Zum Inhalt springen

Homosexualität im Neuen Testament

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 5. Juli 2004 um 01:16 Uhr durch Lysis (Diskussion | Beiträge) (Matthäus: Ein Satz gekürzt). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Wenn man über Homosexualität im Neuen Testament spricht, ist zuerst der Begriff Homosexualität kritisch zu betrachten. (Zum Begriff "Neues Testament" siehe dort.)

Denn der heutige Begriff der Homosexualität und das damit verbundene Konzept von Homosexuellen als einer besonderen Gruppe von Menschen existierten zur Zeit der Abfassung der Bibel nicht. Sie entstanden erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Dennoch werden aus dieser Schrift traditioneller Weise Positionen zur "Homosexualität" abgeleitet. Im Rahmen einer kontextuellen Auslegung des Neuen Testaments werden diese Schlüsse jedoch zunehmend in Frage gestellt.

Paulus

An Paulus' Ablehnung der fleischlichen Begierde zwischen Männern, ja sogar der zwischen Frauen besteht kein Zweifel. In Übernahme eines Begriffs aus Platons Nomoi bezeichnet Paulus den gleichgeschlechtlichen Verkehr als "widernatürlich" [gr. para physin, wörtl. über die Natur hinaus]:

"Darum lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung." (Röm 1,26-27).

Ebenso heißt es im ersten Korinther-Brief (und ähnlich in seinem ersten Brief an Timotheus – 1 Tim 1, 9-10):

"Wißt ihr denn nicht, daß Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben." (1 Kor 6,9).

Die Begriffe, die Paulus im griechischen Original benutzt, sind arsenokoitai und malakoi. Bei ersterem handelt es sich um ein Kunstwort, das im damaligen Sprachgebrauch nicht existierte. Es bedeutet wörtlich ungefähr "Mannbeischläfer". Malakos dagegen bedeutet eigentlich nur "weich", wird aber im Altgriechischen häufig gebraucht, um einen jungen Mann zu bezeichnen, der an passivem Analverkehr Gefallen findet.

Dies sind die einzigen Belegstellen des Neuen Testaments, die sich gegen den gleichgeschlechtlichen Verkehr aussprechen. Von manchen werden dagegen eine Reihe von Versen aus den vier Evangelien angeführt, um diese Haltung als eine Folge von Paulus' radikaler Leibfeindschaft darzustellen.

Matthäus

In der Bergpredigt von Jesus ist folgende, scheinbar unauffällige Stelle zu lesen:

"Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemand tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinen Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du (gottloser) Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein." (Mt 5,21-22).

Nach einer neueren These könnte es sich jedoch um eine Fehlübersetzung handeln. Wo "Dummkopf" übersetzt wurde, steht im Original "raca". Die katholische Einheitsübersetzung führt diesen Begriff auf das aramäische Wort reyqa zurück, das "hohl" (bzw. "Hohlkopf") bedeutet. Aus phonetischen Gründen liegt jedoch das Wort rakha näher. Es ist das hebräische Äquivalent zu malakos (weich, effeminiert) und kann auch in einem sexuellen Kontext gebraucht werden.

Wo die katholische Einheitsausgabe hingegen "Narr" übersetzt, steht im Original "moros". Moros kann sicher vieles bedeuten, u.a. auch "dumm" (vgl. Oxymoron). Manche weisen jedoch darauf hin, dass es sich ebenso auf einen (homo)sexuellen Aggressor beziehen kann. Diese Bedeutung läge nicht nur deshalb nahe, weil sie die heftige Reaktion von Jesus auf dieses Schimpfwort besser erklären würde, sondern auch weil moros mit rakha zusammen so auf einmal ein logisches Wortpaar ergibt, welches ähnlich wie das von Paulus die aktive und passive Rolle während des homosexuellen Beischlafs bezeichnet hätte.

Diese Stelle wird daher von wenigen sehr progressiven Exegeten als eine Verurteilung von Homophobie bzw. antihomosexueller Denunziation gelesen.

Zu dieser äußerst umstrittenen Auslegung würde auch passen, dass Jesus den "Knaben" [gr. pais] eines römischen Hauptmanns heilte, der gelähmt und mit großen Schmerzen zu Hause lag: "Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird mein Knabe gesund." (Matt 8,8). Die katholische Einheitsübersetzung gibt pais mit "Diener" wieder, obwohl das Wort wie auch die ganze Geschichte auf eine sehr emotionale Beziehung zwischen den beiden hinweist. Einige stellen sie daher in den für die damalige Zeit nicht völlig fern liegenden Kontext der Päderastie, deren Name sich ebenfalls von pais ableitet. Falls diese Interpretation zuträfe, hätte Christus keinen Anstoß an der so genannten Knabenliebe genommen. Denn er zitiert den Hauptmann, den er für seine Glaubensfestigkeit lobt, sogar als Beispiel dafür, dass dereinst auch viele Nichtjuden "mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen" würden (Mat 8,11).

Johannes

Datei:Coll 02.jpg
Christus und St. Johannes (frühes 14. Jh.)

Eine weitere Stelle in der Bibel diente bereits in der frühen Neuzeit immer wieder als Rechtfertigung für die gleichgeschlechtliche Liebe. Im Johannes-Evangelium heißt es:

"Nach diesen Worten war Jesus im Innersten erschüttert und bekräftigte: Amen, amen, das sage ich euch: Einer von euch wird mich verraten. Die Jünger blickten sich ratlos an, weil sie nicht wußten, wen er meinte. Einer von den Jüngern lag an der Seite Jesu; es war der, den Jesus liebte. Simon Petrus nickte ihm zu, er solle fragen, von wem Jesus spreche. Da lehnte sich dieser zurück an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist es?" (Joh 13,21-25)

Der Name dieses Jüngers ist uns nicht bekannt. Er wird im Johannes-Evangelium immer nur "der Jünger, den Jesus liebte" genannt. Im Mittelalter identifizierte man diesen Jünger als den Apostel Johannes, den man traditionell auch mit dem Evangelisten Johannes gleichsetzte. Ebenso ging man (eine mittelalterliche Institution auf die Bibel projizierend) davon aus, dass Jesus und Johannes "geschworene Brüder" waren.

Dies nutzte zum Beispiel König Jakob I. im Jahr 1617 für seine Verteidigungsrede gegen das englische Parlament, das seine Beziehung zum Earl of Buckingham aus politischen Gründen zu problematisieren versuchte. Jakob antwortete auf diese Vorwürfe:

"Ihr könnt sicher sein, dass ich den Earl of Buckhingham mehr als jeden anderen liebe und mehr als euch, die ihr hier versammelt seid. Ich wünsche für mich selbst zu sprechen und nicht, dass dies für einen Mangel gehalten wird, denn Jesus Christus hat dasselbe getan und daher kann ich nicht beschuldigt werden. Christus hatte seinen Sohn Johannes, und ich habe meinen George."

Der methodistische Theologe Theodore Jennings hat ein Buch verfasst, in dem er unter Verweis auf weitere Stellen aus den Evangelien behauptet, dass der Mann, den Jesus liebte, der "schwule Freund" von Jesus gewesen sei. Diese Aussage ist jedoch als anachronistisch zu bezeichnen, da es das Konzept der Homosexualität als einer Identität, die eine sexuelle Abweichung markiert, zu Jesus' Zeiten nicht gab.


Siehe auch: Homosexualität und Religion, Wahlbruderschaft, Sodomiterverfolgung

Literaturverweise

  • John Boswell: Christianity, Social Tolerance, and Homosexuality. 1981. ISBN 0226067114.
  • Daniel A. Helminiak: What the Bible Really Says About Homosexuality. 2000. ISBN 188636009X.
  • Theodore W. Jennings: The Man Jesus Loved: Homoerotic Narratives from the New Testament. 2003. ISBN 082981535X.
  • Holger Tiedemann: Die Erfahrung des Fleisches: Paulus und die Last der Lust. 1998. ISBN 3-87173-162-5.