Wingolfsbund
Der Wingolfsbund ist ein Dachverband christlicher, Farben tragender, nicht schlagender (die Mensur ablehnender) Studentenverbindungen. Zugleich ist er der älteste Korporationsverband überhaupt (Gründung 1844) und gilt als eine der ersten interkonfessionellen, ökumenischen Gemeinschaften. Zum Wingolfsbund gehören derzeit 36 Verbindungen an 34 Universitäten in Deutschland, Österreich und Estland (Stand: Mai 2005). Der Wingolfsbund hat ca. 5000 Mitglieder.

Der Wingolf pflegt freundschaftliche Kontakte zum Falkensteinerbund in der Schweiz.
Wahlspruch
Wahlspruch des Wingolfsbundes ist "Δι ένoς πάντα" - "Di henos panta" (griech.: Durch einen (Jesus Christus) alles (Philipper 4.13)). Grundsätze des Wingolfs sind christliches Bekenntnis, Lebensbundprinzip und korporative Form. Der Wingolf verwirft seit seiner Gründung aufgrund des christlichen Prinzips Duell und Mensur; er ist damit der historisch erste Korporationsverband, der das Duell ablehnt. Der Wingolf versagt sich aufgrund des aus Verbandssicht höheren christlichen Prinzips eine politische Positionierung.
Wappen und Farben
Auf dem Wappen des Bundes ist auf schwarz-weiß schräg geteiltem Grund ein goldenes Jerusalemkreuz (Hochkreuz) zu sehen. Die Wingolfsverbindungen führen in ihren Wappen die ursprüngliche Form des Jerusalemkreuzes, woraus sich die heraldische Sonderform des weiß-gold (Metall an Metall) ableitet.
Die Farben des Wingolfs sind schwarz-weiß-gold. Diese werden von den meisten Wingolfsverbindungen getragen (mit Ausnahmen aus historischen oder lokalen Gründen).
Wartburgfest
Alle Wingolfsverbindungen treffen sich seit 1850 alle zwei Jahre zum "Wartburgfest des Wingolfs" in Eisenach auf der Wartburg, wo Martin Luther die Bibel übersetzte und die Heilige Elisabeth von Thüringen lebte. Das Wartburgfest wird von der präsidierenden Verbindung (dem sog. Vorort) ausgerichtet. Derzeitiger Vorort des Wingolfsbundes ist der Gießener Wingolf (2005-2007).
Geschichte des Wingolfsbundes
Das Wort Wingolf entstammt dem altnordischen Wort Vingolfr, das in der germanischen Mythologie einen Raum (oder Platz) neben Walhall - die Freundeshalle – bezeichnet.
Friedrich Gottlieb Klopstock griff dieses Wort auf. 1767 schrieb er seine Ode "An des Dichters Freunde" aus dem Jahre 1747 um in eine Liedfolge in germanischem Gewand unter dem Namen Wingolf. Er entlieh das Wort im Zuge der aufkommenden Begeisterung für die angeblich wiederentdeckten Dichtungen des keltischen Barden Osiann der Mythologie im Sinne eines Freundschaftsbundes.
Christliche Studentenkreise in verschiedenen Universitätsstädten griffen um 1840 das Wort auf und nannten sich Wingolf. Die erste Wingolfsverbindung entstand 1841 in Bonn. Der Wingolfsbund als Dachverband wurde 1844 gegründet. Gründungsmitglieder waren die Wingolfsverbindungen aus Bonn, Erlangen (der heutige Erlanger Wingolf), Halle (Saale), und Berlin.
Die einzelnen Wingolfsverbindungen gründeten im 19. Jahrhundert Theologiestudenten an Universitätsstädten mit evangelischen Fakuläten. Der Wingolf war entsprechend dem evangelisch-lutherischen Kirchenverständnis und der Sichtweise des sog. "neuerwachten Glaubenslebens" (Pietismus des 19. Jhd.) von Anfang an überkonfessionell. Katholische Studenten traten jedoch im 19. Jahrhundert häufig katholischen Studentenverbänden bei.
Mit Hilfe örtlicher Pfarrer, die Mitglieder des Wingolfs waren, entstanden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Wingolfsverbindungen auch an Technischen Hochschulen (nachdem man lange um die Gleichwertigkeit des Hochschulzugangs gestritten hatte, das sog. Maturitätsprinzip).
An der Universität Freiburg im Breisgau (die eine katholische theologische Fakultät, aber keine evangelische besitzt) gelang die Gründung einer Wingolfsverbindung 1911, in Würzburg 1932; in Wien 1928.
Während der Zeit des Nationalsozialismus lösten sich eine Reihe von Wingolfsverbindungen wie auch der Wingolfsbund selbst auf (Vertagung), bevor alle noch bestehenden Studentenverbindungen verboten wurden . Der NS - Staat ordnete die (Zwangs-)Eingliederung aller Studenten in NS-Kameradschaften an.
Ab 1947 entstanden an 31 Hochschulorten der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlins sowie Österreichs 32 Wingolfsverbindungen neu. In der DDR war der Wingolf aufgrund seiner christlichen Prägung, in Polen und der UdSSR aufgrund seiner deutschsprachigen Tradition vor dem Hintergrund der Erfahrungen des zweiten Weltkrieges verboten. Im Juni 1949 nahm der Wingolfsbund in Eltville die Tradition der Wartburgfeste wieder auf, das bis zur Wiedervereinigung alle zwei Jahre an einem anderen Ort in der Bundesrepublik Deutschland stattfand. Nach einer Neuorientierung in den 70er Jahren wuchs der Wingolf in den 80er Jahren wieder.
Nach der Wende in der DDR finden seit 1991 die Wartburgfeste wieder in Eisenach statt. Es kam zu Wiedergründungen der seit 1935 aufgelösten Verbindungen in Jena (1990), Leipzig (2001), Halle an der Saale und Rostock sowie des Wingolf Arminia Dorpatensis in Estland an der Universität Dorpat (1994, bereits 1883 vertagt). In Erfurt kam es zu einer Neugründung, in den alten Bundesländern entstand der Bremer Wingolf.
Der WB ist Gründungsmitglied im Convent Deutscher Korporationsverbände und im Convent Deutscher Akademikerverbände.
Bedeutende Wingolfiten
- Ernst Moritz Arndt (1769-1860), Namensgeber der Universität Greifswald, Schriftsteller, Publizist und Professor
- Friedrich August Gottreu Tholuck (1799-1877), evangelischer Theologe, orientalische Philologie
- Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888), Begründer der genossenschaftlichen Bewegung, Sozialreformer
- Konrad Duden (1829-1911), Philologe (Mitglied der Bonner Germania 1846)
- Gustav Adolf Pompe (1831-1889), Dichter, Pastor und Verfasser des Pommernliedes
- Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910), Pfarrer, bedeutender Vertreter der Diakonie (Bethel)
- Jacob Volhard (1834-1910), Chemiker, bedeutender Schüler und Biograph Justus von Liebigs
- Ferdinand Kattenbusch (1851-1935), evangelischer Theologe, Systematiker, Begründer der Konfessionskunde
- Traugott Hahn (1875-1919), Theologe, Rektor der Universität Dorpat, Märtyrer für den Glauben und die Freiheit Estlands
- Manfred Kyber (1880-1933), Schriftsteller, Anthroposoph
- Friedrich Zucker (1881-1973), erster Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena nach der Befreiung 1945-1948
- Paul Tillich (1886-1965), evangelischer Theologe und Dogmatiker, Träger des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1962
- Paul Schneider (1897-1939), Pfarrer und Märtyrer ("Prediger von Buchenwald")
- Christhard Mahrenholz (1900-1980), Musikwissenschaftler, Mitbegründer der Orgelbewegung und der liturgischen Erneuerung
- Walter Künneth (1901-1997), evangelischer Theologe und Dogmatiker, Mitglied der Bekennenden Kirche, Gegner Bultmanns
- Wilhelm Hahn (1909-1996), Jurist, Kultusminister des Landes Baden-Württemberg
- Jürgen Udolph(geb. 1943), Sprachforscher, einziger Lehrstuhlinhaber für Onomastik
- Johannes Kahrs (geb. 1963), Bundestagsabgeordneter, SPD, Sprecher des Seeheimer Kreises
- Werner Besch, Rektor der Universität Bonn
- Helmut Müller, Jurist, Präsident des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen
- Martin Kohlhaussen, Betriebswirt, Aufsichtsratsvorsitzender und früherer Vorstandsvorsitzender der Commerzbank
- Wolfgang Kahrs, Jurist, Senator der Hansestadt Bremen a. D.
Zitate
„Jeder Stolz kommt vom Teufel, auch der Nationalstolz“ (Friedrich von Bodelschwingh, Wingolfit)
Literatur
Gesamtdarstellungen
- Hans Waitz: Geschichte des Wingolfbundes aus den Quellen mitgeteilt und dargestellt. Darmstadt 1896, 2. Aufl. 1904, 3. Aufl. 1926 (Verlag Joh. Waitz)
- Hans Waitz (ed.): Geschichte der Wingolfsverbindungen Darmstadt (Verlag Joh. Waitz) 1913
- Menze, Hugo und Tiebel, Hans-Martin: Geschichte des Wingolfs 1917–1970, Lahr 1971
- Geschichte des Wingolfs 1830-1994. 5. Auflage. Verband Alter Wingolfiten, Gladbeck 1998
Historische Einzelpublikationen
- Köhler H. O. (Pseudonym): Schild und Schwert des Wingolf, gegen die pia desideria von Leiner etc., Göttingen 1852
- Anonymus: Aus dem Wingolf, Halle 1853 (bei Plötz)
- Anonymus: Aus dem Wingolf — Eine Blüthenlese, Marburg 1860, 2. Aufl. Erlangen 1866, 3. Aufl. Halle/Erlangen 1875
- Anonymus (möglicherweise Johannes Waitz Ba58 GiEph84): Entstehung, Berechtigung und Ziele des Wingolfs — Ein Wort zur Abwehr und Beherzigung, Darmstadt 1867
- Mühlmann, Felix: Der Wingolf und seine Stellung in der deutschen Studentenschaft, Halle 1870
- Hahn, Traugott: Gedenkblätter. Gesammelt aus den Schriften des theologischen Abends und der Arminia, Leipzig 1873
- Anonymus: Das Leben und Treiben der Wingolfiten — Beiträge zur Charakteristik der christlichen Verbindungen auf deutschen Universitäten, Hagen i. W. 1889
- Aus dem Wingolf - Zweiter Teil. Blütenlese, enthaltend Gedichte Reden und Aufsätze(ed. W. Sarges), Halle 1891, 2. Aufl. Mühlhausen/Thü. 1901
- Theologus: Zum militärischen Waffendienst der evangelischen Theologen, Gütersloh 1905
- Pinkerneil, F.A.; Müsebeck, E.; Winkler A.: Der Wingolf und das neue Deutschland — Vorträge auf dem Berliner Wingolfstag am 31. Januar 1919, Mühlhausen / Th. 1919
- Fischdick, Wilhelm: Der Wingolf und seine Stellung in der deutschen Studentenschaft, Schriften aus dem Wingolf, Heft 1, Mühlhausen/Th. 1922
- Knodt, Hermann: Wappen- und Farbengeschichte des Wingolfs, Schriften aus dem Wingolf, Heft 2, Mühlhausen/Th. 1924
- Ritter, Karl Bernhard.: Reich Gottes und Staatsgedanke, Schriften aus dem Wingolf, Heft 3, Mühlhausen/Th. 1926
- Müsebeck, Ernst: Der Wingolf in der geistesgeschichtlichen Entwicklung des deutschen Volkes, Schriften aus dem Wingolf, Heft 4, Wolfratshausen/München 1932
- Rodenhauser, Robert (ed.): Ehre und Genugtuung — Aufsätze und Zeugnisse, Schriften aus dem Wingolf, Heft 5, Wolfratshausen/München 1934
- Zocher, Ingo: Der Wingolfsbund im Spannungsfeld von Theologie und Politik 1918-1935. GDS-Archiv für Hochschul- und Studentengeschichte, Beiheft Nr. 6 (1996)
Periodika
Wingolfsblätter – Zeitschrift des Wingolfsbundes. Begründet 1872 von F. Mühlmann, herausgegeben vom Verband Alter Wingolfiten (VAW) e.V.. (Von 1936-38 in Wingolfs-Nachrichten umbenannt)
Artikel
- Imgart, Otto: Der Wingolfsbund in Vergangenheit und Gegenwart, in: Das Akademische Deutschland, Bd. 2: Die deutschen Hochschulen und ihre akademischen Bürger, Berlin 1931
- Mahrenholz, Hans Christhard: Einführung des Arierprinzips im Wingolf nach 1933, in: Einst und Jetzt, Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung, Bd. 27 (1982) S.127-134