Paradoxon
Ein Paradoxon oder Paradox ([alt]griechisch παράδοξον, von παρα~, para~ - gegen~ und δόξα, dóxa - Meinung, Ansicht), auch Paradoxie (παραδοξία) genannt, ist ein spezieller Widerspruch. Man versteht darunter:
- Widersprüchlichkeit als Folge der Negation von Selbstbezüglichkeit, d. h. wenn eine auf sich selbst anwendbare Aussage negiert wird. Eine solche selbstwidersprüchliche Aussage heißt in der Logik auch Antinomie. Ein Beispiel ist das Paradoxon des Eubulides:
- Dieser Satz ist falsch. (sagt etwas über sich selbst aus, aber: ist er nun wahr oder falsch? Er ist wahr, wenn er falsch ist und falsch, wenn er wahr ist.)
- in der Rhetorik eine Stilfigur, die in scheinbaren Widersprüchen eine tiefere Wahrheit veranschaulichen will (z.B. Oxymoron).
Beispiele:- Sag niemals nie!
- Phänomene und Fragen, die der menschlichen Intuition widersprechen. Hierzu gehört beispielsweise die alte Frage nach der Endlichkeit/Unendlichkeit von Raum und Zeit. Ein unendliches Universum widerspricht dem gesunden Menschenverstand ("das muss doch mal irgendwo angefangen haben") ebenso wie ein endliches ("was war vorher?"). Auch unter den Phänomenen, die die moderne Quantenmechanik thematisiert, zeigen viele diese Art von paradoxer Natur. Davon zu unterscheiden sind
- Scheinbare Widersprüche, die sich bei genauerer Analyse auflösen. Das Paradoxe an dieser Art von Paradoxa ist, dass es eigentlich keine sind. Die Analyse scheinbarer Paradoxa, beispielsweise im Rahmen eines Gedankenexperiments, hat schon oft zu wichtigen Erkenntnissen in Wissenschaft, Philosophie und Mathematik geführt. Der Widerspruch besteht dabei oft zwischen der intuitiven und der exakten Lösung. Ein Beispiel hierfür ist das Ziegenproblem, das logisch und mathematisch exakt lösbar ist, aber der Intuition vieler Menschen, ihrem "gesunden Menschenverstand" widerspricht.
Einen unauflösbaren Widerspruch nennt man auch Aporie.
Paradoxa in der Philosophie und Logik
WARUM BLEIBT DENN DER VERDAMMTE DRUCK GLEICH???--fRê$h Dá PrÍnCé$$
- Paradoxa des Zenon von Elea wie beispielsweise das von Achilles und der Schildkröte oder das Pfeil-Paradoxon.
- ein Spezialfall ist das Paradoxon des Epimenides: Ein Kreter behauptet, "Alle Kreter lügen".
- Hempels Rabenparadox: Die Beobachtung eines gelben Autos bestätigt die Hypothese "Alle Raben sind schwarz".
- Goodmans neues Rätsel der Induktion: Zu jeder Hypothese gibt es eine Gegenhypothese, die durch dieselben Daten bestätigt wird.
- Newcombs Problem: Vor Ihnen stehen zwei Boxen. In der ersten Box sind 1000 Euro, in der zweiten Box entweder eine Million Euro oder nichts. Sie können sich entscheiden, entweder nur die zweite Box oder beide zu nehmen. Ein Wesen mit sehr hoher Vorhersehkraft, dem Sie vertrauen, hat vorhergesagt, wie Sie sich entscheiden werden. Sieht es vorher, dass Sie nur die zweite Box nehmen werden, hat es die Million Euro in die Box gelegt, im anderen Fall nicht. Nehmen Sie beide Boxen oder nur die zweite?
- Großvater-Paradoxon - (Zeitreise): Ein Zeitreisender, der in der Vergangenheit seinen Großvater umbringt, würde nicht geboren werden, und könnte daher nie seinen Großvater umgebracht haben.
- Paradoxon des Haufens (Vollständige Induktion)
- Sorites-Paradoxon (Griechische Logik)
- Barbier-Paradoxon (Paradoxon des Aristoteles): Der Barbier von Sevilla rasiert alle Männer von Sevilla, ausgenommen die, die sich selbst rasieren. Wer rasiert den Barbier von Sevilla?
- Gettiers Problem (Nach Gettier führt die Annahme, dass Wissen gerechtfertigter wahrer Glaube sei, zu einem Widerspruch.)
- Gefangenendilemma
- Allmächtigkeits-Paradoxon: Kann ein allmächtiger Gott einen Stein erschaffen, den er selbst nicht heben kann?
- Paradoxon des Sokrates: "Ich weiß, dass ich nichts weiß."
Paradoxa in der Mathematik
- Eine weitere Dimension begrenzt die Möglichkeiten und erweitert nicht die Möglichkeiten, wie es zu erwarten wäre.
- In der Ebene gibt es unendlich viele gleichseitige regelmäßige Vielecke
- Im Raum gibt es nur 5. (siehe auch bei den Platonische Körpern)
- Russellsche Antinomie: Paradoxon auf der Grundlage der naiven Mengenlehre: Die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthält.
- Banach-Tarski-Paradoxon: Verdopplung des Volumens eines Körpers durch neues Zusammensetzen.
- Hilberts Hotel: Unendlichkeit
- Paradoxon des Chevalier de Mere: Würfeln
- Skolem-Paradox: ein Ausdruck, der eine überabzählbar große Menge beschreibt, ist bereits in einer abzählbar großen Domäne erfüllbar
Paradoxa in der Spieltheorie und Statistik
- Condorcet-Paradoxon: Die Mehrheit bevorzugt die Option A gegenüber B, und B gegenüber C. Dennoch möchte die Mehrheit lieber C als A.
- Die Mehrheit ist oft besser als der Durchschnitt: Wenn beispielsweise von 100 Autofahrern 80 in einem Jahr Null Unfälle verursachen, so sind sie, und damit die Mehrheit, besser als der Mittelwert, denn der ist natürlich größer als Null. Ursache ist letztlich, dass der Mittelwert und der Median, der eine statistische Verteilung in 2 gleichgroße Hälften teilt, unterschiedlich definierte Größen sind, die lediglich in Ausnahmefällen, z.B. bei symmetrischen Verteilungen, den gleichen Zahlenwert liefern.
- Stage migration: Eine Person, die von einem Ort in einen anderen Ort zieht, erhöht in beiden Orten das Durchschnittseinkommen.
- Alabama-Paradoxon: Die Erhöhung aller Sitze im Parlament führt bei manchen Parteien zu einer Verringerung.
- Negatives Stimmgewicht: Zusätzliche Wähler einer Partei verringern deren Sitze im Parlament
- Simpson-Paradoxon: Der Spitzenreiter in allen Disziplinen ist nicht der Gesamtspitzenreiter
- Geburtstagsparadoxon: Scheinbar zu viele Leute haben am selben Tag Geburtstag.
- Giffen-Paradoxon: Je teuerer das Brot ist, desto mehr wird gekauft.
- Sankt-Petersburg-Paradoxon: Der zu erwartende Gewinn ist unendlich und doch ist man nur zu einem geringen Einsatz bereit.
- Bertrand-Paradoxon: Zwei konkurrierende Anbieter können keinen Profit machen.
- Braess-Paradoxon: Durch Kapazitätserhöhung in einem Netz kann sich die Leistungsfähigkeit verringern.
- Wartezeitparadoxon: Fährt ein Bus im Zehn-Minuten-Takt, wartet ein zufällig ankommender Fahrgast im Schnitt 5 Minuten, kommen die Busse nicht im Takt, sondern nur durchschnittlich alle zehn Minuten, wartet der Fahrgast deutlich länger.
- Umtauschparadoxon oder Briefumschlagparadox: Bei der Wahl zwischen zwei unbekannten Alternativen scheint Revidierung der Wahl im Mittel immer zum Erfolg zu führen.
- Bildungsparadox: Zunehmende Bildung aller Bevölkerungsschichten kommt den Privilegierten zu Gute.
- Ostrogorski-Paradox: Wahlergebnisse hängen entscheidend vom Wahlverfahren ab.
- Paradoxon der unerwarteten Hinrichtung: Sie werden nächste Woche überraschend hingerichtet. Wenn Sie am Samstag noch leben, ist es keine Überraschung, der Sonntag fällt also weg. Ebenso der Samstag usw.
Paradoxa in der Physik
- Bellsches Raumschiffparadoxon
- Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon: Von einem Ort werden zwei Teilchen in entgegengesetzter Richtung ausgesendet. Beide Teilchen treffen jeweils auf einen Detektor. Trotz des großen Abstandes der Detektoren kann das Messergebnis des einen Detektors die Messung des anderen beeinflussen.
- Eierkocherparadoxon: Für mehr Eier wird weniger Wasser benötigt.
- Gibbssches Paradoxon: Zunahme der Entropie auch bei der Mischung einphasiger Stoffe.
- Hydrostatisches Paradoxon: In einem mit Wasser gefülltem Gefäß, das sich nach oben hin verjüngt, kann die Druckkraft größer sein, als die Gewichtskraft des gesamten Wassers.
- Hydrodynamisches Paradoxon: Nähert man unter Wasser einen Schlauch senkrecht an die Gefäßwand, so stößt das ausströmende Wasser den Schlauch nicht ab, er wird zur Wand gezogen. Allgemein: Gegenstände, die an Strömungszonen von Gasen bzw. Flüssigkeiten angrenzen, werden in sie hineingezogen.
- Maßstabparadoxon
- Pfeil-Paradoxon nach Zenon von Elea
- Schrödingers Katze: Eine gefangene Katze, die gleichzeitig lebt und auch tot ist.
- Spiegelparadoxon: Im Spiegelbild ist links und rechts vertauscht, aber nicht oben und unten.
- Zwillingsparadoxon: Fliegt ein Zwilling mit einem schnellen Raumschiff zu fernen Sternen, so sieht der zurückbleibende Bruder, dass Uhren auf dem Raumschiff langsamer gehen. Der fliegende Bruder sieht dagegen die Uhren auf der Erde langsamer gehen. Kehrt der fliegende Bruder zur Erde zurück, erweist er sich als der weniger gealterte.
Paradoxa in der Astronomie
- Olberssches Paradoxon: In einem ewigen, unendlichen, unveränderlichen und gleichmäßig mit Sternen gefüllten Universum ist der Himmel so hell wie die Oberfläche der Sonne.
- Fermi-Paradoxon: Möglichkeit auf außerirdische Lebensformen zu treffen.
Paradoxa in der Medizin und Biologie
- Paradoxon des Plankton: Beim Zusammenleben verschiedener Arten muss eine ökologische Divergenz (ökologische Nische) existieren. Diese ist beim Phytoplankton offensichtlich weitestgehend nicht vorhanden.
- Graysches Paradoxon: Die Strömungseigenschaften eines schnellen Wales sind besser, als die durch die reine Körperform der Tiere möglich ist. Verbesserungen treten durch verschiedene Optimierungen der Hautstruktur auf.
- Levinthal-Paradox: Problem aus der Molekularbiologie, wie eine Aminosäurekette in kurzer Zeit ihren korrekt gefalteten Zustand als Protein findet.
Sprachlich-rhetorische Paradoxa
In der Umgangssprache werden oft Paradoxa als rhetorische Stilfiguren verwendet.
- Stärker als der Stärkste.
- Dümmer als der Dümmste.
- Das ist so wahr, dass es nur falsch sein kann.
- Wer sein Leben gewinnen will, der wird es verlieren.
- Das Leben ist der Tod, und der Tod ist das Leben.
- Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei und würd er in Ketten geboren!
- Je mehr es sich verändert, desto mehr bleibt es das gleiche
- Im Rückschritt liegt der Fortschritt
- Nichts ist absolut!
- Wenn jemand den Sinn des Lebens erklärte, hätte das Leben seinen Sinn verloren!
- Die Ewigkeit ist lange, besonders gegen Ende hin!
Ideologische Paradoxien
Gesellschaftliche Ideologien enthalten in der Praxis oft paradoxe Elemente, vor allem wenn sie mit absolut gesetzten Werten wie Freiheit oder Gleichheit operieren. Beispiele: So werden, um eine "freiheitliche" Ordnung aufrecht zu erhalten, Maßnahmen eingesetzt, die die Freiheit einschränken (z. B. McCarthy-Ära in den USA oder auch die aktuellen Debatten um die Einschränkung von Bürgerrechten im Anti-Terror-Kampf). Umgekehrt wurden in kommunistischen Ideologien, um das Ideal der "Gleichheit" zu erhalten, Systeme etabliert, in denen einige deutlich „gleicher“ waren als andere. Praktisch alle politischen Ideologien, in denen "der Zweck die Mittel heiligt" beinhalten diese Paradoxie: In der Durchsetzung bestimmter Werte für die Zukunft werden die gleichen Werte in der Gegenwart geopfert.
Wie bei vielen Paradoxien entsteht der Widerspruch auch hier durch die Anwendung eines Prinzips (Freiheit, Gleichheit) auf sich selbst bzw. auf die Bedingungen, die dieses Prinzip ermöglichen sollen.
Psychologische Paradoxien
Zu den psychologischen Paradoxien gehören Fälle, in denen Menschen sich genau entgegen der "Logik" verhalten. Dazu gehört die sogenannte "Sei-spontan-Paradoxie", wie es häufig in Beziehungen zum Ausdruck kommt: Die Erwartung, dass mein Gegenüber seine Entscheidungen gefälligst frei und selbständig treffen soll – und genau damit seine Unselbständigkeit unter Beweis stellen würde. Der Wunsch „Sag mir doch öfter mal spontan, dass Du mich liebst!“ ist, sobald ausgesprochen, nicht mehr erfüllbar. („Ich liebe Dich“ – „Das sagst Du jetzt nur wegen meiner Bitte neulich!“).
In den sogenannten paradoxen Interventionen werden psychologische Paradoxien wiederum gezielt eingesetzt, insbesondere dann, wenn das Gegenüber (ein Kind zum Beispiel) ein trotziges Verhalten zeigt und auf Aufforderungen bewusst mit dem Gegenteil reagiert. Entsprechend wird in der paradoxen Intervention eine Erwartung geäußert, deren Gegenteil eigentlich erreicht werden soll.
Ein weiteres Beispiel für psychologische Paradoxien sind die von Gregory Bateson beschriebenen sogenannten Double-Bind Kommunikationsstrukturen - in denen ein Widerspruch besteht zwischen dem was "gesagt" und dem, was tatsächlich "vermittelt" wird, also z. B. dem Widerspruch zwischen einer verbalen Äußerung und dem paraverbalen Ausdruck.
Auch das ästhetische Paradox der Hässlichkeit lässt sich den psychologischen Paradoxa zuordnen: Das Phänomen, dass z. B. auch ein Bild mit einem "hässlichen" Motiv auf einer höheren Ebene als schön empfunden werden kann.
Literatur
- Raymond M. Smullyan: Das Buch ohne Titel - Eine Sammlung von Paradoxa und Lebensrätseln. Vieweg, Wiesbaden, 1983, ISBN 3528084855.
- Roland Hagenbüchle, Paul Geyer (Hrsg.): Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2002, ISBN 3-8260-2345-5
- R.M. Sainsbury: Paradoxien. Reclam, Stuttgart, 1993, ISBN 3-15-018135-6