Artbildung
Die Artbildung (Speziation), also das Entstehen neuer biologischer Arten ist eine der Grundfragen der Evolutionstheorie.
Bereits Charles Darwin sah sie als so zentral an, dass er seinem berühmten Buch den Titel The Origin of Species by Means of Natural Selection (Die Entstehung der Arten durch die natürliche Zuchtwahl) gab.
Die Frage der Artbildung ist besonders auch deswegen zentral, weil die Art das einzige präzise definierte Taxon der biologischen Systematik ist - zumindest für die meisten Eukaryonten. Zu einer Art gehören danach alle Lebewesen und Populationen, die untereinander ohne künstlichen Eingriff fortpflanzungsfähige Nachkommen erzeugen können (Fortpflanzungsgemeinschaft).
Die Mechanismen der Artbildung wurden insbesondere von Ernst Mayr in der Synthetischen Evolutionstheorie diskutiert und zusammengefasst.
Vereinfacht kann man sich die Artbildung so vorstellen:
- zwei Populationen derselben Art werden getrennt (Isolation). Die Isolation findet in erster Linie durch geographische Barrieren statt, die durch klimatische (z.B. Eiszeiten) und geologische (Grabenbruch, Vulkanismus, Plattentektonik, Landhebungen und Senkungen mit Einbruch oder Austrocknung von Meeren, Umleitung von Flüssen etc.) Faktoren, aber auch durch die Neubesiedlung von Inseln und abgetrennten Gewässern die Fortpflanzungsgemeinschaft aufheben und die Populationen in zwei Genpools trennen.
- Die Populationen entwickeln sich durch Mutationen auseinander, die genetische Übereinstimmung sinkt. Immer mehr Gene verändern sich.
- Es entstehen dadurch unterschiedliche Phänotypen, die sich anatomisch, im Stoffwechsel und/oder im Verhalten voneinander unterscheiden. Häufig wirken sie sich so aus, dass sich die Populationen unterschiedlichen Selektionsdrücken auf Grund unterschiedlicher ökologischer Bedingungen in den beiden Gebieten ausgesetzt sind und sich dadurch in der ökologischen Nische unterscheiden.
- Es kommt zu Inkompatibilitäten, die in der Morphologie und Anatomie (z.B. unterschiedliche Formen von Geschlechtsorganen), Ökologie (unterschiedliche Symbionten, verschiedene Insektenarten für die Bestäubung und Anpassung des Blütenbaus), Genetik (z.B. unterschiedliche Chromosomenzahl oder Chromosomenlängen, dadurch Probleme bei der Meiose) oder Ethologie (z.B. unterschiedliches Balzverhalten) begründet sind und bei einer Aufhebung der Barriere eine Vermischung der Populationen verhindern. Damit sind zwei unterschiedliche biologische Arten entstanden.
DIe Isolation als erster Schritt kann in seltenen Fällen auch durch eine unterschiedliche ökologische Ausrichtung zweier Populationen (z.B. unterschiedliche Mikrohabitate aufgrund unterschiedlicher Nahrung, Wirtswechsel bei Parasiten) erfolgen. Grundsätzlich kann auch eine genetische Mutation am Anfang stehen (sympatrische Speziation), die eine Inkompatibilität erzeugt, z.B. durch Polyploidie oder einer tiefgreifenden Mutation, die mehrere Merkmale und Gene auf einmal betrifft, z.B. durch Mutation von Mastergenen und auf dem Weg einer Änderung des alternativen Splicings.
Typische Beispiele für solche Artbildungen stellen
- die Radiation der Darwinfinken auf den Galapagos-Inseln
- die Evolution von Landschnecken auf dem Hawaii-Archipel
- die Trennung von Nebelkrähe und Saatkrähe im nördlichen Europa in Folge der Eiszeit (Geographische Trennlinie Elbe, Verhaltensunterschiede, aber Artbildung noch nicht abgeschlossen)
dar.
Dieses Modell der Artbildung trifft - da es die Fähigkeit zur sexuellen Fortpflanzung voraussetzt - primär auf Eukaryonten zu. Bei Prokaryonten, beispielsweise Bakterien, sowie Archaebakterien sind ähnliche Mechanismen für eine Aufspaltung verschiedener Formen möglich, allerdings ist die biologische Artdefinition bei diesen Organismen aufgrund der Trennung von sexuellen Vorgängen und der Vermehrung nicht uneingeschränkt anwendbar.
Siehe auch: Chronospezies