Fuge (Musik)

Die Fuge (von lateinisch fuga = „Flucht“) ist eine musikalische Form, die im Barock entstand. Sie gehört zu den strengeren Formen der Polyphonie (Mehrstimmigkeit) und folgt den Regeln des Kontrapunkts. Fugenmerkmale durchdringen auch Chor- und Orchesterwerke, wie Kantaten, Messen, Konzerte oder Ouvertüren.
Merkmale
Besonderes Kennzeichen der Fuge ist ihre komplexe Themenverarbeitung. Eine Fuge beginnt mit der Exposition der Stimmen: Die erste Stimme trägt das prägnante, kurze Thema vor. Dieser Themeneinsatz wird auch als Dux (lat. "Führer") bezeichnet. Hierzu gesellt sich eine zweite Stimme, die den Comes (lat. "Gefährte"), auf einer anderen Tonstufe, normalerweise der Quinte bzw. Unterquarte (meist in der Dominanttonart) vorträgt. Wenn im Themenkopf eine Quinte erscheint, die notwendig zum Thema gehört (z.B. Quintsprung), wird diese im Comes meist zur Quarte abgewandelt (tonale Beantwortung), um die Identität der Tonart zu gewährleisten. Anderenfalls werden die Intervalle des Themas intervallgetreu ("real") auf die Dominanttonart übertragen.
Enthält die erste Stimme während des Comes motivisch oder thematisch bedeutsames Material, das später wieder aufgegriffen wird und evtl. gar als neues Durchführungsthema zur Verfügung steht, so spricht man von einem Kontrasubjekt. Weitere Stimmen können nach diesem Prinzip hinzukommen, bis die volle Stimmenzahl (bei Fugen meistens 4 (SATB) oder 3 (2 Ober-, 1 Unterstimme), seltener 5) erreicht ist.
Der erste Durchlauf des Themas durch alle Stimmen heißt Exposition (Musik). Im weiteren Verlauf gibt es immer wieder Abschnitte, in denen das Thema in verschiedenen Stimmen vorgetragen wird; diese heißen Durchführungen. Sie sind durch Zwischenspiele voneinander abgesetzt. In den Durchführungen kann das Thema durch vielerlei Künste mit sich selbst und den Kontrasubjekten kombiniert werden, beispielsweise in Engführungen, Umkehrungen, Augmentationen (d.h. die Dehnung der Töne um das Doppelte) etc.
Vor dem Ende einer Fuge wird gerne ein Orgelpunkt - oft auf der Dominante - eingefügt, um die Spannung zu steigern.
Geschichte und Bedeutung
Das Prinzip der Imitation zwischen verschiedenen Stimmen eines Musikstücks wurde bereits in der Musik der Renaissance erkundet und kunstvoll ausgekostet, wobei hier vor allem der Kanon gepflegt wurde. Bei den norditalienischen Komponisten des Frühbarock (z. B. Giovanni Gabrieli) begegnen zunehmend Werke, die fugengemäß in einer Stimme beginnen und in den anderen Stimmen imitierend einsetzen; allerdings liegen hier eher Motive als schon voll entwickelte Themen vor. Solche Stücke wurden noch unspezifisch als „Sonata“, „Canzon“ oder auch „Ricercar“ (von italienisch ricercare = „suchen“) bezeichnet. Auch in der Motette hält das Fugenprinzip nach und nach Einzug.
Im Hochbarock folgt die Emanzipation der Fuge als selbständige (Teil-)Form. In der Französischen Ouvertüre ist der Mittelteil eine Fuge, in der Norddeutschen Orgelschule wird die Fuge zum abschließenden Gegenstück eines vorangehenden Präludiums, einer Toccata oder anderen Formen.
Der wohl bekannteste Komponist von Fugen war Johann Sebastian Bach; in seinen Werken (z. B. Wohltemperiertes Klavier, Die Kunst der Fuge) erprobte er sämtliche Möglichkeiten der Fuge, sodass viele spätere Komponisten sich beim Thema Fuge auch mit Bach auseinandersetzten.
Nach dem Barock galt die Fuge zwar als historische und damit veraltete Form, sie wurde aber nie aufgegeben. Spätere Komponisten setzten sich immer wieder mit ihren Prinzipien auseinander, wobei jeweils klar war, dass die Ergebnisse stets einen Verweis auf die Vergangenheit bedeuteten. Das Schreiben einer Fuge galt zudem als Nachweis besonderer kompositorischer Fähigkeiten.
Komponisten, die sich nach dem Barock wesentlich der Fuge widmeten:
- Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (24 Präludien und Fugen für Klavier, Opus 87 (1951)),
- Max Reger (Variationen und Fuge über ein Thema (aus dem Singspiel "Der Ärndtekranz") von Johann Adam Hiller op. 100 (1907), Variationen und Fuge über ein Thema von Wolfgang Amadeus Mozart op. 132 (1914), Variationen und Fuge über ein Thema von Johann Sebastian Bach op. 81 (1904), Variationen und Fuge über ein Thema von Ludwig van Beethoven op. 86 für 2 Klaviere (1904), Introduktion, Passacaglia und Fuge op. 96 für 2 Klaviere (1906), Variationen und Fuge über ein Thema von Georg Philipp Telemann op. 134 (1914), Phantasie und Fuge über BACH op. 46 (1900), Symphonische Phantasie und Fuge op. 57 (1901), Variationen und Fuge fis-Moll op. 73 (1903), Introduktion, Passacaglia und Fuge e-Moll op. 127 (1913), Fantasie und Fuge d-Moll op. 135b (1915), zahlreiche kleine Orgelstücke, Präludien & Fugen etc.)
- Paul Hindemith (Fugensammlung "Ludus Tonalis" für Klavier)
- Johann Nepomuk David (12 Orgelfugen durch alle Tonarten Wk 66) u.a.
Auch in der Popmusik finden sich Fugen-Elemente, so z. B. in dem Stück "Awaken" von Yes. Astor Piazzolla vermischte klassische Fugentechnik und argentinischen Tango zu einer neuen Einheit.
Spezielle Formen
Permutationsfuge
Bei der Permutationsfuge, einer speziellen Form der musikalischen Form der Fuge, liegt ein Stimmtausch in fester Form vor: Die Kontrapunkte werden beibehalten und schließen sich in fester Form an das Thema an.
Die Permutationsfuge besteht aus mehreren Durchführungen, die einander ähnlich sind.
Doppelfuge
Eine Doppelfuge ist eine Fuge mit zwei Themen. Mögliche Form-Abläufe:
- Fuge mit Thema 1 – Fuge mit Thema 2 – Fuge über beide Themen. Beispiel: Bach, Wohltemperiertes Klavier II. Band, gis-Moll-Fuge
- Fuge mit zwei Themen, beide Themen setzen zu Beginn gleichzeitig ein. Beispiel: Bach, Fuge zur Passacaglia c-Moll
- Fuge mit Thema 1 – Fuge über Thema 1 und Thema 2. Beispiele: Bach, Wohltemperiertes Klavier Band II, Fugen As-Dur und H-Dur
Tripelfuge
Die Tripelfuge ist eine Fuge mit drei Themen. Diese können wiederum in getrennten Expositionen aufgestellt und später kombiniert werden. Beispiele: Bach, Wohltemperiertes Klavier Band II, Fuge fis-Moll sowie Band I, Fuge cis-Moll
Quadrupelfuge
Die Quadrupelfuge ist eine Fuge mit vier Themen.
Berühmtes, allerdings unvollendetes Beispiel einer Quadrupelfuge ist die Schlussfuge in Bachs Zyklus "Die Kunst der Fuge". Als drittes Thema führte Bach die Töne B-A-C-H ein. Zahlreiche Komponisten und Instrumentalisten haben sich dieser Fuge zugewandt und versucht, sie zu Ende zu komponieren. In Aufführungen wird aber auch häufig an der Stelle abgebrochen, wo Bach aufgehört hat zu komponieren.
Fächerfuge
Ist eine Fuge, in welcher das Thema im Comes zuerst zur Quinte geht, dann aber der Dux nicht wieder auf der Tonika folgt, sondern erneut eine Quinte ansteigt.
Fugato
Einen fugenähnlichen Abschnitt in einer Sonate, einer Symphonie, einem Konzert etc. nennt man Fugato. Dabei geht es nicht darum, das Thema durch alle Stimmen zu führen, es soll lediglich wirken wie eine Fuge. Oft sind diese Fugati nur wenige Takte lang.
Hörbeispiel
Weblinks
- http://www.celan-projekt.de/verweis-fuge.html
- http://jan.ucc.nau.edu/~tas3/wtc/wtc.html (sämtliche Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier nebst Analyse und interaktiver Bedienung (Sound + Noten, Flash))
Siehe auch
Literatur
- Carl Dahlhaus: Zur Geschichte der Permutationsfuge. BachJb, 46 (1959), 95-110.