SS-Sammellager Mecheln
Das SS-Sammellager Mecheln in der Dossin-Kaserne befand sich von Juli 1942 bis September 1944 im belgischen Mechelen (deutsch Mecheln; frz. Malines; auch Kamp Mechelen). Es diente als Durchgangslager für die Deportation der Juden und "Zigeuner" aus Belgien in deutsche Vernichtungslager.
Geschichte

Das Lager wurde von der SS in einer ehemaligen österreichischen Infanteriekaserne errichtet, die aus mehreren Gründen als Sammellager geeignet war. Erstens handelte es sich um ein geschlossenes Gebäude, zweitens gab es eine Schienenverbindung zum Bahnhof Mechelen, und drittens befindet sich die Stadt Mechelen etwa auf halbem Wege zwischen den Ballungszentren Brüssel und Antwerpen, in denen etwa 90 % der jüdischen Bevölkerung lebte. Der erste Kommandant des Lagers (Juli 1942 bis November 1943) war der SS-Sturmbannführer Philipp Schmitt, gefolgt von Karl Schönwetter.
Im Rahmen des Holocaust wurden 25.257 Juden und 351 Roma aus Mechelen vor allem in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Ca. 16.000 der deportierten Personen erhielten in Auschwitz erst gar keine Häftlingsnummer, d. h., sie wurden wahrscheinlich unmittelbar nach ihrer Ankunft in Gaskammern ermordet. Lediglich 1207 der Deportierten überlebten den Krieg.
Die Deportationen fanden per Eisenbahn statt, wobei der Befehl lautete, mit einem Transport 1000 Personen zu deportieren. Der Großteil der Transporte (17 von 31) fand zwischen August und Oktober 1942 statt. In einem Zeitraum von hundert Tagen wurden ca. 17.000 jüdische Menschen aus Belgien deportiert. Danach versuchten die meisten Juden, unterzutauchen und sich so der Vernichtung zu entziehen. Insgesamt verzeichnet das Internationale Institut für Holocaust-Forschung in Yad Vashem 31 Transporte ab Mechelem[1]:
- Die Transporte I (4. August 1942) bis XXVI (31. Juli 1944) hatten alle Auschwitz-Birkenau zum Ziel. Am 20. September 1943 verließen zwei Transporte Mechelen, die die Bezeichnung XXII A und XXII B trugen.
- Der Transport E1 vom 23. Februar 1944 trägt den Zusatz „PROTECTED JEWS“ und führte ins Lager Vittel in Frankreich. Vermutlich war dies nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Auschwitz.
- Der Transport E2 führte am 20. Juni 1944 ebenfalls ins Lager Vittel.
- Der Transport Z1 vom 13. Dezember 1943 ging in das KZ Ravensbrück.
- Der Transport Z3 vom 19. April 1944 trug den Zusatz „HUNGARIAN NATIONALITY“ und führte ins KZ Bergen-Belsen.
Am 19. April 1943 stoppten drei junge Belgier, die Schulfreunde Youra Livchitz, Jean Franklemon und Robert Maistriau den 20. Transportzug, der 1618 Juden vom Sammellager Mechelen nach Auschwitz-Birkenau transportieren sollte.
Bis zur Befreiung Belgiens im September 1944 gelang es den Deutschen, weitere 8000 Juden zusammen zu treiben. 56 % der ca. 60.000 vor dem Krieg lebenden jüdischen Belgier konnten sich durch Flucht und Untertauchen bis zur Befreiung erfolgreich der Deportation entziehen und so überleben.
Im Gegensatz zu anderen von den Deutschen besetzten Ländern ist die Vernichtung der Juden in Belgien recht gut dokumentiert. Sowohl die Transportlisten, auf denen die Namen der für einen Transport bestimmten Gefangenen vermerkt waren, als auch das Archiv des für die Deportationen zuständigen SS-Sicherheitsdienstes sind vollständig erhalten. Dies ermöglicht es, den gesamten Ablauf der Deportation von Mechelen nach Auschwitz weitgehend zu rekonstruieren.
Häftlinge in Mechelen
- Die Häftlinge aus der Malerwerkstatt[2]
- Felix Nussbaum und seine Frau Felka Platek
- Irene Spicker und ihr späterer Mann Azriel Awret
- Jacques Ochs
- Herbert von Ledermann-Wartberg (* 24. August 1900 in Breslau (Wroclaw)
- Opfer des VI. Deportationszugs vom 29. August 1942[3]
- Josef Schiffer (* 8. Juni 1889 – † 31.12.1942 Ermordung in Auschwitz) war Dentist und lebte und arbeitete in Igstadt. Am 15. Juli 1939 floh er nach Antwerpen. Er wurde am 29. August 1942 vom Sammellager Mechelen aus nach Auschwitz deportiert.
- Martha Schiffer (geborene Fried, * 2. Juni 1894 in Nordenstadt. Die Ehefrau von Josef Schiffer floh zusammen mit ihrem Mann nach Antwerpen und wurde auch am gleichen Tag wie er von Mechelen aus deportiert. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt.
- Herbert Schiffer (* 19. Juli 1928 in Igstad – † 31.12.1942 Ermordung im Arbeitslager Blechhammer bei Cosel) war der Sohn von Josef und Martha Schiffer. Herbert besuchte vom 10. April 1934 bis zum 26. März 1936 die Schule in Igstadt; danach musste er bis zur gemeinsamen Flucht mit seinen Eltern in die neu gegründete jüdische Schule von Igstadt gehen.
- Max Reinemann (* 12. August 1883 in Treuchtlingen emigrierte nach Belgien und wurde am 29. August 1942 von Mechelen (Malines) ins Arbeitslager Blechhammer bei Cosel deportiert. Er wurde für tot erklärt.
- Sara Kramarz (geborene Blitzer, * 5. Juli 1913 in Chzarnow in Polen geboren. Die verheiratete Krankenschwester war nach ihrer Scheidung als staatenlos erklärt und in Mechelen interniert worden. Von dort wurde sie am 29. August 1942 in das KZ Auschwitz-Birkenau gebracht.
Kazerne Dossin – Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum
Im Gebäude des ehemaligen Sammellagers befand sich seit 1995 das Jüdische Deportations- und Widerstandsmuseum. Es dokumentierte die Geschichte des Sammellagers und der Verfolgung der Juden in Belgien. Des Weiteren zeigte die Ausstellung die Organisation des „Untertauchens“ durch jüdische und belgische Widerstandsgruppen, sowie u. a. die Geschichte des einzigen Überfalls auf einen Deportationszug.
Zum belgischen Widerstand gehörte auch die Unterstützung der untergetauchten jüdischen Familien (vgl. die Gerechten unter den Völkern).
Seit 2012 ist an die Stelle des Jüdischen Deportations- und Widerstandsmuseums die "Kazerne Dossin – Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum für Holocaust und Menschenrechte" getreten. Die Geschichte des Sammellagers und der Judenverfolgung in Belgien wird in einem Neubau neben der historischen Kaserne präsentiert. Die Ausstellung hat den Anspruch die Geschichte der Judenvernichtung in Belgien in ein Konzept einzubinden, das auch andere Menschenrechtsverletzungen und Genozide zu Sprache bringt.[4]
Literatur
- Herman Van Goethem (Hg.): Kazerne Dossin Mechelen Memoriaal, Museum en Documentatiecentrum over Holocaust en Mensenrechten. Mechelen 2012 (Ausstellungskatalog).
- Irene Awret: Aber erst müßt ihr mich kriegen. Erinnerungen einer Malerin 1921–1944. Aufbau-Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-351-02594-7 (Autobiographie).
- Markus Meckl: Wartesaal vor Auschwitz: Das Lager Mechelen (Malines). In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Terror im Westen. Nationalsozialistische Konzentrationslager in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg 1940–1945. Metropol, Berlin 2009, ISBN 3-936411-53-0, S. 39–49.
- Insa Meinen: Die Shoah in Belgien. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009, ISBN 978-3-534-22158-5.
- Andreas Pflock: Auf vergessenen Spuren. Ein Wegweiser zu Gedenkstätten in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg. Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 2006.
Weblinks
- Kazerne Dossin
- Die Geschichte der österreichischen jüdischen Flüchtlinge in Europa
- Umfassende Informationen zum Durchgangs- und Sammellager und zur heutigen Gedenkstätte in deutscher Sprache
- Jakob Martin Müller: Ausstellungs-Rezension zu: Kazerne Dossin – Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum Mechelen (België), in: H-Soz-u-Kult, 2. Februar 2013
Einzelnachweise
- ↑ Transporte ab der Caserne Dossin(Malines-Mechelen)
- ↑ Hans Joachim Schädlich: Felix und Felka, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 2018, ISBN 9783644050914 (E-Book), Auszug: Felix und Felka bei Google-Books
- ↑ Transport 29.08.1942 Mechelen. Mit diesem zug, der am 3. September 1942 sein Ziel erreichte, wurden 1.000 Menschen deportiert. Insgesamt
- ↑ Ausstellungskatalog: Herman Van Goethem: "Kazerne Dossin Mechelen Memoriaal, Museum en Documentatiecentrum over Holocaust en Mensenrechten". Mechelen 2012. S. 12.
Koordinaten: 51° 2′ 2″ N, 4° 28′ 42″ O