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Homosexualität im Neuen Testament

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Wenn man über Homosexualität im Neuen Testament spricht, ist zuerst der Begriff Homosexualität zu problematisieren. Denn der heutige Begriff der Homosexualität und das damit verbundene Konzept von Homosexuellen als einer besonderen Gruppe von Menschen existierten zur Zeit der Abfassung der Bibel nicht. Diese Denkweisen entstanden erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Zärtlichkeit und innige Liebe zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts werden in der Bibel mehrfach positiv dargestellt (siehe den Abschnitt über das Johannes-Evangelium). Sie werden aber als solche nicht mit sexuellen Handlungen in Verbindung gebracht. Dies verwundert kaum, da das jüdische Gesetz (das spätestens seit dem Apostelkonzil für das Christentum nicht mehr relevant ist) den Analverkehr zwischen Männern als toevah, d.h. als eine religiös unreine Handlung verbietet. Ob alle Autoren des Neuen Testaments diese ablehnende Haltung geteilt haben, wird heute von manchen progressiven Auslegern in Frage gestellt. Außer Paulus hat sich dort jedoch niemand ausdrücklich zu dem Thema geäußert.

Heute ist Homosexualität im Christentum und innerhalb von vielen Konfessionen ein sehr kontroverses Thema. Die Haltung der einzelnen Richtungen, Theologen und Christen ist dabei in vielen Fällen, unabhängig von der Konfession, durch ihre Sicht der Bibel geprägt. Eine traditionelle Bibelauslegung sieht praktizierte Homosexualität als Widerspruch zur biblischen Aussage, eine liberale Auslegung sieht keinen Widerspruch zwischen Bibel und praktizierter Homosexualität. In der Bibel selbst allerdings spielt diese Frage bestenfalls eine marginale Rolle. Für die ersten Christen war es offensichtlich kein bedeutendes Thema, wie andere heute heftig diskutierte Themen ebenfalls. Zu einer Sodomiterverfolgung, d.h. zur Hinrichtung von Menschen wegen homosexueller Handlungen, kam es erst durch die willentliche Fehlinterpretation der Sodom-Geschichte aus dem Alten Testament (jüd. Tanach). Diese im Widerspruch zur Bibel stehende Auslegung setzte sich aber erst in der Spätantike durch.

Paulus

An Paulus' Ablehnung der fleischlichen Begierde zwischen Männern besteht kein Zweifel. Dabei verwendet er im Römerbrief einen Begriff, der auch in Platons Nomoi vorkommt: Paulus bezeichnet den gleichgeschlechtlichen Verkehr als "widernatürlich" [gr. para physin, wörtl. über die Natur hinaus]:

"Darum [gemeint ist: weil die Heiden Götzen verehren] lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung." (Röm 1,26-27).

Ebenso heißt es im ersten Korintherbrief (und ähnlich im ersten Brief an Timotheus, 1.Tim 1, 9-10):

"Wißt ihr denn nicht, daß Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben." (1.Kor 6,9).

Die Begriffe, die Paulus im griechischen Original benutzt, sind arsenokoitai und malakoi. Bei ersterem handelt es sich um ein Kunstwort, das im damaligen Sprachgebrauch nicht existierte. Es bedeutet wörtlich ungefähr "Mannbeischläfer". Malakos dagegen bedeutet eigentlich nur "weich", wird aber im Altgriechischen häufig gebraucht, um einen jungen Mann zu bezeichnen, der an passivem Analverkehr Gefallen findet.

Dies sind die einzigen Belegstellen des Neuen Testaments, die sich konkret gegen den gleichgeschlechtlichen Verkehr aussprechen. Bemerkenswert ist, dass im ersten Zitat homosexuelle Handlungen als Folge, nicht als Ursache von Gottverlassenheit dargestelt werden.

Einige progressive Ausleger, die zwischen Paulus und Jesus einen starken Gegensatz postulieren, führen dagegen eine Reihe von Versen aus den vier Evangelien an, um diese Haltung als eine Folge von Paulus' radikaler Leibfeindschaft darzustellen.

Matthäus

Beispielsweise wird folgende, von den meisten Exegeten als neutral angesehene Stelle aus der Bergpredigt als Verurteilung von Homophobie ausgelegt:

"Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemand tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinen Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du (gottloser) Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein." (Mt 5,21-22).

Nach dieser These könnte es sich dabei um eine Fehlübersetzung handeln. Wo "Dummkopf" übersetzt wurde, steht im Original "raca". Die katholische Einheitsübersetzung führt diesen Begriff auf das aramäische Wort reyqah zurück, das "hohl" (bzw. "Hohlkopf") bedeutet. Aus phonetischen Gründen liegt jedoch das Wort rakha näher. Es ist das hebräische Äquivalent zu malakos (weich, effeminiert) und kann auch in einem sexuellen Kontext gebraucht werden. Wo die katholische Einheitsausgabe hingegen "Narr" übersetzt, steht im Original "moros". Moros kann sicher vieles bedeuten, u.a. auch "dumm" (vgl. Oxymoron). Manche weisen jedoch darauf hin, dass es sich ebenso auf einen (homo)sexuellen Aggressor bezieht. Diese Bedeutung läge nicht nur deshalb nahe, weil sie die heftige Reaktion von Jesus auf dieses Schimpfwort besser erklären würde, sondern auch weil moros mit rakha zusammen so auf einmal ein logisches Wortpaar ergibt, welches ähnlich wie das von Paulus die aktive und passive Rolle während des mannmännlichen Beischlafs bezeichnet hätte. Diese Stelle wird daher von wenigen sehr progressiven Auslegern als eine Verurteilung von antihomosexueller Denunziation gelesen.

Zu dieser äußerst umstrittenen Auslegung würde auch passen, dass Jesus den "Knaben" [gr. pais] eines römischen Hauptmanns heilte, der gelähmt und mit großen Schmerzen zu Hause lag: "Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird mein Knabe gesund." (Mt 8,8). Die katholische Einheitsübersetzung gibt pais mit "Diener" wieder, obwohl das Wort wie auch die ganze Geschichte auf eine sehr emotionale Beziehung zwischen den beiden hinweist. Einige stellen sie daher in den für damalige Zeiten nicht gerade fern liegenden Kontext der Päderastie, deren Name sich ebenfalls von pais ableitet. Falls diese Interpretation zuträfe, hätte Christus keinen Anstoß an der so genannten Knabenliebe genommen. Denn er zitiert den Hauptmann, den er für seine Glaubensfestigkeit lobt, sogar als Beispiel dafür, dass dereinst auch viele Nichtjuden "mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen" würden (Mt 8,11).

Häufig wird auch folgender Vers in einen Zusammenhang mit Homosexualität gebracht:

"Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht – um des Himmelreiches willen." (Mt 19,12).

Ob sich die erste Kategorie nun wirklich auf "geborene Homosexuelle" bezieht, wie manche behaupten, lässt sich dem Text nicht entnehmen. Dennoch nimmt Christus damit eine deutliche Einschränkung des mosaischen Ehegebots vor, welches lautet:

"Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und sie werden ein Fleisch." (Gen 2,24).

Diesen Satz will Jesus ausdrücklich nicht als eine für alle gültige Aussage gelten lassen, denn eine Reihe von Personen seien nicht für eine dauerhafte Bindung an das andere Geschlecht geschaffen worden. Ihnen rät er von der Ehe ab.

Johannes

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Christus und St. Johannes (frühes 14. Jh.)

Das Johannes-Evangelium diente bereits im Mittelalter und der frühen Neuzeit als Verweisstelle, mit der zwei Personen des gleichen Geschlechts ihre Liebe füreinander begründen konnten. Dort heißt es:

"Nach diesen Worten war Jesus im Innersten erschüttert und bekräftigte: Amen, amen, das sage ich euch: Einer von euch wird mich verraten. Die Jünger blickten sich ratlos an, weil sie nicht wußten, wen er meinte. Einer von den Jüngern lag an der Seite Jesu; es war der, den Jesus liebte. Simon Petrus nickte ihm zu, er solle fragen, von wem Jesus spreche. Da lehnte sich dieser zurück an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist es?" (Joh 13,21-25)

Der Autor des Johannes-Evangeliums offenbart sich in seinen Schlussworten selbst als dieser Jünger. Bis dahin wird er stets nur "der Jünger, den Jesus liebte" genannt. Ob der Evangelist Johannes wirklich der Apostel Johannes gewesen sein kann, wird heute wegen der späten Niederschrift dieses Evangeliums häufig in Frage gestellt. Im Mittelalter hielt man die Worte des Evangelisten aber ebenso für wahr, wie man (eine mittelalterliche Institution auf die Bibel projizierend) davon ausging, dass Jesus und Johannes "geschworene Brüder" waren.

Dies nutzte zum Beispiel König Jakob I. im Jahr 1617 für seine Verteidigungsrede gegen das englische Parlament, das seine Beziehung zum Earl of Buckingham aus politischen Gründen zu problematisieren versuchte. Jakob antwortete auf diese Vorwürfe:

"Ihr könnt sicher sein, dass ich den Earl of Buckhingham mehr als jeden anderen liebe und mehr als euch, die ihr hier versammelt seid. Ich wünsche für mich selbst zu sprechen und nicht, dass dies für einen Mangel gehalten wird, denn Jesus Christus hat dasselbe getan und daher kann ich nicht beschuldigt werden. Christus hatte seinen Sohn Johannes, und ich habe meinen George."

Der methodistische Theologe Theodore Jennings hat ein Buch verfasst, in dem er unter Verweis auf weitere Stellen aus den Evangelien behauptet, dass der Mann, den Jesus liebte, der "schwule Freund" von Jesus gewesen sei. Diese Aussage ist jedoch als anachronistisch zu bezeichnen, da es das Konzept der Homosexualität als einer Identität, die eine sexuelle Abweichung markiert, zu Jesus' Zeiten nicht gab.

Siehe auch: Homosexualität und Religion, Wahlbruderschaft, Sodomiterverfolgung

Literaturverweise

  • John Boswell: Christianity, Social Tolerance, and Homosexuality. 1981. ISBN 0226067114.
  • Daniel A. Helminiak: What the Bible Really Says About Homosexuality. 2000. ISBN 188636009X.
  • Theodore W. Jennings: The Man Jesus Loved: Homoerotic Narratives from the New Testament. 2003. ISBN 082981535X.
  • Holger Tiedemann: Die Erfahrung des Fleisches: Paulus und die Last der Lust. 1998. ISBN 3-87173-162-5.