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Hans Laternser

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Hans Laternser (* 3. August 1908 in Diedenhofen; † 21. Juli 1969) war ein deutscher Jurist. Laternser wurde als Strafverteidiger in NS-Prozessen und Kriegsverbrecherprozessen bekannt. Eine zentrale Rolle nahm er in den Auschwitz-Prozessen der 1960er Jahre ein.

Leben

Ausbildung und Zeit des Nationalsozialismus

Hans Laternser studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten von Frankfurt, Marburg und Berlin.[1] Nach dem Referendariat am Oberlandesgericht Köln[2] wurde er 1932 in Marburg mit einem zivilrechtlichen Thema promoviert.[3] Er war seit 1934 in eigener Kanzlei, die sich auf Steuerrecht spezialisiert hatte, in Wiesbaden anwaltlich tätig.[4]

Während des Zweiten Weltkrieges war Laternser ab 1939 in Frankreich, der Sowjetunion und dem Balkan eingesetzt. Zuletzt war er Fliegerausbilder im Range eines Oberleutnants des Luftwaffen-Jäger-Regiments 29. Anfang Mai 1945 geriet Laternser in amerikanische Kriegsgefangenschaft, in der er sich bis Ende Juni desselben Jahres befand.[5]

Nach 1945

Da keine Mitgliedschaft in der NSDAP belegt wurde, erhielt er als einer der ersten Anwälte nach Ende des Zweiten Weltkrieges eine Zulassung – unter alliierter Jurisdiktion war die Nichtmitgliedschaft ein entscheidendes Kriterium, um eine Zulassung als Rechtsanwalt zu erhalten.[5] Die Frage nach der tatsächlichen Parteimitgliedschaft Laternsers ist jedoch umstritten. Dass er sich in einem Entnazifizierungsverfahren verantworten musste, verdeutlicht, dass die Spruchkammer eine NSDAP-Mitgliedschaft vermutete.[6] Vor der Spruch- und Berufungskammer Wiesbaden sagte Laternser hingegen aus, dass er "durch absichtliche Passivität in Bezug auf die zur Aufnahme erforderlichen weiteren Formalitäten meine Aufnahme in die NSDAP bewusst verhindert [habe]."[7] Konkret ging Laternser so vor, dass er 1933 einen Aufnahmeantrag stellte, jedoch das erforderliche Passfoto trotz mehrfacher Aufforderung nicht einreichte. Daher erhielt er nie ein Parteibuch oder -abzeichen. Während der NS-Zeit konnte er somit auf den gestellten Antrag verweisen, nach dem Untergang des Regimes hingegen darauf, dass er offiziell nie Mitglied der Partei war.[5] Im Entnazifizierungsverfahren wurde er aufgrund der Aussage Otto Johns – dem ersten Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz –, er habe eine überzeugende Einstellung gegen den Nationalsozialismus gehabt, der Gruppe V (Entlastete) zugeordnet. Gleichwohl wurde er während der Nürnberger Militärtribunale von der US-amerikanischen Anklagebehörde doch als ehemaliges Parteimitglied geführt.[6]

Laternser wurde nach der Zulassung umgehend einer der wichtigsten Anwälte der Verteidigung bei Kriegsverbrecherprozessen. Er verstand sich als politisch engagierter Anwalt und hatte enge Verbindungen zur politischen Rechten. So war er eng mit dem rechtsextremen Verleger Gerhard Frey befreundet, dessen Anwalt er zudem war.

Gegenstand des ersten Prozesses nach Ende des NS-Regimes, in dem Laternser als Verteidiger auftrat, waren Verbrechen im Rahmen des "Euthanasie"-Programms. Landser vertrat dabei im Landeshaus in Wiesbaden vor einem amerikanischen Militärgericht zwei Anstaltsmitarbeiter der Tötungsanstalt Hadamar. In den Jahren 1945-1948 vertrat er in Frankfurt am Main Ärzte und Angehörige des Pflegepersonals der Anstalt Eichberg, des Kalmenhofs und der Anstalt in Hadamer. In diesen ersten Prozessen stand vor allem die Frage im Raum, ob und inwieweit eine Strafverfolgung noch ohne neue, rückwirkende Strafvorschriften möglich sei. Konkret ging es um die Rechtmäßigkeit des "Euthanasie"-Befehls Hitlers. Laternser argumentierte insbesondere mit dem Befehlsnotstand, innerer Konflikte der angeklagten und damit, dass bereits der Wille Hitlers Gesetzeskraft hatte, da eine Staatsführung im Besitz tatsächlicher Macht beliebig Recht setzen kann[8] – eine Argumentation, die in ähnlicher Form u.a. von Carl Schmitt vertreten wurde. Laternser war der Verteidiger von Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. Im I.G.-Farben-Prozess verteidigte er Max Ilgner. In Venedig verteidigte er Albert Kesselring.

Nach dem Ende der Nürnberger Prozesse schloss er sich dem Heidelberger Juristenkreis an. Ab 1955 unterhielt er mit Fritz Steinacker als Partner die Kanzlei Dr. Laternser & Steinacker in Wiesbaden, ab 1969 in Frankfurt am Main.[9]

Im 1. Auschwitzprozess 1963 bis 1965 verteidigte Laternser die Angeklagten Pery Broad, Victor Capesius, Klaus Dylewski, Willy Frank und Willi Schatz und trat als „Gegenspieler“ des Ost-Berliner Anwalts Friedrich Kaul auf, der als Nebenkläger am Verfahren teilnahm.[10] Im Krumey-Hunsche-Prozess verteidigte Laternser 1965 Otto Hunsche und erreichte in erster Instanz einen Freispruch.[11] Kurz vor dem angesetzten Termin übernahm er von Ernst Achenbach die Verteidigung des Wilhelmstraßen-Diplomaten Horst Wagner. Der Termin musste wegen der notwendigen Einarbeitung verschoben werden. Darüber starb Hans Laternser.

Schriften

  • Die andere Seite im Auschwitz-Prozess 1963/1965. Seewald, Stuttgart-Degerloch 1966.
  • Verteidigung deutscher Soldaten. Plädoyers vor alliierten Gerichten. Bohnemeier, Bonn 1950.

Literatur

  • Karl Ritter von Klimesch (Hrsg.): Köpfe der Politik, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft. Augsburg: Naumann, 1953. Band 2, S. 649
  • Devin O. Pendas: Der Auschwitz-Prozess: Völkermord vor Gericht. Siedler Verlag. Berlin 2013, ISBN 978-3-8275-0007-6.
  • Hubert Seliger: Politische Anwälte? : die Verteidiger der Nürnberger Prozesse. Baden-Baden : Nomos, 2016 ISBN 978-3-8487-2360-7, S. 545

Einzelnachweise

  1. Final report to the Secretary of the Army on Nuernberg war crimes trials under Control Council Law, Bd. 10. United States Government Printing Office, Washington DC 1950, S. 324.
  2. Dirks, Christian: Selekteure als Lebensretter. Die Verteidigungsstrategie des Rechtsanwalts Dr. Hans Laternser, in: Wojak, Irmtrud (Hg.) 2001: "Gerichtstag halten wir über uns selbst..." Geschichte und Wirkung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, S. 164.
  3. Hans Laternser: Die Vermutungen des § 1362 BGB und ihre Tragweite. Langendreer, Bochum 1932. (Dissertationsschrift)
  4. Dirks, Christian: Selekteure als Lebensretter. Die Verteidigungsstrategie des Rechtsanwalts Dr. Hans Laternser, in: Wojak, Irmtrud (Hg.) 2001: "Gerichtstag halten wir über uns selbst..." Geschichte und Wirkung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, S. 164.
  5. a b c Dirks, Christian: Selekteure als Lebensretter. Die Verteidigungsstrategie des Rechtsanwalts Dr. Hans Laternser, in: Wojak, Irmtrud (Hg.) 2001: "Gerichtstag halten wir über uns selbst..." Geschichte und Wirkung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, S. 165.
  6. a b Heike Krösche: Im Zweifel für den Angeklagten? Verteidigungslinien und -motive im OKW-Prozess am Beispiel Hans Laternsers, in: Kim Christian Priemel, Alexa Stiller (Hrsg.): NMT: Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung. Hamburg : Hamburger Edition, 2013, ISBN 978-3-86854-260-8, S. 611.
  7. zit. n. Dirks, Christian: Selekteure als Lebensretter. Die Verteidigungsstrategie des Rechtsanwalts Dr. Hans Laternser, S. 186, Fn. 8.
  8. Dirks, Christian: Selekteure als Lebensretter. Die Verteidigungsstrategie des Rechtsanwalts Dr. Hans Laternser, in: Wojak, Irmtrud (Hg.) 2001: "Gerichtstag halten wir über uns selbst..." Geschichte und Wirkung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, S. 165 f.
  9. Nach der Angabe von Fritz Steinacker: http://www.steinackerkoll.de/anwalte/fritz-steinacker
  10. Dietrich Strothmann: Das Tribunal der Advokaten. In: Die Zeit, Nr. 19/1964.
  11. Axel Eggebrecht: Geringfügig am Mord beteiligt. In: Die Zeit, Nr. 7/1965.