Ukraine hauptsächlicher Repräsentant und Verbreiter des Islam unter den orthodoxen Ostslawen. Zusammen mit den ukrainischen Nogaiern und verwandten Völkern zählen die Tataren sogar 400-450.000 Gläubige.
Geschichte des Islams in der Ukraine
Im frühen 9. Jahrhundert zogen die Mehrheit und die Führungsschicht der Süd- und Ostrussland sowie die Süd- und Ostukraine beherrschenden Chasaren die Annahme des Judentums der Missionierung durch den Islam vor. Nur eine Minderheit der Chasaren wurde muslimisch, und nach der Zerstörung des Chasaren-Reiches durch die Russen im 10. Jahrhundert zogen auch die Fürsten der Kiewer Rus die Annahme des orthodoxen Christentums dem Islam vor. Die den Chasaren folgenden Kiptschaken, unter den sich bereits auch in deren Hauptstadt Sharukhan (Charkow) eine einflußreiche muslimische Minderheit befand, eroberten 1093 zwar kurzzeitig Kiew, mußten sich aber 1223 mit den Russen gegen die einfallenden Mongolen und Tataren verbündeten, die 1237 die Krim besetzten.
Nachdem der Mongolensturm und der Fall Kiews 1240 der bereits auseinandergebrochenen Rus den Todesstoß versetzt hatte, trat 1262 Berke Khan als erster Mongolenherrscher zum Islam über. Seine tatarischen Nachfolger der Goldenen Horde an der Wolga stellten sich im Kampf gegen die ebenfalls mongolischen Ilkhane Persiens auf die Seite des Kalifats in Kairo, während in der Südukraine Kara Nogai Khan kurzzeitig abfiel.

Nach dem Zusammenbruch der Goldenen Horde ab 1430 und ihrer endgültigen Zerstörung durch die Krimtataren 1502 fiel die das ostukrainisch-russische Grenzgebiet (Donezk, Lugansk) bis 1593 unter die Herrschaft des Krim-Khanats, das seinerseits wiederum seit 1475 unter der Oberhoheit der osmanischen Türken stand.
Bessarabien (Budschak) stand 1484-1812, Jedisan (Odessa) 1526-1792 und sogar Podolien (Winnyzja) 1672-1699 unter muslimisch-türkischer Herrschaft – Saporoschje (einschließlich Kirowograd, Dnepropetrowsk und Donezk) 1711-1739, Nikolajew und Cherson (nördlich des Dnjepr) bis 1774, Taurien (Cherson südlich des Dnjepr) und die Krim selbst schließlich bis 1783 unter muslimisch-tatarischer Herrschaft. War die Ukraine bis dahin Grenzland (Kraina) zwischen Orthodoxie, Katholizismus und Islam gewesen, so wurde sie fortan als "Neurussland" von russisch-orthodoxen Siedlern und auch deutschen Kolonisten besiedelt.
Der gegen Ende des 19. Jahrhunderts parallel zum Panslawismus und Panrussismus einsetzenden Christianisierung und Russifizierung fielen auch die Krimtataren zum Opfer. Immer mehr Tataren emigrierten in die Türkei, immer mehr russische und ukrainische Neusiedler strömten ins Land. 1893 machten die Tataren noch 35% der Bevölkerung aus, 1927 – zehn Jahre nach der Oktoberrevolution – nur noch 27% und auch das meistens auf dem Land und in den Bergen. Der Stalinismus erzwang Atheismus, Kollektivierung und Deportation. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Krimtataren 1944 wegen ihrer Kollaboration mit deutschen Truppen fast vollständig nach Sibirien und Mittelasien verbannt, bis 1988 betrug ihr Bevölkerungsanteil auf der Krim 0,1%. Erst mit Gorbatschows Perestroika und dem daraus resultierenden Zerfall der Sowjetunion kehrten die Tataren zahlreich zurück und machen auf der Krim heute wieder 12% der Bevölkerung aus.
Spaltung der Muslime
Im Kampf um ihre Gleichberechtigung auf der Krim lassen sich die muslimischen Krimtataren jedoch von der nationalistischen Politik der ukrainischen Regierung bzw. den überwiegend orthodoxen oder katholischen Ukrainern ausspielen gegen die überwiegend atheistischen Russen und russischsprachigen Muslime (Konvertiten, Nordkaukasier, Aserbaidschaner und Zuwanderer aus anderen GUS-Republiken).

Die Gemeinschaft der Muslime in der Ukraine ist daher organisatorisch gespalten. Die Krimtataren dominieren die weitaus größere Geistliche Verwaltung der Muslime der Krim, die meisten übrigen Muslime haben sich in Kiew (unter dem libanesischen Imam Tamim Achmed Mohammed Mutakh) zur kleineren Geistlichen Verwaltung der Muslime der Ukraine zusammengeschlossen.
Erfolgreiche politische Interessensvertretungen gibt es (außer einer nationalistischen Tatarenpartei auf der Krim) nicht, auch wenn die Partei der Muslime der Ukraine Ende 2004 den Wahlkampf des prorussischen Ostukrainers Janukowitsch unterstützt hatte. Diese islamische Partei ist der machtlose politische Arm des Geistlichen Zentrums der muslimischen Gemeinden der Ukraine, einer dritten Organisation in Donezk (von Tataren dominierte Abspaltung der Kiewer Verwaltung). Die Krimtataren hatten dem proamerikanischen Kandidaten Juschtschenko zur Präsidentschaft verholfen, dieser versucht nun die prorussische Verwaltung der Krim mit Hilfe der Tataren zu "säubern". Mit ihrer tatarischsprachigen Zeitung sind sie in 12 Regionen, die übrigen Muslime mit einer russischsprachigen Zeitung in 10 Regionen organisiert.
Die Krimtataren sind zwar konservativ, traditionell aber prowestlich orientiert, sehr enge Beziehungen bestehen zur verwestlichten Türkei, wo eine große Anzahl der Türken tatarische Stammbäume hat. Die eher geringe Anzahl tschetschenischer Flüchtlinge in der Ukraine lehnt sich mehr an ihre Exilregierung und Saudi-Arabien an. Die eher liberalen russisch-sprechenden Muslime orientieren sich nach Osten auf Russland bzw. die muslimischen GUS-Republiken Mittelasiens, wo ein Großteil von ihnen seine Wurzeln hat, sowie auf arabische Staaten und z.T. auch auf den Iran. Einige russische, wolgatatarische und GUS-Muslime folgen den rivalisierenden Geistlichen Verwaltungen und Muftis in Russland (Moskau und Ufa).