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Gotik

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Gotische Kathedrale: Der Kölner Dom
Lichtdurchfluteter Raum: Chor des Veitsdoms in Prag

Die Gotik ist eine Stilepoche der europäischen Kunst des Mittelalters. Sie entstand um 1140 in der Île-de-France (Gegend von Paris) und währte nördlich der Alpen bis etwa 1500. Der zuvor vorherrschende Bau- und Kunststil ist als Romanik, der nachfolgende als Renaissance bekannt. Der gotische Stil ist nur in der Architektur genau abzugrenzen, während dies auf den Gebieten der Plastik und Malerei nicht in gleicher Klarheit möglich ist.

Die Gotik war eine Epoche der Verbildlichung der christlichen Ideenwelt und bediente sich dabei in großem Umfang der Symbolik und Allegorie. Herausragende Kunstschöpfung ist die gotische Kathedrale, das Gesamtkunstwerk des Mittelalters, Architektur, Plastik und (Glas-)Malerei vereinend. In der Architektur unterscheidet man weiterhin Früh-, Hoch- und Spätgotik, die in den verschiedenen europäischen Landschaften unterschiedlich schnell übernommen wurden.

Die Bezeichnung "Gotik" (v. ital. gotico fremdartig, barbarisch (ursprünglich ein Schimpfwort), abgeleitet von der Bezeichnung des Germanenstammes der Goten) wurde geprägt in der Renaissance vom italienischen Kunsttheoretiker Giorgio Vasari, seine Geringschätzung der mittelalterlichen Kunst gegenüber dem "goldenen Zeitalter" der Antike ausdrückend. Auch wenn die Bewertung Vasaris heute nicht geteilt wird - er hat der Epoche seinen Namen aufgedrückt.

Bildende Kunst

Baukunst

Entstehung des Stils in Frankreich

Prototyp der Westfassade: Die ehem. Klosterkirche Saint-Denis

Der Chorneubau der Klosterkirche von Saint-Denis, der vom königlichen Kanzler und Abt Suger erbaut wurde, gilt als Initialbau der Gotik. Hier wurde erstmals der burgundische Spitzbogen (Beispiel: Cluny) mit dem normannischen Kreuzrippengewölbe (Beispiel: St-Étienne in Caen, Gewölbe ab 1120) kombiniert und die Gewölbelasten auf Strebepfeiler abgeleitet. Dadurch konnte auf die bisher vorherrschende massive Wand als statisches Element verzichtet werden. Die dadurch mögliche Reduzierung der Wandfläche zugunsten von Fenstern ermöglichte der Kirche nicht nur ein grazileres Aussehen als das der romanischen "Gottesburgen", sie war auch viel stärker vom Licht durchflutet.

Wirtschaftliche Grundlage für die Gotik war das Erstarken des französischen Königtums im 12. Jh. auf Kosten des niederen Adels (siehe auch: Geschichte Frankreichs). Der Neubau von Saint-Denis, der königlichen Grablege, ist die architektonische Formulierung eines sehr umfassenden Herrschaftsanspruchs des französischen Königtums gegenüber den Baronen, aber auch gegenüber seinem ärgsten Widersacher, dem König von England: Die Fassade von Saint-Denis, gleichzeitig Triumphbogen und Burg, ist quasi die Wiedererschaffung des karolingischen Westwerks. Die Fassade entstand unmittelbar vor dem Chor und ist noch nicht ganz als "gotisch" einzuordnen, während sie sich schon von den Formen der Romanik gelöst hat.

Vorbedingung für die Entwicklung der die gotische Architektur ermöglichenden Baukunst war die Entwicklung der Produktivkräfte (Technik, Arbeitsfertigkeit und -organisation) im Umfeld der aufblühenden, durch den König geförderten Bürgerstädte.

Erfolgsrezept für die weitere Entwicklung des Stils war, dass jeder Großbau das vor ihm Erreichte zusammenfasste und zugleich Grundlage für die Nachfolgebauten wurde. Die Kathedralen von Sens, Senlis, Noyon, Paris und Laon waren wichtige Stationen auf dem Weg zur Reife (Hochgotik), die bereits Anfang des 13. Jh in Chartres, Soissons, Reims und Amiens erreicht war. Von dort aus breitete sich der Stil durch international arbeitende Baumeister in ganz Europa aus.

Grundlagen der gotischen Architektur

  • die Gotik ist gekenzeichnet durch ein eigenens System im architektonischen Aufbau, das im Gegensatz zur Baukunst der Antike und der Klassik steht (diese beruhten auf Gesetzen aus Stütze und Last).
  • Die häufigste Form des Grundrisses im Kirchenbau war, wie schon in der Romanik, das lateinische Kreuz und der einfache Langbau.
Meisterwerk der Hochgotik: Kathedrale von Burgos (Spanien, ab 1221)
Datei:Gewölbe marienkirche luebeck.jpg
Betonung der Vertikalen: Lübecker Marienkirche
Großflächige Fenster und filigrane Ornamentik: Südseite der Notre-Dame de Paris mit Rosette
Schematischer Aufbau eines gotischen Gewölbes
Teile des Kreuzrippengewölbes der Kathedrale von Tours, Eugène Viollet-le-Duc, 1856
  • Kreuzrippengewölbe: Die große Neuerung des Kreuzrippengewölbes bestand darin, dass bei einem gedachten Quadrat als Grundriss nicht 4 Rundbögen über die 4 Seiten des Quadrates gestellt wurden, sondern 2 Rundbögen mit gemeinsamem Mittelstein über die beiden Diagonalen. Dadurch war die Stabilität des Gewölbes gesichert, und die statisch nun weniger wichtigen Bögen über den 4 Seiten wurden spitz nach oben gebaut, um die gleiche Höhe wie die beiden längeren und höheren Rundbögen über den Diagonalen zu erhalten. So wird es auch möglich, ein Gewölbejoch über einen rechteckigen Grundriss zu erstellen (statt nur über quatratischen). Auch konnten nun die Gewölbekappen zwischen den Kreuzrippen frei aufgemauert werden ohne eine volle Verschalung zu erstellen. Damit wird die Gestaltung freier als in der Romanik. In der weiteren Entwicklung des Stils wurden auch komplizierte Netzgewölbe erstellt. Kennzeichnend für den Stil blieb die Verwendung von Gewölberippen.
  • aufgebrochene, hohe Wände mit großen Fenstern: Die Romanik prägte eine massive Bauweise von Wand und Baukörper mit kleinen Fenstern. Das LKreuzrippengewölbe ermöglichte es, die Wände durch ein filigranes System von Säulen aufzulösen, das die Last des Gewölbes in senkrechter Richtung trug. Man verwendete im Wandbereich eine Vielzahl von großflächigen Fenstern, die das Gebäude leicht und lichtdurchflutet erscheinen ließen. Ein typisches Stilelement sind auch kreisrunde Rosettenfenster an repräsentativen Fassaden, meist über dem Hauptportal. Um die durch die massearme Bauweise in den Säulen auftretenden enormen Querkräfte aufzufangen, setzte man das am Außenbau angebrachte Tragwerk der Strebepfeiler ein und, um die Querkräfte möglichst gering zu halten, den Spitzbogen. Das so entstandene Strebewerk, das oftmals von hoher Filigranität sein kann, prägt den Aussenbau der französischen Kathedralgotik. Der Innenraum wurde auf diese Weise von einigen statischen Elementen befreit. Man kann davon ausgehen, dass jedes Element eines gotischen Baukörpers tragend ist. Trotzdem stürzten einige Kathedralen noch während der Bauphase ein oder mußten nachträglich aufgrund auftretender Risse mit weiteren kraftableitenden Elementen verstärkt werden. Die Baumeister der Gotik gingen nach dem Prinzip Versuch und Irrtum vor und schufen damit atemberaubende Konstruktionen. Nach modernen Statikvorschriften dürften die wenigsten noch stehen.
  • die Betonung der Vertikalen: Typisch für den Kirchenbau der Gotik ist die Betonung der Vertikale. Die Gewölbe erreichten Scheitelhöhen bis 48m (Kathedrale von Beauvais eingestürzt und unvollendet geblieben, Chor im Kölner Dom 45m. Im Vergleich der romanische Dom zu Speyer: 33 m). Es ist aber auf das proportionale Verhältnis von Höhe und Breite des Baus zu achten, das von der antiken Architektur abweicht, aber bei der romanischen und gotischen Architektur recht ähnlich ist.
  • schlanke strukturierte Säulen (besser Pfeiler) auf polygonalem Grundriss, die meist mit Diensten umstanden sind.
  • Die Ornamentik bestand aus geometrischen Formen, wie z.B. Kreisen und Bögen, die in Werk- oder Backstein ausgeführt wurden, das sogenannte Maßwerk, das auch in die Fenster eingesetzt werden. Die Vorlagen zu vielen gotischen Ornamenten nahm man aus der Pflanzenwelt. Eine besondere Rolle spielte dabei das Eichenlaub. Aber auch Motive und Formen aus der Menschen- und Tierwelt waren beliebt. An den Spitzen von Giebeln und Türmen verwendete man oft eine Kreuzblume als Ornament (vergleiche auch Wimperg). In der Spätgotik schließlich werden auch verschlungenere und kompliziertere Formen in vielfältigen Fischblasen- und Flammenmustern (Flamboyant) ausgebildet.

Baumeister

In der Gotik übernahmen erstmals weltliche Planer und Handwerker das Baugeschehen und wurden die Träger der neuen Kunst, während sie zu Zeiten der Romanik noch fest in der Hand der Klöster war, die ihre Baukunst anonym betrieben. Damit traten die Berufe der Baumeister, Bildhauer und des freien Steinmetzes auf. Beide bewegten sich frei zwischen den verschiedenen Bauhütten, also den Baubetrieben. Dabei handelte es sich um freie Arbeiterverbände, die als "Urgestein" der freien Handwerker bekannt sind. Es bildeten sich regelrecht Baumeister-Familien heraus, wie beispielsweise die Parler, die unter anderem in Schwäbisch Gmünd, am Ulmer Münster, am Prager Veitsdom und am Rathaus in Krakau bauten. Steinmetze sind zwar namentlich nicht bekannt, aber ihre individuellen Steinmetz-Zeichen sind an verschiedenen Baustellen quer durch Mitteleuropa zu finden. Baumeister und Bildhauer verewigten sich häufig auch schon gerne in den Gesichtszügen von Figuren ihrer Werke, zum Beispiel bei Nebenfiguren in Szenen aus der Bibel.

Eine weitere bekannte Baumeisterfamilie aus dem süddeutschen Raum sind die Eselers: Nikolaus Eseler der Ältere und Nikolaus Eseler der Jüngere, die das spätgotische Münster St. Georg als Hallenkirche in Dinkelsbühl schufen.

Deutschland

Die gotische Formensprache breitete sich in Deutschland erst mit einiger Verzögerung aus. Teilweise muss man auch von einem "Übergangsstil" zwischen Romanik und Gotik sprechen, z.B. bei den Domen von Limburg a.d. Lahn und Bamberg. Das Erscheinungsbild ähnelt hier zumeist noch den wuchtigen, romanischen Kirchen; einzelne Gebäudeteile weisen jedoch schon gotische Tendenzen auf. Die lokalen spätromanischen Bautraditionen wurden meist nur sehr zögerlich durch die westlichen Neuerungen verdrängt.

Die ersten rein gotischen Kirchenbauten auf heutigem deutschen Staatsgebiet waren ab ca. 1230 die Liebfrauenkirche in Trier und die Elisabethkirche in Marburg. Das konkurrierende Halberstädter Domkapitel begann seinerseits mit dem Bau einer hochgotischen Kathedrale (Dom zu Halberstadt) nach Reimser Vorbild, von der allerdings nur drei Langhausjoche realisiert werden konnten, der übrige Bau zog sich bis gegen 1500 hin. Die große Domkirche ist einer der wenigen im Mittelalter vollendeten Großbauten Europas, sie gilt vielen Kunsthistorikern als die beste "deutsche" Umsetzung des französischen Kathedralschemas. Die hochgotischen Teile der Kathedrale in Köln (erst im 19. Jahrhundert nach den Originalplänen vollendet) versuchen gar, die westlichen Vorbilder zu übertreffen. Die Großbauten von Köln und Beauvais erreichten die Grenze des statisch und bautechnisch Möglichen, was beim französischen Beispiel sogar zum Einsturz großer Bauteile führte. Bayerns einzige "französische" Kathedrale ist der Regensburger Dom, das Vorbild St. Urbain in Troyes ist hier offensichtlich. Das Straßburger Münster gehört heute zu Frankreich, darf aber als ein Hauptwerk der deutschen Hochgotik gelten. Besonders seine Westfassade steht auf einer Stufe mit den besten Leistungen westlicher Baumeister. Im nahen Freiburg im Breisgau entstand mit dem Münster ein weiteres Hauptwerk deutscher Gotik, der Hauptturm mit seinem durchbrochenen Helm gilt manchen gar als der "schönste Turm der Christenheit".

Neben den großen Bischofskirchen entstanden rasch zahlreiche Pfarrkirchen in den Städten, die manchmal die Ausmaße der Dombauten erreichten oder sogar übertrafen (Ulm, Freiburg im Breisgau). Die deutsche Gotik löste sich immer mehr vom westlichen Vorbild, es entstand die sogenannte "Deutsche Sondergotik", auch "Reduktionsgotik" genannt. Kennzeichen dieser Sonderentwicklung ist neben der meist wesentlich "schlichteren" äußeren Erscheinung deutscher Sakralbauten (Verzicht auf aufwendige offene Strebesysteme) auch die Vereinfachung der Grundrisse und die Bevorzugung der Hallenbauweise. Die Halle ermöglichte jedoch die Entwicklung einiger aufwendiger Wölbesysteme, "deutsche" Kirchen werden oft vom prächtigen Netz- oder Schlingrippengewölben überspannt (Annaberg, Freiberg). Besonders die Spätgotik schuf hier bedeutende Beispiele. Zu lokalen Zentren entwickeln sich:

Hallenkirchen

Eine besondere Form des gotischen Kirchenbaus stellen die Hallenkirchen dar. Besonders in Deutschland war dieser Bautypus beliebt, er kommt aber auch in Frankreich (Poitiers u.a) und anderen Ländern vor. Die höchste im Mittelalter realisierte Hallenkirche ist die Marienkirche in Danzig.

Im Zuge der Sonderentwicklung der deutschen Gotik wurde die Halle gar das bevorzugte Bauschema, besonders Stadtpfarrkirchen wurden oft als Hallen oder Staffelhallen realisiert. Im Gegensatz zur Basilika besitzen hier alle Seitenschiffe die gleiche Höhe, sodass das Kirchenschiff einer riesigen Halle ähnelt. Einem besonders harmonischen Raumkonzept folgen die im Grundriss nahezu quadratischen städtischen Hallenkirchen Westfalens. Das herausragendste Beispiel ist die Wiesenkirche in Soest. Eindrucksvoll sind die süddeutschen Hallenumgangschöre von St. Sebald und St. Lorenz in Nürnberg.

Eine Zwischenform ist die erwähnte Staffelhalle (Pseudobasilika), die besonders in der Spätgotik verbreitet war. Hier ist das Mittelschiff etwas höher als die Seitenschiffe, auf eine eigene Belichtung durch Fenster wurde aber verzichtet. Ähnlich wie bei der echten Halle werden die Gewölbe meist vom einem riesigen, einteiligen Dach überspannt. Die spanische Gotik schuf jedoch einige riesige Staffelhallen mit durchfensterten Obergaden.

Oft wurden älteren Basiliken nachträglich zweischiffige Hallen als Seitenschiffe angefügt, manchmal mit reichen Gewölbefigurationen (Ulmer Münster, Augsburger Dom) , die manchmal wie eigenständige Kirchenräume wirken.

Profanbauten

Anders als in der Romanik, sind aus der Gotik zahlreiche Profanbauten erhalten. Während der Sakralbau die gotische Architekturentwicklung anführte, konnte sich auch der Profanbau den neuen Entwicklungen nicht entziehen. Anders als beim Kirchenbau stand die Zweckmäßigkeit vor der künstlerischen Gestaltung (zum Beispiel flächige Wandform). Merkmale sind beispielsweise die Profilierung der Fenster und Türen, Treppengiebel, so genannte Katzentreppen und gegebenenfalls Gewölbetechnik. Folgende Entwicklungen sind festzuhalten:

  • Wandlung der Burg zum Schloss: Der Wehrzweck der Fürstenburg trat im Verlauf der Gotik zunehmend hinter den Wohnzweck zurück. Der Wandel in der Kriegführung (Feuerwaffen, Söldnerheere) reduzierte die Bedeutung der Befestigung, während der Repräsentationswille neu hinzutritt. Der gotische Burgenbau übernahm zahlreiche Elemente der sakralen Architektur, gelegentlich entstanden sogar kreuzgangähnliche Innenhöfe. Zahlreiche Säle und Kammern wurden nun eingewölbt, maßwerkgeschmückte Fensterreihen durchbrachen die Außenwände, reich geschmückte gotische Kapellen entstanden. Besonders in der Spätgotik entstanden hier profane Meisterwerke wie etwa die Albrechtsburg in Meißen, der Wladislawsaal der Prager Burg oder die reich verzierten Burgschlösser in Amboise und Josselin sowie der Herzogspalast in Poitiers (um 1390) in Frankreich. Als größter Profanbau der Gotik gilt die Marienburg des Deutschen Ordens in Polen.
  • Die Stadtbefestigung wird die wichtigste Bauaufgabe der Stadtbürger. In Deutschland erhalten viele Städte in früh- oder hochgotischer Zeit ihre Stadt- und Befestigungsrechte. Es entstehen feste Mauern ab der zweiten Hälfte des 12. Jh. Neben der eigentlichen Mauer entstehen Wehrtürme und Torbauten. Mit der Verbreitung der Feuerwaffen wandeln sich Wehrtürme von hohen Bauformen hin zu niedrigen, massiven Geschütztürmen, und die Torbauten entwickelten sich hin zu komplexen Torburgen. Umfangreiche Stadtmauern sind heute besonders in Franken erhalten (Rothenburg ob der Tauber, Dinkelsbühl, Nürnberg).
  • Der gotische Wohnbau war in West-, Mittel- und Nordeuropa nach weitgehend vom Fachwerkhaus geprägt, allerdings entstanden - besonders in Süddeutschland, Österreich und Ostmitteleuropa - zahlreiche Städte und Märkte mit Häusern aus Werk- oder Backsteinen. Ein bis heute erhaltenes Merkmal solcher gotischen Städte sind die teilweise eingewölbten Laubengänge, die früher meist als überdachte "Verkaufsstände" genutzt wurden. In Bayern und Österreich sind hier vor allem Landshut, Burghausen, Neuötting, Braunau und Innsbruck zu nennen. Auch die zahlreichen, im Zuge der Ostkolonisation angelegten Städte Polens, Böhmens und Mährens haben sich ihre gotischen Grundrisse noch gut bewahrt, oft wurden solche Kolonialstädte um riesige Marktplätze (Ringe) angelegt. Als Beispiele seien Domazlice, Telc, Budweis, Pilsen und Krakau angeführt.
  • Mit dem Bedeutungszuwachs der mittelalterlichen Stadt entsteht Bedarf nach städtischen Funktionsbauten:
    • Das Rathaus ist ein Mehrzweckgebäude für Ratsstube, Festsaal, Ausschank, Handel (Lübeck ab 1230, Brügge ab 1376, Perugia ab ... und viele andere). Der zunehmende Repräsentationsbedarf wohlhabender Städte schlägt sich in Größe und Aufwand der Bauten nieder (Brüssel ab 1402, Löwen ab 1439), diese Höhepunkte städtischer Profanarchitektur werden deshalb mitunter als "Kathedralen des Bürgertums" bezeichnet.


    • Je nach Größe und Bedeutung der Stadt treten andere Gemeinschaftsbauten hinzu wie: Tuch- und Fleischhallen (Ypern ab 1250, Antwerpen ab 1509), Zunft- und Gildehäuser (Gent/Haus der freien Schiffer ab 1530), Tanz- und Hochzeitshäuser (Köln/Gürzenich ab 1447).
    • Vor allem in Flandern und Italien symbolisiert ein Belfried - oft in der Höhe mit Kirchtürmen konkurrierend - die Macht der Stadt.
    • Schulen und Spitäler werden meist von Klöstern betrieben, besonders von Franziskanern, daher sind diese Funktionsbauten oft in die Stadtklöster integriert.
  • Bauernhäuser: Im Alpenraum kennen die Ladiner das gotische Haus, in der Regel herrschaftliche Häuser wie Gerichte, als ein Beispiel ladinischer Häusertypen.

Backsteingotik

Hauptartikel: Backsteingotik

In Nord- und Nordostdeutschland, Skandinavien und Polen entwickelte sich die Sonderform der Backsteingotik. Große Sakralbauten aus diesem Baumaterial besitzen in Deutschland etwa Lübeck (Marienkirche), Stralsund, Wismar, Greifswald und Bad Doberan. Besonders die Lübecker Marienkirche diente als Vorbild für zahlreiche weitere Kirchen in ganz Nord-und Nordosteuropa. Sie orientiert sich - in materialbedingt vereinfachter - Form an der klassischen Kathedralgotik, auch das offene Strebesystem westlicher Kathedralen wurde hier in Backstein übertragen.

Auch in Bayern finden sich in den steinarmen Landschaften Ober- und Niederbayerns zahlreiche Backsteinbauten. Die Sakralbauten sind meist als Hallen ausgeführt, manchmal wurden reiche Hausteinverzierungen eingearbeitet. Ein bekanntes Beispiel ist die Frauenkirche in München. Den höchsten Backsteinturm der Welt besitzt Landshut, seine Hauptkirche St. Martin steht mitten in einer der am besten erhaltenen gotischen Altstädte Europas.

Plastik und Skulptur

Der Typus der Portalskulptur wird, beginnend mit den Skulpturen von St. Denis (1140) und Chartres zumeist als Indikator für die Abgrenzung der frühen Gotik gegen die späte Romanik verwendet. Ausgehend von diesen „Bauplastiken“ emanzipiert sich in dieser Epoche die Freiplastik in der europäischen Kunstgeschichte. Anders als in Architektur und Malerei stützt sich die Skulptur häufig erkennabr auf antike Vorbilder. Als bedeutender Erforscher gelten die Kunsthistoriker Wilhelm Vöge und Emile Mâle.

Schulen und Werke

Da v.a. für Nordeuropa wenige Künstler namentlich bekannt sind, bedient sich die Kunstgeschichte einer Zuschreibung zu Schulen oder einer Autorfiktion (Meister), wie auch in der Malerei. Zu den bekanntesten Werke der gotischen Skulptur zählen: Das Portale von Chartres, die Bauskulptur von Reims und Strassburg, das Werk Niccolò Pisanos, die Triumpfkreuzgruppen von Halberstadt und Wechselburg, die Skulpturen in Naumburg und Magdeburg und die Schnitzaltäre von Riemenschneider, Michel Pacher und Veit Stoß. Dieser wirkte insbesondere in Krakau und Nürnberg. Sein bekanntstes Werk ist der größte gotische Altar der Welt, der Krakauer Hochaltar, der sich in der Marienkirche in Krakau befindet.


Stile

Man unterscheidet verschiedene Stile mit Hilfe einer Faltentermiologie, die z.T. auch für die Malerei angewendet werden.

Internationler oder Weicher Stil

Als bedeutendster gilt der sog. Internationale Stil oder Weiche Stil, der sich um 1400 in Europa ausbreitet. Bekannte Beispiele sind die verlohrene Thorner Madonna, die neuere Kunstgeschichte zählt aber auch die Werke der italienischen Kunst des 15.Jahrhunderts u.a. Donatellos dazu.


Malerei

Die Gotik breitete sich in der bildenden Kunst Anfang des 13. Jahrhunderts über Europa aus. Kennzeichnend für die Epoche sind die zum Teil übergroß und majestätisch dargestellten Figuren in wenig realistischen Umgebungen. Die Perspektive ist oft verzerrt und rückt die zentralen (meist biblischen) Figuren in den Mittelpunkt. Die meisten bildlichen Darstellungen der Gotik zeigen religiöse Motive. Darstellungen von Szenen aus der Bibel machen den Hauptteil der Gemälde und Altarflügeln aus. Die gotische Malerei ist eine Bedeutungsmalerei, bei der meist nicht die naturalistische Darstellung von Personen oder Perspektive im Vordergrund steht, sondern die Anordnung, Propotionierung und Farbgebung nach religiösem Sinninhalt. Hauptfiguren werden größer und zentriert Dargestellt, unabhängig von perspektivischer Richtigkeit, Farben werden nach Bedeutungen gewählt und religiöse Symbole sind vielfach in die Szenerieen eingeflochten. Dies ist Ausdruck der religiös, aufs jenseitige gerichteten Lebenswelt der Menschen des Mittelalters. Kennzeichnend für gotische Kunst ist der sogenannte Weiche Stil. Madonnen erscheine puppenhaft und mütterlich. Vorherrschende Farben sind rot und gold, zumeist als Demonstration von besonderer Heiligkeit oder Wichtigkeit der gezeigten Personen. Bedeutendster Vertreter des "Weichen" Stils ist Stephan Lochner, den man zur sogenannten "Kölner Schule" rechnet. Als wichtigster Vertreter des gotischen Naturalismus gilt Giotto di Bondone, der die Grundlage für die italienische Malerei der Neuzeit ist. Die Spätgotik mischt gotische Elemente mit jenen der italienischen Renaissance. Als Kennzeichen für die Spätgotik wird oft der Schwere Stil genannt. Dieser zeichnet sich durch Detailrealismus und Naturbeobachtung aus. Themen werden aufgrund der neuen Weltsicht immer häufiger Panorama- und Überblickslandschaften, die mit realer Darstellung und extremer Tiefe glänzen. Vorläufer für diese Malerei waren Van der Weyden und Jan van Eyck, die die Renaissancemalerei einleiteten. In Deutschland schufen hierbei vor allem Martin Schongauer, Matthias Grünewald und Konrad Witz bedeutende Werke. Bildende Künstler des Spätmittelalters waren auch Bernt Notke und Hermen Rode. Zahlreiche Wandmalereien der Gotik bleiben jedoch anonym.


Kunsthandwerk

Vor allem viele Goldschmiedearbeiten der Gotik sind erhalten, wie z.B. das Goldene Rössl aus einer Pariser Werkstatt, das Baseler Antependium oder der Kloster Neuburger Altar.

Musik

Der Minnesänger Walther von der Vogelweide

In der Musikgeschichte ist die Kategorisierung "gotisch" nicht gebräuchlich. Vielmehr werden die verschiedenen Schulen zur Zeit der Gotik unterschieden:

Zusammenfassend entwickelte sich die Musik in dieser Zeit hin zu einer äußerst konstruierten Mehrstimmigkeit, teilweise mit verschiedenen und sogar verschiedensprachigen Texten in den einzelnen Stimmen. Im 14. Jahrhundert verlagerte sich der Schwerpunkt der Entwicklung der Mehrstimmigkeit auf die weltliche Musik, während bis dahin die geistliche Musik führend war.

In der weltlichen Musik kommt es im 13. Jh zu einer Blüte des Minnesangs (Walther von der Vogelweide, Tannhäuser, Wolfram von Eschenbach). Der soziologische Umbruch zur Zeit der Gotik vom Rittertum zum Bürgertum hat seine Parallele in der Entwicklung vom Minnesang zum Meistersang (Hans Sachs).

Rüstungen

Seit dem 19. Jahrhundert wird für einen in der Mitte des 15. Jahrhunderts in Süddeutschland aufgekommenen Rüstungstyp unter Bezug auf die Spätgotik die Bezeichnung gotischer Harnisch verwendet. Diese Plattenrüstungen waren aufgrund ihrer schlanken, aufstrebenden Formen und der Verwendung von gotischem Blattwerk äußerst charakteristisch für diese Kunstepoche. Im Gegensatz zum gotischen Baustil fanden derartige Rüstungen auch in Italien Verbreitung. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden die gotischen Harnische durch Rüstungen mit runderen, körperlicheren Formen verdrängt.

Literatur

  • Ulrich Coenen: Die spätgotischen Werkmeisterbücher in Deutschland als Beitrag zur mittelalterlichen Architekturtheorie - Untersuchung und Edition der Lehrschriften für Entwurf und Ausführung von Sakralbauten. Verlag Mainz, Aachen 1989
  • Géza Entz: Die Kunst der Gotik. Emil Vollmer Verlag, München, 1981, ISBN 3-87876-340-9
  • Kurt Gerstenberg: Deutsche Sondergotik. München 1913
  • Johann Wolfgang von Goethe: Von der Deutschen Baukunst, D.M. Ervini Steinbach. o.O. 1772
  • Hans Jantzen: Kunst der Gotik. Klassische Kathedralen Frankreichs. Chartres, Reims, Amiens, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1957
  • Dieter Kimpel, Robert Suckale: Die gotische Architektur in Frankreich. 1130 - 1270. München 1985
  • Sonja Ulrike Klug: Kathedrale des Kosmos. Die heilige Geometrie von Chartres. Bad Honnef 2. Aufl. 2005, ISBN 3-9810245-1-6
  • Emile Mâle: l'Art religieux du XIIIe siècle en France. Paris 1899
  • Emile Mâle: l'Art allemand et l'art français du Moyen Âge. Paris 1917
  • Werner Müller: Grundlagen gotischer Bautechnik. München 1990
  • Norbert Nussbaum: Deutsche Kirchenbaukunst der Gotik. (2. Auflage). Darmstadt 1994
  • Uwe A. Oster: Die großen Kathedralen. Gotische Baukunst in Europa. Darmstadt 2003, ISBN 3-89678-240-1
  • Willibald Sauerländer: Das Königsportal in Chartres. Fischer, Frankfurt a.M. 1984
  • Regina E. G. Schymiczek: Über deine Mauern, Jerusalem, habe ich Wächter bestellt... Zur Entwicklung der Wasserspeierformen am Kölner Dom. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 28, Kunstgeschichte, 402). Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford und Wien 2004 [zugl. Diss. Bochum 2003, 246 S., zahlr. Ill., 1 Faltblatt], ISBN 3-631-52060-3
  • Hans Sedlmayr: Die Entstehung der Kathedrale. Zürich 1950
  • Otto von Simson: Die gotische Kathedrale. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1968
  • Rolf Toman (Hrsg): Die Kunst der Gotik: Architektur, Skulptur, Malerei. Koenemann, Königswinter 2004. - ISBN 3-8331-1038-4
  • Ernst Ullmann: Die Welt der gotischen Kathedrale. Union Verlag, Berlin 1981, ISBN 3-85063-117-6

Siehe auch

Portal: Bildende Kunst – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Bildende Kunst
Commons: Gotik – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien