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Fußballländerspiel Färöer – Österreich 1990

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Das Fußballländerspiel Färöer gegen Österreich 1990 fand am 12. September im schwedischen Landskrona statt.

Das überraschende 1:0 der färöischen Elf gegen die österreichische Fußballnationalmannschaft ging als Fußballmärchen in die Sportgeschichte ein. In der Geschichte der Färöer zählt es zu den modernen Mythen der kleinen Inselnation. Landskrona (1990) reicht oft als Stichwort, bei Føroyar-Eysturríki weiß dort jedes Kind Bescheid. Der Torschütze Torkil Nielsen und der Torwart Jens Martin Knudsen waren die herausragenden Personen des Spiels.

Der ÖFB hingegen verpatzte in der Folge erneut eine EM-Qualifikationsrunde und erlebte an jenem Tage eine seiner größten Niederlagen des Jahrhunderts. Bundestrainer Josef Hickersberger musste am nächsten Tag seinen Hut nehmen und wurde erst 15 Jahre später als Nationalcoach rehabilitiert.

Vorgeschichte

Die Färöer waren erst seit 1988 Mitglied der FIFA und seit 1990 der UEFA. Den Angaben des damaligen Präsidenten des Fußballverbandes der Färöer (FSF), Torleif Sigurðsson zufolge waren die Vereine zunächst gegen eine Teilnahme. Für sie sprachen sowohl finanzielle als auch sportliche Gründe dagegen. Man fragte Experten im Ausland, und diese betonten, dass eine Teilnahme wichtig sei, zumal in der damaligen politischen Situation vorhersehbar war, dass diverse neue osteuropäische Nationalmannschaften entstehen werden, und dass eine Teilnahme der Färöer für diese ein Präzidenzfall wäre, in die UEFA und FIFA aufgenommen zu werden. Hinzu kam das große Interesse der Spieler in der färöischen Nationalmannschaft. Die finanziellen Fragen wurden durch Sponsoren gelöst, und in Zeiten der großen Wirtschaftskrise auf den Färöern war man stolz, die öffentliche Hand mit keiner einzigen Öre belastet zu haben. Auch Nationaltrainer Páll Guðlaugsson sagte: „Wenn wir die Chance jetzt nicht ergriffen hätten, ja, dann wäre sie vielleicht nie wieder gekommen“, und: „Wenn der Mann auf der Straße abstimmen dürfte, würden wir wohl kaum jemals irgendwas erreichen“.

Das Spiel gegen Österreich sollte ihr erstes Fußballländerspiel werden, das kein reines Freundschaftsspiel mehr war. Es ging um die Qualifikation zur Fußball-Europameisterschaft 1992 in Schweden. Aus österreichischer Sicht schien der Spielausgang klar. Toni Polster (damals Topspieler beim FC Sevilla) sprach vor dem Spiel sogar von einem 10:0-Sieg, und auch die Färinger rechneten mit einer vernichtenden Niederlage. Ein 0:5 wäre nach Auffassung von Jens Martin Knudsen schon „blendendes Ergebnis“ gewesen. Weiterer Angstgegner der Färinger: Gerhard Rodax von Atletico Madrid.

Alle färöischen Spieler waren Amateure, während die österreichischen Profis im selben Jahr bereits in der Endrunde der WM in Italien standen.

Normalerweise wäre es ein Heimspiel für die Färöer gewesen, aber damals verfügten sie nur über Kunstrasenplätze und mussten daher auf neutralen Boden ausweichen. Eigentlich war geplant, diese Spiele in die dänische Hauptstadt Kopenhagen zu legen, aber da die Auslosung zur EM-Qualifikation ergab, dass die Färöer zusammen mit Dänemark in der selben Gruppe spielen mussten, wich man nach Schweden aus.

Das Angebot des Bezirksamtes Hamburg-Altona (auf Initiative der "Altonaer Freiheit"), die Heimspiele angesichts der gemeinsamen dänischen Geschichte im Volksparkstadion oder auf der Adolf-Jäger-Kampfbahn auszutragen, lehnte der FSF-Präsident Thorleif Sigurðsson ab.

Die Färöer und Österreich spielten zur EM-Qualifikation in einer Gruppe mit Jugoslawien, Dänemark und Nordirland.

Aufstellungen

Das Spiel: Sendepannen und Sensationen

Landskrona war als Gastgeber gut vorbereitet. Die Färinger waren im Öranäs Slott untergebracht, einem Prachtbau von 1904. Vor dem Rathaus wehte die Flagge der Färöer neben der von Schweden, und überall in der Stadt hingen Plakate für das Spiel.

Im Idrottsparken Stadium (max. 12-14.000 Zuschauer) waren an jenem Mittwoch 1.265 Zuschauer, die meisten Färinger, darunter viele mit Wohnsitz in Dänemark. Etwa 100 Journalisten waren anwesend. Das Spiel wurde im ORF live übertragen, und Eurosport hatte die Senderechte für eine spätere Ausstrahlung. Noch nie zuvor hatten die Färinger eine derartige internationale Aufmerksamkeit.

Als das Spiel um 19.00 Uhr vom norwegischen Schiedsrichter Egil Nervik angepfiffen wurde, war kurz vorher die Übertragungsleitung des färöischen Radios (Útvarp Føroya) zusammengebrochen. Die beiden färöischen Fußballreporter Jógvan Arge und sein Bruder Magni Arge behalfen sich mit einem Telefon, das sie im Stadion auftreiben konnten. Magni gelang es, den Heimatsender anzurufen und so berichtete das beliebte Duo auf diese Weise von der ersten Halbzeit.

Vor dem Anpfiff sagte FSF-Präsident Torleif Sigurðsson die überlieferten Worte: "Nú vendist so ikki við" - "Nun gibt es kein Zurück mehr". Nachdem sich die erste Aufregung bei den färöischen Spielern gelegt hatte, merkten sie, dass die Österreicher entgegen allen Erwartungen kein Tor schossen. Nun ging man zum Offensivspiel über und hatte einige gute Pässe nach vorne. Dadurch schafften sie den Österreichern mehr Platz. Buchautor Finnur Helmsdal schreibt:

Aber diese [österreichischen] Versuche endeten alle entweder an den Köpfen unserer Abwehr oder in den Handschuhen von Jens Martin. In der 30. Minute hatten die Österreicher die erste und vielleicht einzige wirkliche Torchance der ersten Halbzeit. Das war, als Russ, FCS Tirol, aus sehr kurzer Entfernung den Ball auf das Tor schoss. Jens Martin rettete mit einem Satz im besten Jumping-Jack-Stil.

Das Selbstbewusstsein und die Disziplin der färöischen Mannschaft war Helmsdal zufolge voll erwacht, und sie stellten den Österreichern die eine oder andere Abseitsfalle.

Es war bereits eine Sensation, dass es zur Pause 0:0 stand. Die Ehre der Färinger war in jedem Fall gerettet, und man hoffte, diesen Zustand noch möglichst lange in der zweiten Hälfte beizubehalten. Während in der zweiten Halbzeit die Übertragungsleitung zu den Färöern endlich wieder stand, übernahmen die Färinger immer mehr die Initiative. Österreich konnte mal wieder einen Eckball nicht verwandeln, und nun waren die Färöer häufiger im Ballbesitz. Für ein Foul an Torkil Nielsen sah Michael Streiter eine Gelbe Karte. Danach waren die Österreicher für einen Moment wieder in der Übermacht, Russ konnte aber nur einen Pfostenschuss auf Knudsens Tor erzielen.

Dann passierte in der 62. Minute der entscheidende Treffer durch Torkil Nielsen. Er konnte drei Abwehrspieler austricksen und den Ball aus etwa 16 Metern Entfernung mit dem linken Fuß hart und flach mitten in Michael Konsels Tor versenken. Die Österreicher versuchten nun verstärkten Druck auf den unterschätzten Gegner aufzubauen, um wenigstens noch einen Punkt, den Ausgleich, zu erzielen. Auch eine doppelte Auswechslung wurde auf österreichischer Seite vorgenommen. Aber Jens Martin Knudsen stand mit seiner weißen Pudelmütze unbeirrt im Tor und die färöische Abwehr hielt bis zum Schlusspfiff stand. Er erinnert sich:

Unsere Anhänger machten sich einen Spaß daraus, die letzten Sekunden jeder Viertelstunde herunter zu zählen, die wir ohne Gegentor überstanden. Je öfter das notwendig wurde, desto mehr stimmten ein. Der Countdown zur 60. Minute war gerade verklungen, da machte Torkil Nielsen das 1:0. Ich war völlig fassungslos. Ich erinnere mich noch, dass wir wie wild durcheinander liefen. Mit erhobenen Armen. Dann landeten wir in einem riesigen Geknäuel von Leibern.

Finnur Helmsdal über Knudsen:

Jens Martin spielte, als wenn er die letzten 20 Jahre nichts anderes gemacht hätte. Er war nicht nur wie ein Berg an diesem Abend. Er war wie ein Eisberg.

Jógvan Arge erinnert sich an den Abend nach seiner Reportage:

Wir sahen noch gar nicht, wie groß die Sensation war. Aber als wir zurück ins Hotel Örenäs Slott bei Landskrona kamen, und dort auf Eurosport hörten, dass unsere Mannschaft als Das Märchenteam bezeichnet wurde, ging es nur so weiter. Der berühmte dänische Sportjournalist Per Højer Hansen bezeichnete gleich nach dem Spiel das Ergebnis als die größte Sensation seit der Fußballweltmeisterschaft 1950, als die USA England mit 1:0 besiegten - aber das konnten wir in der Verwirrung unmittelbar danach alles noch nicht richtig fassen.

Reaktionen auf den Färöern

Auf den Färöern befand man sich im Siegesrausch. Der Hauptsponsor Shell ließ seinen gesamten färöischen Fuhrpark Korso fahren, wie auch alle anderen Färinger ihre Fahrzeuge hupend in Bewegung setzten. Am nächsten Tag war überall geflaggt. Die Siegermannschaft wurde bei ihrer Ankunft aus Landskrona von etwa 20.000 Menschen begrüßt, etwa der Hälfte der Bevölkerung. Der Mannschaft wurde nach Angaben von Jens Martin Knudsen erst dann bewusst, was eigentlich passiert war.

Färinger die damals Kinder waren, berichten, dass die Telefonleitungen derart überlastet waren, dass man die Gespräche anderer Leute verfolgen konnte. In den Schulen wurde nicht mehr unterrichtet, sondern Lehrer und Schüler erzählten sich immer wieder von dem Spiel. Eine damals 5-jährige Färingerin erzählt, dass sie ab diesem Tag angefangen hat, selber Fußball zu spielen, und immer wenn ihr Vater zum Holzhandel von Torkil Nielsen fuhr, wollte sie dabei sein, nur um Torkil zu sehen.

Die Spieler, insbesondere Knudsen und Nielsen, gelten seitdem als Nationalhelden. Knudsen beschreibt, wie er sich monatelang nicht auf der Straße bewegen konnte, ohne dass ihm die Menschen auf die Schulter geklopft haben. Plötzlich kamen Fernsehteams aus der ganzen Welt auf die Färöer, um die Helden zu interviewen. Knudsen betont aber gleichzeitig:

Es braucht seine Zeit, bis man damit klar kommt. Bis man versteht: Ein Land wie das unsere verträgt keine Helden.

Knudsens weiße Pudelmütze hatte ihm angeblich seine Mutter aus färöischer Wolle gestrickt. Er selber sagte später, er habe sie sich extra für das Spiel gekauft. Nach dem Spiel von Landskrona bot ihm angeblich ein englischer Millionär umgerechnet 67.000 Euro für die Mütze - Knudsen lehnte ab. Seine Mutter hingegen musste für die internationalen Fans in der Folge sehr viele solcher Mützen stricken.

Neben der moralischen Komponente, die dem färöischen Selbstbewusstsein einen unschätzbaren Auftrieb gegeben hat und den färöischen Fußball von Anfang an auf der Europakarte platzieren konnte, führte der Erfolg auch zum Bau des Stadions von Toftir für internationale Heimspiele. Die Hoffnung, die mit dem Sieg verbunden war, hat sich aus färöischer Sicht erfüllt.

Nicht zuletzt gibt es eine Hymne auf das Spiel, das Lied Reytt og blátt og hvítt ("Rot und blau und weiß" in Anlehnung an die färöischen Landesfarben). Es fängt mit den spöttischen Worten an "Die Färöer gaben Österreich einen Walzer, den hörte man von Wien bis Mikladalur..." Im Refrain heißt es:

Merkið reytt og blátt og hvítt,
veittrar frítt um heimin vítt.
Fjøllini, fólkini stolt standa rætt,
Dávid her feldi Goliat.
Dávid her feldi Goliat.
Koyrið á...
Koyr á Føroyar...

Zu Deutsch inetwa:

Die Flagge rot und blau und weiß,
weht frei um die weite Welt.
Die Berge und das Volk stolz stehen sie da,
David stürzte Goliath.
David stürzte Goliath.
Vorwärts...
Vorwärts Färöer...

Reaktionen in Österreich

In Österreich hingegen erinnert man sich ungern an diesen Tag, der auch als eine der schwersten Niederlagen des Jahrhunderts bezeichnet wird. Dort erzählt man sich, dass jeder der damaligen Spieler seitdem jedes Jahr vom färöischen Fremdenverkehrsamt einen Räucherlachs zu Weihnachten geschenkt bekommt. Der damalige Trainer Josef Hickersberger bekäme angeblich sogar jeden Monat einen. In einem Kicker-Interview vom 14. Oktober 2005 bezeichnete er es aber als eine "maßlose Übertreibung".

Versöhnliche Töne schlug Hickersberger an, als er sein erstes Testspiel nach seiner Rehabilitierung als Nationaltrainer am 1. März 2006 gegen Kanada spielen sollte. Vor dem Spiel sagte er, dass er am liebsten gegen die Färöer gespielt hätte, es sich aber nicht aussuchen konnte. Die färöische Internetzeitung portal.fo kommentierte: "Das Spiel gegen Kanada gestern abend endete 2:0 für Kanada, so war der Start für Hickersberger nicht der beste. Aber vielleicht bekommt er wieder eine Chance gegen die Färöer..." ([1])

Was sonst noch geschah

Der glückliche Torschütze Torkil Nielsen wurde zwei Tage vor dem Spiel, am 10. September 1990, das erste Mal Vater. Seine Frau Jana gebar daheim die Tochter Sunnrið Egilstoft Nielsen.

Just an jenem 12. September 1990, als die Färöer in die internationale Fußballgemeinde eintraten, spielte die Fußballnationalmannschaft der DDR ihr allerletztes Match, ein Freundschaftsspiel gegen Belgien in Brüssel, das mit 2:0 für die scheidende DDR endete.

Weiterer Verlauf der Qualifikation aus färöischer Sicht

Freilich sollte das der einzige Sieg der färöischen Elf in der Qualifikationsrunde bleiben. Es gelang aber noch ein respektables 1:1 gegen die nordirische Fußballnationalmannschaft und ein 1:4 gegen den späteren Europameister Dänemark. Dieses 1:4 ist insofern beachtlich gewesen, als dass der färöische Ausgleichtreffer in Peter Schmeichels Tor bereits in der 20. Minute erfolgte und fast die ganze restliche erste Halbzeit den Gleichstand bedeutete. Die Kulisse vor 40.000 Zuschauern in Kopenhagen war nicht zuletzt der Sensation von Landskrona zuvor zu verdanken.

Das Rückspiel am 22. Mai 1991 in Salzburg ging erwartungsgemäß für Österreich aus. Vor 13.000 Zuschauern brachten die Österreicher ein ungefährdetes 3:0 (2:0) zustande. Die Färinger freuten sich dennoch, denn Salzburg als Stadt war für sie im damaligen Mozart-Jahr ein besonderes Erlebnis.

Obwohl Jugoslawien Gruppensieger wurde, konnte es nicht mehr an der EM teilnehmen - da es aufhörte zu existieren. Dafür rückte der Gruppenzweite Dänemark nach - und wurde Europameister. Der Europameister Henrik Larsen wurde später Nationaltrainer der Färöer.

Literatur

  • Finnur Helmsdal: Reytt og blátt og hvítt - Føroyar og EM-kappingin. Tórshavn 1991 (keine ISBN, auf Färöisch, 192 S. - Das Buch ist mit vielen Fotos versehen und schildert nicht nur alle EM-Qualifikationsspiele der Färöer 1990/91, sondern bietet viele Hintergrundberichte zur Qualifikationsrunde, aus der Geschichte des färöischen Fußballs, Statistiken, Biografien, Gastkommentare.)
    • Englische Ausgabe: Red, blue and white. The Faroes and the European championships, 1992
  • Philipp Köster: Fussballwunder. Wenn Fussball unglaublich wird. Hamburg, 2005 - ISBN 3203856034 (153 Seiten mit 26 "Fußballwundern" der Geschichte, darunter das Spiel Färöer-Österreich)